Abschnitt 2

Zur Geschichte der Rostocker Burschenschaft


Zum Schluß noch Einiges über den Stand der Dinge bey uns:


Seit dem Anfange des verflossenen Sommerhalbjahres haben sich hier 2 landsmannschaftliche Verbindungen aufgethan, welche sich Saxonia und Thuringia nennen. Nach einigen Unterhandlungen mit ihnen und in Erwägung ihrer Beschaffenheit im Ganzen wie im Einzelnen ergab sich für uns die Unmöglichkeit, sie von solchem Unsinn abzubringen, sowie auch das Glück, daß sich diese Leute von unseren reinen, vaterländischen Burschenleben in einen besonders für sie passenden Sumpf abgesondert hatten. Also kündigten wir ihnen alle Gemeinschaft mit uns auf, zumal, da sie auch unsern Unparteyschen beym Zweikampf nicht anerkannten, und erklärten sie als Feinde des vernünftigen Burschenlebens und volksthümlicher Ausbildung für unfähig zu ehrenhafter Genugthuung. Späterhin taten sie uns in Verruf, welchen wir denn gehörig zu würdigen gewußt haben. - Wir unserer Seits aber überzeugten uns täglich mehr von der Nothwendigkeit wieder als reine Burschenschaft auf unsere alte Verfassungs-Urkunde und als Glied der allgemeinen teutschen Burschenschaft aufzutreten, da mehrere andere Hochschulen und leider auch Viele unserer hiesigen Brüder durch die Germania irre geworden waren. Diese letztern, als sich das Streben zur alten Burschenschaft mehr und mehr zeigte, traten mit ihrer besondern Ansicht zurück. und verließen, da sie dieselbe nicht durchzusetzen vermochten, die Verbindung, worauf wir sogleich unsere alte Verfassungs-Urkunde (ämlich die der alten jenaischen Burschenschaft) wieder angenommen haben. Solches zur Nachricht für Euch aus unserer eignen bittern Erfahrung. Bedürft Ihr eines besondern Namens, so behaltet ihn als nothwendiges Uebel; sehet Euch aber wohl vor, daß Ihr darüber nicht an Euch selbst irre werdet. Nur zu leicht versteckt sich Aristocratismus hinter Form und Namen, die an sich gleichgültig sind; und wo dieser herrscht, wird das freye, rechtliche Gemeinwesen, wie es die Burschenschaft auf allen teutschen Hochschulen bezweckt, nimmer gedeihen; am wenigsten aber die einzelne Verbindung als Theil der allgemeinen teutschen Burschenschaft bestehen mögen, in deren namen schon ihr oberster Grundsatz, Allgemeinheit, liegt.

Versäumt nicht, uns baldigst auf gegenwärtiges Schreiben Bescheid zu thun, auch eine sichere Adresse zu schicken, weil wir Euch noch Vieles von Wichtigkeit mitzutheilen haben, wofür wir aber erst Eure Antwort abwarten müssen. Es ist uns Alles daran gelegen, Eure Ansicht üder die allgemeine teutsche Burschenschaft und den Stand, den Ihr zu derselben nehmen werdet, bestimmt zu erfahren.

Wir bleiben Euch in Bruderliebe zugetan.

G. A. Clemen, Sprecher.
J. F. Gentzen, Schreiber.

N: S: *) ) Die Briefe die Ihr an uns schickt addressiert an Clemen stud. philos. eingeschlossen in der Addresse Herrn Buchhändler Frommann junior.


Unsern Brüdern zu Rostock Handschlag u. Gruß zuvor!

Mit Betrübniß haben wir bisher bemerkt, daß Eure Hochschule wie manche andere im Norden, bisher wenigen oder gar keinen Antheil an der Sache der allgemeinen teutschen Burschenschaft genommen hat, da wir keine Nachricht von Eurem Zustande hatten. Indeß haben wir diesmal sichere Kunde von Euch erhalten, daß die Schuld zum Theil wohl in Zeitumständen lag und auch in der weiten Entfernung von andern Hochschulen, daß aber auch Ihr zu nachlässig gewesen seid, Euch mit dem Fortgange der Grundsätze der allg. deutschen Burschenschaft bekannt zu machen. Ihr habt Euch stets Burschenschaft genannt, - obwohl Ihr in manchen Perioden eher einer Landsmannschaft ähnlicher waret als einer Burschenschaft, - und nie ist in Euch der Wunsch zur That geworden, Theil zu nehmen an den Beratungen und Fortschritten des Ganzen, dem Ihr als Theil angehören wolltet. Ein einziges Mal habt Ihr Euch gegen Jena ausgesprochen, daß Ihr Kunde zu haben wünschtet von uns; aber damit war nur die Bahn gebrochen und Ihr durftet da nicht stille stehn. Obgleich wir Jena nicht ganz lossprechen von einer Saumseligkeit und Nachlässsigkeit gegen Euch, so durftet Ihr doch nicht nachlassen, innigen Anteil zu nehmen an unsrer guten Sache. Bedenkt nur die Folgen Eures Verharrens in diesem Zustande.

Auf den übrigen Hochschulen, - die dazu noch mehr von innen und außen angefeindet werden, als wir es von der Eurigen vernahmen, - bildet sich die Sache der Burschenschaft fort und fort in Gesinnung und Wandel, durch wechselseitige Mittheilung und daher entstehenden Wetteifer der einzelnen Burschenschaften hebt sich das Leben und durch dies Ringen wird die Kraft zu einer Höhe gesteigert, der Ihr, wenn Ihr nicht jetzt dazu tretet, unmöglich folgen könnt, Ihr bleibt bei dem einmal Erfaßten stehen, geht also gegen die übrigen Hochschulen zurück und trennt Euch dadurch von der allg. Burschenschaft, deren Ideen Ihr nicht einmal verstehen werdet, und deren Sache dann nicht mehr die Eurige sein kann.

Dies aber, lieben Brüder, wollt Ihr nicht, und könnt Ihr nicht wollen, dem widersprechen auch Nachrichten von Euch, daß Ihr jetzt recht warmen Antheil an unsrer Aller Sache nehmt, und so fordern wir Euch dann auf, diesen Eifer unter Euch nicht verlöschen zu lassen, sondern durch die That zu beweisen, daß Ihr uns angehören wollt, dadurch daß Ihr künftig Abgeordnete von Eurer Hochschule an die Versammlung der allg. deutschen Burschenschaft schickt. sollten Eure Kräfte allein dazu nicht hinreichen, so fordern wir Euch auf, daß Ihr versucht, Euch mit der Burschenschaft in Kiel in Verbindung zu setzen, der wir dasselbe vorschlagen, in der Art, daß beide Hochschulen von den Abgeordneten einer derselben allährlich abwechselnd vertreten werden, denen die Lage jeder derselben bekannt sein muß und die die Sache jeder einzeln vorzutragen haben. - In der frohen Hoffnung, daß Ihr von nun an diesen Antheil an der allgemeinen Sache nehmt, haben wir Euch die erneuerte Verfassungsurkunde, damit Ihr Euern Brauch den Grundsätzen derselben anpassen mögt, und die Beratungen der diesjährigen Versammlung zugestellt; fordern Euch zur Prüfung derselben auf und zur Uebersendung der Beschlüsse, die Ihr darüber fassen werdet.

Als Brüder haben wir Euch dies sagen wollen mit liebevollem Herzen, und sehen mit inniger Anteilnahme an dem Schicksale Eurer Hochschule einer Antwort von Euch entgegen.

Gott zum Gruß !

Die Abgeordneten der diesjährigen
Versammlung der allg. deutschen
Burschenschaft.

Im Siegsmonde des J. 1822.




*) Von Gentzens Hand, während der Brief von Clemen geschrieben ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zur Geschichte der Rostocker Burschenschaft