Zur Frage der Arbeiter-Bibliotheken

Aus: Die Neue Zeit. Wochenschrift der Deutschen Sozialdemokratie. 26. Jahrgang 2. Band.
Autor: Ilgner, Felix (?-?), Erscheinungsjahr: 1908

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sozialpolitik, Bildung, Bibliotheken, Bücher, Sozialdemokratie, Sozialdemokraten
Unter ständiger Mitarbeiterschaft von August Bebel,
Paul Lafargue, Franz Mehring u. A.
Redigiert von Karl Kautsky.
Zur Frage der Arbeiterbibliotheken schreibt uns Genosse Felix Jlgner in Leipzig: Viel ist schon von literarisch tätigen Genossen darüber geschrieben worden, was man lesen solle, um den Sozialismus begreifen zu lernen und sich mit dem Denkvermögen auszurüsten, das zu einem guten Klassenkämpfer gehört. Praktisch ist daraus aber leider wenig gewonnen. Ich weiß bestimmt, dass es sehr viele, namentlich jüngere Genossen gibt, die sich gern in den Besitz von grundlegenden Büchern setzen würden, wenn nicht der zwar nicht an sich, aber für die verfügbaren Barmittel der Genossen hohe Preis wäre. Einem Teile der Genossen fehlt die Energie, sich jede Woche etwas „wegzulegen", um die gewünschten Bücher zu erwerben. Andere Genossen hindert ein gewisser Fatalismus, sich überhaupt mit der Frage zu beschäftigen, ob sie sich ein Buch anschaffen können, da es für sie doch schon feststeht, dass es „zu teuer" ist. Dieser Fatalismus sonst lernbegieriger und opferfreudiger Genossen hat seinen Grund in der prekären Lage der einzelnen.

Ich meine, allen diesen Erscheinungen würde abgeholfen werden, wenn man gute Arbeiter-Hausbibliotheken zum Preise von etwa 5O bis 60 Mark zusammenstellen und zu günstigen Teilzahlungsbedingungen an die Genossen abgeben würde. Man wird vielleicht einwenden: ja wenn sich strebsame Genossen „emporlesen" wollen, so stehen ihnen unsere Vereinsbibliotheken zur Verfügung. Wenn man nun auch annehmen wollte, dass die Vereinsbibliotheken überall über die geeigneten Bücher verfügen, so muss doch gesagt werden, dass sie nicht allen Anforderungen entsprechen können. Es gibt aber Bücher, namentlich in der sozialistischen Literatur, die man wieder und wieder lesen muss, um den Inhalt zu verstehen. Dann kommt noch eins hinzu. Der Genosse hat seine „eigene" Bibliothek, und sei sie noch so klein. Mit einem gewissen Stolze wird er dem befreundeten Genossen „seine" Bibliothek zeigen. Dies Gefühl des Stolzes wird bei dem anderen ein Gefühl der Beschämung auslösen. Was hundert gute Lehren, die in den Versammlungen gegeben werden, nicht auszurichten vermögen, das richtet vielleicht das niederdrückende Gefühl dem Freunde gegenüber aus. Der Beschämte wird versuchen, dem Kollegen nachzuahmen; sein Interesse wird geweckt; er wird ein denkender Mensch, ein vollgültiger Streiter in unseren kämpfenden Reihen werden.

Viele bürgerliche Verlagsfirmen, zum Beispiel F. A. Brockhaus, Bibliographisches Institut, Bong S, Co., erzielen ihren Hauptumsatz durch den Verkauf ihrer Verlagswerke zu Teilzahlungsbedingungen. Sollten unsere Parteiverlage das nicht auch können? Nach meiner Überzeugung würde es nur von Vorteil für die Partei und auch für unsere Buchhandlungen sein. Man brauchte deshalb nicht ein Heer von Reisenden loszulassen, wie sich manche Genossen vorstellen, um die Bibliotheken „anzudrängeln". All das ließe sich in würdiger, der Bedeutung und dem Ernste! der Sache angemessener Form machen.

Soweit Genosse Jlgner. Wir veröffentlichen gern seine Anregung, möchten aber dahingestellt sein lassen, ob sie sich praktisch durchführen lässt. Was Genosse Jlgner wünscht, war ja früher, wenn auch in anderer Form, die Regel in der Partei: um den Arbeitern die Anschaffung der Parteiliteratur zu ermöglichen, wurde sie gewöhnlich in Lieferungen, also zu „Teilzahlungsbedingungen" und zu Preisen abgegeben, die auf ihre massenhafte Verbreitung berechnet waren. Wenn unsere Parteiverlage davon mehr oder weniger zurückgekommen sind, so haben sie vermutlich ihre Erfahrungen gemacht, und wir fürchten, dass die Parteigenossen, die über die „teuren" Bücher klagen, daran selbst nicht ohne große Schuld sind. Auch sonst liegt auf der Hand, dass die Verwirklichung des Vorschlags, den Genosse Jlgner macht, ihre Schwierigkeiten hat; seine Berufung auf das Vorbild bürgerlicher Verlagsfirmen trifft nicht ganz zu.

Bebel, August (1840-1913) deutscher sozialistischer Politiker, einer der bedeutendsten Begründer der Sozialdemokratie

Bebel, August (1840-1913) deutscher sozialistischer Politiker, einer der bedeutendsten Begründer der Sozialdemokratie

Mehring, Franz Erdmann (1846-1919) Publizist und Politiker, einer der bedeutendsten Historiker seiner Zeit, Sozialdemokrat, einige seiner Äußerungen zum Judentum werden als antisemitsch bewertet. (wikipedia)

Mehring, Franz Erdmann (1846-1919) Publizist und Politiker, einer der bedeutendsten Historiker seiner Zeit, Sozialdemokrat, einige seiner Äußerungen zum Judentum werden als antisemitsch bewertet. (wikipedia)