Suggerierte organische Zustände und Krankheitsheilungen

Aber nicht nur der Wille des Menschen, seine psychischen Erregungen und Neigungen unterliegen der Wirkung der Suggestion, sondern auch sein physisches Wohl und Wehe und sein Allgemeinbefinden, und zwar in einem Maße, das weit über alles hinausgeht, was der Laie zunächst für möglich hält.

Ein Staatsanwalt sollte einst der Exhumierung einer Leiche zu forensischen Zwecken beiwohnen. Er fiel, als das Grab geöffnet und der Sarg bloßgelegt war, infolge des Leichengeruchs, den er nicht vertragen konnte, in Ohnmacht. Nachträglich zeigte es sich aber, daß der Sarg leer war, so daß der Leichengeruch bloß in der Einbildung des Herrn Staatsanwalts vorhanden gewesen sein konnte. Und doch war die Einbildung so machtvoll, daß sie eine Ohnmacht herbeiführte.


Dass man ferner im hypnotischen Zustande, dessen Hauptcharakteristikum ja grade in der stark gesteigerten Empfänglichkeit für Suggestionen aller Art liegt, viele Krankheiten und körperlichen Unbequemlichkeiten auf suggestivem Wege beseitigen oder günstig beeinflussen kann, ist bekannt; aber auch ohne Zuhilfenahme der Hypnose lässt sich unter mancherlei Umständen, die aus irgend einem Grunde der Suggestivwirkung besonders günstig sind, der gleiche Erfolg erzielen. Renault heilte einen Melancholiker von seinem Gemütsleiden dadurch, daß er ihn allabendlich vor dem Schlafengehen mit phosphoreszierender Schrift an die Wand seines Schlafgemaches die Worte schreiben ließ: „Ich bin heiter.“ Mit diesem Spruch vor Augen schlief der Kranke regelmäßig ein und wurde schließlich durch diese originelle Methode von seiner Schwermut geheilt.

Handelt es sich hier auch nur um eine ausschließlich psychische Beeinflussung, so kommt es in zahlreichen andern Fällen doch auch zu einer direkten Wirkung auf die physischen Vorgänge im Körper, welche, wie man meinen sollte, der Einwirkung des Willens entzogen sein müßten. Ein bekannter, oftmals mit vorzüglichem Erfolg angewandter Trick der Ärzte, die sich scheuen, einem Kranken irgend eines der immerhin angreifenden, echten Abführ- oder Schlafmittel zu verordnen, besteht darin, daß sie ihnen zur Bekämpfung des Übels irgendwelche absolut harmlosen Mittel eingeben, z. B. Zuckerwasser oder Brotpillen, unter dem Vorgeben, daß es sich um richtige, gut und rasch wirkende Schlaf- bzw. Abführmittel handelt; in sehr zahlreichen Fällen genügt dann tatsächlich der bloße Glaube des Patienten, daß das Mittel helfen werde, um wirklich das gewünschte Ergebnis herbeizuführen, das ohne jenen einsuggerierten Glauben niemals erzielt worden wäre. Überhaupt spielt eine große Reihe von Medizinen in der ärztlichen Praxis genau die gleiche Rolle wie jene Pseudo- Schlaf- und Abführ-Mittel. Patienten, die sich nicht wohl fühlen und den Arzt konsultieren, besonders Frauen der unteren Volksstände, spüren so lange ein Unbehagen und Krankheitssymptome, bis ihnen irgend eine Arznei eingeflößt ist. Ob diese Arznei tatsächlich ihren Zustand beeinflussen kann oder nicht, ist ganz gleichgültig; es kommt gar nicht darauf an, welche Arznei verschrieben wird, sondern ausschließlich darauf, daß überhaupt etwas verschrieben wird: und je gelehrter der Name, je höher der Preis der Medizin ist, um so sicherer und besser ist die Wirkung auf das Befinden des Patienten. Wahre Unmengen des harmlosen Mittels Bromkali werden z. B. auf diese Weise lediglich zu Suggestivzwecken mit trefflichem Erfolg verwendet, besonders in Polikliniken. Unter solchen Umständen, wo das Publikum selbst sich förmlich danach drängt, betrogen zu werden, kann es nicht Wunder nehmen, wenn von jeher die Geschäfte der Quacksalber, der Kurpfuscher und Charlatane in hoher Blüte standen. Es gibt genug Zustände körperlichen oder seelischen Unbehagens, genug harmlose aber lästige Leiden und außerdem genug eingebildete Kranke und Hypochonder, daß der suggestiven Behandlung das weiteste Feld der Wirksamkeit offensteht. Immer ist es dann der Glaube an das benutzte Mittel allein, der den Erfolg zeitigt; das Mittel selbst ist vollständig Nebensache. Alle die unzähligen Wunderkuren und Sympathiemittel, die der Aberglaube alter und neuer Zeit als Vorbeugungs- oder Heilmittel gegen Krankheiten, Gebrechen und Beschwerden aller Art empfiehlt, sie wirken ausschließlich durch die Macht der Suggestion: mag es nun ein Amulet sein oder eine Alraunwurzel, eine Reliquie, ein wundertätiges Wasser oder eine Wallfahrt zu einem Heiligenbild oder einem heiligen Rock, mag es sich um eine Sympathiekur des Schäfers Ast handeln oder um eine „Besprechung“ von Krankheiten oder um irgend eine von den modernen, durch ungeheure Reklame und endlos viele „Anerkennungsschreiben“ empfohlenen Humbugmethoden, wie Voltakreuz, Elektrovigor, „magnetische“ Behandlungen, „Flowers Kollektion“, Herculex, Gesundbeten und alle die vielen andern ähnlichen, „unfehlbaren“ Kuren — immer und unter allen Umständen ist es der Glaube an das Mittel, der die zweifellos vorhandenen Erfolge zeitigt, niemals das Mittel selber. Der Beweis hierfür liegt in der Tatsache, daß alle jene Mittel ohnmächtig sind und wirkungslos versagen, sobald der Patient an ihre Kraft nicht glaubt, entweder weil er ein unverständiges Kind oder ein Unzurechnungsfähiger oder ein unverwüstlicher Skeptiker ist, oder weil er nicht weiß, daß das angewendete Mittel ihn von seinem Übel befreien soll. Genau denselben Erfolg wie jene „unfehlbaren“ Mittel mit den schönen Namen und all dem geheimnisvollen Drum und Dran würde jedes andre Mittel auch haben, und wäre es ein dreimaliges „Hokuspokus“-Sagen oder Tinte oder Gurkensalat oder auch bloßes Wasser. Denn das „Wasser tut's freilich nicht, sondern der Glaube, der mit und bei dem Wasser ist“!

Wir wissen, wie gewisse Krankheiten, insbesondere Lähmungserscheinungen, fast seit den ältesten Zeiten der Menschheit in zahllosen Fällen durch bloßes Handauflegen geheilt oder gebessert worden sind. Es ist kein Zufall, daß Berichte von derartigen Wunderheilungen stets an die Person hervorragender Menschen anknüpfen, denn ausschließlich die Suggestion des Autoritätsglaubens ist es, die die scheinbaren Wunder vollbringt. Nicht nur Christus, der in ahnungsvoll richtigem Doppelsinn zu den Patienten sagte: „Stehe auf. Dein Glaube hat Dir geholfen,“ hat durch Handauflegen gelegentlich Krankheiten geheilt, sondern derartige Fälle sind u. a. auch überliefert von Pyrrhus, Vespasian, Olaf dem Heiligen, Bernhard von Clairvaux, Pater Gaßner, verschiedenen Grafen von Habsburg, zahlreichen englischen und französischen Königen von Philipp I. bis selbst noch auf Karl X., der 1824 bei seiner Krönung in Rheims Kröpfe durch Handauflegen geheilt haben soll. Bei allen diesen Wunderheilungen, soweit sie glaubhaft und verbürgt sind, kann es sich natürlich ausschließlich um die Beseitigung nervöser Störungen gehandelt haben, die durch Suggestion behoben werden können.

Wie machtvoll dann aber der Autoritätsglaube wirken kann, dafür wird ein geradezu klassisches Beispiel aus der Praxis eines in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts weitberühmten Arztes, des Fürsten A. von Hohenlohe, erzählt. Ein mit einer nervösen Zungenlähmung behafteter Bauer kam zum Fürsten, um von ihm Heilung zu erbitten; dieser wollte zunächst das Allgemeinbefinden des Patienten untersuchen und steckte ihm, um die Körpertemperatur zu messen, ein Thermometer in die Mundhöhle. Der Bauer aber, welcher glaubte, das ihm unbekannte Instrument sei berufen, sein Übel zu heilen, fand in demselben Moment seine Sprache wieder und war gesund. Diese Anekdote beweist mit schlagender Deutlichkeit, wie bei gewissen Kuren die Kur selbst, das angewandte Mittel, vollkommen gleichgültig und nebensächlich sind und wie jene und viele andere „Wunderheilungen“ allein dem Vertrauen in die Kunst des Arztes oder in die Macht des Heilers und Beraters zuzuschreiben sind.

Dass natürlich nicht jede beliebige Krankheit durch Suggestion — hypnotischer wie nichthypnotischer Art — beseitigt oder auch nur beeinflusst werden kann, bedarf wohl kaum noch besonderer Erwähnung. Die Suggestion wirkt durch das Zentralnervensystem auf den Körper ein, kann also natürlich auch nur auf nervösem Gebiet ihre seltsamen Kräfte entfalten — und dieses Gebiet ist grade umfangreich genug. Aber man darf selbstverständlich von der Suggestion nicht Unmögliches verlangen, ihr nicht Aufgaben stellen, die ihrem Wirkungskreise ganz fern liegen. Es ist klar, daß man nicht etwa ein Krebsleiden oder eine Lungentuberkulose auf suggestivem Wege behandeln oder gar heilen und einen gebrochenen Arm durch gutes Zureden wieder einrenken kann; aber die Schmerzen, die die meisten Krankheiten begleiten, lassen sich durch Suggestion allgemein mildern, das Allgemeinbefinden, die Stimmung, die Hoffnung der Kranken beleben, womit schon außerordentlich viel gewonnen ist; und so erstreckt sich indirekt die Bedeutung der Suggestion weit über den Rahmen der eigentlichen nervösen Leiden und Lähmungen hinaus und vermag Erfolge zu erzielen, die dem Laien tatsächlich als Wunder erscheinen müssen.

So ist z. B. der Glaube an den Erfolg des „Besprechens“ gewisser Krankheiten, z. B. der Kopfrose und an das Besprechen von Blutungen sicherlich kein bloßer Aberglaube. Es gibt genügend viele einwandfreie Berichte über den günstigen Erfolg dieser sonderbaren Heilmethode bei gläubigen Gemütern. Aus der großen Zahl überlieferter Berichte sei hier nur, zum Nachweis des hohen Alters der Methode, hingewiesen auf das 19. Buch der Odyssee (Vers 456 und 457), wo es heißt:

„Diese verbanden dem edlen, dem göttergleichen Odysseus sorgsam die Wund', und stillten das schwarze Blut mit Beschwörung.“

Die Erforschung des hypnotischen Zustandes hat gezeigt, daß tatsächlich durch bloße Suggestion Blutungen gestillt oder auch hervorgerufen werden können — offenbar infolge einer Beherrschung der vasomotorischen Nerven durch den Willen bzw. durch das Unterbewusstsein. Es ist eine bekannte Erscheinung, daß tiefe Nadelstiche, welche einem hypnotisierten Analgetischen (Gefühllosen) versetzt werden, weder gefühlt werden noch bluten oder wenigstens nicht nennenswert bluten. Umgekehrt hat in einem allerdings vereinzelten Fall Marbille durch bloße hypnotische Suggestion nicht nur posthypnotisch spontanes Nasenbluten erzeugt, sondern gelegentlich auch Blutungen aus vollkommen intakter, heiler Haut (Näheres hierüber siehe im Kapitel: „Stigmatismus“ im 2. Teil). Jedenfalls erscheint durch diese neueren Forschungen die Tatsache erhärtet, daß unser Blutumlauf in sehr seltsamer Weise den Einflüssen der Suggestion und des Willens unterliegt.

Auch ist es unzweifelhaft, daß z. B. Warzen, vielleicht auch Gerstenkörner, nicht selten durch irgend eine der zahllosen Sympathiemittel, d. h. also auf suggestivem Wege geheilt werden können — vorausgesetzt, daß der zu Heilende fest an die Wirkung des benutzten Mittels glaubt. Welcher Art das sympathische Mittel ist, ist vollkommen gleichgültig; nur der Glaube an seine Wirkung ist notwendige Voraussetzung.

Wo dieser Glaube bei Skeptikern und wissenschaftlich aufgeklärten Personen fehlt, da kann er im hypnotischen Schlaf künstlich herbeigezwungen werden. Hier schweigen Kritik und Skeptizismus: die Suggestion kann ungehemmt ihre Wirkung entfalten, da sie den geeigneten blinden Glauben bei dem Hypnotisierten vorfindet.

Man hat auf hypnotischem, d. h. also auf suggestivem Wege u. a. folgende Krankheiten und Beschwerden geheilt, beseitigt oder gemildert: nervöse Störungen aller Art, Neurasthenie, Zahnweh, Rheuma, hysterische Beschwerden, gewisse leichte Lähmungen, Ohrensausen, Schreibkrampf, Stottern, Nachtwandeln, Alkoholismus, Morphinismus, geschlechtliche Störungen, Masturbation, konträre und perverse Sexualempfindungen, Schmerzen aller Art, selbst Geburtswehen, Blutungen, Unarten und üble Angewohnheiten, Zerstreutheit, Befangenheit, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit usw.

Man sieht aus dieser Aufzählung, wie außerordentlich umfangreich das Gebiet ist, auf dem ein Eingreifen der hypnotischen wie nicht-hypnotischen Suggestion auf den organischen Zustand unseres Körpers unter günstigen Umständen möglich ist.

Ferner ist es eine zwar überaus sonderbare, aber dennoch feststehende Tatsache, daß bei der Empfänglichkeit oder Nichtempfänglichkeit für gewisse schwere Infektionskrankheiten (Ansteckungskrankheiten) Suggestion eine überraschend große Rolle spielt. Es ist von jeher bekannt gewesen, daß derjenige, der sich während einer verheerenden Epidemie fürchtet, von der Krankheit befallen zu werden, leichter von ihr erfasst wird als der Mutige, der der Gefahr gelassen ins Auge sieht. Die Disposition für die Krankheit muss sich in einer bisher nicht ganz geklärten Weise dadurch steigern, daß die Gedanken sich immerfort mit der Krankheit beschäftigen und die Nerven sich über die Gefahr erregen. Dieselbe Erscheinung beobachtet man ja allgemein bei dem harmloseren und verbreiteteren Übel der bekannten Seekrankheit: wer sich fürchtet, von ihr befallen zu werden, und daher fortwährend daran denkt, der wird gewöhnlich auch ihr Opfer, während ein andrer, der seine Aufmerksamkeit unaufhörlich ablenkt und sich zerstreut z. B. durch Beobachtung der Naturvorgänge, durch Lektüre oder Kartenspiel, ungleich seltener gezwungen wird, den Meergottheiten seinen Tribut zu entrichten. Überall aber, wo psychische Einflüsse die Disposition zur Empfänglichkeit so erheblich steigern oder schwächen können, ist auch der Suggestion die Möglichkeit gegeben, in förderndem oder hemmendem Sinne eine bedeutsame Rolle zu spielen. Von Napoleon I. wird z. B. berichtet, daß sein kühner Besuch der Pestlazarethe von Jaffa am 11. März 1799 und sein mutiges Berühren der pestkranken Soldaten wahre Wunder auf die Stimmung und das Befinden der Kranken gewirkt habe.

Von allen schweren Infektionskrankheiten scheint keine in höherem Maße der Suggestion einen Spielraum zu gewähren als die gefürchtete Cholera. Hier scheint die Furcht vor der Krankheit fast gefährlicher zu sein als die Epidemie selbst. Wenigstens bestätigen die Erfahrungen, die man mit der Krankheit im 19. Jahrhundert in Europa gemacht hat, wo sie sich 1830 — 1832 zum überhaupt ersten Male zeigte, durchaus alles, was die Völker des Morgenlandes über die Gefährlichkeit der Furcht berichteten. Eine orientalische Sage schildert anschaulich, was die Volksweisheit von der Gefährlichkeit der Furcht in Cholera-Epidemien zu berichten weiß. Der Fürst des Landes begegnete eines Tages der Cholera vor den Toren der Stadt und fragte sie, wie viele Einwohner sie diesmal zu holen gedächte. „Tausend“ antwortete die Cholera. Einige Zeit danach traf der Fürst abermals die Cholera und machte ihr heftige Vorwürfe, daß sie nicht Wort gehalten und statt tausend vielmehr fünftausend Menschen dahingerafft habe. Aber die Cholera rechtfertigte sich und erwiderte, sie habe ihr Versprechen wahr gemacht und selbst nur tausend gemordet, die andern viertausend habe die Furcht getötet.

Aus neuerer Zeit wurde ein Fall berichtet, in dem die Cholera erfolgreich durch Suggestion bekämpft wurde. Als im Jahre 1890 die Cholera in Spanien herrschte, wurde auch ein kleines Dörfchen von der Seuche befallen, und die Krankheit wollte dort gar nicht wieder schwinden. Aus irgend einem Grunde kam nun unter der Dorfbevölkerung ein durch nichts begründetes Gerücht auf, daß die Epidemie aufhören würde, wenn Nordwind wehte, und gespannt sahen die Dörfler seitdem an jedem Morgen nach der einzigen Wetterfahne des Örtchens, die auf dem Pfarrhause angebracht war. Aber die Windfahne wollte lange Zeit nicht nach Norden herumgehen, und die Krankheit wütete immer weiter. Da zeigte eines Morgens die Windfahne nach Norden, und vom selben Augenblick an ließ die Seuche nach und schwand bald ganz. Nachträglich stellte es sich heraus, daß der Pfarrer des Dorfes in einer windstillen Nacht die Fahne heimlich nach Norden gedreht aber in dieser Stellung festgebunden hatte. Den Bewohnern war also nur suggeriert worden, dass Nordwind wehte, und diese Suggestion genügte, um die grundlos erhoffte Rückwirkung auf die Epidemie tatsächlich zustande zu bringen!

Aber die Suggestion besitzt noch mehr Macht, als bisher geschildert wurde: sie kann auch gefährliche Krankheitsbilder hervorrufen, ohne daß tatsächlich eine Krankheit vorliegt.“ Ja, sie kann unter geeigneten Umständen das Leben bedrohen und sogar vernichten, wenn nicht rechtzeitig die Macht der Suggestion gebrochen oder durch eine Gegensuggestion aufgehoben wird. Ein gutes Beispiel hierfür, das der Wirklichkeit abgelauscht sein könnte, findet sich in der Anzengruberschen Erzählung „Treff-Ass“ (in der Novellensammlung: „In Feldrain und Waldweg“) Hier erzählt Weishofer folgende Geschichte von seiner Frau:

„Die himmelherrgottssakramentschen Weibsleut' mit ihren verhöllten Dummheiten! Karten aufschlagen haben's müssen, aus Spaß, natürlich nur aus Spaß, wie sie gesagt haben, und da ist der meinen das Treff-Ass gefallen, und das bedeut'n Tod, so ist ihr's ausgelegt worden. Da hat sie ein so langes Gesicht gemacht, daß sie mit ihr'm Kinn bald auf die Tischplatte gereicht hätt'. „Es ist halt doch eine Sund“ — hat sie gesagt — „Spaß hab' ich treiben wollen, und unser Herrgott zeigt mir ein' Ernst!“ Seither bild't sie sich ein, sie macht kein Jahr mehr mit. Wär's nit so traurig, frei völlig lachen könnt' mer d'rüber, wie sie sich alle Mühe gibt, die Prophezei' wahr zu machen. Abmagern tut's mir von Tag zu Tag. Ausreden lasst sie sich's nit, manch' geschlagen Stund' bin ich schon neben ihr gesessen, hab' ihr zugered't, sie horcht fein auf, gibt mir in allem Recht, und wenn wir uns vom Sitz heben, so ist ihr letzt's Wort, wies erste war, sie müsst' doch sterben! In meiner Angst hab' ich mir einen Doktor aus der Stadt g'rufen, der hat den Kopf beutelt und g'sagt: „Die Frau ist gemütskrank!“ Ich hab' ihm drauf die ganze Geschieht' verzählt. „Hm, hm,! hat er brummelt, hat seine Dose hervorgezogen, klappt's auf, nimmt eine Prise, schnupft, drückt den Deckel langsam wieder zu: „Ja,“ sagt er, „die wird wohl an ihrer Dummheit sterben!“

Wie diese Krankheitsgeschichte der Weishoferin ist auch ihre Heilung dem Leben abgelauscht. Der Hautzner-Michel, ein Hausierer, der weiß, dass ihr Mann heut mit Geld von der Stadt zurückkehren wird, sucht sie auf, verwickelt sie in ein Gespräch über die Bedeutung der Karten und redet ihr ein, Treff-Ass bedeute ja gar nicht den Tod, sondern einen Beutel Geld. Als nun bald darauf ihr Mann mit dem Beutel Geld heimkommt, glaubt sie der neuen Auslegung des Hautzner-Michel mehr als der alten und wird von Stund an wieder gesund.

Die Geschichte der ärztlichen Wissenschaft und die Weltgeschichte kennen zahlreiche ähnliche Fälle, in denen es gar nicht selten bis zum wirklichen Tod infolge von Suggestion kam — wahrscheinlich weil irgend eine an sich wenig gefährliche oder ganz harmlose Krankheit infolge der Gemütsdepression einen tödlichen Verlauf nahm, da der durch Erregung und Furcht geschwächte Körper nicht mehr die nötige Widerstandsfähigkeit besaß. Das tatsächliche Eintreffen zahlloser Todesprophezeiungen und Todesverwünschungen ist durch die suggestive Wirkung auf abergläubische Gemüter zu erklären. Drusus, dem die germanische Velleda beim Versuch, die Elbe zu überschreiten, mit der Verkündigung entgegengetreten war, er werde binnen Jahresfrist sterben, starb im Laufe des Jahres, das diesem Ereignisse folgte. König Philipp der Schöne von Frankreich und Papst Clemens V. starben beide im Jahr 1314, nachdem die im März 1314 hingerichteten Templer sie binnen Jahresfrist vor Gottes Richterstuhl geladen hatten. Ferdinand IV. von Castilien, der von den beiden unschuldig hingerichteten Brüdern Don Pedro und Don Juan de Carvajal ebenfalls vor Gott geladen wurde, und zwar binnen 30 Tagen, starb genau nach 30 Tagen, wovon er den Beinamen „Der Geladene“ erhielt. Ferner existieren aus verschiedenen Zeiten schwerer Epidemien Berichte, daß Sterbende laut die Namen derjenigen Personen richtig bezeichneten, die zunächst nach ihnen sterben würden. Die Glaubwürdigkeit dieser Überlieferungen lässt sich zwar nicht mehr nachprüfen, doch fällt die Übereinstimmung der verschiedenen unabhängigen Berichte auf, so daß auch hier Suggestionswirkung vorliegen dürfte — um so mehr als auch unter wilden Völkerschaften der Südsee das sogenannte „Totbeten“ eines Feindes gar nicht selten dessen wirklichen Tod im Gefolge hat, freilich und bezeichnenderweise immer nur dann, wenn der Betroffene von der gegen ihn ausgestoßenen Verwünschung erfährt und an ihre Wirkung glaubt; andernfalls bleibt sie wirkungslos. Auch pflegen bei den Australnegern leichte Speerwunden zur Erkrankung und zum Tode zu führen, wenn der Getroffene wähnt, daß der Speer verzaubert war; und ebenso siechen bei den Polynesiern, auch ohne äußere Veranlassung, diejenigen dahin, die den Tabu verletzt haben und deswegen sterben zu müssen glauben.

Angesichts aller dieser gleichlautenden Überlieferungen wird man nicht mehr daran zweifeln dürfen, daß die Suggestion oftmals selbst auf Leben und Tod abergläubischer Personen Einfluss haben kann. Ihre Wirkung braucht aber durchaus nicht immer, wie in den geschilderten Fällen, erst einige Zeit, um sich bemerkbar zu machen, sondern kann unter Umständen auch augenblicklich Lähmung und Tod herbeiführen. Einst wurde auf einen verfolgten Dieb, der zu entkommen drohte, ein blinder Schuss abgegeben; die Wirkung war vollkommen dieselbe als ob eine richtige Kugel ihn getroffen hätte. Als er den Knall hörte, wähnte er sich getroffen, brach kraftlos zusammen und war nachträglich sehr erstaunt, daß er völlig unverletzt war. Auch existieren eine Anzahl von gleichlautenden Erzählungen, wonach Schein-Hinrichtungen, die vorgenommen werden, um jemanden zu foppen und zu ängstigen, mit dem wirklichen Tode des Betroffenen endeten, der im selben Moment starb, wo das angebliche Richtschwert seinen Hals in Gestalt eines nassen Handtuches, eines Strickes oder einer Wurst berührte. Ein solcher Scherz, der so traurig endete, wird z. B. König Friedrich Wilhelm I. von Preußen zugeschrieben, ferner wird von Tissot in seiner „Abhandlung über die Nerven und deren Krankheiten“ ein gleicher Fall berichtet, und noch vor einer Reihe von Jahren ging eine ähnliche Geschichte, wo Schulknaben ihrem Kastellan einen Possen spielen wollten, durch die Zeitungen. Man kann nicht wohl in jedem dieser Fälle von einem Tod infolge von Schreck (Nerven-Chok oder Herzschlag) sprechen, der bei kranken Leuten ja gelegentlich beobachtet wird, sondern es kommt noch ein Weiteres hinzu, dessen Wesen jedoch, rein medizinisch beurteilt, noch nicht ganz klar ist. Daß es tatsächlich möglich ist, nur durch Suggestion in kurzer Zeit den Tod eines Menschen herbeizuführen, beweist jedenfalls schließlich noch ein älteres, grausames Experiment der medizinischen Fakultät von Montpellier. Einem zum Tode verurteilten Verbrecher wurde mitgeteilt, daß man ihm die Augen verbinden und dann zu wissenschaftlichen Studienzwecken die große Halsschlagader öffnen werde, was seinen Tod durch Verblutung in kürzester Zeit zur Folge haben werde; dann verband man ihm die Augen, versetzte ihm einen winzig kleinen, kaum merkbaren Nadelstich in den Hals und setzte gleichzeitig eine kleine Fontäne in Bewegung, deren Plätschern in einem untergehaltenen Becken ihn glauben machen mußte, daß sein Blut in dickem Strom in die Schale fließe. Nach kurzer Zeit war der Mann tot, ein Opfer der Suggestionskraft.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zu Wunder und Wissenschaft