2. Intellektuelle Fehlerquellen als Hauptstütze des Aberglaubens

In alter Zeit bewirkten die religiösen Vorstellungen und das Verhältnis der Menschen zu ihren Göttern, dass man allgemein glaubte, durch Wahrzeichen aller Art pflegten die Himmlischen selber zu warnen oder zu ermutigen vor jedem bedeutungsvollen Unternehmen, und durch Darbringen von Opfern suchte man solche Wahrzeichen in wichtigen Fällen geradezu zu erflehen. Ein Donnerschlag oder ein Sturmwind, der Flug der Vögel oder die Eingeweide der Opfertiere — sie galten als direkte göttliche Kundgebungen, und ihre Bedeutung entschied über das Tun und Lassen der Menschen. Heut nennt man solche fromme Naivität der Vorzeit Aberglauben, aber auch in unsern Tagen, bei unsern völlig geänderten religiösen und wissenschaftlichen Vorstellungen wirken noch vielfach die alten religiösen Überzeugungen nach: das Zerbrechen von Glas und Porzellan, das Zusammentreffen des Jägersmannes mit einem alten Weib, das Umstoßen des Salzfasses bei Tische, der Regen, der der Braut ins Haar träufelt, das Stolpern des Eintretenden auf der Türschwelle, und alle die unendlich zahlreichen andern, bald Glück, bald Unglück kündenden Vorzeichen des Alltags, der Glaube an die unheilvolle Bedeutung des Freitags und der Zahl 13 — sie alle, alle sind Überbleibsel früherer religiöser Vorstellungen, kulturgeschichtliche Atavismen, Überreste aus den Zeiten, wo naive Menschen wähnten, dass eine Gottheit ihnen durch sichtbare Zeichen zu erkennen gäbe, was sie tun und was sie lassen sollten.

Es ist psychologisch selbstverständlich, dass der Glaube an Vorzeichen göttlichen Ursprungs vor allem an ungewöhnliche Naturvorgänge, an die „Zeichen und Wunder“ des Himmels anknüpfte. Die „prodigia“ des Livius, die Meteorfälle, Blutregen, Erdbeben und selbst Missgeburten — sie galten, obwohl fast alljährlich die einen oder andern wiederkehrten, im Altertum ebenso als Künder außerordentlicher irdischer Geschicke, wie im Mittelalter die Kometen und Nordlichter als unheildrohende, göttliche Wahrzeichen, Vorboten von Krieg, Hungersnot und Pestilenz angesehen wurden. —


Wenn der Glaube an die Bedeutung solcher Vorzeichen eine so ungeheure Ausdehnung und Verbreitung gewinnen konnte, wenn er selbst heute noch die Gedanken und Sinne der Menschen ausschlaggebend beherrscht, der unkultivierten wie des größten Teiles der kultivierten Völker, so ist die Schuld daran vor allem auf drei psychologische Eigentümlichkeiten der Menschen zu schieben, mit denen wir uns nunmehr vertraut machen wollen.

In all den Fällen, in denen ein Vorzeichen nur ganz allgemein als Bote von Unglück oder Glück gilt, ist es natürlich ungemein leicht, nachher das Vorzeichen auf irgend eine Weise bestätigt zu finden. Im Altertum und Mittelalter glaubte man, dass Kometen zumeist Kriege ankündigten; es war damals schon an und für sich nicht schwer, einen Krieg ausfindig zu machen, der durch einen Kometen vorher angezeigt worden war, zumal nirgends gesagt war, binnen welcher Frist nach dem Erscheinen des Kometen der Krieg ausbrechen musste, ob Tage, Monate, Jahre oder Jahrzehnte nachher.

Fand dennoch ein Krieg statt, dem kein Komet vorhergegangen war, so war er eben ohne warnende Vorzeichen ausgebrochen; folgte jedoch auf einen Kometen einmal ausnahmsweise kein Krieg, so war es nicht schwer, irgend ein anderes Unglück ausfindig zu machen, das die Folge des Vorzeichens sein konnte: Pestilenz, Unwetter, Streitigkeiten, Unfälle, Überschwemmungen usw. Eine Beziehung zwischen einem unbestimmten Vorzeichen und irgend einem tatsächlichen Ereignis herauszufinden, war stets eine der allerleichtesten Aufgaben und ist es noch heute für abergläubische Gemüter.

Am 9. September 1898 fand in Deutschland das letzte große Nordlicht statt — am 10. September 1898 wurde Kaiserin Elisabeth von Österreich in Genf ermordet: die mystische Bedeutung des Vorzeichens scheint klar erwiesen! Aber am 31. Oktober 1903 fand wieder ein schwerer magnetischer Sturm in Europa statt, wenn auch das zweifellos vorhanden gewesene, große Nordlicht infolge allgemeiner Bewölktheit des Himmels nur vereinzelt gesehen wurde — diesem Vorzeichen folgte indessen kein welterschütternder Unglücksfall auf dem Fuße, wie es 1898 geschehen war: aber wenn nun jemand behauptet hätte, jenes Nordlicht vom 31. Oktober habe den großen Theaterbrand in Chicago vom 30. Dezember 1903 prophetisch vorangezeigt oder den Brand von Aalesund vom 23. Januar 1904 oder den am 7. Februar 1904 erfolgten Ausbruch des japanisch-russischen Krieges — ja, wer in aller Welt hätte den Beweis führen können, dass eine solche Beziehung zwischen Vorzeichen und angeblicher Folgeerscheinung tatsächlich nicht existieren kann, wer hätte den Beweis führen können, dass das Nordlicht überhaupt gar kein Vorzeichen gewesen sei? Derartige Beweise lassen sich natürlich nicht führen, aber es ist unlogisch, wenn manche Mystiker auf ein solches Eingeständnis erwidern: „Du kannst den Beweis nicht liefern; also wird meine Ansicht wohl die richtige sein!“ Denn die mystische Theorie kann auch keinen Beweis für ihre Behauptung erbringen, und ihre Zumutung an die Gegner, zunächst einmal ihre noch unbewiesene Behauptung zu widerlegen, ist mindestens naiv, denn die Beweislast fällt stets zuerst dem zu, der die positive Behauptung aufstellt, an zweiter Stelle erst dem, der sie verneint.

Die erste psychologische Tatsache, die den Aberglauben mächtig fördert, beruht also darauf, dass es dem, der eine mystische Bedeutung eines Vorzeichens herausfinden will, immer möglich sein wird, eine Beziehung zu einem nachher wirklich eingetretenen Ereignis zu entdecken. Die zweite Tatsache ist darin zu suchen, dass der Abergläubische stets nur diejenigen Ereignisse beachtet und behält, die für die Richtigkeit seines Glaubens sprechen, während er alle andern übersieht und vergisst. Wir finden diese seltsame, allgemein menschliche Eigentümlichkeit, die von einer streng-wissenschaftlichen Forschungsmethode und von einer gewissenhaften Statistik gleichweit verschieden ist, auf allen Gebieten menschlichen Aberglaubens mit unfehlbarer Sicherheit wieder.

So erhält sich der Glaube, dass beim Mondwechsel das Wetter umschlägt, hartnäckig, mag eine wissenschaftliche Statistik auch noch so oft nachweisen, dass sich im langjährigen Durchschnitt beim Mondwechsel das Wetter ebenso oft ändert wie nicht ändert; so erhält sich der dogmaartig festgewurzelte Glaube an die Bedeutung von Falbs „kritischen Tagen“ für die Witterung, mag ihre Bedeutungslosigkeit durch noch so viele exakte statistische Untersuchungen unzweifelhaft festgestellt sein. So ist der ungemein verbreitete Glaube an die unglückliche Vorbedeutung des Freitags und der Zahl 13 absolut unausrottbar; der Abergläubische zählt eben eine möglichst große Anzahl von Fällen auf, in denen der Freitag und die 13 Unglück gebracht haben, und geht über alle nicht zutreffenden. Fälle hinweg, ohne sich irgend etwas dabei zu denken: der Gedanke kommt ihm gar nicht, einmal zu untersuchen, wie oft denn wohl der Freitag und die 13 kein Unglück oder gar Glück gebracht haben, und zu sehen, ob nicht die Anzahl dieser Fälle, wie es die Wahrscheinlichkeit erfordert, ebenso groß ist, wie die Zahl der Fälle, die den Aberglauben zu stützen scheinen. Mit einer solchen Art von Statistik, die völlig unwissenschaftlich, aber ungemein verbreitet ist, läßt sich natürlich jede noch so unsinnige Behauptung beweisen: wenn jemand meinetwegen die Theorie aufstellt, dass Mittwochs ganz besonders viele Leute sterben und sich dann allwöchentlich hinsetzt, um die ungeheuren Zahlen von Menschen, die Mittwochs sterben, zusammenzuaddieren und die Zahlen als Beweis für seine Hypothese zu veröffentlichen, ohne sich aber darum zu kümmern, wie viele denn an andern Wochentagen sterben — so kann er überzeugt sein, dass die verblüffenden statistischen Resultate seiner Theorie in kurzer Zeit eine Unmenge von begeisterten Anhängern und Gläubigen zuwenden werden; oder wenn jemand alle Nachtwächter, die schwarze Haare haben, sorgfältig registriert, namhaft macht und beschreibt, so würde eine etwa sich darauf gründende Theorie, dass alle Nachtwächter schwarze Haare haben, unbedingt großes Aufsehen erregen!

Nur durch eine so gründliche Misshandlung und Verrenkung der Statistik ist die ungeheure Widerstandskraft des Aberglaubens gegen alle Aufklärungsbestrebungen zu erklären. Die merkwürdige psychologische Eigentümlichkeit jedes abergläubischen, wissenschaftlich nicht geschulten Laien, nur ihm sympathische Ereignisse zu berücksichtigen, unsympathische, welche die Theorie über den Haufen werfen könnten, zu übersehen und zu vergessen, ist durch keine Vernunft und Logik zu bekämpfen oder zu erschüttern. Wer davon überzeugt ist, dass Regen am Siebenschläfertage (27. Juni) sieben Wochen Regen bedeuten, wird in seinem Glauben auch dadurch nicht schwankend, dass in dem abnorm dürren Sommer 1904 der letzte Regen vor der längsten Trockenperiode an vielen Orten gerade am Siebenschläfertag fiel. Wer der festen Überzeugung lebt, dass am Freitag notwendig ein jedes Unternehmen missglücken müsse, ist auch nicht durch einen Hinweis darauf zu heilen, dass die bedeutungsvollste und vielleicht wichtigste Reise der letzten Jahrhunderte, die des Columbus nach Amerika, an einem Freitag (3. August 1492) angetreten wurde und an einem Freitag (12. Oktober 1492) zur glücklichen Vollendung, zur Entdeckung Amerikas, führte; denn für ihn scheiden widerlegende Fälle aus der Betrachtung einfach aus! Und wer die 13 fürchtet und sie in Acht und Bann getan hat, der wird in seinem Aberglauben auch dadurch nicht irre, dass die erfolgreichste aller modernen Polarfahrten, die Nansensche, 13 Mann auf der „Fram“ zusammengeführt hatte, die sämtlich lebend nach der Heimat zurückkehrten, und obendrein am 13. August 1896 mit der Rückkehr Nansens nach Vardö abschloss! Solche „Ausnahmen“ können doch, so wird der Abergläubische sagen, nicht die allgemeine, oft bewiesene Berechtigung seiner dogmatischen Überzeugungen widerlegen — aber, ob die angeblichen Ausnahmen nicht außerordentlich viel häufiger vorkommen, als die sogenannte Regel, fällt ihm nicht ein zu untersuchen!

Für denjenigen, der objektiv und kritisch, vom Standpunkt des Statistikers, die Berechtigung eines Glaubens bezw. Aberglaubens beurteilt und die Zahl der zutreffenden und der misslungenen Fälle miteinander vergleicht und an der Hand der Wahrscheinlichkeitsrechnung gegeneinander abwägt, ist es unbegreiflich, wie die Anhänger aller Formen des Aberglaubens die sämtlichen in ihre Theorien nicht passenden Vorkommnisse einfach übersehen können, fast ohne sich irgend welche Gedanken dabei zu machen. Aber dass man es hier mit einer allgemein vorkommenden, psychologischen Eigentümlichkeit zu tun hat, wird u. a. dadurch bewiesen, dass schon dem alten Cicero bekannt war, wie alle Vorkommnisse, welche den Glauben an Vorzeichen und Prophezeiungen zu widerlegen geeignet sind, von der großen Masse der Abergläubischen einfach ignoriert werden: ,,Flaminius gehorchte nicht den Zeichen; es kostete ihm und seinem Heere das Leben. Aber Paullus gehorchte ihnen ein Jahr später: fiel er nicht ebenfalls in der Schlacht bei Cannä mitsamt seinem Heere? . . Ich erinnere auch an die vielen Prophezeiungen, die dem Pompejus, dem Crassus und kürzlich dem Caesar von Chaldäern gegeben wurden, sie sollten alle an Altersschwäche sterben, sterben in ihrem Heim in Glanz und Ehre — so dass es mich sehr wundert, dass es noch immer Leute gibt, die jenen Menschen glauben, obgleich sie täglich ihre Prophezeiungen durch die Tatsachen widerlegt sehen“ (De divinatione, lib. II cap. 8 u. 9).

Eine dritte psychologische Merkwürdigkeit besteht endlich darin, dass an alle Vorzeichen und Prophezeiungen, besonders, wenn sie irgendwie unbestimmt gehalten oder mehrdeutig sind, nachträglich von den Gläubigen herumgedeutelt wird, bis sie durch die Tatsachen bestätigt worden zu sein scheinen. Auf dieser psychologischen Erkenntnis beruhte bekanntlich der Erfolg und die ungeheure Berühmtheit der göttlichen Prophezeiungen in althellenischer Zeit, insbesondere der dunklen, doppelsinnigen Wahrsagungen der delphischen Pythia. Die bekannteste aller dieser Prophezeiungen, die einst dem Krösus gegeben wurde: „Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören“, oder die ähnliche, die dem Pyrrhus zuteil wurde: „Aio te, Aeacida, Romanos vincere posse“, sind eine Art Schulbeispiel dafür, wie eine „dunkle“ Prophezeiung durch jeden Gang der Tatsachen erfüllt und als richtig erwiesen werden kann, ja, wie sie u.U. gerade durch die unerwartete, fernstliegende Auslegung ihren großen Ruf als tiefe, göttliche Weisheit und untrügliche Zukunftsenthüllung erlangen kann!

Ein Mensch, der ein Vorzeichen und eine Prophezeiung durchaus bestätigt wissen will, findet im Gang der Ereignisse nachher auch immer mit Sicherheit und ohne große Mühe irgend einen Anhaltspunkt, der ein wenigstens teilweises Eintreffen der Vorhersagung anzudeuten scheint. Ein geradezu klassisches Beispiel hierfür bot die letzte Papstwahl, die nach dem Tode Leos XIII. im Anfang August 1903 stattfand.

Bekanntlich ist durch die sogenannte Weissagung des Malachias, von der noch eingehender die Rede sein wird (vgl. S. 213 ff.), jeder Papst durch ein kurzes, bezeichnendes Epitheton charakterisiert worden. Auf Leo XIII. bezog man in der Weissagung nicht unzutreffend die Worte: „lumen de coelo (Licht vom Himmel)“; für seinen Nachfolger sollte nun die Charakterisierung „ignis ardens (loderndes Feuer)“ Gültigkeit haben. Bevor nun das Konklave der Kardinäle stattfand, wurde selbstverständlich vielfach kommentiert, auf welchen der hauptsächlich in Betracht kommenden Kardinäle diese Weissagung wohl zutreffen würde. Auf das unruhige, ehrgeizige Wesen des Hauptkandidaten Rampolla, dessen sichere Wahl schließlich nur durch das österreichische Veto vereitelt wurde, hätte die Bezeichnung ohne weiteres vorzüglich gepasst; aber man fand heraus, dass mit dem „ignis ardens“ von der Weissagung auch der Kardinal Svampa gemeint sein konnte, denn vampa heißt im Italienischen die „Fackel“; oder aber auch der Kardinal Gotti, weil dieser in seinem Wappen eine Fackel führte; oder aber auch der Kardinal Capecelatro, ein idealer, von modernen Ideen erfüllter Mann — man hätte dann „ignis ardens“ nur etwas anders zu übersetzen gehabt, etwa „mildes, leuchtendes Feuer“. So zerbrach man sich schon vor der Wahl den Kopf, wie man die Weissagung des Malachias in jedem Falle als eingetroffen und bestätigt bezeichnen könne; und hätte zufällig noch der wenige Jahre zuvor verstorbene deutsche Kardinal Fürst Hohenlohe gelebt, dessen Name geradezu eine wörtliche Übersetzung des „ignis ardens“ war — wer weiß, ob nicht diese merkwürdige Übereinstimmung bei der Papstwahl gar manchen Kardinal veranlaßt hätte, seine Stimme dem zu geben, den die angeblich von Gott inspirierte Weissagung so deutlich auf den Stuhl Petri berufen zu wollen schien!

Als nun schließlich die Wahl erfolgt und der krasse Outsider Kardinal Sarto als Pius X. Papst geworden war, da galt es nun, für ihn, auf den man gar nicht gerechnet hatte, des Malachias Weissagung zurechtzudeuteln. Die Aufgabe war sehr schwer, denn weder im Intellekt noch im Temperament noch im Namen des neuen Papstes oder in irgend welchen ganz äußerlichen Beziehungen fand sich der geringste Anhalt, der die Bezeichnung „ignis ardens“ hätte gerechtfertigt erscheinen lassen. Aber Malachias konnte unmöglich etwas Falsches prophezeit haben, und nach langem Grübeln machte denn auch ein anschlägiger Kopf ausfindig, warum der neue Papst durch die Bezeichnung „ignis ardens“ von der Weissagung „charakterisiert“ worden war: in dem Wappen des heiligen Dominicus, an dessen Tage (4. August) Papst Pius X. gewählt worden war, befindet sich u. a. ein Hund, aus dessen Maul eine Flamme hervorschlägt! Daher also die entschieden naheliegende Bezeichnung „ignis ardens“ für den Nachfolger Leos XIII!

Man sieht hieraus recht klar, welcher logischen Saltomortales ein tüchtiger Deutelbold fähig ist, um nur ja nicht einmal zugeben zu müssen, dass ein Vorzeichen oder eine Prophezeiung nicht eingetroffen ist. Mit solchen Mitteln fällt es natürlich nicht schwer, mystische Zusammenhänge zwischen den gleichgültigsten Vorgängen nachzuweisen und eine Unzahl von übersinnlichen Zeichen und Wundern in das Weltgeschehen hineinzugeheinmissen. Durch solche phantastischen Mittel schafft sich unbewusst der Wille zum Aberglauben tatsächlich seine massenhaften Wunder, auf deren angebliches Vorhandensein er dann seine metaphysischen Spekulationen und Beweise stützt.

Wie leicht es ist, in die harmlosesten Tatsachen mystische Zusammenhänge und Beziehungen hineinzueskamotieren, dafür sei noch ein Beispiel gegeben. Wenn man in Schillers „Lied von der Glocke“ die Anfangsbuchstaben der ersten fünf Worte zusammenzieht: „Festgemauert in der Erden steht“, so ergibt sich das Wort „Fides“ der Name der altrömischen Gottheit der Treue. Zieht man ebenso die Anfangsbuchstaben der vier letzten Worte zusammen: „sei ihr erst Geläute“, so erhält man das Wort „Sieg“. Was ist nun natürlicher zu folgern, als dass Schiller in dieser symbolischen, versteckten Form seiner Überzeugung Ausdruck geben wollte, dass die Treue überall den Sieg erringen müsse? —

Wir werden nunmehr sehen, wie die drei intellektuellen Fehlerquellen, die den Glauben an einfache Vorzeichen und Vorbedeutungen immer aufs neue speisen, auch in den Beweisen für die Realität der Wahrträume und der Ahnungen in Zukunft und Ferne eine ausschlaggebende, entscheidende Rolle spielen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zu Wunder und Wissenschaft