Das Unterbewusstsein

Es dürfte sich aus taktischen Gründen empfehlen, den Abschnitt über den Okkultismus mit einer Betrachtung über das Unterbewusstsein zu beginnen. Zwar können wir diesen Begriff nur bedingt unter die okkulten zählen, da er nicht ein strittiges Gebiet darstellt, sondern eine von der wissenschaftlichen Psychologie allgemein anerkannte Tatsache. Dennoch aber ist die Erscheinung des Unterbewusstseins in ihrem Kern und Wesen noch so wenig erklärt und der Charakter des Geheimnisvollen und Rätselhaften ist ihr noch in so hohem Grade zu eigen, dass ihre Einordnung unter die okkulten Phänomene sich vollauf rechtfertigt. Das Unterbewusstsein ist bisher nicht viel mehr als ein wissenschaftlicher Hilfsbegriff, genau wie der Begriff Äther: man muss bei beiden aus theoretischen und praktischen Erwägungen heraus ihr Vorhandensein und ihre hohe Wichtigkeit anerkennen, man kennt auch die Naturgesetze, denen sie unterliegen, aber wie unser Verstand ihre Eigenschaften erfassen und begreifen und ihr Wesen erklären soll, bleibt vorderhand völlig rätselhaft.

Es kann diese Tatsache auch nicht Wunder nehmen. Ist doch der Begriff des Bewusstseins, mit dem wir alltäglich operieren, als sei er etwas genau Bekanntes und Geklärtes, ebenso rätselhaft wie der des Unterbewusstseins und für unsern Verstand ebenso unbegreiflich und unerklärlich. Wie sollten wir das Wesen des Unterbewusstseins erfassen und verstehen können, wenn uns sein Seitenstück und Gegensatz, das Bewusstsein, ein Geheimnis ist? Und doch zählen wir die Äußerungen des Bewusstseins nicht zu den okkulten Erscheinungen, und zwar nur aus dem Grunde, weil der Begriff uns gewohnt und vertraut ist! So braucht uns denn auch das Unterbewusstsein kein Wunder zu dünken!


Dass man überall in der Welt der Lebewesen auf unbewusste, vernünftige Handlungen stößt, ist bekannt. Man braucht hierbei gar nicht an die Instinkte der Tiere zu denken, diese rätselhaften, erblichen Äußerungen eines unbewussten Verstandes, sondern auch die große Mehrzahl der intelligenten und zweckmäßigen Handlungen des Menschen erfolgt unbewusst.

Um einen Gedanken kundzugeben, um ein Wort zu sprechen, zu schreiben, zu lesen, um einen Schritt zu gehen, einen Gegenstand zu greifen, kurzum für jede noch so geringfügige, zweckmäßige Bewegung müssen wir zahllose Muskeln in richtiger Reihenfolge, in richtiger Stärke in Bewegung setzen, müssen also vernunftgemäß handeln, und doch werden wir uns dieses Handelns nicht bewusst, es verursacht uns nicht die geringste Mühe und Anstrengung; im selben Moment wie der Gedanke ist auch die zweckmäßige Handlung da, und welche Handlung wir eigentlich ausführen, welche Muskeln wir richtig bewegen, dessen werden wir uns gar nicht einmal bewusst, ja die wenigsten Menschen wissen es, selbst wenn sie ihre Aufmerksamkeit darauf lenken. Und doch führen wir diese zweckmäßigen Handlungen nicht instinktmäßig aus, denn ihre Beherrschung ist uns nicht angeboren, sondern mühsam muss das Kind erst lernen, seine Gliedmaßen, seine Sprechwerkzeuge zu gebrauchen, alle seine Muskeln so zu bewegen, dass es ein von seinem Willen vorgestecktes Ziel richtig und auf dem kürzesten Wege erreicht. Aber schon in wenigen Jahren ist es, infolge unausgesetzter Übung, zu der die eiserne Notwendigkeit es zwingt, ein Meister jener Künste geworden, und reflektorisch wird alsdann stets die zweckmäßigste Bewegung der Muskeln mühelos durch den Sinneseindruck oder den erregenden Gedanken momentan ausgelöst. Fortan setzt es die richtigen Muskeln unbewusst in Tätigkeit; es bedarf nicht mehr der Überlegung: wie mache ich es wohl, um jenen Gegenstand anzufassen, dorthin zu laufen, dies Wort und diesen Gedanken auszusprechen oder nieder zuschreiben, sondern der flüchtigste Wunsch schließt auch schon die Ausführung in sich. Ein Willensimpuls gehört natürlich dazu, aber kaum jemals werden wir uns seiner bewußt: der Befehl des Gehirns an die Nerven und Muskeln vollzieht sich im Unterbewusstsein! Der Ausdruck Unterbewusstsein ist lediglich eine Umschreibung und Präzisierung des sprachlich schlechten und zu Missdeutungen verleitenden Wortes Nichtbewusstsein, Unbewusstsein.

Der größte Teil unsrer Handlungen und Bewegungen vollzieht sich im Unterbewusstsein, und daß dauernd die große Mehrheit unsrer Kenntnisse und Erinnerungen uns nicht gegenwärtig ist, d. h. im Unterbewusstsein schlummert, bedarf nicht erst des Nachweises. Auch der größte Teil unsrer Sinneseindrücke bleibt im Unterbewusstsein haften und dringt nicht über „die Schwelle“ ins normale Bewußtsein (oder „Tages-“ oder „Oberbewusstsein“) ein. Es fällt uns ein gleichförmiger, anhaltender Ton plötzlich auf; wir sind uns bewußt, ihn schon seit langer Zeit gehört zu haben, und sind erstaunt, daß er uns nicht früher aufgefallen ist: er ist von unsern Sinnen wahr genommen worden, doch unser Bewußtsein merkte nichts davon — der Eindruck ist lediglich vom Unterbewusstsein aufgenommen worden! Oder wir überlegen uns einen Namen, der uns nicht gegenwärtig ist, wir haben ihn oft genannt und gehört, wir meinen, er müsse uns jeden Augenblick wieder einfallen, er „schwebt uns auf der Zunge“, und wir wissen genau, dass er in einiger Zeit ganz von selbst wieder im Gedächtnis auftauchen wird; aber er fällt uns gerade jetzt nicht ein, wenn wir auch unsre Aufmerksamkeit und unsern Willen noch so sehr darauf konzentrieren und unser Gedächtnis anstrengen. Dann geben wir unsre Bemühungen auf und denken längere Zeit gar nicht mehr an den gesuchten Namen — und plötzlich taucht er mitten in einem ganz fernliegenden Gedankengänge wieder in uns auf, und wir zweifeln keinen Augenblick an seiner Richtigkeit. Keinerlei fremde Hilfe hat unser Gedächtnis unterstützt, sondern unserm eignen Innern ist der Gedanke fertig entsprungen: unser Unterbewusstsein kannte ihn und ließ ihn plötzlich wieder zum Tagesbewusstsein emporsteigen, als wir selbst es gar nicht mehr erwarteten!

Die Denkgesetze, denen das Unterbewusstsein folgt, sind genau dieselben wie die des normalen Bewusstseins, es denkt, handelt, urteilt und schließt durchaus logisch und vernünftig, und nur auf Grund dieser intellektuellen Fähigkeiten ist es ja auch in der Lage, über den Schlafenden und Träumenden zu wachen, wie wir es oben sahen, und ihn zu warnen, wenn Gefahren drohen. Wie genau das Unterbewusstsein arbeitet und wie sehr man sich auf seine Intelligenz verlassen kann, beweist am deutlichsten die sogenannte „ Kopfuhr“, die zahlreiche Menschen befähigt, pünktlich zu einer vorher gewünschten Zeit aufzuwachen: wer im Besitze einer solchen Kopfuhr ist, kann sich, ohne einen Wecker zu benutzen, getrost abends zu Bett legen mit dem Willen, zu bestimmter Stunde am nächsten Morgen zu erwachen — er wird die Zeit nicht verschlafen! Freilich pflegt der Schlaf, wenn abends die Kopfuhr ,,aufgezogen“ wird, die uns zu bestimmter Stunde wecken soll, häufig unruhig und weniger fest als sonst zu sein, zumal bei Menschen, die nicht wissen, ob sie sich auf ihre Kopfuhr verlassen können. Wer dies aber bestimmt weiß oder wer zur Sicherheit noch eine Weckeruhr aufgezogen neben sein Bett stellt, der kann ebenso fest wie sonst schlafen: er wird trotzdem von selbst zur festgesetzten Zeit erwachen! Ich persönlich habe es sehr oft erlebt, daß ich nur wenige Minuten vor dem Läuten des neben dem Bett stehenden Weckers aufwachte, nachdem ich die ganze Nacht ununterbrochen geschlafen hatte, und daß der Wecker unmittelbar, nachdem ich nach der Uhr gesehen hatte, in Tätigkeit trat — ein Zeichen für die Genauigkeit, mit der die Kopfuhr zu arbeiten vermag! — Die Kopfuhr ist nur so zu erklären, daß wir die Zeit unbewusst richtig zu schätzen vermögen, wenn wir es uns vornehmen. Nicht unwahrscheinlich ist es, daß dabei die Wahrnehmung irgend welcher Zeitangaben seitens des Schlafenden eine Rolle spielt, z. B. das unterbewusste Hören der Stunden, Halb- und Viertelstundenschläge von Wanduhren, Turmuhren usw. — doch sind meines Wissens systematische Versuche über die etwaigen äußeren Hilfsmittel der „Kopfuhr“ noch nicht gemacht worden.

Es ist ein allgemeines psychologisches Gesetz, daß Eindrücke und Gedanken, die uns tagsüber intensiv beschäftigt haben, in den nächtlichen Träumen nicht aufzutauchen pflegen — es sei denn, daß sie einen Zustand dauernder, lebhafter Sorge und Unruhe bedingen, der uns bis in das Leben des Traumes verfolgt und uns häufig aus dem Schlaf schreckt. Von einem schweren Krankheitsfall in der Familie, der uns beunruhigt, träumen wir wohl fast die ganze Nacht; nie aber wird ein Todes- oder Unglücksfall, der unsre Gedanken bei Tage beherrscht, uns auch in unsern Träumen beschäftigen. Erst lange Zeit nach dem Ereignis, oft erst Jahre lang hinterher, wenn die Erinnerung stärker verblasst ist, träumen wir wieder von geliebten Toten, von Schicksalsschlägen irgend welcher Art, von besonders freudigen und schmerzlichen Ereignissen, Examensnöten u. dergl.

Umgekehrt ist es nun aber auch eine psychologische Tatsache, daß im Traum diejenigen Gedanken und Sinneswahrnehmungen besonders gern an die Oberfläche treten, die sich am voraufgegangenen Tage gar nicht oder nur unvollständig entfalten konnten, die unser Bewußtsein nur flüchtig oder überhaupt nicht beschäftigt haben. Dieses Gesetz der Träume ist überaus bemerkenswert, denn die unterbewusste Erinnerung, das „latente Gedächtnis“, spielt in den verschiedensten okkulten und spiritistischen Problemen eine überaus wichtige Rolle, wie wir noch sehen werden, und vermag gar manche Erscheinungen zu erklären, die auf den ersten Blick als unbegreifliche, jeder natürlichen Erklärung spottende Wunder erscheinen. Der folgende Fall wird einerseits schon einen Blick in die Werkstatt der sogenannten „Wahrträume“ gestatten, andrerseits die Bedeutung veranschaulichen, zu der die unbeachtet gebliebenen Ereignisse und Erlebnisse des Tages im Schlafe emporwachsen können.

Delage berichtet folgenden Fall: In dem Hause, wo er wohnte, war das Geländer der Treppe unten mit einer Glaskugel verziert. Diese wurde eines Tages zerschlagen, und es verging einige Zeit, ehe man eine neue aufsetzte. Delage träumte nun eines Nachts, daß ein Knopf von Kupfer in der Form eines Tannenzapfens statt der Glaskugel angebracht worden wäre. Am nächsten Morgen erzählte er seiner Familie den Traum und beschrieb den Gegenstand ganz genau; zu seinem großen Erstaunen hörte er nun, daß ein solcher kupferner Knopf schon seit mehreren Tagen auf dem Geländer angebracht war. Delage mußte den Knopf mehrere Male täglich gesehen haben; aber, obwohl er ihn ganz genau beschreiben konnte, hatte er ihn so wenig bemerkt, daß er erst zur Treppe ging, um sich zu überzeugen, ob der Zierat sich dort auch wirklich befand.

Zur Erläuterung dieser Vorgänge gebraucht Radestock in seinem Buch „Schlaf und Traum“ (Leipzig 1879) einen schönen und ungemeinen treffenden Vergleich: „Die Sterne leuchten auch am Tage, ihr Licht wird aber durch das viel bedeutendere der Sonne überstrahlt und den Augen nicht sichtbar; ist dieses große jedoch verschwunden, so tauchen die zahllosen kleinen empor, ebenso wie die dunklen oder ,kleinen‘ Vorstellungen beim Verschwinden der stärkeren Interessen des Tages.“

Spielt somit das Unterbewusstsein schon im gewöhnlichen Schlaf eine sehr eigentümliche Rolle, so wird es in allen Zuständen pathologischer Bewusstseinsstörungen, vor allem in Hypnose, Trance und Ekstase, noch ungleich bedeutungsvoller werden müssen. Die Erscheinung des doppelten Bewusstseins, des Doppelichs, ist ja überhaupt nur dadurch möglich, daß im normalen Zustand die Erinnerung an den zweiten, abnormen, ekstatischen Zustand völlig erloschen, „latent“ ist, während eine Wiederherbeiführung des pathologischen Zustandes sofort auch wieder die volle Erinnerung an die früheren, gleichen Zustände erweckt wird, ohne daß gleichzeitig das Bewußtsein vom Normalzustand erlischt. Das Unterbewusstsein ist im hypnotischen Schlaf sogar der Allmacht der Suggestion entzogen: ein Hypnotisierter vergißt leicht, wenn eine entsprechende Suggestion ihm gegeben wird, was 2 + 3 ist, er kann die Zahl 5 nicht nur nicht aussprachen, sondern er ist sich auch der richtigen Lösung der Aufgabe tatsächlich nicht bewusst und gesteht selbst zu, dass er das Resultat nicht wisse; aber wenn er gleichzeitig einen Bleistift in der Hand hat, so schreibt er unter Umständen die Zahl 5 richtig auf ein vor ihm liegendes Papier, ohne dass er sich dieser Handlung bewusst wird: sein Unterbewusstsein vergisst die Fähigkeit zu rechnen nicht und trotzt der Macht der Suggestion! Das Unterbewusstsein pflegt auch den Hypnotisierten, wenn dieser sonst auch völlig widerstandslos jedem Befehl des Hypnotiseurs gehorcht, vor gefährlichen, kompromittierenden und verbrecherischen Befehlen meist zu schützen, indem es ihn bei drohender Gefahr aus allertiefstem Schlaf ebenso erweckt wie den normalen Schläfer oder den völlig Berauschten. Der Schutz ist zwar kein unbedingt zuverlässiger, pflegt aber doch hinreichend stark zu sein, um mindestens einen systematischen Missbrauch des Hypnotisierens zu verbrecherischen Zwecken zu vereiteln.

Wie zuverlässig das Gedächtnis des Unterbewusstseins zu arbeiten vermag, das geht aus folgenden zwei Erzählungen zur Evidenz hervor, welche zeigen, wie das latente Gedächtnis dem normalen an Zuverlässigkeit recht erheblich überlegen sein kann.

Zunächst ein Fall, wo die stimulierende Kraft der Hypnose bzw. der Posthypnose die Fähigkeiten des Unterbewusstseins unterstützt. Beaunis berichtet in seinem Werk „Le somnambulisme provoqué“(Paris 1887): „Ich hatte derselben Person, ehe ich mich von Nancy entfernte, einige Münzen gegeben mit den Worten: ,Wenn Sie einschlafen wollen, so brauchen Sie nur eine dieser Münzen in ein Glas Zuckerwasser zu geben, und Sie werden sofort einschlafen.‘ Da ich ihr aber noch ein einfacheres Mittel zum Schlafen gegeben hatte ... so ließ sie die Münzen beiseite. Eines Tages hatte sie jedoch den merkwürdigen Einfall, es mit den Münzen zu versuchen; da sie aber im normalen Zustande ein sehr schwaches Gedächtnis hatte, konnte sie sich nicht daran erinnern, welche Flüssigkeiten sie anzuwenden hatte. Sie versuchte es mit gewöhnlichem Wasser, es gelang nicht; mit einer Mischung von Wasser und Rotwein, wieder negatives Resultat — mit Zuckerwasser, und der Schlaf trat sofort ein, wie ich es suggeriert hatte.“

Doch auch ohne Hypnose vermag das latente Gedächtnis in der überraschendsten Weise seine geheimnisvollen Kräfte zu entfalten. Unter den sehr zahlreichen Berichten dieser Art sei ein von Abercrombie mitgeteilter hier zitiert: Ein sehr beschäftigter Kassierer hatte vergessen, eine an einen ungestümen Menschen ausbezahlte Note von 6 Pfund Sterling einzutragen. 8 bis 9 Monate nach dem Vorfall fehlten in der Rechnung die 6 Pfund, und der Kassierer, der mehrere Tage und Nächte revidiert hatte, legte sich ermattet zu Bette. Kaum eingeschlafen, zeigte sich ihm im Traume jener Ungestüme, und es wiederholte sich die damals erlebte Szene, so dass der Kassierer die 6 Pfund nachzuweisen ver mochte.

So wird auch berichtet, dass der Sohn Dantes, — Pietro Alighieri — nach dem Tode seines Vaters den vermissten und lange vergeblich gesuchten 13ten Gesang des „Paradieses“ dadurch auffand, daß er träumte, sein Vater erscheine ihm und nenne ihm den Ort, wo das Manuskript tatsächlich lag: unter einer Planke am Fenster, wo er zu schreiben pflegte. — Zweifellos lag auch in diesem Fall; wenn er sich wirklich so zugetragen hat, was durchaus nicht unwahrscheinlich ist, eine aus Erinnerung und Überlegung sich zusammensetzende, glückliche Kombination des Unterbewusstseins vor.

Unter den mannigfachen, ähnlich lautenden Berichten sei nur besonders hingewiesen auf die bei Perty („Die mystischen Erscheinungen der menschlichen Natur“, Leipzig und Heidelberg, 1872) sich findenden zahlreichen Fälle, von denen freilich der größte Teil durchaus im verbürgt und unglaubwürdig ist, und ferner auf einige ganz einwandfreie Beobachtungen, die Flournoy in seinem im 2ten Teile noch eingehender zu würdigenden, vortrefflichen Werke „Des Indes a la Planète Mars“ von seinem „Medium“ Helene Smith mitteilt.

Die Leistungen des latenten Gedächtnisses grenzen in den ausgeprägtesten Fällen direkt ans Magische, Übernatürliche. Es ist schließlich Geschmacksache, willkürliche Definition, ob man die oben beschriebenen Fälle von unbewusster Erinnerung und viele ähnliche als „wunderbar“ ansprechen will oder nicht. Die Wissenschaft jedenfalls sieht darin nur eine besondere Art der Gedächtnisformen, deren psychologische Gesetze nicht rätselhafter und nicht weniger rätselhaft sind als die Fähigkeiten des normalen Gedächtnisses, das uns wieder nur deshalb nicht mystisch und wunderbar erscheint, weil uns etwas Tägliches, Altgewohntes ist, im übrigen aber nicht minder rätselhaft ist das latente Gedächtnis. Das Unterbewusstsein ist für den Menschen eine bedeutende Waffe im Kampf ums Dasein — das Wesen und die Entstehung dieser psychischen Fähigkeit sind bis auf weiteres jedoch noch in jeder Beziehung völlig unaufgeklärt, wenngleich in einer wissenschaftlichen Erklärung für das mystische Element und das Eingreifen von irgend welchem Geisterwirken nirgend auch nur der geringste Raum übrigbleibt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zu Wunder und Wissenschaft