Zionistische Vereinigung für Deutschland

1. Geschichte. Die deutschen Zionisten schlossen sich im Mai 1897, also kurz vor dem I. Kongress zur „Nationaljüdischen Vereinigung für Deutschland“ zusammen. An der Spitze standen Dr. Bodenheimer und David Wolffsohn, beide in Köln. Die Zahl der Mitglieder war anfangs sehr gering. Vereine bestanden nur in Berlin (Verein Jung-Israel. Siehe diesen) und in Köln. Die neue Organisation entfaltete sofort eine rege Tätigkeit. Dem konstituierenden Delegiertentag in Bingen am 11. Juli 1897 folgten am 28. August und 31. Oktober desselben Jahres zwei weitere in Basel und Frankfurt a. M. Auf letzterem wurde der Name der Partei in Zionistische Vereinigung abgeändert. Da der Partei ein Pressorgan nicht zur Verfügung stand, so gab das Bureau in Köln Mitteilungen heraus, die in mehreren Tausend Exemplaren versandt wurden. Dank der regen Agitation der Zentrale, sowie der faszinierenden Wirkung des I. Kongresses vermehrte sich die Zahl der Ortsgruppen bald. Es entstanden Organisationen in Königsberg, Breslau, Leipzig, Hamburg, Hannover, Frankfurt a.M., Mannheim, Freiburg i. B. und anderen Orten, so daß die deutschen Zionisten bereits zum II. Kongress mehrere Delegierte entsenden konnten. Dem ersten Aufschwung folgte jedoch bald eine Zeit des Stillstandes. Bereits die ersten Nachrichten über den Zionismus hatten alle Richtungen im deutschen Judentum in der Verurteilung der neuen Idee einig gefunden, Liberale und Orthodoxe, deutschtümelnde wie kosmopolitische Juden hatten in den jüdischen Zeitungen, wie in der allgemeinen Presse vor dem Zionismus gewarnt und denn auch die Verlegung des 1. Kongresses von München nach Basel durchgesetzt. Ihren bedeutenden Einfluß auf die deutsche Presse benutzten sie, um den Zionisten jede Möglichkeit einer Antwort abzuschneiden. Der Zionismus kam daher nicht einmal in der jüdischen Presse zur Geltung. An finanziellen Kräften schwach, in Berlin durch innere Differenzen zerklüftet, in der Kölner Zentrale durch die verfehlte Anstellung eines nichtgeeigneten Generalsekretärs gehemmt, waren die Zionisten auf die persönliche Agitation und die Veranstaltung von Versammlungen angewiesen. So gelang es nur schrittweise vorwärts zu kommen. Noch auf dem IV. Kongress betrug die Zahl der in Deutschland gewählten Delegierten erst zwölf. Dementsprechend waren die deutschen Delegiertentage vom 19. März 1899 und 1900 in Köln und Hannover nur von 10 — 15 Delegierten besucht. Erst das Jahr 1901 schuf Wandel. Am 30. April 1901 trat in Berlin der fünfte Delegiertentag, von 29 Delegierten aus allen Teilen Deutschlands besucht, zusammen. Sein wichtigster Beschluss war der Abschluß eines Vertrages mit der „Israelitischen Rundschau“ in Berlin, der einem zionistischen Pressausschuss weitgehenden Einfluß auf dieses Blatt sicherte. Der V. Kongress, der im Dezember desselben Jahres zusammentrat, sah zum erstenmal eine organisierte deutsche Landsmannschaft von 21 Delegierten, die rund 1800 Schekelzahler vertraten. Es folgte am 1. März 1902 der Erwerb der „Israelitischen Rundschau“, der jetzigen „Jüdischen Rundschau“, und am 10. Mai 1902 der sechste deutsche Delegiertentag in Mannheim, der von 66 Delegierten besucht war. Er gab der Agitation durch die Schaffung der Distriktsbureaus, die als Unterabteilungen des Kölner Bureaus die Agitation in den Staaten und Provinzen Deutschlands in die Hand nehmen sollten, eine gesunde Grundlage. Solche Distriktsbureaus entstanden in Köln, Mannheim, Straßburg, Hannover und Berlin. Insbesondere das Berliner Bureau entfaltete eine rege Tätigkeit, deren Folge die Gründung von mehr als 12 neuen Ortsgruppen in Ostdeutschland war. Daneben richtete das Berliner Bureau eine Zentralstelle für Broschüren und Flugblätter ein und widmete sich dem Ausbau des neugeschaffenen Parteiorgans. Auch die anderen Distriktsbureaus, insbesondere Hannover und Mannheim taten alles, was in ihren Kräften stand, um die Agitation zu beleben und die bisher lose Organisation zu einem festen Gebilde zusammenzufügen. Der Erfolg blieb nicht aus. Der VI. Kongress des Jahres 1903 sah 70 deutsche Delegierte in seiner Mitte, von denen 49 von ungefähr 4500 Schekelzahlern in Deutschland selbst gewählt waren. Das Ergebnis des Kongresses war zwar der Beginn neuer sachlicher Differenzen im deutschen Zionismus. Trotzdem erlahmte die Agitation nicht. Der deutsche Delegiertentag in Hamburg vom 23. Mai 1904, von der erstarkten Ortsgruppe Hamburg-Altona glänzend vorbereitet, führte trotz der Verschärfung der Wahlbedingungen 93 Delegierte zusammen. Er gab dem Berliner Distriktsbureau den allerseits gewünschten Ausbau, indem er für die Agitation und Organisation ein Zentralbureau in Berlin konstituierte. Dessen Tätigkeit ist es zu danken, wenn die innere Erregung, die sich vor und nach dem VI. Kongreß weiter Kreise der deutschen Zionisten bemächtigte, eine Schwächung der Organisation nicht zur Folge hatte. Dies trat auf dem zehnten deutschen Delegiertentag am 4. Juni 1906 in Hannover zutage, wo wiederum 87 Delegierte aus allen Ortsgruppen zusammentrafen. Im Jahre 1907 fand des Kongresses wegen, bei dem die deutsche Landesorganisation durch dreißig Delegierte (auf je 200 Schekelzahler ein Delegierter) vertreten war, kein deutscher Delegiertentag statt Der elfte deutsche Delegiertentag ist auf den 8. und 9. Juni 1908 nach Breslau einberufen.

Fast alle Ortsgruppen hatten sich inzwischen konsolidiert. Der Zusammenhang mit der Zentrale war überaus rege geworden, die Zahlung der Schekelgelder und Landesbeiträge war regelmäßiger, die Verbreitung des Parteiorgans eine fast allgemeine geworden, obwohl die „Welt“, namentlich seit ihrer Verlegung nach Köln, Hunderte von Abonnenten in Deutschland gefunden hatte und in Frankfurt a. M. ein orthodox-zionistisches Blatt, das Frankfurter Israelitische Familienblatt entstanden war. Die Zahl der Schekelzahler war bereits im Jahre 1905 auf 5700 gestiegen und konnte sich im Jahre 1906, trotz dem in diesem Jahre kein Kongress stattfand, und damit für Hunderte die Veranlassung zur Zahlung des Schekels fortfiel, ungefähr auf derselben Höhe halten. Im Jahre 1907 stieg die Zahl der Schekelzahler auf über 6200 und ist noch ständig im Wachsen.


Mit der Ausbreitung und Festigung der Organisation wuchs auch das Verständnis für die Probleme des Zionismus. Insbesondere in den größeren Ortsgruppen wurden die Fragen der Palästinaarbeit, der zionistischen Politik, sowie der kulturellen Folgen der nationalen Idee einer eingehenden Prüfung unterzogen. Diese kritische Tätigkeit innerhalb des Zionismus hatte die Folge, daß jetzt deutsche Zionisten in allen Richtungen des Zionismus und auch in dem aus ihm hervorgegangenen Territorialismus eine führende Rolle spielen. Sie trägt dazu bei, den einzelnen zu immer erneuter Tätigkeit anzuspornen. Doch wird man sich vor dem naheliegenden Fehler hüten müssen, über den Problemen des Zionismus und der Vertiefung der Idee die Propaganda für dieselbe zu vergessen.

Die Stellung des Zionismus zu den anderen Richtungen und Organisationen im deutschen Judentum ist in den letzten Jahren eine bessere geworden. Die prinzipiell ablehnende Haltung gegen alles, was von zionistischer Seite kommt, ist fast überall aufgegeben worden. Zionisten sind rührige Mitarbeiter im Verband der deutschen Juden, in den Logen des Ordens Bne Brith, in den Gruppen des Hilfsvereins der deutschen Juden und der Alliance, in den Vereinen für jüdische Geschichte und Literatur geworden. Von den Zionisten gegründete Vereine, wie der Verband für jüdische Statistik, die Jüdischen Lesehallen in Berlin und Frankfurt a. M., der Jüdische Volksverein in Berlin werden von nichtzionistischer Seite auf das regeste gefördert. Sogar die nationaljüdischen Turnvereine und die Vereine Jüdischer Studenten erfreuen sich der Sympathie nicht zionistischer Kreise. Die Berliner Logen haben den von Zionisten propagierten Gedanken der Toynbeehallen aufgenommen. Der Hilfsverein der deutschen Juden (siehe diesen) hat sich an der Brüsseler Konferenz (s. d.) beteiligt. Auch die Baronin Cohn-Oppenheim-Stiftung in Dessau hat wiederholt zionistische Institutionen unterstützt. Von den religiösen Parteien haben die Konservativen bereits mehrfach Wahlbündnisse mit den Zionisten geschlossen, so in Köln, Posen, Berlin, Frankfurt a. M. und im Großherzogtum Baden. Auch die Opposition unter den Rabbinern hat nachgelassen, da fast überall der belebende Einfluß des Zionismus in positiv-jüdischem Sinne anerkannt wird. Die schärfste Opposition findet er einerseits bei der äußersten Orthodoxie in Süd- und Westdeutschland, andererseits bei den offiziellen Führern der religiösliberalen Kreise. Der Zionismus wird aus diesem Kampf als Sieger hervorgehen, da er die jüdische Jugend, die sich überhaupt für jüdische Fragen interessiert, aus dem liberalen wie aus dem orthodoxen Lager mehr und mehr unter seiner Fahne sammelt. Das beweist das Gedeihen der Turnvereine, der Vereine jüdischer Studenten, der zionistischen Verbindungen, das Anwachsen zionistischer Elemente an den Rabbiner und Lehrerseminaren. Noch immer im wesentlichen eine Partei der jüngeren Generation, wächst der deutsche Zionismus allmählich zu einem ausschlaggebenden Faktor im deutschjüdischen Leben heran.

2. Organisation. Die Organisation der deutschen Zionisten beruht auf dem Gedanken, daß alle in Deutschland ansässigen Zionisten mit der Zahlung des Schekels auch Mitglieder der Landesorganisation werden, und daß sie überall da, wo sie zahlreich genug sind, um eine lebendige Vereinstätigkeit entfalten zu können, zu Ortsgruppen zusammentreten sollen. Auf diesen Ortsgruppen beruht die Organisation. Neben ihnen gibt es zwar noch Vereine, die auf dem Boden des Baseler Programms stehen, Frauenvereine, Studentenvereine, hebräische Sprachvereine, oder nationaljüdische Vereine wie die Turnvereine. Alle diese Vereinigungen sind aber als solche nicht Bestandteile der Organisation und wählen infolgedessen auch weder zum allgemeinen Zionisten-Kongress, noch zum Landesdelegiertentag. Ihre Mitglieder gelten vielmehr gleichzeitig als Mitglieder der Ortsgruppen und nehmen an deren Wahlen teil. Die Ortsgruppen entsenden alljährlich ihre Delegierten zu einem Delegiertentage. Jede Ortsgruppe wählt einen Delegierten, Ortsgruppen von mehr als 50 Schekelzahlern wählen zwei, Ortsgruppen von mehr als 100 einen weiteren Delegierten für jedes angefangene weitere Hundert. Der Delegiertentag prüft die Geschäfte der Parteileitung, stellt das Arbeitsprogramm und den Etat für die nächste Verwaltungsperiode fest und wählt das neue Zentralkomitee. Das Zentralkomitee, dessen Sitz sich in Köln befindet, vertritt die Organisation nach außen, regelt den Verkehr mit dem Aktionskomitee und überwacht die Organisation. Zu seiner Unterstützung ist im Jahre 1904 für sämtliche laufenden Angelegenheiten in Berlin ein Zentralbureau gegründet worden. Schließlich sind die Ortsgruppen nach Staaten und Provinzen zu Gruppenverbänden zusammen gefaßt, die insbesondere die Propaganda an Orten, an denen Ortsgruppen noch nicht bestellen oder noch der Unterstützung bedürfen, leiten sollen.

Zurzeit besteht das Zentralkomitee aus 15, das Zentralbureau aus vier Mitgliedern. Die Zahl der Gruppen beträgt zurzeit 64, die der Vertrauensmänner an Orten ohne Gruppen 70, die Zahl der Gruppenverbände 14.

Die Einkünfte der Organisation bestehen aus dem Landesbeitrag von 1 Mark und aus der von der Organisation mit Bewilligung des Aktionskomitees zurückbehaltenen Quote der Schekelgelder. Früher wurden 25%, seit 1905 aber nur noch 15% einbehalten. Der Etat der Landesorganisation beläuft sich einschließlich des Umsatzes von Broschüren, Kongressprotokollen usw. auf rund 12.000 Mark jährlich. Hierzu tritt der Umsatz des Parteiverlages ,,Verlag Jüdische Rundschau“ in Berlin mit rund 15.000 Mark. Die Parteisammlungen beliefen sich im Verwaltungsjahre 1905—1906 auf rund 42.000 Mark, ebensoviel in 1906—07 und dürften für 1907—08, einschließlich der Sammlungen für den Parteifonds (s. d.), die Summe von 70.000 Mark erreichen.

Das Zentralbureau der Zionistischen Vereinigung für Deutschland befindet sich in Berlin-Charlottenburg, Bleibtreustraße 49.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch