Zigeuner als Schwindler und Schieber. Mit sechs Bildern

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1922
Autor: Franz Talberg, Erscheinungsjahr: 1922

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Enthaltene Themen: Roma, Sinti, https://de.wikipedia.org/wiki/Sinti_und_Roma
Es steckt ein tiefer Sinn in dem arabischen Sprichwort: „Auf ein krankes Pferd setzen sich die Schmeißfliegen.“ Man weiß alle Vergleiche hinken mehr oder weniger, aber der Sinn dieser Worte lässt weitgehende Übereinstimmungen zu. Kränkelnde Pflanzen werden leicht von Parasiten aller Art befallen und gehen an ihnen zugrunde. Und dasselbe ist bei schwächlichen Tieren und Menschen möglich. Gesunde Organismen können sich gegen Bakterien behaupten, sie werden kaum besonders geschwächt durch ihre Angriffe. Um das Tröstliche gleich vorweg zu nehmen, wird mit der Gesundung unseres Volkskörpers auch alles Gesindel, das ihm jetzt zusetzt und mehr oder weniger schwer schädigt, nicht mehr bestehen können. Im Augenblick aber haben die gemeingefährlichsten und erbärmlichsten Elemente, das sonst verfolgte und ausgestoßene lichtscheue Gesindel die Oberhand.

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Die Zigeuner sind ein solches Ungeziefer am Volkskörper, der in gesunden Tagen unter geordneten Zuständen sich ihrer zu erwehren vermochte und wenig darunter litt. Nun umschwärmt dieses Pack den kranken Leib und entzieht ihm Lebenskräfte. Nicht nur in den Großstädten, auch im offenen Lande sind diese Leute zur schweren Plage geworden, und es wird lange dauern, bis man sie wieder loswird. Kürzlich unternahmen Berliner Kriminalbeamte, unterstützt von der Schutzpolizei, eine Razzia auf Zigeuner, die ihr Unwesen allzu öffentlich betrieben. In einem Lager dieser Horde, das sich am Pferdemarkt in Weißensee, einem Berliner Vorort, befand, umstellten die Beamten in der Dunkelheit die Wagen und Wohnstätten. Im Verlaufe mehrerer Stunden ergab es sich, dass ein Teil dieses lichtscheuen Packs Goldschmuggel in größerem Umfang betrieben hatte. Auch Steuerhinterziehungen wurden festgestellt. Ein großer Haufe wanderte in die Untersuchungsgefängnisse. Zigeuner und Steuern? Wie reimt sich das zusammen? In nicht geringer Zahl sind die Zigeuner am Pferdehandel, und zwar nicht etwa nur in der Reichshauptstadt, beteiligt. So haben sie auch einen Wandergewerbeschein und sind steuerpflichtig. Und sie sind nichts weniger als ehrliche Makler, ihre geriebenen Gaunereien beruhen auf alter Tradition und gegen ihre Pfiffe und Schlichs ist schwer aufzukommen. So kam es kürzlich in Finsterrot vor, dass Rosstäuscher einem Händler statt des Pferdes, das sie mit ihm getauscht hatten, heimlich eine Schindmähre in den Stall bugsierten; das versprochene „Zugeld“ von achttausend Mark vergaßen sie im eiligen Abzug zu hinterlegen. Unglaublich aber klingt es, dass die Bande entkam. Man muss die Scheu der Bauern vor dem gemeingefährlichen Gesindel kennen, um es begreiflich zu finden, dass sie ihm sogar Unterschlupf gewähren. Dazu kommt oft noch die teilweise unglaublich weitgehende abergläubische Stimmung der Landleute als Ursache zum Gelingen pfiffig ausgeheckter Prellereien. Anfangs 1921 verhaftete man in Neumarkt in der Oberpfalz ein junges Zigeunerpaar, das zwei Bauerseheleuten in Poellenheid bei Parsberg achtundvierzigtausend Mark herausgeschwindelt hatte. Die Zigeuner hatten es fertiggebracht, den Leuten glaubhaft zu machen, sie könnten mit dem Geld den im Weltkrieg vermissten, in Gefangenschaft schmachtenden Sohn auslösen! Einem allerdings stockverhagelten Bauern in Friesheim im Bezirksamt Regensburg lockte ein Zigeunerweib nach und nach fünfzehntausend Mark für seine — Seligsprechung ab. Die für bäurischen Aberglauben in den Einzelheiten höchst bezeichnende Geschichte begann seitens der Schwindlerin mit dem Einkauf von Pferdefutter. Nicht selten kam es da und dort zu schlimmen Schießereien. Besonders Pommern ist schwer von fahrendem Volk heimgesucht. Bei einer unter dem Gesindel entstandener: Rauferei wurde in Wollin der Polizeiwachtmeister Kiesow erschossen. In Württemberg trieben sich unlängst Zigeuner umher, die Broschen verkauften oder diese gegen Pferde und Fahrräder zu vertauschen suchten, was ihnen in vielen Fällen glückte. Zwei bis drei oder sieben bis neun Zehn- oder Zwanzigmarkstücke waren auf eine silberne Platte aufgelötet. Nachher stellte sich heraus, dass die Goldstücke aus Blei gegossen und schwach vergoldet waren. Die gierige Goldhamsterei der Bauern brachte diesen empfindlichen Schaden. Wo Habsucht und Dummheit herrschen, findet darauf spekulierende Gemeinheit leicht zu prellende Opfer, und die „Geschäfte blühen“. So fand man anfangs dieses Jahres bei einem gänzlich verkommenen, in der Provinz Hannover regierenden Zigeuner, der im Verdacht stand, Waffen in seinem Wagen zu verschieben, zweihundertfünfzigtausend Papiermark. In den letzten Jahren sind manche Zigeuner Millionäre geworden, die Gold und wertvolle Schmuckstücke in Menge zusammengerafft haben. Dollars, holländische Gulden und anderes hochwertige Geld ist in hohen Beträgen bei ihnen gefunden worden. Da nimmt es nicht wunder, wenn man hört, dass sie als tüchtige Zeitgenossen auch Automobile besitzen! Für solche Leute ist schnellster Ortswechsel nicht selten höchst wichtig. Es klingt komisch, ist aber durch die unsesshafte Natur dieser Parias bedingt, dass sie in „Salonwagen“ das Land durchziehen, die mit Klubmöbeln und echten Teppichen dunkler Herkunft prunkhaft eingerichtet sind. Sektgelage, die sie in Städten veranstalten, sind gar nicht ungewöhnlich; große Summen werden in teuersten Alkoholmarken umgesetzt und verspielt. Es gibt heute Zigeuner, denen Grundstücke und Häuser gehören, die aber trotzdem im Frühjahr, vom Wandertrieb erfasst, auf den Pferdemärkten und überall dort auftauchen, wo sich irgendwie Gelegenheit zu Mogeleien, Diebstählen, Betrug, Gaunerstreichen und zweifelhaften Geschäften bieten.

Unsere Bauern, die aber meist wohlweislich darüber schweigen, könnten genug erzählen, wie sie von diesen braunen Halunken übers Ohr gehauen und geschröpft worden sind. Glauben sie doch nur zu gern an „übernatürliche Kräfte und geheimes Wissen“, das dieses gerissene Pack besitzen soll. Und wie erbärmlich sind die jahrhundertalten Kniffe und Pfiffe dieser Bagage. Irgendein Weibsbild oder ein Kerl beschleicht das Vieh auf der Weide und verschmiert den Tieren das Maul mit Fett und ekelerregenden Stoffen. Da mag das Tier nicht mehr fressen. In solchen Fällen dauert es meist nicht lange, bis eine dieser dunkeläugigen Gestalten auftaucht, und nun beginnt die „Zauberei“. Im Stall wird lächerlicher Humbug getrieben, der für die Bauern aber nicht ohne Eindruck bleibt; dann kommt ein durch allerlei Geschwätz als unerlässlich bezeichneter Augenblick, wo der „Beschwörer“ im Stall allein gelassen zu werden verlangt. Er geht nun daran, dem Tier das Maul zu säubern, und je länger das arme Geschöpf hungerte, umso eifriger beginnt es zur Freude des Bauern zu fressen. Pferden und Rindern drücken diese Kerle heimlicherweise Stecknadeln in die Fesseln, oder klemmen Kühen oder Ochsen Steine zwischen die Klauen. Die armen Tiere können nun vor Schmerz nicht mehr auftreten, und der Bauer hält sie für gelähmt. Auch hier bestaunt er die Macht des „Zauberers“, der so auf billige Weise Verdienst und Ansehen erlangt. Die Überzeugung, dass hier Wissen um geheime Künste im Spiel sind, festigt sich, und die darauf beruhende Leichtgläubigkeit schafft den Anlass zum Gelingen weiterer Prellereien. Als erfahrene Rosstäuscher verfügen die landstreichenden Fremdlinge über allerlei Mittelchen. Sie verstehen es vortrefflich, Pferde zu „verjüngen“; struppige Haare werden glatt gestriegelt, aufgefärbt und glänzend gemacht. Beißende Stoffe, in gewisse Körperteile gebracht, verwandeln alte Mähren in fast jugendlich vollblütige Tiere; ja sogar falsche Kronen schrauben sie den ältesten Kleppern in die zuvor abgezwickten Zähne ein. Diese Kunst übten sie vor den modernen Zahntechnikern.

Aus Asien kommend, verbreiteten sich diese dunkelfarbigen Horden über die ganze Welt. Im Anfang des neunten Jahrhunderts wurden sie in Byzanz gesehen. Um die Mitte des vierzehnten Säkulums fand man sie in Kreta, auf Korfu und später in der Walachei. Europa überschwemmten sie nach allen Richtungen der Windrose erst seit 1416 bis 1492 und 1512. Seitdem ist es nicht mehr gelungen, sie zu vertreiben. Um 1900 schätzte man die Gesamtzahl des fremden Volkes in der ganzen Welt auf mindestens eine Million; nach glaubhaften Angaben sogar auf die fünffache Masse. Wie heute ihr Weizen blüht, so waren ihrer Verbreitung einst soziale, rechtsunsichere und politische Verhältnisse günstig. Je nach dem Kulturzustande der Länder und Völker, die sie heimsuchten, spielten sie ihre Rollen als Betrüger, Bettler und Diebe. Der Historiker Johann Aventin, der von 1477 bis 1534 lebte, klagt: „Man lässt sie rauben, stehlen, lügen und durch die Lande hin und her ziehen. Bei uns ist das bei Henken und Köpfen verboten; ihnen aber erlaubt. Noch immer will die Welt nicht verständig werden.“ Seitdem vergingen Jahrhunderte und „das unnütze, wilde und wüste herumziehende Bubenvolk, die zusammengelaufene Rotte“ ist noch immer da. Sie sind keine Bettler mehr; durch die Gunst der Zeit zu durchtriebenen Schiebern geworden, haben sie das nicht mehr nötig. Sie tragen mich nicht mehr spanische, griechische oder ungarische Namen, sie nennen sich Hase, Fischer, Strauß, Weiß, Rommelmann und Rosenberger; sie sprechen Deutsch, aber ihr Äußeres verrät die fremde Herkunft auf den erstell Blick.

Im sechzehnten Jahrhundert erklärte man die Zigeuner für vogelfrei; jedermann durfte sie erschlagen, wo man sie traf. In Preußen wehrte man sich seit 1709 gegen die aus Litauen und Polen andrängenden Banden; wo sie sich zeigten, läuteten die Bauern Sturm lind zogen ihnen bewaffnet entgegen. In Thüringen brach 1722 eine Bande von fünfzehnhundert Köpfen ein; abermals wurden die Männer als vogelfrei erklärt; Weiber und Kinder schaffte man in die Zuchthäuser. Es war ein verzweifelter Kampf mit den aus Asien einst ausgewanderten Fremdlingen, die, sich nirgends dem Landesbrauche eingliedernd, als Landplage verflucht und verfolgt wurden. Am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts führte man unter „erlegtem Jagdwild“ ein Zigeunerweib samt ihrem Kind auf.

Vor dem Weltkrieg fanden sich in Deutschland nur noch etwa zweitausend Zigeuner, darunter war eine große Zahl sesshaft geworden. In vielen Landesteilen fand sich oft Jahre hindurch keine Spur von ihnen. Im Volk verwechselte man häufig andere fahrende Leute mit echten Zigeunern.

Seit dem Jahre 1918 brach eine Masse fremden Gesindels über unsere Grenzen herein. Aus Finnland, Russland, Polen, Galizien, Serbien und den unteren Donauländern fanden Zigeuner einzeln und in Banden Landstraßen, Wege und Stege offen. Überall dort, wo die Polizei zu schwach oder lässig ist und die Gesetze nicht streng befolgt werden, macht sich das auf niederster Stufe stehende Volk breit. Die allgemeine Demoralisierung erleichtert ihnen das Dasein und Fortkommen. Während der Mittelstand schwer ums Dasein ringt, raffen fremdblütige Zigeuner große Summen an sich, und Zigeunermillionäre sind in unseren Zeiten möglich geworden. Sie sind Ungeziefer auf einem sittlich erkrankten Volkskörper, von dem man sie hoffentlich nach seiner Genesung wie Läuse „ausräuchern“ wird.

Lagerplatz einer umherziehenden Zigeunerbande.
Zigeunerfamilie vor ihrem Wohnwagen, der bei den durch allerlei Schwindeleien besonders während des Kriegs Reichgewordenen oft luxuriös ausgestattet ist.

Zigeuner, Eine Gruppe von rumänischen Wanderzigeunerinnen

Zigeuner, Eine Gruppe von rumänischen Wanderzigeunerinnen

Zigeuner, In Lumpen gehüllte rumänische Wanderzigeuner

Zigeuner, In Lumpen gehüllte rumänische Wanderzigeuner

Zigeuner, Lagerplatz einer umherziehenden Zigeunerbande

Zigeuner, Lagerplatz einer umherziehenden Zigeunerbande

Zigeuner, Zigeuner als Pferdehändler auf einem Berliner Markt

Zigeuner, Zigeuner als Pferdehändler auf einem Berliner Markt

Zigeuner, Zigeunerfamilie vor ihrem Wohnwagen

Zigeuner, Zigeunerfamilie vor ihrem Wohnwagen

Zigeuner, Zigeunerinnen auf einem Berliner Pferdemarkt

Zigeuner, Zigeunerinnen auf einem Berliner Pferdemarkt