Pest, 18. Dezember 1865. Zur Sprache

Pest, 18. Dezember 1865. Unter den Deputationen, welche seine Majestät der Kaiser und König hier empfangen, war auch die der Pester Israeliten-Gemeinde, Führer: Oberrabbiner Dr. Meisel, und die des jüdisch-ungarischen Vereines, des Magyar izraelita egylet, Führer: Dr. Heinrich Pollak.

Se. Majestät geruheten an den Sprecher der ersteren huldvolle Worte zu richten. Se. Majestät bemerkten, dass die Zeit nicht ferne sei, wo die berechtigten Wünsche der Israeliten in Erfüllung gehen werden.


Der Deputation des ungarisch-israelitischen Vereins geruheten Se. Majestät Folgendes zu erwidern: „Die Verbreitung der ungarischen Sprache und Literatur ist eine edle und lobenswerte Aufgabe. Trachten Sie, dieselbe ohne konfessionelle Spaltungen zu erfüllen, denn Ihr zu dem obenerwähnten Zwecke gebildeter Verein kann seiner Bestimmung nur in dieser Weise entsprechen."

Wenn die Antwort des Kaisers an die Gemeindedeputation sehr huldvoll ist, aber nichts Bestimmtes enthält, da es eben darauf ankommt, was die eine oder die andere Seite unter „berechtigten Wünschen“ verstehe — so bezeugt die Antwort an die Vertreter des genannten Vereins, dass Se. Maj. mit dem Stande der Dinge bekannt gemacht ist. Wenn der Mag. izr. eg. den wahren Patriotismus mit der aufrichtigen Liebe zum Judentum verbindet, so wird er unermüdlich fortfahren, die ungarische Sprache bei den Israeliten des Magharenlandes in jeder Weise zu fördern, aber ebenso wenig die gänzliche Verdrängung der deutschen Sprache, eine feindselige Agitation gegen diese wie eine Beseitigung der hebräischen Sprache aus dem öffentlichen Gottesdienste auf seine Fahne schreiben. Nichts ist unzweckmäßiger, als eine Sprache durch Gewalt, durch Streit und Parteiung aufdrängen zu wollen. Was da auf der einen Seite an Terrain gewonnen wird, wird auf der andern verloren; denn wie der Eine sich hitzig in die Arme der einen Partei wirft, verstärkt sich der Andere in der andern. Gerade eine Sprachenveränderung kann nur langsam dem Schöße der Zeit entwachsen.

Nach einer andern Mitteilung sagte der Kaiser zu dem ihn segnenden Oberrabbiner Dr. Meisel: „Ich bin sehr erfreut, Sie wieder bei Mir zu sehen; Ich habe von Ihrem segensreichen Wirken viel Rühmliches gehört; fahren Sie in dieser Art und in diesem Geist fort; der Erfolg wird dann nicht ausbleiben.“