Zeitungsnachrichten. Großbritannien. London, 20. Dezember 1847
Aus der Geschichte des Judentums in England
Autor: Redaktion: Allgemeine Zeitung des Judentums, Erscheinungsjahr: 1848
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, England, Emanzipation, Sklaverei, Edelmut, Vorurteile, Parlament, Fanatismus, Turm von Babel, Gerechtigkeit, Geburtsrecht, Musik, Dichtkunst, Medizin, Astronomie, Fahne der Vernunft, Nationen
Inhaltsverzeichnis
Bekanntlich hat ein Gesetzesvorschlag in England erst sehr viele Stufen zu durchschreiten, bevor es vollgültige Gesetzeskraft erlangt. Im Unterhause wird zuerst angefragt, ob die Bill eingebracht werden dürfe; darüber erhebt sich der erste Kampf; dann wird, wenn sich die Majorität dafür ausgesprochen, ein Zeitraum bestimmt, in welcher die Bill eingebracht und zum ersten Male verlesen werden soll; nach der ersten Lesung ein neuer Kampf, ob fiel zum zweiten Male verlesen werden dürfe, und abermalige Abstimmung; dann nach der zweiten Lesung ein dritter Kampf, ob sie zum dritten Male verlesen werden soll und abermalige Abstimmung; ist diese günstig, so ist die dritte Lesung nur noch Formalität. Hierauf wird die, vom Unterhause genehmigte Bill ins Oberhaus gebracht, und hat hier ganz dieselben Stadien zu durchlaufen. Ist sie ihm Oberhause dreimal verlesen, und, wie die Formel lautet, durch die Abstimmung nicht auf sechs Monate verschoben worden, dann ist sie angenommen, und erlangt durch die königliche Sanktion Gesetzeskraft. Lord John Russell hat also am 16. Dezember die Anfrage an das Unterhaus gerichtet, ob er eine Bill zur Abschaffung aller der bürgerlichen und politischen Beschränkungen, die noch auf den israelitischen Untertanen Ihrer Majestät lasten, ganz in der Weise wie bei den katholischen Untertanen, einbringen dürfe. Die Frage wurde in zwei Sitzungen, am 16. und 17. Dezember, diskutiert, und bei der Abstimmung mit 253 Stimmen gegen 186, also mit einer Majorität von 67 Stimmen bejaht, worauf der Premierminister die erste Lesung auf Montag den 20. Januar, die zweite auf den 7. Februar anberaumte. Somit hat die Bill die allererste Stufe überschritten. Indes lässt sich aus dieser bedeutenden Majorität mit Bestimmtheit entnehmen, dass das Unterhaus die annehmen werde. Hingegen bleibt die Frage übrig, ob auch das Oberhaus die genehmigen werde,– denn man vergesse nicht, dass das Unterhaus eine ähnliche Bill bereits zwei Male angenommen, das Oberhaus zwei Male verworfen hat; man erinnere sich, dass die Emanzipation der Katholiken in gleicher Weise vom Unterhause wiederholt angenommen, und vom Oberhause nach langem Sturme erst genehmigt worden. Und dies ist die Sache – dieser Sturm fehlt für die Juden.
Teilen wir hierüber zuvor etwas Näheres mit Lord John Russell sagte zur Begründung einer Motion ungefähr:
Es handle sich hier, wenn auch nicht um so bedeutsame Rücksichten, wie bei den Katholiken und Dissidenten, doch um die bürgerlichen und politischen Rechte von 40.000 britischen Untertanen. Die Frage um Zulassung von Juden zum Parlament, sei mehr eine prinzipielle als eine politische. Von dem Gesichtspunkt ausgehend, dass jeder Engländer, ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses, die Vorteile der britischen Konstitution in Anspruch nehmen dürfe, stellte er die Ansicht auf, dass Juden zu gleichen Rechten mit den Christen zugelassen werden müssten, wenn man nicht nachweisen könne, dass sie sich als schlechte Bürger aufführten. Da er jedoch um keine eigentliche Gunst für seine israelitischen Brüder nachsuchen wolle, so begnüge er sich damit, die aus christlichem Standpunkte erhobenen Einwendungen zu beleuchten. Zuvörderst verwahrte er sich gegen den Vorwurf der sogenannten Entchristlichung des Landes, durch Zulassung von Ungläubigen jeder Art zu öffentlichen Ämtern. Er bemerkte dagegen, dass die Unterschriften einer Glaubensformel noch keineswegs einen sichern Beweis für die wirklichen Glaubensmeinungen des Unterzeichners gebe. England werde ein christliches Land genannt, obgleich seine Bevölkerung aus Bekennern verschiedener Religionen bestehe; ebenso würde eine Legislatur noch immer christlich heißen, wenn sie auch einige jüdische Mitglieder enthalte. Die Maßregeln gegen die Juden stammten mehrenteils aus der finstersten Periode des Katholizismus. Er leugnete ferner, dass die Zulassung der Juden ins Parlament konstitutionswidrig sei, weil das Christentum einen integrierenden Teil der Landesgesetze bilde; es komme aber in der Legislation. Nichts vor, wodurch die Juden ausdrücklich vom Parlamente ausgeschlossen werden. Er bestritt ferner, dass die Juden eine abgesonderte Bevölkerung bildeten; sie wären vielmehr in England wie in Frankreich ihrem Lande zugetan und mit der Gesellschaft vielfach verzweigt, und wenn sie vielleicht nicht dieselbe Vaterlandsliebe empfänden, wie die Christen, so sei das die Schuld der gegen sie ausgeübten Verfolgung. Wenn einige Zeloten, sich auf die Prophezeiungen beriefen, wodurch die Zerstreuung der Juden in alle Welt ausgesprochen sei, so lasse sich daraus gar kein Beweis ziehen. In Frankreich würden die Juden bereits zu allen Ämtern zugelassen und in England selbst sei kürzlich ein Jude zum Alderman der City erwählt worden. Wer möchte es wagen, den Prophezeiungen ein Ziel zu stecken und zu behaupten, dass der göttliche Wille es gestatte, einen Juden zum Alderman zu machen, aber nicht zu einem Parlamentsmitglied! Wie sehr übrigens das Vorurteil geschwunden sei, beweise eben jene von 7.000 Wählern ausgegangene Wahl. Schließlich forderte er das Haus im Namen der Konstitution auf, die letzte Spur barbarischer Vorurteile zu beseitigen und beschwor dasselbe im Namen der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Christentums, das eine Religion der Liebe und des allgemeinen Wohlwollens sei, seinen Antrag zu genehmigen.
Lord John Russel setzte sich unter einem entschiedenen Beifall des Hauses. Ihm traten entgegen:
Sir Robert Inglis, Lord Ashley, Sir Thomas Aucland. Zuerst erhob sich gegen Lord J. Russel Hr. R. Inglis, in welchem sich die Hochkirche gleichsam verkörpert hat. Es sei gegen alle Sitten und Überlieferungen, sagte er, dass Juden in das Parlament gewählt würden; eben sowohl könnten Mohamedaner und Perser verlangen, in dasselbe einzutreten. So gut man von jedem, welcher im Hause seinen Sitz nehmen wolle, ein gewisses Vermögen fordere, ebensowohl könne man von ihm einen gewissen Glauben verlangen. Wenn Juden im Hause säßen, so könne man ja nicht ferner, wie bisher, ehe man die Geschäfte vornehme, das Gebet verrichten, worin es heißt: Christus, erbarme Dich unser! England sei ein christliches Land und müsse es bleiben. Die bedeutendste Rede, schon in Betracht dessen, welcher sie hielt, war die von Lord Ashley. Die Juden haben keinen wärmeren Freund, ja, nach seinen eigenen Worten, keinen größeren Verehrer, als diesen edlen Menschenfreund. Lord Ashley ist der eifrigste Gönner der Gesellschaft zur Bekehrung der Juden, welche jährlich über 20.000 Pf. St. freiwilliger Beiträge in allen Teilen der Welt zu ihren Zwecken verwendet. Die Stiftung des Bistums Jerusalem ist, soviel England dazu getan hat, seiner Hände Werk. Er erklärte in seiner Rede, er betrachte den ärmsten Israeliten mit Gefühlen, welche der Ehrfurcht nahe kämen. Er sagte, die Juden wären ein Volk von mächtigem Verstande, einem gebildeten Geiste und einem Eifer für die Wissenschaften, dass sie es mit dem unermüdlichsten Deutschen aufnähmen. Und trotz all dem erklärte er sich dagegen, dass ein Jude zu den hohen und feierlichen Rechten zugelassen würde, im britischen Parlamente Gesetze zu geben, da er sich nicht bekenne „zu dem wahren Glauben eines Christen.“ (Worte der Eidesformel, derentwegen Rothschild bis jetzt seinen Sitz im Unterhause nicht einnehmen kann.) Denn Lord Ashley hängt an den alten Satzungen in Kirche und Staat. Kirche und Staat sind für ihn und seine politische Partei unauflöslich verbunden. Er erklärte sich mit Heftigkeit gegen den geistreichen Macaulay, welcher gesagt, es sei eben so töricht, von einer christlichen Regierung als von einer protestantischen Kochkunst zu sprechen. Dieses, erwiderte er, wären zwei Dinge, welche sich eben so wenig vergleichen ließen, wie der Kirchturm von Bowchurch und der erste Juli. Das Christentum müsste seinen Einfluss so gut auf den Staat, wie auf die Familien ausüben. So weit Lord Ashley; doch dass er in seiner Rede erklärte: „Wenn die Juden bereits im Parlamente säßen, so würde ich nicht versuchen, sie zu verdrängen“, zeigt am Besten, einen wie schweren Kampf auch in seinem tiefen Gemüte die alten Satzungen mit dem neuen Bewusstsein der Zeit zu bestehen haben. Nach Lord Ashley erhob sich, um dessen Einwürfe zu widerlegen, Hr. Gladstone (Minister unter Peel) wie jener Einer der eifrigsten Anhänger der Hochkirche und ein Mann von den größten Kenntnissen als Staatsmann und Theologe. Er bestritt, dass man sagen könne, das Parlament höre auf ein christliches zu sein, weil einige Juden darin säßen. Ebenso gut könne man sagen, die Engländer wären kein christliches Volk, weil einige Juden unter ihnen wären. Man könne auch nicht sagen, man räume den Juden dadurch, dass man sie ins Parlament berufe, das Recht ein, über Christen Gesetze zu geben. Sie hätten bereits Teil an der Gesetzgebung; denn sie geben ja ihre Stimmen ab, bei den Parlamentswahlen.
Herr d’Israeli sagte, er stimme für die Maßregel, weil die Juden denselben Gott anerkennen, wie die Christen, dieselbe Offenbarung haben, wie die Christen, und menschlich sprechend, die Urheber der christlichen Religion und größtenteils auch der modernen Gesittung seien; überdies seien die Juden loyal, und religiös, seien nicht proselytensüchtig und denken nie daran, dem Christentum feindlich entgegenzutreten, worin sie sich wesentlich von Heiden und Mohammedanern unterschieden.
In der Sitzung vom 17. wurde die Debatte fortgesetzt. Fast das ganze Haus besteht aus gläubigen Christen; nichtsdestoweniger wurden alle diejenigen, welche für die Zulassung der Juden ins Parlament sich erklärten, mit anderen Worten, diejenigen, welche glauben, dass man die Religion nicht einmischen dürfe, wo es sich um bürgerliche Rechte und Staatsangelegenheiten handle, von den Gegnern der vorgeschlagenen Maßregel. Ungläubige, Deisten und Atheisten usw. genannt. Hr. Law hielt eine lange Rede, in welcher er die Stimmung des Volkes als drohend darstellte. Der Graf v. Arundel und Surrey, der Sohn des katholischen Herzogs von Norfolk, welcher der geborene erste Peer des Reichs ist, sagte, er sei nicht alt genug, um selbst unter den Beschränkungen gelitten zu haben, welche (bis 1829) die Katholiken drückten. Aber er erinnere sich wohl an die tiefe Entrüstung seines Vaters und Großvaters über deren Ausschließung vom Parlamente. Es wäre daher natürlich, dass er Mitgefühl hätte für die Juden, welche jetzt eine ähnliche Erbitterung empfinden müssten. Er sprach am Schlusse seiner Rede die Hoffnung aus, dass ganz England zum Glauben seiner Väter zurückkehren werde. Lord Morpeth erinnerte daran, kürzlich der englische Minister den türkischen Sultan aufgefordert hätte, allen seinen Untertanen ohne Unterschied des Glaubens dieselben bürgerlichen Rechte zuzugestehen. Er hoffe, dass die heutige Abstimmung dem Sultan die Gelegenheit nehmen würde, zu antworten: „Tut erst selbst nach Euren Worten.“ Lord G. Bentinck erklärte sich ebenfalls für die Maßregel und drang auf Herrn Goulbourn ein, der sich früher der Zulassung der Katholiken widersetzt und doch als Minister, da O'Connell, mit einigen Millionen Katholiken hinter sich, an die Tür des Unterhauses geklopft, sich nicht zu widersetzen gewagt hätte. Und wie könne Goulbourn gegen die Zulassung der Juden in das englische Parlament sprechen, da er nicht bloß als Minister, sondern auch als Pflanzer von Jamaika für die Zulassung der Juden in das Parlament von Jamaika gestimmt hätte? Lord John Russel gab zum Schluss den Wortlaut eines Antrages: „Dass es wünschenswert sei, alle bürgerlichen Unfähigkeiten abzuschaffen, welchen die jüdischen Untertanen Ihrer Majestät bis jetzt unterworfen waren, mit denselben Ausnahmen, welche für die römisch-katholischen Untertanen Ihrer Majestät gestimmt sind.“ Der Antrag wurde mit 253 Stimmen gegen 186 angenommen. Das Haus konstituierte sich darauf zum Generalcomité und adoptierte die von Lord John Russell beantragten Resolutionen, auf welche nun die eigentliche Bill wegen Emanzipierung der Juden basiert werden soll. Sir Robert Inglis verlangte, dass die zweite Verlesung der Bill (die erste wird am Montag stattfinden) möglichst lange verschoben würde, damit ein christliches Land Zeit fände, seinen Unwillen auszusprechen. Lord J. Russell setzte dafür den 7. Februar fest und bemerkte, Sir R. Inglis spreche, als ob er beabsichtige, die Juden aus England zu vertreiben, wie weiland die Mauren aus Spanien vertrieben worden wären.
Wir sammeln noch einige Bemerkungen, die auf die Abwicklung dieses Gegenstandes in England einiges Licht werfen. In der Sitzung, wo das Unterhaus sich für die bürgerliche Gleichstellung der Juden entschied, hatten sich die Mitglieder sehr zahlreich eingefunden, und alle Plätze für Zuschauer waren besetzt, selbst diejenigen, welche den Peers vorbehalten sind. Als die Beschränkungen der Katholiken aufgehoben wurden, waren die Beweggründe zum Teil politisch. Die Engländer gerieten in Besorgnis;
O'Connell, wie neulich gesagt ward, trat an die Schranken des Unterhauses mit Millionen hinter sich. Wenn man freilich auch von Herrn von Rothschild sagen kann, dass er Millionen hinter sich habe, so können doch die wenigen Juden, deren Zahl in England auf nur 30- bis 40.000 angeschlagen wird, keine Besorgnis einflößen. Die gestrige Abstimmung ist ein reiner Sieg des Jahrhunderts. Das Beispiel des christlichsten Landes in Europa wird auf die übrigen Länder nicht ohne Einfluss sein.
Der Widerstand, welchen manche Engländer der Zulassung der Juden entgegensetzen, hat mit persönlichem Widerwillen, wie er sich in Deutschland noch öfters vorfindet, wenig zu tun. Die Männer, welche sich der Zulassung der Juden oder früher der Katholiken hartnäckig widersetzten, gehen im gemeinen Leben mit ihnen ganz freundschaftlich um. In der letzten Sitzung des Unterhauses wollte O'Gorman Mahon, ein katholischer Irländer, beweisen, dass vom Eintritte einiger Andersgläubigen ins Parlament dem Protestantismus keine Gefahr drohe. Da ist mein sehr geschätzter Freund, Sir Robert Inglis, sagte er, der nun schon 16 Jahre so freundlich mit mir umgeht. Und doch zeigt sich in meinem ehrenwerten Freunde noch nicht die geringste Spur von Papsttum! (Großes Gelächter.)
Der Gemeinderat von London hat beschlossen, Bittschriften bei beiden Häusern des Parlaments einzureichen, alle bürgerlichen Unfähigkeiten der Juden beseitigen zu wollen. Der neue israelitische Aldermann, Herr Salomons, ein höchst gemeinnütziger, in allgemeiner Achtung stehender Kaufmann, war bei der Verhandlung zugegen.
Es mag den Feinden der Juden in Deutschland zum Troste gereichen, dass es auch in England noch einige Philister gibt. Als neulich der Gemeinderat von London über die Bittschrift für die Juden beriet, trat Herr Corney dagegen auf, dem man es lassen muss, dass er ein tüchtiges Maul hat. „Die Juden“, sagte er unter anderem, „haben eine solche Liebe zum Gelde, dass, als Jerusalem von Titus belagert ward, sie Massen von Gold verschluckten und die römischen Soldaten genötigt waren, ihnen den Leib aufzureißen, um das edle Metall zu bekommen. Sie sind in der Tat ein Handelsvolk: sie verkaufen ihre eigenen Brüder! Kommt ein Jude ins Parlament, warum können nicht fünfzig folgen? Sie haben ja das Geld dazu. Man denke nur, fünfzig Juden im Hause der Gemeinen! Lord John Russel hat genug zu tun, um mit fünfzig irischen Mitgliedern fertig zu werden, wie würde es ihm gehen, wenn zu den fünfzig Irländern noch fünfzig Juden hinzu kämen!“ Man mag aus diesen Proben schließen, dass Herr Corney, der Judenfeind, ein Maul hat, groß genug, dass alle unsere kleinen Schreier darin wie in dem eines Wallfisches herumfahren könnten. Der Gemeinderat erstickte beinahe vor Lachen, beschloss aber fast einmütig die Petition.
Der „Standard“, die Standarte der Tories alten Schlages, – jetzt freilich nur noch ein Häuflein, ereifert sich über die Juden und fährt folgendermaßen fort: „Die, welche Augen zu sehen haben, können nicht die Pestilenz vergessen, welche fast unmittelbar dem großen Abfalle von 1829 folgte und welche jetzt ein Reich mit Verderben bedroht, das vor 25 Jahren so reich und so blühend war.“ Beiläufig war England gerade vor 25 Jahren, in den ersten Zeiten nach dem Kriege, in einer sehr misslichen Lage.
Teilen wir hierüber zuvor etwas Näheres mit Lord John Russell sagte zur Begründung einer Motion ungefähr:
Es handle sich hier, wenn auch nicht um so bedeutsame Rücksichten, wie bei den Katholiken und Dissidenten, doch um die bürgerlichen und politischen Rechte von 40.000 britischen Untertanen. Die Frage um Zulassung von Juden zum Parlament, sei mehr eine prinzipielle als eine politische. Von dem Gesichtspunkt ausgehend, dass jeder Engländer, ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses, die Vorteile der britischen Konstitution in Anspruch nehmen dürfe, stellte er die Ansicht auf, dass Juden zu gleichen Rechten mit den Christen zugelassen werden müssten, wenn man nicht nachweisen könne, dass sie sich als schlechte Bürger aufführten. Da er jedoch um keine eigentliche Gunst für seine israelitischen Brüder nachsuchen wolle, so begnüge er sich damit, die aus christlichem Standpunkte erhobenen Einwendungen zu beleuchten. Zuvörderst verwahrte er sich gegen den Vorwurf der sogenannten Entchristlichung des Landes, durch Zulassung von Ungläubigen jeder Art zu öffentlichen Ämtern. Er bemerkte dagegen, dass die Unterschriften einer Glaubensformel noch keineswegs einen sichern Beweis für die wirklichen Glaubensmeinungen des Unterzeichners gebe. England werde ein christliches Land genannt, obgleich seine Bevölkerung aus Bekennern verschiedener Religionen bestehe; ebenso würde eine Legislatur noch immer christlich heißen, wenn sie auch einige jüdische Mitglieder enthalte. Die Maßregeln gegen die Juden stammten mehrenteils aus der finstersten Periode des Katholizismus. Er leugnete ferner, dass die Zulassung der Juden ins Parlament konstitutionswidrig sei, weil das Christentum einen integrierenden Teil der Landesgesetze bilde; es komme aber in der Legislation. Nichts vor, wodurch die Juden ausdrücklich vom Parlamente ausgeschlossen werden. Er bestritt ferner, dass die Juden eine abgesonderte Bevölkerung bildeten; sie wären vielmehr in England wie in Frankreich ihrem Lande zugetan und mit der Gesellschaft vielfach verzweigt, und wenn sie vielleicht nicht dieselbe Vaterlandsliebe empfänden, wie die Christen, so sei das die Schuld der gegen sie ausgeübten Verfolgung. Wenn einige Zeloten, sich auf die Prophezeiungen beriefen, wodurch die Zerstreuung der Juden in alle Welt ausgesprochen sei, so lasse sich daraus gar kein Beweis ziehen. In Frankreich würden die Juden bereits zu allen Ämtern zugelassen und in England selbst sei kürzlich ein Jude zum Alderman der City erwählt worden. Wer möchte es wagen, den Prophezeiungen ein Ziel zu stecken und zu behaupten, dass der göttliche Wille es gestatte, einen Juden zum Alderman zu machen, aber nicht zu einem Parlamentsmitglied! Wie sehr übrigens das Vorurteil geschwunden sei, beweise eben jene von 7.000 Wählern ausgegangene Wahl. Schließlich forderte er das Haus im Namen der Konstitution auf, die letzte Spur barbarischer Vorurteile zu beseitigen und beschwor dasselbe im Namen der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Christentums, das eine Religion der Liebe und des allgemeinen Wohlwollens sei, seinen Antrag zu genehmigen.
Lord John Russel setzte sich unter einem entschiedenen Beifall des Hauses. Ihm traten entgegen:
Sir Robert Inglis, Lord Ashley, Sir Thomas Aucland. Zuerst erhob sich gegen Lord J. Russel Hr. R. Inglis, in welchem sich die Hochkirche gleichsam verkörpert hat. Es sei gegen alle Sitten und Überlieferungen, sagte er, dass Juden in das Parlament gewählt würden; eben sowohl könnten Mohamedaner und Perser verlangen, in dasselbe einzutreten. So gut man von jedem, welcher im Hause seinen Sitz nehmen wolle, ein gewisses Vermögen fordere, ebensowohl könne man von ihm einen gewissen Glauben verlangen. Wenn Juden im Hause säßen, so könne man ja nicht ferner, wie bisher, ehe man die Geschäfte vornehme, das Gebet verrichten, worin es heißt: Christus, erbarme Dich unser! England sei ein christliches Land und müsse es bleiben. Die bedeutendste Rede, schon in Betracht dessen, welcher sie hielt, war die von Lord Ashley. Die Juden haben keinen wärmeren Freund, ja, nach seinen eigenen Worten, keinen größeren Verehrer, als diesen edlen Menschenfreund. Lord Ashley ist der eifrigste Gönner der Gesellschaft zur Bekehrung der Juden, welche jährlich über 20.000 Pf. St. freiwilliger Beiträge in allen Teilen der Welt zu ihren Zwecken verwendet. Die Stiftung des Bistums Jerusalem ist, soviel England dazu getan hat, seiner Hände Werk. Er erklärte in seiner Rede, er betrachte den ärmsten Israeliten mit Gefühlen, welche der Ehrfurcht nahe kämen. Er sagte, die Juden wären ein Volk von mächtigem Verstande, einem gebildeten Geiste und einem Eifer für die Wissenschaften, dass sie es mit dem unermüdlichsten Deutschen aufnähmen. Und trotz all dem erklärte er sich dagegen, dass ein Jude zu den hohen und feierlichen Rechten zugelassen würde, im britischen Parlamente Gesetze zu geben, da er sich nicht bekenne „zu dem wahren Glauben eines Christen.“ (Worte der Eidesformel, derentwegen Rothschild bis jetzt seinen Sitz im Unterhause nicht einnehmen kann.) Denn Lord Ashley hängt an den alten Satzungen in Kirche und Staat. Kirche und Staat sind für ihn und seine politische Partei unauflöslich verbunden. Er erklärte sich mit Heftigkeit gegen den geistreichen Macaulay, welcher gesagt, es sei eben so töricht, von einer christlichen Regierung als von einer protestantischen Kochkunst zu sprechen. Dieses, erwiderte er, wären zwei Dinge, welche sich eben so wenig vergleichen ließen, wie der Kirchturm von Bowchurch und der erste Juli. Das Christentum müsste seinen Einfluss so gut auf den Staat, wie auf die Familien ausüben. So weit Lord Ashley; doch dass er in seiner Rede erklärte: „Wenn die Juden bereits im Parlamente säßen, so würde ich nicht versuchen, sie zu verdrängen“, zeigt am Besten, einen wie schweren Kampf auch in seinem tiefen Gemüte die alten Satzungen mit dem neuen Bewusstsein der Zeit zu bestehen haben. Nach Lord Ashley erhob sich, um dessen Einwürfe zu widerlegen, Hr. Gladstone (Minister unter Peel) wie jener Einer der eifrigsten Anhänger der Hochkirche und ein Mann von den größten Kenntnissen als Staatsmann und Theologe. Er bestritt, dass man sagen könne, das Parlament höre auf ein christliches zu sein, weil einige Juden darin säßen. Ebenso gut könne man sagen, die Engländer wären kein christliches Volk, weil einige Juden unter ihnen wären. Man könne auch nicht sagen, man räume den Juden dadurch, dass man sie ins Parlament berufe, das Recht ein, über Christen Gesetze zu geben. Sie hätten bereits Teil an der Gesetzgebung; denn sie geben ja ihre Stimmen ab, bei den Parlamentswahlen.
Herr d’Israeli sagte, er stimme für die Maßregel, weil die Juden denselben Gott anerkennen, wie die Christen, dieselbe Offenbarung haben, wie die Christen, und menschlich sprechend, die Urheber der christlichen Religion und größtenteils auch der modernen Gesittung seien; überdies seien die Juden loyal, und religiös, seien nicht proselytensüchtig und denken nie daran, dem Christentum feindlich entgegenzutreten, worin sie sich wesentlich von Heiden und Mohammedanern unterschieden.
In der Sitzung vom 17. wurde die Debatte fortgesetzt. Fast das ganze Haus besteht aus gläubigen Christen; nichtsdestoweniger wurden alle diejenigen, welche für die Zulassung der Juden ins Parlament sich erklärten, mit anderen Worten, diejenigen, welche glauben, dass man die Religion nicht einmischen dürfe, wo es sich um bürgerliche Rechte und Staatsangelegenheiten handle, von den Gegnern der vorgeschlagenen Maßregel. Ungläubige, Deisten und Atheisten usw. genannt. Hr. Law hielt eine lange Rede, in welcher er die Stimmung des Volkes als drohend darstellte. Der Graf v. Arundel und Surrey, der Sohn des katholischen Herzogs von Norfolk, welcher der geborene erste Peer des Reichs ist, sagte, er sei nicht alt genug, um selbst unter den Beschränkungen gelitten zu haben, welche (bis 1829) die Katholiken drückten. Aber er erinnere sich wohl an die tiefe Entrüstung seines Vaters und Großvaters über deren Ausschließung vom Parlamente. Es wäre daher natürlich, dass er Mitgefühl hätte für die Juden, welche jetzt eine ähnliche Erbitterung empfinden müssten. Er sprach am Schlusse seiner Rede die Hoffnung aus, dass ganz England zum Glauben seiner Väter zurückkehren werde. Lord Morpeth erinnerte daran, kürzlich der englische Minister den türkischen Sultan aufgefordert hätte, allen seinen Untertanen ohne Unterschied des Glaubens dieselben bürgerlichen Rechte zuzugestehen. Er hoffe, dass die heutige Abstimmung dem Sultan die Gelegenheit nehmen würde, zu antworten: „Tut erst selbst nach Euren Worten.“ Lord G. Bentinck erklärte sich ebenfalls für die Maßregel und drang auf Herrn Goulbourn ein, der sich früher der Zulassung der Katholiken widersetzt und doch als Minister, da O'Connell, mit einigen Millionen Katholiken hinter sich, an die Tür des Unterhauses geklopft, sich nicht zu widersetzen gewagt hätte. Und wie könne Goulbourn gegen die Zulassung der Juden in das englische Parlament sprechen, da er nicht bloß als Minister, sondern auch als Pflanzer von Jamaika für die Zulassung der Juden in das Parlament von Jamaika gestimmt hätte? Lord John Russel gab zum Schluss den Wortlaut eines Antrages: „Dass es wünschenswert sei, alle bürgerlichen Unfähigkeiten abzuschaffen, welchen die jüdischen Untertanen Ihrer Majestät bis jetzt unterworfen waren, mit denselben Ausnahmen, welche für die römisch-katholischen Untertanen Ihrer Majestät gestimmt sind.“ Der Antrag wurde mit 253 Stimmen gegen 186 angenommen. Das Haus konstituierte sich darauf zum Generalcomité und adoptierte die von Lord John Russell beantragten Resolutionen, auf welche nun die eigentliche Bill wegen Emanzipierung der Juden basiert werden soll. Sir Robert Inglis verlangte, dass die zweite Verlesung der Bill (die erste wird am Montag stattfinden) möglichst lange verschoben würde, damit ein christliches Land Zeit fände, seinen Unwillen auszusprechen. Lord J. Russell setzte dafür den 7. Februar fest und bemerkte, Sir R. Inglis spreche, als ob er beabsichtige, die Juden aus England zu vertreiben, wie weiland die Mauren aus Spanien vertrieben worden wären.
Wir sammeln noch einige Bemerkungen, die auf die Abwicklung dieses Gegenstandes in England einiges Licht werfen. In der Sitzung, wo das Unterhaus sich für die bürgerliche Gleichstellung der Juden entschied, hatten sich die Mitglieder sehr zahlreich eingefunden, und alle Plätze für Zuschauer waren besetzt, selbst diejenigen, welche den Peers vorbehalten sind. Als die Beschränkungen der Katholiken aufgehoben wurden, waren die Beweggründe zum Teil politisch. Die Engländer gerieten in Besorgnis;
O'Connell, wie neulich gesagt ward, trat an die Schranken des Unterhauses mit Millionen hinter sich. Wenn man freilich auch von Herrn von Rothschild sagen kann, dass er Millionen hinter sich habe, so können doch die wenigen Juden, deren Zahl in England auf nur 30- bis 40.000 angeschlagen wird, keine Besorgnis einflößen. Die gestrige Abstimmung ist ein reiner Sieg des Jahrhunderts. Das Beispiel des christlichsten Landes in Europa wird auf die übrigen Länder nicht ohne Einfluss sein.
Der Widerstand, welchen manche Engländer der Zulassung der Juden entgegensetzen, hat mit persönlichem Widerwillen, wie er sich in Deutschland noch öfters vorfindet, wenig zu tun. Die Männer, welche sich der Zulassung der Juden oder früher der Katholiken hartnäckig widersetzten, gehen im gemeinen Leben mit ihnen ganz freundschaftlich um. In der letzten Sitzung des Unterhauses wollte O'Gorman Mahon, ein katholischer Irländer, beweisen, dass vom Eintritte einiger Andersgläubigen ins Parlament dem Protestantismus keine Gefahr drohe. Da ist mein sehr geschätzter Freund, Sir Robert Inglis, sagte er, der nun schon 16 Jahre so freundlich mit mir umgeht. Und doch zeigt sich in meinem ehrenwerten Freunde noch nicht die geringste Spur von Papsttum! (Großes Gelächter.)
Der Gemeinderat von London hat beschlossen, Bittschriften bei beiden Häusern des Parlaments einzureichen, alle bürgerlichen Unfähigkeiten der Juden beseitigen zu wollen. Der neue israelitische Aldermann, Herr Salomons, ein höchst gemeinnütziger, in allgemeiner Achtung stehender Kaufmann, war bei der Verhandlung zugegen.
Es mag den Feinden der Juden in Deutschland zum Troste gereichen, dass es auch in England noch einige Philister gibt. Als neulich der Gemeinderat von London über die Bittschrift für die Juden beriet, trat Herr Corney dagegen auf, dem man es lassen muss, dass er ein tüchtiges Maul hat. „Die Juden“, sagte er unter anderem, „haben eine solche Liebe zum Gelde, dass, als Jerusalem von Titus belagert ward, sie Massen von Gold verschluckten und die römischen Soldaten genötigt waren, ihnen den Leib aufzureißen, um das edle Metall zu bekommen. Sie sind in der Tat ein Handelsvolk: sie verkaufen ihre eigenen Brüder! Kommt ein Jude ins Parlament, warum können nicht fünfzig folgen? Sie haben ja das Geld dazu. Man denke nur, fünfzig Juden im Hause der Gemeinen! Lord John Russel hat genug zu tun, um mit fünfzig irischen Mitgliedern fertig zu werden, wie würde es ihm gehen, wenn zu den fünfzig Irländern noch fünfzig Juden hinzu kämen!“ Man mag aus diesen Proben schließen, dass Herr Corney, der Judenfeind, ein Maul hat, groß genug, dass alle unsere kleinen Schreier darin wie in dem eines Wallfisches herumfahren könnten. Der Gemeinderat erstickte beinahe vor Lachen, beschloss aber fast einmütig die Petition.
Der „Standard“, die Standarte der Tories alten Schlages, – jetzt freilich nur noch ein Häuflein, ereifert sich über die Juden und fährt folgendermaßen fort: „Die, welche Augen zu sehen haben, können nicht die Pestilenz vergessen, welche fast unmittelbar dem großen Abfalle von 1829 folgte und welche jetzt ein Reich mit Verderben bedroht, das vor 25 Jahren so reich und so blühend war.“ Beiläufig war England gerade vor 25 Jahren, in den ersten Zeiten nach dem Kriege, in einer sehr misslichen Lage.
Russel, John (1792-1878) Britischer liberaler Reform-Politiker (2)
London, ab Arch of London Bridge
London, Buckingham Palace
London, Cheapside with the Cross in 1660
London, Cleopatras Needle and Sommerset House
London, Cloth Fair
London, Clubs in Piccadilly
London, Deans Yard, Westminster
London, der Dom
London, Fleet Street
London, Fountain Court and Middle Temple
London, Greenwich Palace from the Royal Dockyard at Deptfod in 1795
London, Grocers hall
London, Hampstead in 1814
London, Hay Barges near Chelsea
London, Hendon
London, Henry VII. Chapel, Westminster Abbey
London, Highgate
London, Hyde Park Corner
London, in Golders Hill Park
London, Kleines Londoner Mädchen
London, Lambeth Palace
London, Limehouse