Zeitbilder aus Alexandrien

Nach dem Paedagogus des Clemens Alexandrinus
Autor: Glaser, Max Dr. (?-?) K. Gymnasialprofessor. Programm des K. hum. Gymnasiums in Amberg 1904/05, Erscheinungsjahr: 1905
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Orient, Alexandrien, Kaiser Commodus, Christen, Christentum, Glauben, Heidentum, Mission, Christliche Wahrheit, Kulturzustände, Weltanschauung, Lebensführung, Sittenbilder, Gebräuche, Altertümer, Griechen, Römer, Luxus, Genusssucht, Komfort, Prunk, Morgenland, Abendland, Herren, Sklaven, Domestiken, Rituale,
Die christliche Lehre fand im ersten und über die Mitte des zweiten Jahrhunderts hinaus fast nur in den Kreisen der „Mühseligen und Beladenen", der Sklaven und untersten Volksschichten, kurz der Enterbten dieser Welt freudige und inbrünstige Aufnahme. Für diese war sie ja sofort eine „frohe Botschaft", während sich die höheren Stände, die Leute von Bildung und Besitz, die sich vor einem Zusammenstoß mit der bestehenden Ordnung am meisten scheuten und am schwersten losrangen von den Irdischen Genüssen und Annehmlichkeiten, von Macht, Reichtum, Ehre, kühl zurückhielten oder mit unverhohlener Verachtung auf die armen Bekenner eines Glaubens herabsahen, von dessen sieghafter Werbekraft und weltumwälzender Bedeutung sie keine Ahnung hatten. Aber von Kaiser Commodus an (180 — 192), dessen Freundin Marcia selbst Christin war und in werktätiger Liebe das Los zahlreicher, in den Bergwerken Sardiniens dahinschmachtender Glaubensgenossen mit Erfolg linderte, drang das Christentum auch in die vornehme römisch-griechische Welt ein. Bald hatten sich in allen Provinzen des Reiches kleinere und größere Gemeinden gebildet, deren jede, durchdrungen von der welterobernden Mission des christlichen Glaubens, mit dem Heidentum den Kampf aufnahm. An die Führer der Gemeinden trat nun die harte Aufgabe heran, die ihnen anvertraute Herde, die sie natürlich von ihrer heidnischen Umgebung unmöglich luftdicht abschließen konnten, vor den Schilden der damaligen Überkultur zu bewahren, gegen das äußerst langsam absterbende und zähe Widerstandskraft entfaltende Heidentum unablässig anzukämpfen. Seelen für die Lehre des Gekreuzigten zu gewinnen, die Gewonnenen zu bestärken und vor Fallstricken zu warnen. Dazu erwies sich die mündliche Unterweisung allein, die an die Grenzen von Zeit und Raum allzustark gebunden war. bald als nicht mehr ausreichend. Daher griffen sprachgewandte und gelehrte Männer zur Feder, um mit dem Rüstzeuge der heidnischen Philosophie das Heidentum zu bekämpfen und zu überwinden. Weil diese Vorkämpfer aber mitten im Leben standen, so ist die altkirchliche Literatur nicht bloß für die theologische und philosophische Forschung von größter Bedeutung, sondern birgt in sich auch einen noch lange nicht völlig gehobenen Schatz kulturhistorischen Materials für die Erkenntnis der antiken Welt.

Zu den ersten, die anknüpfend an das von griechischen Denkern errungene Gedankengut der christlichen Wahrheit Eingang in die gebildeten Kreise zu verschaffen suchten, gehört Klemens von Alexandrien. 1)

1) Titus Flavius Clemens ward i. J. 150 n. Chr. wahrscheinlich in Athen von heidnischen Eltern gehören. Als Christ hat er weite Reisen nach Unteritalien. Syrien. Palästina und schließlich nach Ägypten unternommen, überall den Verkehr und Unterricht christlicher Lehrer aufsuchend. Kurz vor 180 kam er nach Alexandrien, lernte dort den Katecheten Pantänus kennen und lies sich, um ihm nahe zu sein, dauernd in der einstigen Hauptstadt des Ptolemäerreiches nieder. Nach dem Tode des Pantänus. kurz vor 200, wurde Klemens Vorsteher der Katechetenschule. Durch die Christenverfolgung unter Septimius Severus 202 oder 203 vertrieben (eine Spur von ihm finden wir noch in der Christengemeinde Antiochien), starb er vor 215 (bzw. 216). Bardenhewer. Geschichte der altkirchlichen Literatur, 2. B., S. 15 ff.

Sein Lehrer Pantänus hatte sich noch auf den mündlichen Lehrvortrag beschränkt. Klemens aber hat in einer großen Trilogie (Protrepticus, Paedagogus, Stromata) „die Brücke zwischen Heidentum und Christentum" zu schlagen versucht.

Hier soll nur der Pädagog in Betracht gezogen werden. Die Schrift ist bestimmt, den „dem Heidentum entrissenen Jünger für ein neues, christenwürdiges Leben zu gewinnen" (Bardenhewer). Da nun Klemens das auf dem Wege der praktischen Lehre, nicht der grauen Theorie anstrebt, so führt er alle möglichen Lebensverhältnisse vor Augen, um den Unterschied von heidnischer und christlicher Weltanschauung und Lebensführung zu zeichnen. Es ist also ohne weiteres klar, dass er da mancherlei Dinge einflicht, die ein helles Licht auf die Kulturzustände seiner Zeit werfen, dass er sowohl in dem, was er aus Eignem gibt, als auch in dem , was er aus anderen Quellen geschöpft hat, echtes Zeitkolorit bietet, wenn man den Zweck seiner Schrift ins Auge fasst und unbefangen urteilt. 2) Denn Torheit, ja Unterweisung in Luxus und Laster wäre es, wenn er seine Jünger vor etwas warnte, was zu existieren aufgehört hat. Und zieht er Schriften aus — wenigstens für unser Gefühl — recht ferner Zeit heran, so ist das nur ein Beweis dafür, dass sich im Altertums die Lebensformen viel zäher erhielten als in unseren raschlebigen Zeitläuften.

2) Ich brauche nicht zu betonen, dass ich einen anderen Standpunkt einnehme als W. Wagner in seiner Schrift ..Der Christ und die Welt". Göttingen 1903. Dieser sagt auf S. 56: „(Klemens) ist offenbar mit der von ihm geforderten Askese mehr Doktrinär als Praktiker. Er predigt in ihr mehr Schulweisheit als Lebensweisheit". Ich kann es mir nicht zusammenreimen, dass Siemens, früher selbst noch Beide, Kenner insbesondere der heidnischen Mysterien, ein Mann, den Wagner selbst als Pädagogen rühmt, dem ..nichts Menschliches fremd ist" (vgl. S. 68, 74, 80), wie Dun Quixote gegen Windmühlen kämpfe. Ein Sittenprediger, der etwa heutzutage Einzelschilderungen untergegangener Lebensformen aus Moscherosch oder Abraham a Sankta Klara einflöchte, müsste doch unverstanden bleiben oder geradezu dem Fluche der Lächerlichkeit anheimfallen.

Selbstverständlich ist nun vieles von dem, was Klemens von Alexandrien an kulturhistorischem Stoffe bietet, schon da und dort in größeren Werken zerstreut verwertet. Das bescheiden gesteckte Ziel vorliegender Arbeit kann also in der Hauptsache nur sein, eine Übersicht über das im Pädagogus gebotene Material zu geben und zwar in einer Form, die auch reifere Schüler von der Lektüre dieser anspruchslosen Studie nicht abschreckt, sondern sie vielleicht veranlasst, die eine oder andere umfassende Darstellung antiken Lebens, etwa Guhl und Koner, Leben der Griechen und Römer, oder die einschlägigen Aufsätze im „Wissen der Gegenwart" u. a. zu lesen und durchzuarbeiten.

Berücksichtigung soll hier vor allem das finden, was man unter der Bezeichnung Privataltertümer begreift, Wohnungseinrichtung, Kleidung, Nahrung und Körperpflege, Familienleben und gesellschaftlicher Verkehr.

Das Leben und Treiben der reichen und glänzenden Fabrik- und Handelsstadt Alexandrien, der zweitgrößten Stadt des römischen Weltreiches, tritt uns aus den strafenden und belehrenden Worten unseres Klemens, der wohl vielfach den Prediger in der Wüste gemacht hat, in lebhaften Farben entgegen, freilich weniger nach der Seite rastlosen und fieberhaften Erwerbs, wie er anderweitig in der Literatur so stark betont ist. als vielmehr nach der Seite zügellosesten, grobsinnlichen Genusses aller Erdenkenden. Beide Erscheinungen lassen sich übrigens wohl vereinigen; beobachten wir doch auch heutzutage in den großen Handelszentren und Seestädten dieses gierige Hasten nach raffiniertesten Sinnengenüssen neben einer Arbeits- und Schöpferkraft, die uns helle Bewunderung abringt. Ungeheurer Reichtum strömte in Alexandrien, dieser im Mittelpunkte dreier Weltteile, an der Schwelle zwischen Morgen- und Abendland, an der Straße nach Indien gelegenen Großstadt zusammen und gestattete der besitzenden Bevölkerungsschichte die Ausschmückung ihrer Wohnhäuser mit dem luxuriösesten Komfort fremdländischer Provenienz und heimischer Industrie, deren Stolz neben der Papyrosfabrikation hauptsächlich die Weberei und Glasbläserei war. Aus diesen Prunkgemächern war das Einfache verbannt. Da fand sich nicht die schlichte Lagerpritsche zum Zusammenklappen, verpönt war die zottige Kotze, nein, wenn der Reiche ruhte, so versank sein Leib in den weichen Daunen des Unterbetts, ein echtpurpurnes, langherabfallendes Schlafgewand umfloss seine Glieder, die feinsten und kostbarsten, golddurchwirkten und goldgestickten Decken jeder Art und Farbe umhüllten ihn, sodass er sich kaum rühren konnte. Er streckte sich auch in ... die man durch Beigabe silberner Füße salonfähig gemacht hatte, oder in silbernen Stühlen mit Rückenlehne. In der vollen Pracht der Ausstattung prangten aber die eigentlichen Faulbetten, auch die elfenbeineingelegten Bettgestelle mit Silberfüssen. Aber auch Tische mit Füßen aus massivem Elfenbein hatte man, wie man denn mit diesem Luxusartikel überhaupt eine kolossale Verschwendung trieb. Neben der Kline standen zierliche Nipptischchen mit den Leuchtern aus Goldguss. Die Flächen der Türen waren mit Goldornamenten oder eingelegter Schildkrotarbeit reich verziert. Der Dame des Hauses zu Füßen kauert das Zwerghündchen aus Malta und schielte eifersüchtig auf den eben begünstigten Rivalen, den bunten Papagei, den modischen Pfau, die Nachtigall, den gefräßigen Regenpfeifer, dem seine Herrin hin und wieder einen Leckerbissen reicht.

Eine riesige Verschwendung wurde mit Edelmetallen, Gold und Silber, sowie mit Edelsteinen getrieben. Als Freund der Tafelgenüsse liebte der reiche Alexandriner luxuriöses Tafelgeschirr für Speise und Trank. Terrinen, Teller, Platten, 1) sogar die Essignäpfe waren von massivem Golde, ebenso die Trinkgeschirre in ihren tausenderlei Formen, die noch dazu mit Edelsteinen besetzt waren. So vielgestaltig sie waren, so verschiedene Namen führten sie. Besonders beliebt scheinen die archaisierenden Formen der Therikleischen und die Antigonidischen Becher gewesen zu sein. Beide hatten die Form eines Spitzglases, die ersteren mit, die anderen ohne Fuß, beide die Namen von ihren Erfindern, dem korinthischen Töpfer Therikles (c. 420 v. Chr.) und dem König Antigonos. Abgesehen von den Kantharoi kamen die Freunde voluminöser Gefäße bei den . . ., einer ausländischen, persischen Form, die von dem hier recht redseligen Schol. . . . charakterisiert wird, auf ihre Rechnung und wohl auch bei dem topfartigen, einhenkeligen Kruge. Als kostbare Trinkgefäße für Frauen erscheinen 16 . . . die sonst nur Salbfläschchen, so auch, deren enge Mündung beim Trinken den Kopf weit zurückzulegen zwang. Aus schwerem Golde waren auch die Kühlkübel zum Frappieren des Weins mit Eis, Schnee oder doch mit kaltem Wasser und die teekannenartigen, einhenkligen Oinochoen, mit denen man den Wein aus dem Krater in die Trinkschalen schöpfte.

1) „Die rechten Namen wollen sich freilich mit den Formen nicht zusammenfinden" (Sittl, Archäologie der Kunst. S. 256).

Großen Luxus trieb man auch mit geschliffenen Glasgefäßen von so kunstreicher Arbeit und zierlicher Form, dass man Angst haben musste, sie zerbrächen einem beim Trinken in der Hand. Ein gläsernes Netz oder Maschenwerk umgibt auf dem von Blümner. Technologie, IV. S. 400 angezogenen Stücke in Entfernung von einigen Linien den eigentlichen Trinkbecher, mit dem es durch feine Fäden oder Glasstäbchen verbunden ist. Offenbar meint Klemens hier die calices diatreti.

Sogar Gegenstände, die zum intimsten Gebrauche bestimmt waren, fertigte man in seiner Arbeit aus kostbarem Materiale. Man hatte Nachttöpfe von Silber und Leibstühle aus Glas, aus Zedern- und Ebenholz, aus Elfenbein oder aus dem wohlriechenden Holze des zypressenartigen Lebensbaumes (Thuia) in Gebrauch, ja besonders edle Leute ließen sie sich wie gute Freunde überallhin nachtragen, wie das etwa einige in alter Zeit mit den Klappstühlen aus Riemengeflecht, den . . . taten, weil sie sich nicht auf dem nächstbesten Sitze platzieren wollten. Die üppigsten Weiber übertrumpften das noch, indem sie parfümierte Leibstühle aus gediegenem Golde benützten.

Selbst bei den Nutzmetallen suchte man das Aparte, Kostspielige. Die Mode versteifte sich auf Transchiermesser aus indischem Eisen, obwohl man in nächster Nähe auf der Sinaihalbinsel, in Palästina und Phönikien die trefflichsten Eisenbergwerke hatte. Der Griff der Tischmesser war mit silbernen Nägeln beschlagen oder aus Elfenbein.

Ein Heer von Sklaven war natürlich nötig, um die Gier nach Luxus und Komfort zu befriedigen. Ein Tross von Köchen, Aufwärtern, Vorschneidern und Transchierern füllt das Haus. Man hielt sich Kochkünstler, deren Gebiet die leckere Zubereitung pikanter Saucen war, Spezialisten in feinen Cremes und süßem Backwerk. Andere Sklaven hatten die Obsorge über die überreiche Garderobe, wieder andere fungierten als Gold- und Silberbewahrer zu deren Obliegenheiten auch die Reinigung der Trinkgefäße und die Instandhaltung des Tafelservices gehörte, ferner als Pferdestriegler, Mundschenken u. s. w. Diesen Domestikentross vermehrte noch der geschäftige Müßiggang der Frau des Hauses, die von Kosmeten und Putzmamsellen umschwärmt vom frühen Morgen an in ihrem Boudoirsich reckte und dehnte, den Spiegel, das geflochtene oder gestrickte Haarnetz (Chignon), den Kamm sich reichen lies und alles in Atem hielt. Nachts kam dann die erborgte Schönheil ans Lampenlicht, dessen malte Helle sie als wirkliche erscheinen lies. Ausgesucht große Kerle (Kelten) trugen ihre zur Belustigung im Hause dienten ihr die „Spitzköpfe", vgl. die moriones, fatui und fatuae der Römer), hässliche, abnorm gebaute Sklaven. Thersitesfiguren, die sie um schweres Geld gekauft hatte, um mit ihnen zu schäkern und sich an ihren Grimassen zu ergötzen, arme Kerls, die die exzentrische, vom Genusse übersättigte Dame etwa auf die gleiche Stufe mit ihrem Lieblingsaffen stellte. Bedenklichere Dienste leisteten die Eunuchen ihren sittenlosen Herrinnen als Kuppler und Gelegenheitsmacher.

Am meisten ließen natürlich auch in Alexandrien die Damen auf dem Gebiete der Kleidung ihrer Gier nach Luxus die Zügel schießen und die Männer — halfen ihnen dabei redlich. Man schuf ja in der hellenistisch-römischen Zeit keine wesentlich neuen Kleiderformen, bevorzugte aber ausländische Stoffe und Façons. die durch ihre überladene Pracht besonders den Frauen in die Augen stachen. Klemens nennt neben den uralten Formen des Peplos, der Chlaina und des Chiton nach dem Schol. ein mantelartiger Überwurf über dem Himation, der Chlaina gleich, nur kostbarer.

Die Kleiderstoffe wurden in allen erdenklichen Farbennuancen hergestellt, purpurrot, echt purpurrot, olivgrün, grüngelb, rosenfarben, scharlachrot, lauter Natur-, keine Phantasiefarben, wie man sieht. Man trug safranfarbige, weich- und dünnfädige Kleider, die in duftendes Salböl getaucht waren, goldgestickte Gewänder, bunte, teure Purpurmäntel mit eingestickten, eingewirkten oder aufgemalten Tierbildern oder mit anderen kunstvollen Dessins, Blumengewänder, wie man sie sonst nur an Bacchusfesten und bei der Feier der Mysterien zu tragen pflegte. Die Damen- und feminine Männermode erheischte es, die Stoffe von auswärts zu beziehen , obwohl Alexandriens Industrie gerade auf diesem Gebiete Hervorragendes leistete. Leinwand aus dem Lande der Hebräer und aus Kilikien, durchsichtige Linnenstoffe aus Amorgos und Indien kommen zu lassen galt für schick; sah man doch dem Gewände den Reichtum der Trägerin an.

Natürlich wurde auch Schafwolle in reichstem Masse verwendet. Milet und Italien werden als Bezugsorte für feine Wolle angeführt, auch ist erwähnt, dass man die Schafe zur Erzielung einer besonders guten Wollsorte durch Felldecken schützte.

Am kostspieligsten war jedenfalls die über Indien aus China eingeführte Seide, die neben einem geringeren Gewicht, jene durchsichtigsten, an den Körper sich eng anschmiegenden, golddurch wirkten Kleider lieferte, die die Formen mehr zeigten als verhüllten.

Man scheute sich nicht, zehntausend Talente für ein Gewand auszugeben. Nun ist ja der Wert antiken Geldes für uns nur sehr relativ bestimmbar; nehmen wir aber als wahrscheinlich an, Klemens rechne nach dem alexandrinischen Talent (Kupfernormierung) = 125 attischen Silberdrachmen, so erhalten wir nach unserem Gelde ungefähr eine Million Mark, eine kolossale Summe. Wenn man jedoch den Kleiderluxus im 15. bis 18. Jahrhundert betrachtel und erwägt, dass noch heutzutage Pariser Häuser Roben für Hunderttausende von Francs herstellen, ferner die Vorliebe der Alexandrinerinnen für Stein- und Perlenschmuck, für Goldstickerei in Rechnung zieht, so erscheint sie nicht unglaublich hoch gegriffen. Auch die Herren der Schöpfung huldigten damals dem Unfug der Schleppe, den Klemens mit ganz modernen Argumenten bekämpft: sie hindere kräftiges Ausschreiten und wirble wie ein Besen den Schmutz auf; auch trugen sie gleich den Tänzern im Pantomimus, die langherabfließenden Gewänder mit ihrer Eleganz in Mache und Faltenwurf, sowie den breiten Borten, die vom Halsausschnitt in der Mitte über den Chiton herabliefen.

*) Blümner, Technol. I, 191: „Die bombyeinae vestes, welche namentlich aus Assyrien bzw. Syrien kamen, wurden von einem wilden Seidenwurm gewonnen, dessen Cocons nicht abgewickelt werden konnten, sondern gekratzt und gesponnen wurden"
**) Ein Pferd ist im Preise von 15 Talenten angenommen, das wären nach derselben Rechnung c. 1.500 M.


Sinnlosen Luxus trieb man sogar am Schuhwerk, besetzte die Sandalen mit Goldblumen und Edelsteinen, lies sich die Nägel arabeskenartig in die Sohlen schlagen, ja die Spiegelbilder erotischer Szenen in sie einritzen. Stiefel trug man in allen Formen: attische Halbstiefel, sikyonische und persische Frauenschuhe, tyrrhenische Sandalen, Kothurne. Klemens bietet leider auch nur Namen, von denen man wohl auf die Bezugsquellen, nicht aber auf die Formen schließen kann. Einfacher in Arbeit und Façon müssen die gewesen sein, die im Schol. als erklärt werden. ferner die . . ., welche die Attiker als . . . bezeichneten, also jedenfalls leichtes, dünnsohliges Schuhwerk, das für Gold- und Edelsteinzier keinen Raum bot und von Stutzern und Modedamen nicht getragen wurde. Denn dieses Volk hegte die größte Passion für Steine und Perlen. Amethyste, Blitzsteine, Jaspis, Topase, milesische Smaragde, matte und glänzende Steine aller Art begehrte man leidenschaftlich, aber auch buntfarbiges Glas, d. h. Edelsteinimitationen, Glaspasten, auf deren Fabrikation sich die Alten schon trefflich verstanden. 1) Man trug Steine und Perlen an Colliers in Schnur-, Ketten- und Ringform an Braceletten, an Reifen um die Fußknöchel. Armbänder und Knöchelreifen bildete man gerne Schlangen nach, auch Muränen dienten als Muster. Natürlich liebten die Frauen auch Ohrringe und Ohrgehänge. In der Liebhaberei für Schmucksachen wetteiferten übrigens die Männer redlich mit ihnen; wollten doch sogar die Soldaten Goldschmuck tragen. Die Ringe, die zunächst als Siegelringe einem nützlichen Zwecke dienten und als Zeichen des freien Mannes galten, waren längst zu Luxusartikeln geworden. Harmlos war es ja, dass sich die Heiden ein Götterbild, ein Schwert, einen Bogen, einen Pokal eingravieren ließen — Christen empfiehlt Klemens eine Taube, einen Fisch, ein vor dem Winde segelndes Schiff, eine Leier, einen Schiffsanker zu wählen — , raffinierte Lüsternheit aber, wenn Lebemänner die Bilder ihrer Buhlknaben und -Dirnen an den Siegelringen trugen, um stets an die Stunden der Lust erinnert zu werden. Gleich den Weibern boten auch die Männer den Ring protzig zur Schau dar und zwar am Gelenk der größeren Finger, statt ihn am kleinen ganz nach unten zu schieben. Auf ein kaiserliches Verbot, Goldschmuck zu tragen wie die Frauen, scheint 270/30 hinzuweisen. Jedenfalls hielten sich die alexandrinischen „Gigerln" dadurch schadlos, dass sie Gürtel und Kleiderbesatz (Vorstöße), rings mit Goldblättchen bedeckten oder kugelförmige Dinger aus demselben Metall von Fußknöchel oder Hals herabhängen ließen. Es war ein Zeichen der Dekadenz, dass die Männer in Tracht und Aussehen die Weiber nachäfften, mit kunstvoll frisierten und gekräuselten Köpfen einher stolzierten, sonst aber nicht bloß das Gesiebt völlig glatt rasierten, sondern ängstlich darauf sahen, dass am ganzen Körper jedes Härchen ausgezupft und beseitigt wurde. Die Inhaber der zahlreichen Offizinen, die diesen Herrchen die Haare schoren, auszupften und durch Einpechen entfernten, machten glänzende Geschäfte; auch im Bade oder im Gymnasium unter dem jungen Volke lies man diese Prozeduren ungeniert an sich vornehmen.

Weniger befremdet ja das Zuviel in allen Toilettenkünsten bei den Frauen. Die damals beliebte Haartracht zwang sie — d. h. als Zwang empfanden sie es nicht, sondern als Amüsement — viele Zeit vor ihrem kostbaren Spiegelapparat zu verbringen, um die sorgfältigen Haarflechten, die langen Lockensträhne, kurz die tausendgestaltigen Frisuren zu erzielen, wie der gute Tun es erheischte. Sie wagten aus Furcht, ihren Haarbau zu zerstören, den Kopf nicht zu berühren und nachts kaum zu schlafen. Der gute Klemens mag mit seinem Wettern gegen Toilettenunfug, der uns ja vielfach wie „uralte Gegenwart" anmutet, sowie mit seinem Rate an die Frauen, die Haare nur weich zu kämmen und mit einer einfachen Nadel gegen den Nacken zurückzustecken ebensoviel ausgelichtet haben als die sonderbaren Käuze, die heutzutage nicht von der Hoffnung lassen, man könne durch Belehrung Korsett und Schleppe verschwinden machen.

Schon im Altertume haben die Damen, denen ihr natürliches Haar für die Mode zu spärlich erschien, durch Auflegen fremder Haare und falscher Zöpfe die Missgunst der Natur ausgeglichen. Die Verschönerungskünstler jeglicher Art müssen damals gute Zeiten gehabt haben: denn unermüdlich waren Männlein und Weiblein bemüht, kleine Unebenheiten zu korrigieren und das jeweilige Schönheitsideal zu erreichen. Zur Erzielung eines feinen Teints legte man Krokodilmist auf, natürlich zu Parfüm verwandelt, bestrich sich mit Schlangengeifer schmierte Ruß auf die Augenlider und Bleiweiß auf die Wangen und trieb alle möglichen Schminkkünste. Nicht bloß die Frauen pomadisierten sich färbten graue Haare, änderten die natürliche Haarfarbe in das Modeblond, auch die Männer, diese verlebten Großstadtpflanzen, taten desgleichen, dufteten nach Salben, kauten Mastix und liebten weibisches Kostüm in Stoff und Farbe

Zwar findet Klemens die Stelle aus dem . . . des Alexis über die Mittel der Kosmetik und Phelloplastik selbst etwas stark, sie aber zu unterdrücken, das kann er doch nicht übers Herz bringen. Ob nicht auch in jener hetärisierten Zeit die zu kurz geratenen Alexandrinerinnen Korksohlen in ihren Schuhen unterlegten, dagegen nur ganz dünne Sohlen trugen, wenn sie sich zu länglich ausgefallen waren? Ob sie nicht auch Mangel an Fülle durch Auflegen und Einnähen verdeckten, Überfülle möglichst reduzierten? Unmöglich wären derartige Praktiken für die damalige Zeit nicht.

*) Nicht bloß um die Zähne zu reinigen. Man kaut noch jetzt das Harz des Mastixbaumes im Orient wegen seines Wohlgeschmackes.

Sehr charakteristisch ist die Bemerkung, dass die Sklaven kräftiger seien als ihre Herren und die Taglöhner gesünder als die Besitzer. Diese Degenerierung hängt zum Teil gewiss mit der Gourmandise der Bewohner Alexandriens zusammen, die nur ausgesuchte, insbesondere importierte Leckerbissen begehrten. Sollten die in dem Speisezettel aufgeführten Gerichte auch einem kulinarischen Opus entnommen sein, aus dem auch des Klemens Zeitgenosse Athenäus schöpfte, wer es machen konnte, hat sich die leckeren Sachen jedenfalls kommen lassen: Die Aale vom Fluss Mäander, die Kitzlein von Melos , die Pfriemfische von Skiathos, die Riesenmuscheln von der Meerenge von Messina (vom Vorgebirge Pelorum), die Austern von Abydos, die kleinen Salzfische von Lipara, die Rübe von Mantineia, das Gemüse von Askra, die Kammuscheln von Methymna, die attischen Buttfische, die Lorbeerdrosseln, die Schwalbenfeigen von Attika, wegen ihrer rostbraunen Farbe so benannt, Geflügel vom Phasis, Haselhühner aus Ägypten, medische Pfauen. Wenn das auch kein Menu darstellt, es muss auf tatsächliche Verhältnisse gemünzt sein; denn Klemens fügt ausdrücklich bei, dass der Mund der Schlemmer nach solchen Delikatessen lechze.

War doch Alexandria in jener Zeit die klassische Stätte feiner Küche, das Dorado für Feinschmecker, und nicht gab es auf der Erde, in des Meeres Tiefen und in luftigen Höhen, was sie nicht ihrem Gaumen dienstbar machten, deren liebstes Geräusch zischende Pfannen waren und deren Lehen sich zwischen Mörser und Mörserkeule abspielte. Sogar das Brot entmannten sie — man meint den Pfarrer Kneipp selig wettern zu hören — , indem sie das Nahrhafte vom Weizen absonderten. Gierig benützte man die mannigfachen Gelegenheiten an den Tafelfreuden sich zu letzen bei den Mahlzeiten. Frühstücken, Einladungen. Solchen Schmausen bei denen es hoch herging (Brühen, Saucen), wagten einige — aus christlichen Kreisen jedenfalls — den Namen „Liebesmahle" zu geben, profanierten also durch Schwelgerei die heilige Institution, deren eigentlicher Zweck die geistige Gemeinschaft war, die eine sein sollte.

Natürlich drängte sich eine Menge von Schmarotzern an die Tische der Reichen. zumal ja in jenen Zeiten jeder persönlich Geladene das Recht hatte einen Ungeladenen mitzubringen. Gute Bekannte und Spaßmacher sowie die . . . fanden sich ohnehin von selbst ein. Für dies Gesindel finden sich bei Klemens verschiedene Namen: Stubenfliegen, schon bei Homer ein Bild zudringlicher Keckheit. Marder, Gladiatoren, die wie die Athleten furchtbare Esser waren.

Nachdrücklich rät Klemens den Christen von der Teilnahme an den Veranstaltungen ab. Was versteht er aber darunter? Aus den Worten . . . . . ist der Schluss zu ziehen, dass die Blutspenden an oder auf den Gräbern der Toten gemeint seien, dasselbe also, was Pindar als . . . . bezeichnet. Aber von den so geopferten Tieren durfte nichts verzehrt werden, auch von den Heiden nicht. Die blutleeren Kadaver wurden verbrannt, die Asche vergraben. Klemens fährt indessen fort: . . . . . . deutet also auf wirkliche Mahlzeiten hin, zitiert auch das bekannte: „Nicht was zum Munde eingeht . . . ." Man muss sich also doch wohl dareinfinden, auch hier die . . . . als mit Schmausereien verbundene Götzen-, Dämonenopfer zu verstellen. wenn nicht am Ende die . . . . gemeint sind, die Leichenmahle, die gleich nach dem Begräbnis am Grabe (auch im Hause des Toten) stattfanden. 1) Sonstigen Einladungen der Heiden zu folgen war den Christen nicht verwehrt (160, 16 und vgl. Kor. I, 10. 25 und 27). wenn auch nicht empfohlen. Bildungsschulen waren ja diese heidnischen Bankette nicht, denn der Ton dabei war gerade nicht der beste, wie die Tischregeln beweisen, die Klemens zu geben sich veranlasst sah. Wenn er im Anschluss an Musonius seinen Abscheu gegen Leute ausdrückt, die vor lauter Essgier sich vom Polster aufheben und auf die Schüsseln herunterneigen, dass sie das Gesicht fast auf die Platten legen um den Bratenduft mit der Nase einzusaugen, die mit den Händen in den Süßigkeiten wühlen, wie Hunde oder Schweine bei der Fütterung beide Backen zugleich füllen, dass ihnen die Adern im Gesichte anschwellen und der Schweiß herunterrinnt, die Speisen in den Magen hinunterstoßen, als wäre er ein Reisesack, die in ihrer Gier Hand, Speisesofa und Kinn beschmutzen, mit vollen Backen sprechen, zugleich essen und trinken, so wirft das kein günstiges Licht auf die Manieren der Alexandriner von damals, auch wenn wir annehmen, dass Klemens aus Gründen der Erziehung die Farben etwas dick aufgetragen habe. Das kosmopolitische Alexandrien, das so lange auch an dem luxuriösen Hofleben der Ptolemäer ein verführerisches Beispiel hatte, ähnelt, was Auswüchse der Tafelfreuden betrifft, ganz der römischen Welt, die im Gegensatz zu dem feineren und verhältnismäßig stets einfacher gebliebenen Hellas das Plumpbäurische und Parvenümäßige niemals ganz verleugnen konnte.

1) Marquanrt. Das Privatleben der Römer, S. 378 mit Anni. 10 u. 11. Vgl. auch Rohde, Psyche 3 1903, S. 231: „Die Seele des Verstorbenen galt als anwesend, ja als Gastgeber."

Ganz interessant ist, was dem Sittenprediger selbst als einfacher Speisezettel von gesundheitsfördernder Abwechslung erscheint, wenn er auch die Gerichte wieder aus Musonius und Plutarchs Moralia zusammenliest: Zwiebeln, 1 ) Oliven, einiges Gartengemüse, Milch, Käse, Früchte, allerlei Gekochtes ohne Brühe, etwas gebratenes oder gesottenes Fleisch, Honigwaben und noch ein bisschen was zum Knuspern. Engherzig ist das gerade nicht, selbstverständlich meint aber Siemens auch nicht, dass man das alles auf einem Sitze durchessen müsse.

Man schlug aber in Alexandria nicht bloß im Essen eine gute Klinge, sondern war auch sehr trinkfreudig. Der Weinmarken, die man liebte, war Legion, importierter hauptsächlich: Chierwein, Ariusier, die beste Sorte von Chios, Thasier. Lesbier, Kreter, Syrakusier, Xaxier, eine besonders bukettreiche Sorte aus italischen Landen (nach dem Schol. Falerner); daneben ein einheimisches Gewächs, der Mendesier u. s. w. Schwer wurde gezecht, auch in ungemischtem Wein. Mit Kränzen um Kopf und Hals, den Weinkrügen gleichend, wie Klemens boshaft bemerkt, wankten bei den Gelagen Halbtrunkene auf einander zu und bespieen sich gegenseitig beim Freundschaftstrunk. Trotzdem man noch voll Katzenjammer war. Verwildert und bläulich-fahlen Angesichts, fing man gegen Morgen von neuem zu zechen an und setzte auf den Rausch von gestern einen neuen. Zahlreiche Abbildungen aus hellenistisch-römischer Zeit bestätigen uns, dass Klemens hier nicht übertrieben hat. Die Gier beim Trinken tadelt er wiederholt scharf, geißelt, dass man große Quantitäten in einem Zuge mit gurgelndem Geräusche hinabschüttete, Kleid und Kinn besudelte, da man sich den Inhalt der Trinkschalen förmlich über das Gesicht goss.

*) Sie entlocken dem entsetzten Schol., der offenbar ein Zwiebelfeind war, den komischen Ausruf: . . . . . .
**) Der Schol. belehrt uns, dass die Kränze den Stricken verglichen sind, mit denen die (unten in eine abgestumpfte Spitze auslaufenden) Weinamphoren in die Höhe gezogen und aufgehängt wurden (Bild bei Guhl und Koner S. 272).


Sehr bedenklich war es, dass man auch der Jugend, Knaben und Mädchen, das Gift des frühreif machenden Weingenusses gestattete. Das schwache Geschlecht aber scheint nach Klemens an Trinkfreudigkeit dem starken wenig nachgegeben zu haben. Auch die Frauen gossen aus weiten Bechern den Wein hinab, den Kopf zurücklegend und die Kehle reckend, rülpsten und betranken sich wie die Männer.

Die Alexandriner waren auch beim Mahle ein stets unruhiges, bewegliches Volk. Man schwatzte viel, hastig und mit Überstürzung. Nicht bloß in Worten gab man den Sklaven beim Servieren Befehle, sondern tat auch durch Pfeifen, Zischen, Schnalzen mit den Fingern und ähnliche Signale seine Wünsche kund. Das Kichern der Weiber tönte in der Männer lautes Gelächter, man gestikulierte beim Konversieren lebhaft mit den Händen, schlug die Beine ungeniert übereinander, stützte das Kinn mit der Hand, spuckte fortwährend aus, räusperte und schneuzte sich, stocherte in den Zähnen, kitzelte die Ohren und bohrte in der Nase, um sich zum Niesen zu reizen. 1) Dabei hatte man einen förmlichen Hunger nach Wohlgerüchen und verwendete in flüssiger und trockner Form, als Puder und Räucherwerk zahllose Sorten von Parfüms, Ölen, Salben, Pomaden: von einer Blume gewonnen (Schob), von dem Erfinder (. . . ) benannt wie . . . von der Erfinderin Plangon (wohl die Athen. XIII. 558 b, 567 e erwähnte Athenerin), ägypt. . . . ein ausländisches Fabrikat, ferner Lilienöl, Zyprusblütenöl, das besonders kostbare Nardenöl, Rosenöl u. s. w. Man erfand in diesem Artikel täglich neues, spritzte alles an, räucherte alles ein, Kleider, Decken, Zimmer, selbst die Nachttöpfe, Blumen, Wurzeln und Kräuter fanden in Alexandrien, wo die tüchtigsten und berühmtesten Ärzte zuhause waren, vielfache Verwendung. Klemens, der mit Vorliebe medizinische Winke und Ratschläge gibt, 1) empfiehlt wohlriechende Öle gegen Katarrh, gegen Erkältung, Übelbefinden. Die Ärzte ließen, wenn das Gehirn kalt war, die Brust und die Nasenwurzel mit starkduftenden Ölen einreiben, Epheu galt als kühlendes Mittel, Nussblätter wirken als Narkotikum, auch die Narzisse betäubt die Nerven, Krokos- und Zyprusblüten lullen in Schlaf, der frei von Schmelzen ist, Rosen- und Veilchendüfte lindern Kopfschmerz. Der Lilienbalsam hat ähnlich wie das Narzissenöl allerlei gute Eigenschaften; er erwärmt, bewirkt Leibesöffnung, fördert die Verdauung, feuchtet an putzt aus, weicht auf, bringt die Galle in Pluss. Das Myrthenöl verstopft und hält die Gase zurück, Rosenöl kühlt. Die heutige Wissenschaft mag ja manche dieser Behauptungen belächeln, damals waren sie gang und gäbe.

Als Freund der Musik würzte der Alexandriner seine lärmenden Gelage mit Flötenspiel und dem Klange der Saiteninstrumente, erfreute sich auch sonst an Reigen und pantomimischen Tänzen, insbesondere an den üppigen Kastagnettentänzerinnen. An den orgiastischen Festen des Dionysos lärmte man mit Zymbel und Tympanon. Als Sinnenkitzel empfand man auch die klagenden und gebrochenen Weisen der karischen Muse, mit denen nach Plat. Mietlinge die Toten zur letzten Ruhe geleiteten. Eine beim Beschälen der Rosse geblasene Flötenweise hatte den Namen . . . .

Einen bösen Ausblick auf die sexuellen Verhältnisse bieten die oft und oft wiederkehrenden zornigen Klagen des Kirchenlehrers. Man sieht, wie notwendig für die verrottete und in zügelloseste Genussucht versunkene Welt die vom Christentume verschriebene Fastenkur war. Einzelne Andeutungen mögen hier genügen.

Der Alexandriner lebhaftes und ungeniertes Wesen trat auch im Verkehr der Geschlechter zutage. Wenn verheiratete Männer ihre Frauen vor den Domestiken küssten, wenn sich Freunde und Bekannte ganz ungezwungen auf offener Straße umarmten, so ist das ja nicht so schlimm; man lies sich eben gehen. Auch dahinter braucht man nichts zu suchen, dass die Leutchen, redselig und mitteilsam, wie sie waren, gerne Gesellschaft aufsuchten. Sehr beliebte Zusammenkunftsorte waren die Bäder. Als Arten für die . . . der Frauen gibt Klemens feste und trag-, transportierbare an. Nur so kann man meines Erachtens die einfach-klaren Worte des Klemens verstehen trotz der beträchtlichen Gelehrsamkeit, die Potter hier verschwendet. Man hatte gemauerte Badehäuser (Thermen) und bewegliche, leichte, nur mit durchsichtigen Musselinvorhängen verhüllte Badezelte. Die nach römischer Sitte auf Bäder sehr erpichten Frauen (man badete öfters des Tages und schwächte sich so, dass man sich durch einen . . . . stützen lassen musste) hielten in den Thermen ihre Kränzchen ab, schleppten Koch- und Trinkgeschirre mit, schmausten und tranken, ja betranken sich tüchtig, stellten protzig ihr Silberzeug aus, um ihren Reichtum zu zeigen. Aber auch die armen Weiber, die es sonst nicht so gut hatten, nahmen an den Bädern gleichen Anteil: jedoch nicht aus Humanität und sozialem Mitleid ließen die reichen sie zu, sondern damit sie diesen armen Teufeln, die über den zur Schau gestellten Reichtum verblüfft den Mund aufrissen, ihre Kurmacher zeigen konnten, die sich in der Nähe lüstern herumtrieben. Man hatte übrigens auch für Männer und Frauen gemeinsame eine Unsitte, die ja auch in Rom trotz aller Verbote nicht ausgerottet werden konnte. Ein Tross von Sklaven befand sich in Begleitung der Badenden; sie hatten die Aufgabe, ihre Herren abzugießen und abzutrocknen.

Durch den eifrigen Besuch der Turnschulen, die ja meist mit dem Badehause verbunden waren, bewiesen Alexandrias Bewohner, dass das hellenische Ideal einer harmonischen Vereinigung doch nicht völlig erstorben war. Dafür hat Klemens sehr viel Verständnis. Auch den Frauen empfiehlt er körperliche Übungen, zwar nicht den Ringkampf und Wettlauf, aber — das Wollespinnen, das Mitzugreifen in Küche und Seiler, das Bedienen der Handmühle, eine wirklich schwere körperliche Arbeit, das Ausklopfen und Aufschütteln der Teppiche und Betten. Man sieht, dass der sonderbare Schwärmer da nicht auf der Höhe seiner Zeit stand.

Die Männer betrieben noch die uralten Leibesübungen, wenn man auch wohl wie in Rom die eigentliche Kraftmeierei der professionellen Athletik und Aerobatik überlies, spielten mit dem kleinen Balle, tummelten sich in der Sonne beim Phainindaspiele , das vom Schol. mit den Worten erklärt wird: andere begnügten sich auch mit einem Spaziergang aufs Land oder mit einem Bummel in der Stadt, wenn sie nicht etwa ihre Unterhaltung in Würfelspiel bei hohem Einsatz suchten, wobei die sechsseitigen Würfel und die länglichen, vierseitigen, in zwei rundliche Endflächen auslaufenden Astragalen zur Verwendung kamen. Wieder andere lungerten unter nichtigem Geplauder in den Barbierstuben und Weinbutiken herum.

Größte Anziehungskraft übten natürlich die Schaustellungen in Theater und Rennbahn, Mimen, Pantomimen, Gladiatorenkämpfe, und nicht selten kam es bei solchen Gelegenheiten zu Aufruhr und Totschlag. Der alexandrinische Pöbel, der ja im Krawallieren allen anderen voraus war, griff bei dem geringsten Anlasse zum Stein und Knüttel. Das griechische Element stellte dabei die Vansen. 1) Bei den Schauspielen, auf die auch die Frauen sehr erpicht waren, ging es mehr als ungeniert zu, da man das meiste Gefallen an erotisch-zotigen Stücken fand und die Possenreißer kein schamloses Wort ungesagt ließen.

Manch räudig Schäflein unter den Christen würdigte sogar den Besuch der Kirche zum sinnlichen Vergnügen herab und missbrauchte den Friedenskuss in lüsterner Weise, indem es küsste, dass es nur so patschte. Selbst beim Weggang aus der Kirche, wo man eben noch das hohe Lied der Unsterblichkeit gesungen hatte, trällerte man in ungezügelter Lebenslust die leichtfertigen Reime.

*) Vgl. Mommsen, röm. Geschichte V, S. 583.
**) Ständiger Ausdruck für die Mimen; vgl. Reich, Der König mit der Dornenkrone, Neue Jahrb. 1904, X, S. 726, Anm. 1.


Nimmermüde geißelt Klemens die Allüren des alexandrinischen Weibervolkes, das in Gang, Haltung und Blick etwas Theatralisches habe (273 . 31 ff.) , gebrochene Bewegungen annehme wie beim Tanze und sich geriere als stehe es auf der Bühne; durch üppige Bewegungen, weichen Gang, gekünstelte Modulation der Stimme und kokette Liebesblicke ködere es die Männer. Sassen diese Dämchen in der Sänfte, so schlugen sie aller Ehrbarkeit vergessend die Vorhänge zurück, wechselten dreiste Blicke mit den flanierenden Männern, neigten sich in schlüpfriger Lebhaftigkeit heraus. Andere machten sich interessant, indem sie Mastix kauend promenierten, mit ihren Haarnadeln aus Schildkrot oder Elfenbein in den Locken wühlten und den Vorübergehenden zulächelten. Die Zofen scharmutzierten natürlich mit ihren Herrinnen um die Wette.

Die reichen Schwelger stolzierten mit gehobenem Nacken einher, die Begegnenden fixierend, nach Art der Komödianten auf der Bühne, sodass die Leute mit Fingern auf sie zeigten (276, 24). Wenn sie im Gedränge vom Trottoir hinabgestoßen wurden, ließen sich die traurigen Kerle, die wunder wie energisch aussahen, durch ihre Sklaven wieder Platz machen.

War außen nichts los, so trieb man zuhause allerlei Kurzweil. In hellen Haufen fanden sich die modischen Stutzer in den Häusern der emanzipierten Frauenzimmer ein und suchten diese und sich zu amüsieren. Sehr freie Reden führten sie da zum Pläsir der Zuhörerinnen, kichernd und lispelnd erzählten sie ihnen den lieben langen Tag allerlei pikanten Klatsch, wobei es ihnen auch auf eine dicke Lüge nicht ankam. Waren solch amüsante Besuche gerade nicht zu erwarten, so ließen sich die müßigen Weiber in ihren Sänften in den Tempeln herumtragen um zu opfern und die Wahrsager zu befragen. Da trieben sie sich mit Bettelvolk aller Art herum, mit schwindelhaften entmannten Kybelepriestern alten Vetteln, die ein Gewerbe daraus machten. Unglück in die Familien zu tragen. Mit Inbrunst hörten sie beim Becher das Altweibergezischel an und lernten Zaubersprüche hersagen und Liebestränke zu brauen. Wem fiele hier nicht das Kartenschlagen ein, das Wahrsagen aus dem Kaffeesatze, schlimmste Giftbluten des großstädtischen Pfuhles, wie sie in unseren Zentren der Intelligenz üppig gedeihen? Damals war Aphrodite zur Straßenfigur geworden, allenthalben herrschte Perversität. Seelenverkäufer und Menschenhändler machten ausgezeichnete Geschäfte. Das altrömische Gesetz, das widernatürliche Unzucht mit dem Tode des Lebendigbegrabenwerdens ahndete, war längst vergessen, Verbrechen wider das keimende Leben, Kindsaussetzung alltäglich geworden.

Sehr wohl ist es zu verstehen . wie gerade auf alexandrinischem Boden ein Mann wie der Gnostiker Karpokrates *) erstehen und Anhang finden konnte. Dieser Thomas Münster des Altertums brachte den Christen viel Schaden durch die berüchtigten Liebesmahle, die zu förmlichen Orgien des Aphroditekults ausarteten. In seine Fußtapfen trat sein Sohn Epiphanes, ein Schwärmer, der den Kreis seiner Anhänger wieder zum Heidentum herabzog und nach seinem frühzeitigen Tode in Same auf Kephallenia als Gott verehrt wurde.

Daneben finden wir in Alexandrien auch das andere Extrem vertreten in den Marzioniten, die sich sogar der Ehe enthielten um dem Allbezwinger Tod nicht neue Opfer zuzuführen. Bremens fordert dagegen die Ehe als gottgewollt zur Erhaltung der Familie und des Staates und vertritt deren strengste und hehrste Auffassung. — Doch das geht schon über den Rahmen unserer Aufgabe hinaus.

Wer all das kulturgeschichtliche Material, das uns Klemens in seinem Paedagogus bietet, überschaut, der wird sich wohl, wenn er mehr dem lachenden Philosophen Demokritos gleicht, bei Betrachtung der menschlichen Tragikomödie kaum des Lächelns enthalten können, da ja viele der beweglichen Klagen mutatis mutandis ganz gut noch auf unser 1700 Jahre entferntes Zeitalter passen. Wer freilich mehr dem Herakleitos nachgeraten ist, den wird Trauer, wenn nicht ein heimliches Grauen erfassen vor dem Gedanken, dass menschliche Torheit und Lasterhaftigkeit, von der Zeit unberührt, die Dauer im ewigen Flusse der Dintre darzustellen scheinen.

001. Alexandrien

001. Alexandrien