Zehn Jahre Hausschwester.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: E. S. (? - ?) Schwester, Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Schwester, Krankenschwester, Pflegekraft, Ausbildung, Kinderpflege, Kindergarten, Kindergärtnerin, Altenpflege, Feierabendhäuser, Lebensabend
Zehn Jahre bin ich nun Hausschwester. Da sei es mir einmal vergönnt, dass mein Mund übergeht von dem, was mein Herz erfüllt. Und mein Herz ist voll; einmal von der Freude an meinem schönen Beruf, und dann von dem Verdruss darüber, dass er noch immer so wenig bekannt ist. Zehn Jahre trage ich nun schon die braune Tracht, und immer wieder begegne ich der Frage: „Hausschwester?— Was ist denn das?“

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Vor zehn Jahren fragte ich genau so, als mich meine Eltern nach Pankow in das neugegründete Heim brachten. Es lag damals in der Hartwig Straße und war recht winzig klein und gar nicht imponierend. Ich hatte mir so sehnlich gewünscht, Schwester zu werden. Aber da ich hoch aufgeschossen und blutarm war, fürchtete unser alter Hausarzt, dass die großen Anstrengungen und die Luft im Krankenhaus meinem Körper unzuträglich sein und ihn für Ansteckungsstoffe empfänglich machen könnten. Die besorgten Eltern sahen daher in ihrer Ängstlichkeit schon ihr einziges Töchterchen an Lungentuberkulose dahinsiechen und weigerten sich entschieden, meinen Wunsch zu erfüllen. Etwas Anderes zu werden, lehnte ich wiederum meinerseits ab, und so verging nach meiner Schulentlassung ein Jahr voller Unruhe und Zweifel. Da lasen meine Eltern einen Aufsatz über die „Hausschwester“ und brachten mich nach Pankow. Mein Staunen war nicht gering, als ich statt der erwarteten Krankenbetten kleine Säuglingskörbchen vorfand und ihre Insassen betreuen musste. Das Windelspülen war mir zwar anfangs peinlich; aber bald sah ich ein, dass es gleichfalls zur richtigen Säuglingspflege gehöre. Es war auch gar nicht so schlimm, wie mir denn überhaupt die Beschäftigung und das fröhliche Leben im Hausschwesternheim recht wohl gefielen. Auch als ich dann aus der Abteilung für Säuglingspflege zu den „Krabbelkindern“ kam und mich im Kindergarten betätigen durfte, machte mir die Arbeit viel Freude, wenn sie mir auch manchmal schwerfiel. Aber immer noch wollte es mir nicht einleuchten, weshalb wir jungen Mädels, die wir Kinder pflegten oder den Haushalt erlernten, deshalb auch „Schwestern“ werden sollten. Schwestern! Das waren für mich immer die Frauen gewesen, die zu ihrem Beruf die Krankenpflege gemacht haben. Was hatte die Bezeichnung denn mit uns zu tun? Zwar trugen wir unser kleines Häubchen mit großem Stolz; aber der tiefere Grund für das Tragen dieses Abzeichens der Schwesterntracht ging mir erst in den Berufsstunden auf. Da lernte ich, dass die Schwestern ursprünglich sich viel mehr mit Armenpflege, Erziehung verlassener Kinder und ähnlichen Aufgaben beschäftigt haben, dass es also erst ein in der Neuzeit entstandener Irrtum sei, ausschließlich Krankenpflege für die Berufsaufgabe der Schwestern zu halten. Beschäftigen sich doch gerade die Schwestern religiöser Orden und Verbände, also die ersten, die diesen Namen trugen, noch heute ebenfalls mit der Pflege alter, siecher Leute, der Wartung und Erziehung von Kindern und all der hauswirtschaftlichen Fürsorge, die damit verbunden ist. Es wurde mir in diesen Unterrichtsstunden klar, dass es beim Schwesternberuf nicht auf das „Was“, sondern auf das „Wie“ der Arbeitsleistung ankommt, dass jede Arbeit Schwesternarbeit wird, wenn sie mit schwesterlicher Freudigkeit, Hilfsbereitschaft, Selbstlosigkeit geschieht. Diese Erkenntnis warf ein ganz neues Licht auf unsere Ausbildung und weckte in uns den Eifer, nach bestandener Prüfung als wirkliche „Schwester des Hauses“ in fremde Familien zu ziehen. Dieser Eifer ist in mir bis heute noch nicht erkaltet. Wo ich in den zehn Jahren auch gewesen bin, immer war ich bestrebt, in diesem Sinne zu wirken, und immer ist nur meine Arbeit als etwas Hohes, innerlich Befriedigendes erschienen, dem auch äußere Anerkennung nicht fehlte. Viel Liebe habe ich geben und ernten dürfen. Viel Freude habe ich erlebt an der guten körperlichen und geistigen Entwicklung meiner Pfleglinge. Gibt es denn überhaupt etwas Interessanteres, als das Erwachen des kindlichen Geistes zu beobachten von der ersten Regung im Lächeln des Säuglings bis zur bewussten Selbstzucht des Heranwachsenden jungen Menschen? Das aber ermöglicht der Beruf einer „Hausschwester für Kinderpflege“. Während die Säuglingspflegerin nur die Entwicklung des ersten Jahres, die Kindergärtnerin nur die der späteren Lindheitsjahre im Bereich ihrer Tätigkeit zu begleiten und zu behüten Gelegenheit hat, kann die Hausschwester ihre Zöglinge von den ersten Tagen bis weit in die Schuljahre hinein behalten. Sie kann das Kind also nicht bloß körperlich pflegen, sondern ihm auch seelisch die Lebensrichtung weisen, die es nie wieder ganz aufgibt. Welch eine große Verantwortung und welch weittragende Wirkung ihrer Arbeit!

Schwer wurde es mir daher, der ununterbrochenen Tätigkeit an den jungen Menschlein zu entsagen, als meine liebe Mutter daheim meine Hilfe brauchte. Dabei lernte ich einen neuen Vorteil der Hausschwesternschaft kennen. Denn ich war nicht zum Austritt gezwungen, sondern behielt die Zugehörigkeit als außerordentliche Schwester mit der Bedingung, in jedem Jahre sechs Wochen in einem fremden Hause zu arbeiten. Diese Arbeitszeit legte ich mir immer so, dass ich im Anschluss daran gleich die Schwesterntage im Mutterhause erleben konnte. Diese sind stets besonders schön und fördernd. Es tagt dann der Schwesternrat und beschließt über die aus der Schwesternschaft eingebrachten Wünsche und Vorschläge. In den Schwesternversammlungen werden Berufsfragen erörtert, wichtige Vorkommnisse besprochen, Berichte erstattet. Auch belehrende und anregende Vorträge werden uns geboten. Das Schönste ist aber entschieden die Ernennungsfeier, die den Schluss dieser Tage bildet. Die nach Beendigung ihrer Ausbildung geprüfte Lehrschwester muss mindestens ein Jahr als Probeschwester tätig sein, ehe sie in die vollen Rechte der „ordentlichen Schwester“ treten darf. In erhebender Feier legt sie das Versprechen ab, „stark, wahr und treu“ in schwesterlichem Sinne zu leben und zu wirken, und empfängt mit der Ernennung zur „ordentlichen Hausschwester“ das Abzeichen der Schwesternschaft. Eine solche Feier ist immer erhebend, und keine Schwester, die ihr Versprechen dabei mit Handschlag und den Worten: „Ja, ich will!“ bekräftigte, wird diese Augenblicke vergessen.

Wie fest die einzelnen sich mit dem Ganzen verbunden fühlen, beweist die treue Anhänglichkeit der verheirateten Schwestern und die Tatsache, dass eine schon lange leidende Schwester von ihren trauernden Eltern in der Hausschwesterntracht bestattet wurde, „weil sie diese so geliebt habe“.

Ja, wir lieben alle unsere braunen Schwesternkleider und unser lichtes, freundliches Mutterhaus, das, mitten in Gärten gelegen, reich an Licht und Sonnenschein ist, so wie es die Herzen der leitenden Personen sind, die es birgt. Zwar denken wir „Alten“ noch oft des kleinen, winkligen und doch so traulichen früheren Heims, indem wir damals aufgenommen wurden. Aber wir sind stolz darauf, dass uns nach dem beschwerlichen Umzug ein so viel schöneres Haus in der Breiten Straße, dem Rathause gegenüber, zur Verfügung steht. Wohn- und Esszimmer sind freilich für die heutige Schwesternzahl schon wieder etwas eng, aber die übrigen Räume, besonders die querdurch das ganze Haus reichende Lehrküche sind praktisch und schön. Hell und licht ist es hier auch an den dunkelsten Wintertagen. Und zur Weihnachtszeit hantieren die Lehrschwestern „für Haushalt und Küche“ noch einmal so flink mit roten Wangen. Trotz der Knappheit der Lebensmittel lernen sie noch immer etwas Wohlschmeckendes, Auge, Nase und Zunge Erfreuendes herbeischaffen. Darin besteht ja doch erst die wahre Haushaltungskunst, mit geringen Mitteln eine ansprechende Kost herzustellen. Das Zusammenhalten dieser Mittel ist Gegenstand des Unterrichts in Buchführung und Haushaltungskunde. Auch die Ausbildung in den theoretischen Fächern, sei es Kinderpflege oder Haushalt, bietet den Lehrschwestern viel geistige Anregung. Ich war nicht wenig erstaunt, als bei allen Hantierungen von mir verlangt wurde, dass ich nicht bloß über das „Wie“, sondern auch über das „Warum“ Auskunft geben sollte. Meine gute Mutter hatte sich damit begnügt, zu zeigen, dass dies oder das eben so und nicht anders gemacht würde. Nun wurde das Interesse dafür geweckt, nach dem „Warum“ zu fragen, darüber Klarheit zu bekommen, in welchem Zusammenhang Ernährung, Heizung, Lüftung mit dem Gesundheitszustand stehen und anderes mehr. Die ärztlichen Unterweisungen waren besonders lehrreich. Auch der bürgerkundliche Unterricht fesselte mich lebhaft. An den Stunden der Haushaltabteilung nahm ich nur wenig teil. Doch weiß ich, dass dort nach dem Lehrplan für geprüfte städtische Hausbeamtinnen unterrichtet wird, den der Verband für hauswirtschaftliche Frauenbildung (Vorsitzende Frau Hedwig Heyl und Dora Martin) herausgegeben hat. Unsere Lehrschwestern werden neben der theoretischen Ausbildung noch mehr als die Hausbeamtinnen praktisch geschult. So werden sie zum Beispiel vier Wochen in einem von der Anstalt abgezweigten kleinen Haushalt beschäftigt, in dem sie selbständig arbeiten lernen, was ihnen stets große Freude macht. Sie erwerben sich dadurch eine wesentlich größere Sicherheit, ehe sie einen Posten in fremdem Haus oder in Anstalten übernehmen. Auch in letzteren arbeiten unsere Schwestern vielfach, wenn ihnen die Gebundenheit, wie sie das Zusammenleben in einem Familienhaushalt mit sich bringt, weniger zusagt. Mir haben die kontraktlich durch das Mutterhaus gesicherten Freizeiten immer genügt, und ich hätte das Familienleben nicht entbehren mögen. Aber die Bedürfnisse sind ja verschieden, und der Hausschwesternberuf trägt den verschiedensten Anlagen Rechnung. Selbständige Naturen erwählen lieber die Tätigkeit als Hebammen- und Wochenschwester, oder sie werden hauswirtschaftliche Gemeindehelferin. Wenn ich lange meinen elterlichen Haushalt geführt und Sicherheit in hauswirtschaftlichen Arbeiten gewonnen haben werde, entschließe ich mich wahrscheinlich auch für diesen Zweig hausschwesterlicher Tätigkeit. Denn er gestattet der Schwester, sich ihr eigenes kleines Heim zu gründen, und erweist sich immer mehr als ein wirklich „fühlbares Bedürfnis“. Die hauswirtschaftliche Gemeindehelferin geht tage- und stundenweise in jeden Haushalt ihres Wohnortes, in dem man ihrer Hilfe bedarf. Sie betreut hier alte Leute, dort kleine Kinder; heute hilft sie beim Ausbessern, morgen beim Einkochen. Überall wird sie freudig empfangen als freundlicher Nothelfer solcher Familien, deren Geldmittel ihnen nicht erlauben, sich dauernd die heute so teueren und doch so notwendigen Hilfskräfte zu halten. Gerade diese abwechslungsreiche Tätigkeit ist sehr befriedigend. Und wenn ich einst alt und schwach geworden bin, hoffe ich einen friedlichen Lebensabend im Kreise befreundeter Schwestern, die in kleinen Feierabendhäusern versorgt werden, verbringen zu können. Für Feierabendhäuser wird schon eifrig gesammelt, obgleich wir noch keine versorgungsbedürftigen Schwestern haben. Aber „der kluge Mann baut vor“, und die kluge Hausschwester tut desgleichen. Es wäre ein schöner Erfolg meiner Zeilen, wenn ein freundlicher Leser uns ein passendes Haus mit Garten in schöner Gegend nachweisen würde. Wir würden ihm alle recht dankbar sein.

In der Küche des Mutterhauses
Hausschwestern als Kindergärtnerinnen,
Bei der Säuglingspflege
Gesellige Abendunterhaltung in der Hausschwesternschule Berlin-Pankow.

Soziales, Gesellige Abendunterhaltung in der Hausschwesternschule Berlin-Pankow

Soziales, Gesellige Abendunterhaltung in der Hausschwesternschule Berlin-Pankow

Soziales, Bei der Säuglingspflege

Soziales, Bei der Säuglingspflege

Soziales, Hausschwestern als Kindergärtnerinnen

Soziales, Hausschwestern als Kindergärtnerinnen

Soziales, In der Küche des Mutterhauses

Soziales, In der Küche des Mutterhauses