3. Über indische Zahnheilkunde.

Die zeitliche Beurteilung der ersten Anfänge der indischen Medizin stößt auf große Schwierigkeiten.

Trotz der Fülle der vorhandenen Sanskritliteratur lassen sich Zeitangaben nur schätzungsweise machen. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Schriften der indischen Ärzte nicht als Produkt ihrer eigenen Studien, sondern als Sammelwerk der ganzen bis dahin bekannten Medizin aufzufassen sind; der einzelne Schriftsteller ist gewissermaßen der Schlussstein einer oft tausendjährigen Entwickelungsperiode.


Die ersten Angaben über Medizin befinden sich in der vedischen Literatur.**)

Diese Zeitperiode kann man als Vorstufe der indischen Medizin betrachten. Hexenmeister und Zauberer bekämpfen mit geheimnisvollen Sprüchen und Tränken die Krankheitsdämonen.***)

Das Ende dieser Epoche und der Anfang einer wissenschaftlichen von Ärzten ausgeübten Heilkunde ist ungefähr in das 4. Jahrhundert v. Chr. zu setzen.

Die altbuddhistische Medizin des Mahavagga, eines Werkes jener Zeit, erwähnt zum ersten Male die 3 Kardinal-Grundsätze, aus denen der menschliche Organismus zusammengesetzt ist:

1. Wind (vayu, vata),
2. Galle (pitta),
3. Schleim (slesman, kapha).

In dem Vorhandensein der drei Grundsäfte liegt das Rätsel des Lebens, denn ohne sie kann kein Mensch bestehen.****) .

*) Siehe Anm. a. Schluss d. Arbeit.
**) Hillebrandt, Grdr. d. indo-arisch. Philologie n. Altertumsk. II 1 b, § 50—53 und III 2, § 92. Im Ganzen vergleiche Jolly, Medizin der Inder im Grundriss III 10.
***) Kansika Sutra.
****) Susruta ed. Jib. Vidyasagara, 3. Aufl. Calcutta 1889.

Auf dieser Basis baut sich eine bis auf das kleinste sich erstreckende medizinische Wissenschaft auf, die trotz des in neuester Zeit einwirkenden englischen Einflusses noch heute den Grundstein der indischen Volks-Medizin bildet.

Die alten Sanskrittexte: Susruta, Caraka, Madhavanidana und Astangasamgraha u. a. m. enthalten nun eine solche Fülle von Angaben über Zähne, Zahnbehandlung etc., dass es am vorteilhaftesten ist, den gesamten Stoff technisch übersichtlich zu ordnen.

Die altindische Medizin (ayurveda) zerfiel in 8 Unterabteilungen, von denen eine die große, eine andere die kleine Chirurgie umfasste.*)

Die große Chirurgie (salya) behandelt das Ausziehen von Fremdkörpern, den Gebrauch von scharfen und stumpfen Instrumenten, das Ätzen und Brennen, sowie die allgemeine Wundbehandlung.**)

Die kleine Chirurgie (salakya) umfasst alle Erkrankungen des Kopfes und zerfällt in mehrere Spezialabteilungen.

1. Die Lehre vom Ausschneiden,
2. Die Lehre vom Einschneiden,
3. Die Lehre vom Scarifizieren,
4. Die Lehre vom Sondieren,
5. Die Lehre vom Ausziehen,
6. Die Lehre vom Ausdrücken,
7. Die Lehre vom Nähen.

Eine weitere Zweigabteilung der Erkrankungen des Kopfes bilden die Mundkrankheiten (mukharoga), die wiederum in 7 Unterabteilungen zerfallen:

A. Die Erkrankungen der Lippen,
B. Die Erkrankungen des Zahnfleisches,
C. Die Erkrankungen der Zähne,
D. Die Erkrankungen der Zunge,
E. Die Erkrankungen des Gaumens,
F. Die Erkrankungen des Halses,
G. Die Erkrankungen der ganzen Mundhöhle.

An derartigen Erkrankungen werden genannt:

ad A.

Die Lippen werden durch Störungen der drei Grundsäfte oder des Blutes, Fleisches oder Fettes rau, hart, steif, schmerzhaft, gelb, rot, geschwollen etc., es entsteht ein Ausschlag, oder es bilden sich Würmer, Eiter, wässriger Ausfluss u. s. w.***)

*) Susruta ed. Jib. Vidyasagara, 3. Aufl., Calcutta 1889, I 8 ff. Trendelenburg, de vet. Indorum chirurgia, Berlin, Diss. 1866.
**) Häser, Geschichte der Chirurgie 3 — 5, Breslau 1879. Susruta ed. Jib. Vidyasagara. 3. Aufl., Calcntta 1889, I 3 ff.
***) Madhavanidana ed. Jib. Vidyasagara, Calcutta 1876, 337— 61. Nidana 206 ff.

ad B.

1. sitada = Skorbut.
2. dantavesta = Entzündung des Zahnfleisches mit blutiger Eiterung.
3. saisira = Schmerzende Geschwulst an den Zahnwurzeln.
4. mahasaisira = Brandige Entzündung des Zahnfleisches.
5. paridara = Aufspringen, Bluten des Zahnfleisches.
6 upakusa = Entzündung des Zahnfleisches mit hässlichem Geruch aus dem Munde.
7. vaidarbha = Geschwulst an den Zahnwurzeln durch Verletzung derselben.
8. khalivardbana = Überzähliger Zahn.
9. karaladanta = Hervorstehender Zahn.
10. adhimamsaka = Geschwulst am Weisheitszahn.
11. dantamulagata nadi = Zahnfistel.

ad C.

1. dalana = Zahnweh.
2. krmidantaka = Wurmzahn (Karies).
3. bhanjanaka = Abbrechen der Zähne.
4. dantabarsa = Empfindliche Zähne.
5. dantasarkara = Zahnstein.
6. kapalika = Harter, perniciöser Zahnstein.
7. syavadantaka = Braune, brandige Zähne.

ad D.

Die Zunge ist vom Wind aufgesprungen und gefühllos, von Galle heiß und mit rötlichen Erhöhungen bedeckt; vom Schleim schwer und dick und mit derartigen Auswüchsen übersät.

1. alasa = Eine starke Schwellung auf der Zunge mit Eiterung an der Zungenwurzel (Glossitis).
2. upajihva= Eine Geschwulst wie eine zweite Zunge (Ranula).

ad E.

1. galasundi = Geschwollene Mandeln.
2. tundikeri = Abszess an den Mandeln.
3. adbrusa = Rote schmerzhafte Geschwulst mit Fieber.
4 kacchapa = „Schildkröte“ = Eine schmerzlose Geschwulst (Hypertrophie!) der Mandeln.
5. talvarbuda = Geschwulst in der Mitte des Gaumens.
6. mamsasamghata = „Fleischanschwellung“ = Schmerz loser Tumor.
7. pupputa = Schmerzlose Geschwulst von der Größe einer Beere.
8. talusosa = Gaumenentzündung.
9. talupaka = Abszess am Gaumen.

ad F.

Hals leiden gehören nach heutiger Anschauung nicht mehr zur Zahnheilkunde und werden deshalb hier nicht aufgeführt.

ad G.

sarvasara = Pusteln über den ganzen Mund verbreitet, schmerzend oder schmerzlos. Sie zerfallen nach ihrer Entstehung in 3 Grupper, in die vom Wind, von der Galle und vom Schleim,*)

II. Gegen die von A bis G aufgeführten Erkrankungen werden folgende Behandlungsarten angegeben:

Bei Erkrankungen der Lippen werden Salben, Gurgelwasser, Blutegel und lokale Wärme verwendet.

Affektionen des Zahnfleisches werden mit Blutentziehung, Pflastern und Herausschneiden des verdorbenen Fleisches an den Zahnwurzeln behandelt.

Hierbei werden kranke oder überzählige Zähne, gleichviel, ob sie locker oder fest waren, gezogen und die Wunden ausgebrannt.

Gegen Zahnweh wurden lauwarmes Gurgelwasser, Abkochungen, Erwärmungen, Räucherungen und Nasenmittel empfohlen.

Der Zahnstein wurde ohne Beschädigung der Zahnwurzeln entfernt, lockere Zähne wurden gezogen.

Bei allen Zahnerkrankungen wurde der Genuss von sauren Früchten, kaltem Wasser, trockenen und harten Speisen verboten.

Desgleichen wurde davor gewarnt, das übliche Stöckchen, das zur Reinigung der Zähne diente, zu kauen. Hierzu kann bemerkt werden, dass das Kauen der Zahnstöckchen noch heute in Indien allgemein üblich ist.**)

Die erkrankte Zunge wurde mit ätzenden Gurgelwässern, Skarifizierung, Räucherungen und Nasenmitteln behandelt.

Geschwollene Mandeln sowie alle Gaumengeschwülste wurden herausgeschnitten oder skarifiziert.

*) Literatur -Verzeichnis zu Abteilung A bis G:
a) Caraka ed. K. Debendra Nath Sen and K. Upendranath Sen (Calcutta 1897), 26, 67 f.
b) Susruta ed. Jib. Vidyasagara, (3. Auflage, Calcutta 1889) 2, 16.
c) Astangasamgraha ed Ganesa Tarte (Bombay 1888) 6, 25.
d) Bhavaprakasa ed. Jib. Vidyasagara (Calcutta 1875) 2, 4, 135 f. f.
e) Vangasesa ed. Nandkumar Goswami Baidya (Calcutta 1894) 738 f. f.
**) G. Jolly, Grundriss der Indo-Arischen Philologie u. Altertumskunde (III, 10) Strassborg 1901, § 87.

Bei Affektionen des ganzen Mundes wurden salzige Pulver, Gurgelwasser und Nasenmittel angewendet.*)

III. Von den genannten Mund- und Zahnerkrankungen unterscheiden die Inder noch solche Zahnerkrankungen, welche erst als Neben- oder Folgeerkrankungen bei allgemeinen Krankheiten auftraten. Hierzu gehörten:

1. Das „Samnipatajvara“, eine Art Wechselfieber, das in seinem Verlauf die Zähne schwarz färbte. Dieses Fieber erreichte am 7., 10. und 12. Tage seinen Höhepunkt und verlief meist tödlich.**)

2. Das Schwarzwerden der Zähne, der Lippen und Nägel wurde ferner auch bei der Cholera beobachtet und galt als sicherer Todesbote.***)

3. Zu der genannten Krankheitsgruppe wurden dann noch die Windkrankheiten „vatavyadhi“ gerechnet. Hierzu zählte man diejenigen Krankheiten, die durch Störung der Winde in Folge von schlechter Nahrung eintraten, z. B. ****)

a) ardita = Gesichtslähmung, +)

b) hanugraha = Mundsperre, ++)

Die Gesichtslähmung wurde mit Einsalben des Gesichtes und mit gleichzeitigen Klystieren oder Abführmitteln behandelt.

*) Literatur zu den erwähnten Behandlungsarten:
1) Caraka ed. K. Debendra Nath Sen and K. Upendranath Sen (Calcutta 1897) 6, 26 (100—8).
2) Susruta ed. Jib. Vidyasagara (3. Aufl. Calcutta 1889) 4, 22.
3) Astangasamgraha ed. Ganesa Tarte (Bombay 1888) 6, 26.
4) Astangahrdaya ed. Kunte (2 ecl. Bombay 189;) 6, 22.
5) Vrndas Siddhayoga in Ansndasrama S. Series 27 (Poona 1894) 54.
6) Bhavaprakasa ed. Jib. VidyasagaTa (Calcutta 1875) 1 c.
**) 1) Caraka ed. K. Debendra Nath Sen and K. Upendranath Sen (Calcutta 1897) 6, 3, 50 ff. 2) Susruta ed. Jib. Vidyasagara (3. Auf. Calcutta 1881) 6, 39, 33 ff.
3) Astangasamgraha ed. Ganesa Tarte (Bombay 1888) 3, 2.
4) Astangahrdaya ed. Kunte (3 ed Bombay 1891) 32, 27 1 f.
5) Madhavanidana ed. Jib. Vidyasagara (Calcutta 1876) 34 ff.
5) Bhavaprakasa ed. Jib. Vidyasagara (Calcutta 1875) 2, 1. 70 ff.
6) Vangasena ed. Nandkumar Goswami Baidya (Calcutta 1894) 34 f.
***) Susruta ed. Jib. Vidyasagara (3. AnU., Calcutta 1889) 6, 562-4.
Madhavanidana ed. Jib. Vidyasagara (Calcutta 1876) 95 f.
Bhavaprakasa ed. Jib. Vidyasagara (Calcutta 1875) 2, 2, 24 f.
Vangasena ed. Nandkumar Goswami Baidya (Calcutta 1889) 196.
****) Madhavanidana 17, 1—87.
Caraka ed. K. Debendra 6, 28.
+) Susruta 2, 1, Astangasamgraha 3, 15.
Astangahrdaya ed. Knute (2 ed. Bombay 1891) 3, 15.
++) Vangasena 344 f. f.
Bhavaprakasa .... 2, 2, 138 ff.

Bei der Mundsperre wurde der Mund vom Arzte gewaltsam geöffnet. *)

IV. Eine dritte Gruppe von Zahnerkrankungen bildeten die Erkrankungen bei der ersten Dentition.

Der 14. Abschnitt des II. medizinischen Werkes der Bower hs. handelt nur von der Behandlung der Kinderkrankheiten „kumarabhrtya“. Als erster Kinderarzt wird darin Jivaka, ein Zeitgenosse Buddhas, genannt.

Als Hauptkinderkrankheit betrachtete man das Zahnen.

Fieber, Kopfweh, Durst, Schwindel, Triefäugigkeit, Asthma, Husten, Erbrechen, Durchfall und Rotlauf wurden als Folgen des Zahnens angesehen.**)

Der Beginn des Zahnens vor dem 8. Monat war ein schlechter Vorbote; nach dem 8. Monat dagegen war er ein Zeichen der Langlebigkeit und Gesundheit.

Man war allgemein überzeugt, dass ein zu frühes Zahnen durch die damit verbundenen Schmerzen eine normale Entwickelung des Kindes beeinträchtigen müsste.

In der Behandlung der in Folge des Zahnens erkrankten Kinder war man äußerst vorsichtig.

Die stärksten Mittel bestanden in Brechmitteln und Arzneien, die in kleinen Dosen verabfolgt wurden.

Die Ärzte waren der Ansicht, man müsste starke Medikamente schon deshalb von dem Kinde fernhalten, weil erfahrungsmäßig die betreffenden Krankheitserscheinungen nach dem erfolgten Durchbruch der Zähne von selbst verschwanden.

V. Durch die Fülle der Krankheiten und ihrer Behandlungsarten war natürlich ein ausgiebiger Arzneischatz und ein gutes und reichhaltiges Instrumentarium bedingt.

Die meisten Medizinen für Mund- und Zahnbehandlungen waren Ätzmittel ***) ; sie wurden „ksara“ genannt und bestanden aus den verschiedensten Potaschemischungen.

*) Susruta ed. Jib. Vidyasagara (3. Aufl., Calcutta 1889) 4,4.
Astangasamgraha ed. Ganesa Tarte (Bombay 1891) 423.
Astangahrdaya ed. Kunte (2 ed. Bombay 1891) 4, 21.
Bhavaprakasa ed. Jib. Vidyasagara (Calkutta 1875) 1 c.
Vrndas Siddhayoga in Anandasrama S. Series 27 (Poona 1894) 22.
**) Astangasamgraha .... 61, 179 f.
Astangahrdaya .... 62, 26 ff.
***) J. Jolly, Grundriss d. Indo-Arischen Philologie u. Altertumskunde (III. 10), Strassburg 1901, § 29.

Zur Herstellung einer solchen Mischung wurden Holz, Blätter, Wurzeln und Früchte von bestimmten Bäumen verbrannt und der Asche das 6fache an Wasser und Urin einer Kuh oder eines anderen Tieres zugesetzt. *)

Das Ganze wurde durch ein Tuch gesiebt und dann in einer großen Pfanne unter stetem Rühren abgekocht bis die Masse klar, rot, scharf und schleimig war. Jetzt wurde Muschelkalk zugesetzt und zum zweiten Male gesiebt und abgekocht**)

Das so zubereitete Ätzmittel wurde mit einem spitzen Instrument „salaka“ aufgetragen und musste so lange liegen bleiben, bis der Arzt 100 Worte gesprochen hatte. War nach dieser Zeit der damit behandelte Wundrand oder dergleichen schwarz geworden, so galt dies als Zeichen einer guten Wirkung der Ätzpasta.***)

Bei geschwürigen Erkrankungen des Mundes und der Zahnwurzelhaut wurde aus diesem Ätzmittel ein Mundwasser gebraut. Der Patient musste dasselbe so lange im Munde behalten, bis die Augen tränten und die Nase zu tropfen begann, sodann musste er die Losung ausspucken und eine neue in den Mund nehmen.****)

Ein anderes nach Zahnoperationen angewandtes Verbandmittel bestand aus Sesamsamen, Butter und Honig. Aus genannten Bestandteilen wurde ein Teig hergestellt, mit dem man die betreffende Backe bestrich. Auf den Teig legte man eine Kompresse, die durch ein fest um den Kopf gebundenes Tuch in seiner Lage gehalten wurde.

Vor allen Operationen und schmerzhaften Zahnbehandlungen wurde als Beruhigungsmittel Branntwein gegeben. Dagegen wurde der Genuss von Speisen stets ausdrücklich verboten.

VI. Unter den Instrumenten spielte das Messer die erste Rolle. Man hatte die verschiedenartigsten Formen im Gebrauch. So gab es Messer zum Einschneiden, zum Ausschneiden, zum Skarifizieren und zum Schröpfen. Bei Gaumengeschwülsten, besonders bei der sogenannten „rohen Geschwulst“, sowie bei einer Geschwulst im Gebiet des Weisheitszahnes wurde mit einem gebogenen Messer ein Stück der Geschwulst herausgeschnitten.

*) Susiruta ed. Jib. Vidyasagara (3. Aufl., Calcutta 1889) 1, 39.
**) Astangahrdaya ed. Kunte .... 1, 30.
***) Astangahrdaya ed. Kunte .... 1, 30.
Sasruta ed. Jib. Vidyasagara 1, 11.
Astaogasamgraha 1, 39.
****) Susruta 446.
Astangasamgraha 1, 31.
Astangahrdaya 1, 22.
Vangasena 78.

Bei Zahngeschwülsten anderer Zähne dagegen begnügte man sich mit einem raschen Einschnitt.

Lag die Erkrankung an der Zahnwurzel, so skarifizierte man die betreffende Zahnfleischgegend mit einem spitzen, nadelförmigen Instrument.

Zum Zahnziehen, sowie zur Entfernung von Zahnstein diente ein Instrument, genannt „dantasanku“ oder „dantalekhana“.

„Danta“ heißt Zahn und „sanku“ bedeutet einen zugespitzten Pflock, Stift oder Nagel, immer jedoch etwas Gerades mit einer Spitze.

Es kann sich hier nur um ein unserem „geraden Geißfuß“ ähnliches Instrument handeln.

Ein zweites, zum Zahnziehen verwendetes Instrument war der „vadisa“ oder richtiger „badisa“. Das Wort bedeutet zunächst „Fischhaken“ und ist dann ein Instrument mit gekrümmter Sitze. Da genanntes Instrument neben dem dantasanku Verwendung fand, handelt es sich hier offenbar um den gebogenen Geißfuß.

Über den Gebrauch des badisa heißt es bei Vagbhata, Astangahrdaya 1, 26, 19*):

„Ekadbaram catuskonam prabaddbakrti caikatah
dantalekhanakam tena sodhayed dantasarkaram

Diese Stelle heißt wörtlich:

„Mit einer Spitze, viereckig, an der einen Seite mit einem Griff (?) versehen, die Zähne aufritzend; damit soll man den Weinstein der Zähne entfernen.“

Aus den letzten Worten geht hervor, dass man den dantasanku auch zur Entfernung des Zahnsteins benutzte.

An einer anderen Stelle des Vagbhata**) (Astangasamgraha) heißt es:

„Atha dantanirghatanam caturangulam sarapunkhamukham sthulavritaprantam“,
„und den Zahnherausschaffer, der vierkantig ist und mit einer Spitze wie das Ende (punkha) eines Pfeiles (sara), am Ende dick und rund.“

Nun ist „punkha“ aber nicht, wie man erwarten sollte, die Spitze des Pfeiles, sondern dessen Fußende, mit dem er auf die Bogensehne aufgelegt wurde.

*) Brief des Herrn Pro! Dr. Jolly (Würzburg) vom 19. I. 1904 a. d. V.
**) Astangasamgraha .... 169.

Zweite weitere Spezialinstrumente waren die kutharika und vrihimukha, zwei scharfe Lanzetten, die zum Aderlass benützt wurden, gelegentlich auch bei Zahn- und Mundkrankheiten Verwendung fanden.*)

Neben dem Aderlass war besonders bei starken Geschwülsten auch das Setzen von Blutegeln „jalauka“ beliebt. Wenn Blutegel nicht zur Hand waren, so ersetzte man diese durch den Schröpfkopf. Zu diesem Zwecke ritzte man die Haut und setzte einen Flaschenkürbis auf, in dessen Inneres man einen brennenden Docht legte.**).

VII. Es ist natürlich, dass die zahlreichen Behandlungsarten, Arzneien und Instrumente an den Arzt verhältnismäßig hohe Anforderungen stellten. Es scheint darum wohl angebracht, hier einen kurzen Überblick über die ärztliche resp. zahnärztliche Ausbildung eines alten indischen Arztes zu geben.***)

Das Studium des Mediziners begann mit dem rein mechanischen Auswendiglernen der Lehrsätze „sutra“.

Beherrschte der Schüler diese zur vollen Zufriedenheit seines Lehrers, so begann derselbe mit der Erläuterung des Gelernten. Auch hierbei ging der Lehrer nur sehr langsam und vorsichtig weiter, wie dies aus einigen Sprüchen des Susruta hervorgeht, z. B.:

„Nur ganz verstandene Lehrsätze können nützen; verständnisloses Memorieren wäre ebenso unnütz, wie wenn ein Esel Sandelholz trägt, wobei er nur die Last spürt, ohne sich an dem Wohlgeruch zu ergötzen.“****)

War auf diese Weise die theoretische Ausbildung beendigt, so begannen die praktischen Übungen am Phantom. An Kürbissen, Gurken und Wassermelonen wurde das Einschneiden, Ausschneiden und Durchschneiden erlernt, an gefüllten Schläuchen und Blasen übte man das leichte Ritzen der Haut.

Zur Erlernung des Zahnziehens wurden die Zähne toter Tiere gezogen. Das Ausdrücken von Zahngeschwülsten erprobte man an einem Brett, das mit Wachs bestrichen war. *****)

*) Susiuta .... 1, 14 und 2, 18.
Artangahrdaya .... 1, 27.
**) Susruta 1, 18 und Astangahrdaya .... 1, c.
***) Caraka ed. K. Debendra Nath Sen and K. Upendranath Sen (Calcutta 1897) 3, 8, 2.
****) Susruta 1, 4 und 1 f.
*****) Jilius Jolly, Grdr. d. G.-A. Altertumsk , III. 10, § 18.
Puschmann, Geschichte d. med. Unterrichts, Leipzig 18—89, 615.
Susruta 1, 9..

War nach Ansicht seines Lehrers der junge Arzt zum Selbstpraktizieren reif, so musste er sich die Erlaubnis hierzu vom König holen. Durch diese Maßregel sollte den schon damals zahlreichen Kurpfuschern das Handwerk gelegt werden.*)

Der praktische Arzt, dessen soziale Stellung keineswegs beneidenswert war, hatte zur Grundlage einer Krankenbehandlung ein genaues Zeremoniell, von dem er nie abwich. **)

Von dem Moment an, wo der Bote des Kranken bei ihm eintraf, bedeuteten die geringsten Zufälligkeiten für ihn wichtige Vorzeichen.

Wurde nach den endlosen Zeremonien die Untersuchung des Kranken endlich eingeleitet, so begann dieselbe stets mit der Feststellung der Lebenskraft oder Langlebigkeit (ayus) auf Grund der einzelnen Körperteile. So galten Patienten mit großen Händen, Füßen, Zähnen usw. für leicht heilbar.***) Fand der Arzt dagegen bei seinen Patienten kleine Hände etc., so veranlasste ihn dies böse Vorzeichen gewöhnlich zur Umkehr.

Man denke sich einen Patienten mit heftigem Zahnweh, zu dem der gerufene Arzt kam und mit der Untersuchung der Langlebigkeit begann. Plötzlich entdeckte er ein böses Vorzeichen, brach sofort jede weitere Behandlung ab und kehrte unverzüglich in seine Wohnung zurück.

Waren die Vorzeichen zu einer Operation günstig, so wurde dieselbe stets mit einem Gebet und darauf folgenden bestimmten Zeremonien eingeleitet und auch beendigt.

VIII. Hiermit wäre der rein zahnärztliche Teil der indischen Medizin erledigt. Es bleibt noch übrig, diejenigen volkshygienischen Vorschriften anzuführen, welche die Pflege des Mundes und der Zähne betrafen.

Zu den täglichen Pflichten „dinacarya“ gehörte unter anderen eine zweimalige Reinigung der Zähne mit dem Zahnstöckchen. Diesen Zahnstöckchen ist in einem alten indischen Rechtsbuch ein ganzes Kapitel gewidmet.****) Sie wurden hergestellt aus den Zweigen ganz bestimmter Bäume und mussten einen scharfen, bitteren Geschmack haben. Der Geschmack spielte insofern eine große Rolle, als die Inder gewohnheitsmäßig an dem Stöckchen kauten. In dem genannten Werke werden viele Bäume genannt, deren Zweige man für nicht geeignet und schädlich hielt. Dem Holz gewisser Bäume schrieb man dagegen die wunderbarsten Wirkungen zu.

*) Astangasamgraha 10, 1 n. Dalianas Susruta-Commentar Jib. Vidyasagara (Calcutta 1889). **) Manu 4, 212. transl. by Jelly § 19.
Institutes of. Visnn 51, 10. tiansl. by Jolly § 19.
***) Susrnta ed. Jib. Vidyasagara (8. Aufl., Calcutta 1889) I 35.
****) The Institutes of Visnu transl. by Jolly (Oxford 1880) 61, 196-198.

So sollte z. B. Ficus indica dem Gesicht einen schönen Glanz verleihen, die Ficus religiosa dem Besitzer großen Reichtum verschaffen.

Die Zahnstöckchen besaßen eine Länge von 12 Zoll und dienten, bevor sie zerkaut wurden, zur mechanischen Reinigung der Zähne. Zu diesem Zwecke franste man das eine Ende pinselförmig aus und benutzte diesen Pinsel als Zahnbürste. Hierbei galt die strenge Vorschrift, sich ja vor einer Verletzung des Zahnfleisches zu hüten, da solche starke Entzündungen nach sich zog.

War die Zahnreinigung beendigt, so wurde die Zunge mit einem Schaber .jihvanirlekhana“ abgeschabt und zum Schluss der ganze Mund mit kaltem Wasser ausgespült.*)

Fernerbin ölte man beide Ohren, um sich vor Ohrenleiden, Steifheit des Halses und vor der Mundsperre zu schützen.*)

Ein wahres Heer von derartigen alle möglichen Organe betreffenden Vorschriften sorgte dafür, dass selbst der reiche Müßiggänger den ganzen Tag Beschäftigung fand.

*) Caraka ed. K. Debendra Nath Sen and K. Upendranath Sen (Calcutta 1897) 1,5 and 1,4. Astangahrdaya ed. Kunte (8 ed. Bombay 1891) 1,2—1,4.
Astangasamgraha ed. Ganesa Tarte (Bombay 1888) 1,3, 1,5, 1,8.
Vrndas Siddhayoga Anandasrama S. Series 27, (Poona 1894) 81.
Bhavaprakasa ed. Jib. Vidyasagara (Calcutta 1875) 1, 1, 89 ff.