Wohnungsnot und raumsparende Möbel. Mit vierzehn Bildern.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1922
Autor: P. F. Dörr., Erscheinungsjahr: 1922

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wohnungsnot, Wohnungsbau, Möbel, Einrichtung, Kaufkraft, Geldentwertung, Sparen, Verzicht, Wohnungsluxus, Teuerung, Hygiene, Ansprüche, ,
Dass es an Wohnungen fehlt, müssen Tausende, die sich ein Heim gründen möchten, zu ihrem Leidwesen immer wieder erfahren. Wenn es einmal gelingt, eine Zwei- oder Dreizimmerwohnung zu erhalten, dann fehlt es doch nicht selten an den nötigen Mitteln zur Anschaffung von Möbeln, denn die Geldentwertung führte zu einer Verminderung der Kaufkraft in allen Schichten unseres so hart bedrängten Volkes. Der Zwang zum Sparen nötigt eben zu Einschränkungen und bringt es mit sich, dass man auf vieles verzichten muss. Dies wird bei der Einrichtung einer Wohnung besonders hart empfunden. Fehlt aber im Heim eine gewisse Behaglichkeit, so leidet darunter das gemeinsame Leben not. Zu alledem kommt noch als besonders verschärfend, dass schon vor den Zeiten der jetzigen Verarmung die Ansprüche an die Wohnungseinrichtungen allgemein höher geworden waren, und dass sich eine Steigerung im Geschmack herausgebildet hatte. Man darf behaupten: es gab sogar in den mittleren Schichten einen gewissen Wohnungsluxus.

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Der Verzicht fällt also jetzt deshalb umso schwerer. Und doch muss mit den durchaus veränderten Umständen gerechnet werden. Nun fällt den Menschen nichts schwerer, als sich zu allgemein herkömmlichen Auffassungen in Widerspruch zu setzen. Man möchte besitzen, was andere Leute vor der allgemeinen Teuerung noch leicht erwerben konnten, bringt aber den Mut nicht auf, sich zu bescheiden, und leidet so doppeltunter widrigen Verhältnissen, die man doch nicht zu ändern vermag. Welchen Kampf hat es gekostet, die sogenannte „gute Stube“ zum Verschwinden zu bringen! Meist opferte man diesem falschen Ideal das größte und beste Zimmer der Wohnung, benützte die kleinsten sonnen- und luftarmen ungesunden Winkel als Schlafräume und verbrachte das gemeinsame Leben in der Wohnküche. Man fand es unmöglich, keinen „Salon“ oder Empfangsraum zu haben, der doch nur höchst selten betreten wurde. Hier hatte das Kleinbürgertum von anderen Ständen etwas übernommen, das mit den eigenen Lebensgewohnheiten in geradezu lächerlichem Widerspruch stand. Hygieniker und Ärzte wurden nicht müde, gegen diese Unsinnigkeit aufzutreten, die der erste und sehnlichste Wunsch der jungen Frauen der letzten Generationen gewesen ist. Ohne ein „schönes Zimmer“ kam man sich armselig und unstandesgemäß vor. Das unbequeme Sofa, das weder zum Sitzen noch zum Liegen diente, und den davorstehenden runden oder ovalen Tisch und ein halbes Dutzend Sessel musste man notwendig haben, sonst galt man nicht für gut eingerichtet. Das im Grunde höchst überflüssige Empfangszimmer verschwand aber doch allmählich, und man nahm den sonnigsten Raum als Schlafgemach.

Nun zwingt die Not zu neuen Formen des Wohnungswesens, und man findet sich nicht leicht in die viele treffende Zwangsforderung, in demselben Raum wohnen und schlafen zu müssen. Gewöhnlich nimmt man an, dass alles immer so gewesen ist, wie man es bisher zu haben pflegte. Sieht man sich jedoch in der Vergangenheit um, so findet sich diese Auffassung nicht bestätigt. Heute fühlt man sich peinlich berührt, wenn man daran denkt, es könnte uns jemand besuchen wollen, während wir im Bett liegen. Im achtzehnten Jahrhundert wäre es keinem Menschen eingefallen, daran Anstoß zu nehmen. Bis in die höchsten Kreise gehörte es zum „guten Ton“, im Bett ruhend Besuche zu empfangen, dabei Tee oder Schokolade zu trinken und zu plaudern. Dabei war es nicht unbedingt nötig, dass der Raum, in dem das Bett stand, ausschließlich zum Schlafen diente. In Familien, die über mehrere Räume verfügten, standen die Betten meist der Länge nach an der Wand, aneinander stützend oder getrennt, daneben nicht selten ein Klavier oder Spinett, ein schöner Schrank, eine Kommode oder ein zierliches Kästchen. Über den Betten befand sich an einem Holzgestell ein mit buntem Stoff drapierter „Himmel“, der oben rechteckig oder pyramidenförmig gestaltet war. Während der Nachtruhe und am Tage konnten die Vorhänge geschlossen werden, und man empfand diese Schlafstätten durchaus nicht als Verunzierung des Zimmers, das man gleichzeitig sowohl zum Wohnen als auch zu geselligen Zusammenkünften benützte. Nicht selten blieb das Stoffgehänge dieser Betten aber auch am Tage offen; die Kissen bewahrte man in einem anderen Raume auf oder ließ sie irgendwo „sonnen“. Man braucht also nicht anzunehmen, diese Art, zu leben, sei ohne weiteres als unhygienisch abzutun. Solange man in vornehmen Kreisen an dieser Einrichtung festhielt, fanden es auch die Angehörigen der bürgerlichen Schichten für richtig, die Betten im Wohnraum aufzustellen, ohne befürchten zu müssen, deshalb geringer eingeschätzt zu werden.

In früheren Jahrhunderten gab es überhaupt keine Bettstellen, dagegen standen breite Truhen an den Wänden, in denen untertags das Bettzeug aufbewahrt wurde. Schlief man nicht, so dienten die Truhen zum Sitzen. Einst gab es auch in die Wände eingebaute Bettkasten, die man im Winter wie einen Schrank verschließen konnte oder mit einem Vorhang verdeckte. Betten dieser Art finden sich noch häufig in alten Bauernhäusern.

Dass man schon früher unter Raumnot litt, beweist eine nicht geringe Zahl eigenartiger praktischer Möbel, die sich ihrer handwerklichen Schönheit wegen bis heute erhalten haben. So brachte man an Tischen Klappenteile an, die mit einem Handgriff ermöglichten, die Platte zu vergrößern. Es gab auch Tische, deren in Scharnieren bewegliche Füße als Stützen von Verlängerungsteilen der Platte dienten. Klappen, die sich in mannigfacher Weise an kleinen Tischen, an Fensterbrettern oder an der Wand davor anbringen tasten, könnten oft der Raumnot abhelfen. Man erinnere sich der Klapptische an den Fenstern der Eisenbahnwagen und in den Wagen der Speiseabteile.

Als man im Anfang des vorigen Jahrhunderts aus den gleichen Gründen wie jetzt sparen musste, kamen die vorher so beliebten stoffumhängten „Himmelbetten“ zu teuer. Man ging deshalb zu einfachen Bettstellen über, die man nun allerdings im Wohnraum nicht mehr gerne offen stehen lassen wollte. Wie unsere erste Abbildung zeigt, half man sich auf eine Art, die übrigens da und dort auch vor dem Kriege noch zu finden war. Man legte ein Brett über das Bett, das an den Seiten, wo das Gestell frei stand, mit einer herabhängenden Decke verkleidet wurde. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert gab es auch Himmelbetten, die oben keine Stoffdecke besaßen: infolgedessen konnte die Luft auch dann leichter eindringen, wenn die das Bett umgebenden Vorhänge geschlossen waren.

Neuerdings hat man nun, wohl davonausgehend, eine Art „Bettschrank“ erdacht. In diesem Falle wird das Bett der Länge nach an die Wand gestellt. Die Schmalseiten am Kopf- und Fußende sowie die vordere Längsseite, die aus zwei Türen besteht, haben unten und oben einen Gesimsabschluss. In die Flächen dieser Schranktüren können unten Felder mit Holzfüllungen eingefügt und in die oberen Flächen Glasscheiben eingesetzt werden mit dahinter aufgespannten Vorhängen. Geschlossen macht dieser Umbau, wenn er die nötige Höhe hat, den Eindruck eines Bücherschrankes, in dem niemand ein Bett verborgen vermutet. Selbstverständlich bleiben während der Nacht die Türen offen, und da beim Fehlen einer Abschlussplatte auch während des Tages die Luft freien Zutritt findet, besteht kein wesentlicher hygienischer Einwand gegen diese „Maskierung“ des Bettes. Wer nur ein Zimmer hat, wird sich damit zu helfen vermögen.

Aus dem achtzehnten Jahrhundert hat sich ein eigenartig verborgenes Bett aus dem Zimmer eines Gelehrten erhalten, der als Junggeselle auch nur über einen Raum verfügte. Die Wände fast bis zur Decke füllend, standen Bücherschränke in seinem Zimmer. Niemand vermutete ein Bett darin. Und doch war ein Teil der Schränke eine bequeme Schlafstätte. Auf einem starken Brett außen angebracht befanden sich vom Buchbinder angefertigte Scheinrücken von Büchern. Klappte man diesen, zwischen den Bücherschränken befindlichen Teil herab, so enthielt er innen eine Matratze und darauf ein mit Gurten befestigtes Bett. Seitlich angeordnete Stützen dienten als Füße. Dass man sich auch in unseren Tagen bemüht, raumsparende Möbel anzufertigen, zeigt, dass gleiche Ursachen immer gleiche Folgen haben. Wenn es auch vor 1914 allerlei Kombinationsmöbel gab — so die bekannten großen Polsterstühle und Sofas, die sich in Betten verwandeln ließen —, so sind nun doch noch verschiedene Stücke dazugekommen, die in erweitertem Maße bestimmt sind, der Raumnot abzuhelfen und Geld bei der Anschaffung von Möbeln zu sparen. Der heute durchschnittlich herkömmlichen Art der Zimmereinrichtung angepasst ist das „Schlafbüfett“ einer unserer Abbildungen, dessen einfach zu handhabender Mechanismus ermöglicht, das Büfett in ein Doppelbett zu verwandeln. Der untere Teil des Mittelstückes enthält die Matratze, das Keilkissen und alles, was sonst noch zum Bett gehört; die schmalen, hohen Seitenschränke sind zur Ausnahme von allerlei Hausrat, Tassen, Gläsern und Tellern geeignet, ebenso die oben befindlichen drei kleineren Abteilungen, welche mit Glastüren versehen sind. Ein weiteres Einrichtungsstück dient je nach Bedarf sowohl als Näh- und Schreibtisch wie auch als Wasch- und Frisiertoilette. Auch dieses Möbel ist im Gebrauch handlich und bequem; wenn es geschlossen ist, verrät es in keiner Weise seine verschiedenen Gebrauchsmöglichkeiten, aber im Innern enthält es außer einer herausnehmbaren Waschschüssel noch Vertiefungen zum Ablegen von Seife, Zahnbürste, Kamm und dergleichen, die aufgeklappte Platte weist einen dreiteiligen Spiegel auf. Der davor stehende Hocker mit aufklappbarem Deckel enthält einen herausnehmbaren Nähkasteneinsatz, unter dem auch die Flickarbeit noch unauffällig geborgen werden kann. In dem „Säulentisch“ mit dem kastenartigen Unterbau befindet sich ein versenkbares Servierschränkchen. Es kann auf Wunsch eine dem Raume angepasste Kochkiste oder ein Kocher darin untergebracht werden.

Dieser Büfettumbau ist noch in anderer Weise eingerichtet zuhaben, und zwar als Garderobeschrank für Herren und für Damen mit Hut- und Schuhabteilungen, aber auch als Bücher- oder Wäscheschrank. Das Schlafbüfett ist jedoch auch in äußerlich anderer Form gebaut worden. Ebenfalls werden recht sinnreich erdachte Kleinmöbel mit ausziehbarem Bett hergestellt. So gibt es einen gut aussehenden Schreibtisch, dessen mittlerer Teil das Bettgestell enthält, und einen Lehnstuhl- oder Klubsessel, der mit Leder- oder Stoffbezug geliefert wird und mit ein paar Handgriffen als Bett hergerichtet werden kann. Eigenartig konstruiert ist eine Kredenz, die sich gleichfalls in ein Bett verwandeln lässt.

Unsere vierte Abbildung zeigt ein Zimmer mit sehr sinnreich erdachten modernen Raumnotmöbeln. Mit wenigen Handgriffen und in nur einigen Minuten ist aus einem eleganten Wohnzimmer ein hübsches Schlafzimmer geworden, das alle Möbel und Gegenstände, deren man zur Nachtzeit bedarf, enthält. Das mit Arm- und Rückenlehnen versehene Sofa wird zum Bett, indem man das Sitzpolster herausnimmt, die Unterlage verändert und Betttuch und Decke, die sich in einem Kasten befinden, der in den Sitz des Sofas eingebaut ist, darüber legt. Die Seitenpolster dienen im Bett als Kissen. Der in der Mitte des Zimmers stehende Tisch birgt in seinem Innern, sowohl unter der aufklappbaren Platte wie auch in dem hohlen Fuß, den man aufschließen kann, das notwendige Waschgerät, und auch der Hocker links auf dem Bild eistein praktisches Schlafzimmermöbel, während der Schreibtisch zur Hälfte eine Kommode und der Bücherschrank zur Hälfte ein Kleiderkasten ist.

Dass man vor mehr als hundert Jahren raumsparende „Verwandlungsmöbel“ hergestellt hat, ist aus einer unserer Abbildungen ersichtlich.

In jeder zahlreicheren Familie ist es eine große Sorge, wenn für heranwachsende Kinder Bettstellen angeschafft werden sollen. In solchen Fällen erweist sich das neue „Reform“ Kinderbett als wertvoll. Zunächst dient es mit eingehängten Seitenwänden als Gitterbett für die Kleinsten. Wachsen diese heran, dann kann man es nach Herausheben der eingehakten Seitenwände leicht um zwanzig Zentimeter verlängern. Sind die Kinder ganz erwachsen, oder soll dieses Bett auch rasch einmal einen Gast aufnehmen, dann braucht nur die zweite Verlängerung eingeschaltet zu werden, um das Bett für einen Erwachsenen brauchbar zu machen. So gibt es also verschiedene Möglichkeiten, beim Ankauf von Möbeln zu sparen und sich in beschränkten Räumen, ja sogar in einem Zimmer, doch so einzurichten, dass eine gewisse Behaglichkeit nicht entbehrt zu werden braucht.

Stube in Blankenese mit eingebauter Bettnische um 1800. Aus dem Altonaer Museum.
Ostenfelder Diele mit eingebauter Bettnische. Aus dem Museum zu Altona.
Bürgerliches Wohnzimmer der Biedermeierzeit mit einem brettbedeckten Bett und einem zuklappbaren Waschtisch. Nach einem Aquarell aus dem Jahre 1820.
Moderne Raumnotmöbel. Links, am Tage: Schreibtisch mit Hocker, Büfett und Tisch; rechts, am Abend: Frisier- und Waschtoilette, davor Nähkästchenschrank, Bett und Servierschrank.
Kredenz mit ausziehbarem Bett. Links: am Tage; rechts: in der Nacht.
Raumsparendes Bett mit Fächern und Klappen. Links: am Tage; rechts: in der Nacht.
Schreibtisch mit ausziehbarem Bett. Links: in der Nacht; rechts: am Tage. Links: weißlackiertes Kinderbett; rechts: dasselbe Bett, für Erwachsene verlängert. Das Bett ist in verschiedenen Holzarten, aber auch in Metallausführung zu haben.

Wohnungsnot, Bürgerliches Wonzimmer der Biedermeierzeit mit einem brettdedeckten Bett und einem zuklappbaren Waschtisch, 1820

Wohnungsnot, Bürgerliches Wonzimmer der Biedermeierzeit mit einem brettdedeckten Bett und einem zuklappbaren Waschtisch, 1820

Wohnungsnot, Immer, das tags zu Wohn-, nachts zu Schlafzwecken benutzt werden kann

Wohnungsnot, Immer, das tags zu Wohn-, nachts zu Schlafzwecken benutzt werden kann

Wohnungsnot, Kredenz mit ausziehbarem Bett, Links am Tag, rechts in der Nacht

Wohnungsnot, Kredenz mit ausziehbarem Bett, Links am Tag, rechts in der Nacht

Wohnungsnot, Links, weißlakiertes Kinderbett, rechts dasselbe Bett für Erwachsene verlängert

Wohnungsnot, Links, weißlakiertes Kinderbett, rechts dasselbe Bett für Erwachsene verlängert

Wohnungsnot, Moderne Raumnotmöbel, Links am Tage, Schreibtisch mit Hocker, Bufett und Tisch, rechts am Abend, Friesier- und Waschtoilette davor  Nähkästchenschrank, Bett und Servierschrank

Wohnungsnot, Moderne Raumnotmöbel, Links am Tage, Schreibtisch mit Hocker, Bufett und Tisch, rechts am Abend, Friesier- und Waschtoilette davor Nähkästchenschrank, Bett und Servierschrank

Wohnungsnot, Ostenfelder Diele mit eingebauter Bettnische, Aus dem Museum zu Altona

Wohnungsnot, Ostenfelder Diele mit eingebauter Bettnische, Aus dem Museum zu Altona

Wohnungsnot, Raumsparendes Bett mit Fächern und Klappen, Lieks am Tage, rechts in der Nacht

Wohnungsnot, Raumsparendes Bett mit Fächern und Klappen, Lieks am Tage, rechts in der Nacht

Wohnungsnot, Schreibtisch mit ausziehbarem Bett, links in der Nacht, rechts am Tag

Wohnungsnot, Schreibtisch mit ausziehbarem Bett, links in der Nacht, rechts am Tag

Wohnungsnot, Stube in Blankenese mit eingebauter Bettnische um 1800, Aus dem Altonaer Museum

Wohnungsnot, Stube in Blankenese mit eingebauter Bettnische um 1800, Aus dem Altonaer Museum