Wohnungsnot der Studenten

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1922
Autor: Dr. F. Wal., Erscheinungsjahr: 1922

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Studenten, Bettelstudenten, Universitätsstädte, Wohnungsnot, Kleinbürgerkreise, Mittelstand
Nach den letzten Erhebungen an unseren Universitäten ergab sich, dass der Zudrang zum Studium aus den Kreisen des verarmten Mittelstandes immer noch verhältnismäßig hoch ist. Es kam aber auch zutage, dass über ein Drittel der Studierenden über weniger Mittel verfügt, als zum allerbescheidensten Dasein unumgänglich notwendig sind. So erwies sich in Tübingen von den studierenden Söhnen, deren Väter Angestellte aus Handel- und Industrie sind, ein hoher Prozentsatz als unterstützungsbedürftig. Unter den Söhnen, deren Väter Beamte ohne akademische Bildung sind, können vierzehn Prozent ohne Unterstützung nicht leben. Bei Volksschullehrern und Handwerkern sind es zehn und acht Prozent der Söhne, die nicht einmal das Mindestmaß zur Existenz von den Eltern erhalten können. Wir stehen vor zwei großen Gefahren. Entweder wird ein Bettelstudententum herangezogen, wie dies leider in Österreich der Fall ist, oder der Reichtum allein gewährt in Zukunft die Berechtigung zum Studium.

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Die Söhne aus Kleinbürgerkreisen, die unter den Nachwirkungen der Kriegsverhältnisse am meisten gelitten haben, finden in ihrer Not keine Möglichkeit mehr, um an ein Studium denken zu können. Dieser Zustand ist aus vielen Gründen im höchsten Grade bedenklich. Unter dem schwer auf dem einzelnen lastenden Druck dieser beklagenswerten Verhältnisse griff man an vielen Orten zur Selbsthilfe. So hat man in Berlin der Wohnungsnot durch die Errichtung von Wohnbaracken abzuhelfen gesucht, wie unsere Abbildungen zeigen. Welches Maß von Entsagung gehört dazu, in solchen Buden die Jahre des Studiums zu verbringen! Und doch ist es begrüßenswert, dass solche Opfer gebracht werden, denn in einem modernen Staatswesen muss Raum sein für die Entfaltung aller Kräfte, zu seinem Aufbau sind Menschen aus allen Schichten nötig und nicht zu entbehren.

Wenn heute in studentischen Kreisen das Wort fällt, man wolle jemand „auf die Bude steigen“, so kann dies in Berlin, oder wo man sonst noch Baracken errichtet hat, leicht wörtlich befolgt werden. Es ist kein Trost in unserem Elend, dass die damit gleichbedeutende Redensart „jemandem auf die Bude steigen“ aus einer Zeit stammt, in der die Not zu gleichen Einrichtungen wie jetzt in Berlin führte. In den berühmtesten und von weither besuchten Universitätsstädten des Mittelalters fanden die Studenten oft keine Unterkunft; denn die Städte waren klein, von Mauern eingeengt und stark übervölkert. Die Einwohner mussten sich in kleine Häuser eingepfercht meist übel genug behelfen. Kamen dann noch viele Studenten zugereist, so fanden sie kaum das elendeste Obdach. Die Bürger verlangten hohe Mieten, und so kam es nicht selten, dass die Studenten in nicht geringer Menge auf der Straße oder in Kneipen lagen.

Im sechzehnten Jahrhundert lebten über die Hälfte der Stadtbewohner in Mieträumen. Wo die Not es gebot, errichtete man in den Höfen der Häuser Bretterbuden, die nicht viel über mannshoch angelegt wurden. In solchen hundehüttenartigen Ställen brachten einst viele junge Leute ihre Werdejahre zu. Oft hausten in einer solchen „Bude“ mit drei engen Räumen sechs Studenten zusammen, und jeder zahlte dafür drei Gulden Miete — ein für jene Zeit hoher Betrag. Nichts war damals leichter, als „jemandem auf die Bude zu steigen“. Unsere Hoffnung ist, dass unsere Jugend auch dieses Elend überwinden wird, so wie es einst in tiefer Not geschehen ist.

Das Innere der Studentenwohnung.
Die Studentenwohnbaracke im Kasernenhof.

Studenten, Wohnbaracke im Kasernenhof

Studenten, Wohnbaracke im Kasernenhof

Studenten, Das Innere der Studentenwohnung

Studenten, Das Innere der Studentenwohnung