Wismar, Hansestadt in Mecklenburg

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 20. 1886
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wismar, Hansestadt, Mecklenburg, Ostsee, Schweden
Eine der ältesten und geschichtlich denkwürdigsten Städte Nieder-Deutschlands ist die einstige Hansestadt Wismar, von der wir auf S. 472 unseren Lesern eine von der Seeseite aus aufgenommene Ansicht bieten. Gelegen an der Südspitze einer Bucht, welche durch die Inseln Poel und Liepp wohlgeschützt und daher einer der besten und sichersten Häfen der Ostsee ist, steht noch jetzt Wismar mit seinen 16.000 Einwohnern von allen mecklenburgischen Handelsstädten nur Rostock nach.

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Noch immer lässt die ziemlich regelmäßig gebaute Stadt mit ihren vier Toren erkennen, dass sie früher befestigt gewesen, obwohl ihre Festungswerke schon im Jahre 1718 geschleift worden sind, überhaupt gewinnt der Fremde beim ersten Anblick den Eindruck, dass er ein an historischen Erinnerungen reiches Gemeinwesen vor sich hat, dessen ehemalige Bedeutung besonders die vier stattlichen Kirchen, die zahlreichen guten Lehranstalten, sowie die mannigfachen Vorrechte, deren sich die Stadt noch heutzutage erfreut, wie die eigene Gerichtsbarkeit, die eigene Flagge, die Hafen-, Strand- und Zollgerechtigkeit etc. wiederspiegeln. Drei von den Kirchen sind auch architektonisch bemerkenswert, namentlich die Marienkirche, im 13. Jahrhundert begonnen, mit einem 288 Fuß hohen Turm; die Georgenkirche, aus dem 14. und 15. Jahrhundert, und die Nikolaikirche aus dem 15. Jahrhundert mit reicher Ornamentik. Unter den übrigen öffentlichen Bauten sind noch hervorzuheben das mächtige alte Rathaus mit schönen Sälen und gotischem Kellergewölbe; der Fürstenhof von 1554, ehemals fürstliche Residenz, jetzt Sitz von Behörden, ein Meisterwerk der Renaissance; ferner die „alte Schule“, aus dem 14. Jahrhundert, und das hübsche Schauspielhaus. Die gewerbliche Tätigkeit ist sehr vielseitig und umfasst viele Fabriken, welche für die Ausfuhr arbeiten. Die beiden Jahrmärkte sind ungemein besucht und einer derselben war früher für den Welthandel sehr wichtig. Die Lehranstalten (worunter Gymnasium, Real- und Navigationsschule) erfreuen sich eines vorzüglichen Rufes. Die Entstehung der Stadt reicht in das 12. Jahrhundert zurück; Wismar erhielt 1229 das schwerinische, 1266 das lübische Stadtrecht, trat in den Hansabund und wurde eine bedeutende Stadt, die erst im 16. Jahrhundert wieder zurückging. Im Jahre 1301 kam es an Mecklenburg, 1376 verlor es gegen zehntausend Menschen an der Pest; im Westfälischen Frieden 1649 kamen Stadt und Herrschaft Wismar an Schweden und blieben schwedisch bis 1803, wo Schweden seinen Besitz an Mecklenburg-Schwerin um 1 ¼ Million Thaler verpfändete, der dann 1815 endgültig an Mecklenburg kam. Im 17. und 18. Jahrhundert hat die Stadt manche Kriegsdrangsale erlitten, von denen sie sich nur schwer erholte; aber neuerdings nimmt sie wieder einen erfreulichen Aufschwung.

Wismar von der Seeseite aus gesehen

Wismar von der Seeseite aus gesehen