Erstes Kapitel. Der außertropische Nordwesten

Die Verkehrslage dieses Gebiets, das Marokko, Algerien und Tunis umfasst, ist recht eigenartig. Die Nordküste, die ja dem Süden Europas unmittelbar benachbart ist, wird an einzelnen Punkten auch von dem in westöstlicher Richtung das Mittelmeer durchquerenden Verkehr aufgesucht, woraus sich das eigentümliche Verhältnis ergibt, dass seit einiger Zeit der Tonnengehalt der die Häfen von Algier anlaufenden fremden Schiffe den der französischen Fahrzeuge übertraf (1910). Dagegen hat die Westküste einen steigenden Anteil an dem Verkehr der den Atlantischen Ozean in nordsüdlicher Richtung kreuzenden Linien. Dieser blieb in dem angeführten Jahre in Marokko trotz der Rückständigkeit des Landes nur wenig hinter der Hälfte des algerischen Seeverkehrs zurück. Da der Westen dieses Teiles von Afrika an eigenen Erzeugnissen und an Handelsbedeutung die früher allein angelaufenen Inselgruppen dieser Meere übertrifft, so dürfte ein Teil der hier passierenden Dampfer in Zukunft regelmäßig Marokko aufsuchen. Denn hier gilt durchaus, was von der Rotemeerküste Ägyptens vorläufig nicht gesagt werden kann, dass das Hinterland eines gewissen Anreizes zum Anlaufen nicht entbehrt.

Obwohl die Häfen und Reeden des afrikanischen Nordwestens zum Teil der Bewältigung eines viel größeren als des bisherigen Verkehrs gewachsen sind, hat sich kein einziger von ihnen zum Range eines Welthafens zu erheben vermocht. Nicht einmal Algier als wichtigster Anlegeplatz von ihnen allen hat es zu einem Tonnenverkehr von mehr als 3.800.000 Tonnen netto (1912) gebracht. Dabei vermittelte ein sehr großer Teil dieses immerhin ansehnlichen Raumgehalts gar nicht den Ein- und Ausfuhrverkehr der französischen Kolonie, sondern entfiel auf die erwähnten, das Mittelmeer nur durchfahrenden Dampfer. Während aber die Häfen der Mittelmeerküste dem modernen Verkehr entsprechen, lässt sich das gleiche von den Häfen bzw. Reeden Marokkos noch in keiner Weise sagen. Selbst Tanger bedarf für stärkeren, in Zukunft zu erwartenden Verkehr noch erheblicher Veränderungen. Seine Lage zum wertvollsten Teile des Hinterlandes ist ebenso wie die von Rabat nach Kampffmeyer weit besser als diejenige von Casablanca, das aus demselben Grunde auch von Mehidija am Sebu übertroffen wird. In dem Ausbau der Häfen dieses wichtigen Gebietes bieten sich der Wasserbautechnik auf alle Fälle noch eine Reihe lohnender Aufgaben.


Weniger dürfte das vielleicht Plänen wie dem — von Kampffmeier erwähnten — Vorhaben nachzusagen sein, nach welchem eine Eisenbahn von Tanger nach Dakar den Verkehr nach Südamerika auf eine fünftägige Seefahrt abkürzen soll. Abgesehen von den langen, in rein tropischem Klima zurückzulegenden Strecken dürfte auch der dreimalige Wechsel der Verkehrsmittel den Reisenden wenig verlockend erscheinen und dem wichtigeren Gütertransport sicherlich noch weniger.

Die Lage Nordwestafrikas innerhalb des europäischen Verkehrsgebietes ergibt sich am besten aus der guten, von Eckert veröffentlichten Isochronenkarte. Wenn auch aus dem Jahre 1909 stammend, gibt sie die gegenseitige Verkehrslage der beiden Hauptlandschaften der afrikanischen Mittelmeerländer auch heute noch in allen Punkten richtig an. Nach dieser Darstellung gehören ganz Tunis und Algier bis weit auf das Hochland hinauf der von Berlin aus in 3 bis 5 Tagen erreichbaren Zone an, zu der auch die marokkanische Küste zu rechnen ist und die den Hauptteil von Spanien umfasst. Tripolis und Ägyptens Hafenorte gehören dagegen schon zur zweiten, 6 bis 10 Tage Reisedauer von der deutschen Hauptstadt aus beanspruchenden Landschaft, der im Nordwesten das ganze Land bis in den Norden der algerischen Sahara und in Marokko die inneren Landschaften bis in die Nähe des Atlas zuzurechnen sind.

Auch aus dem Aufbau der nordwestafrikanischen Provinz ergeben sich einige wirtschaftsgeographische Besonderheiten. Von dem gesamten übrigen Nordafrika unterscheidet sich dies Gebiet durch das völlige Überwiegen hoch über den Meeresspiegel emporsteigender Erhebungsmassen, die in den beiden östlichen Dritteilen vorwiegend aus Hochländern bestehen und nur in den Randgebieten im Norden und Süden Gebirgscharakter tragen. Das tiefere Land beschränkt sich an der Mittelmeerseite dieser algerisch-tunesischen Hochländer auf einige wenige Teile der Küstengegenden, so in der Umgebung der Städte Oran, Algier und BOne und am unteren Schelif sowie, in etwas größerem Umfange, auf das Tal der in den Golf von Tunis mündenden Medscherda, endlich auch auf den Osten von Tunesien. Das Hauptgebiet dieses Teiles von Nordwestafrika, das Hochland der Schotts, zieht als eine Landschaft von 800 bis 1000 m mittlerer Höhe dahin; sein erhöhter Südrand wird westlich von 5° ö. L. von breiten, mittelhohen Platten begrenzt, die allmählich zu den noch niedrigeren Flächen der großen Wüste überleiten, östlich von dem erwähnten Längengrade sinkt der Hochrand, das südalgerische Randgebirge, ganz unvermittelt in die auch hier von salzwasserhaltigen Schotts erfüllte Grenzzone der flachen Wüstensteppe herab.

Erreichen die Randgebirge auch nur die Höhe unserer Voralpen, so bilden sie mit ihrer schroffen Außenseite und mit ihren engen Tälern doch erhebliche Hindernisse für den Verkehr. Das ergibt sich am besten aus der Lage der Eisenbahnen in diesen Ländern. Während in Tunis mit seinen niedrigeren von SW. nach NO. streichenden Erhebungen und größeren Ebenen vier längere Linien von der Küste aus in südwestlicher Richtung tief in das Innere eindringen, beschränkt sich das algerische Bahnnetz im wesentlichen auf die Küstenregion und überquert nur an zwei Stellen das Hochland, in der von Konstantine nach Biskra ziehenden Linie und in der westlichen, von Oran ausgehenden Bahn nach den Oasen in dem vorhin erwähnten halbhohen Vorlande der eigentlichen Wüste. Die Schwierigkeiten, die im Gebirgsbau des Landes beruhen, erhellen am besten aus den von v. Jezewski mitgeteilten Besonderheiten der algerischen Bahnen. Bei dem Fehlen eines eigentlichen Küstenvorlandes ähneln sogar viele Strecken der dortigen Linien reinen Gebirgsbahnen. So hat der Schienenweg Philippeville — Konstantine
trotz der Nähe des Meeres 9, der von dort nach Algier 22 Tunnels, die Zahl der Brücken ist ebenfalls sehr groß, während die tunesische Medscherdabahn nur zweier noch dazu kurzer Tunnelanlagen bedurfte. Auf der Küstenbahn (!) Oran — Algier liegen ferner nur 25% der Gesamtlänge in der Horizontalen, dagegen 41% in Steigungen bis 1 : 50, während auf der Medscherdalinie in Tunis nur 22% der Länge die Höchststeigung von 1:83 erreichen. Auch die Halbmesser der Krümmungen gleichen schon in der Nähe des Meeres völlig denen unserer Gebirgsbahnen; selbst von der Linie Konstantine — Philippeville verläuft ein Drittel der Krümmungen mit einem Radius von weniger als 500 m.

Neben dieser den Verkehr ungemein erschwerenden Eigenart des orographischen Baues ist noch eine andere, die Wirtschaft stark beeinflussende Folge zu erwähnen. Es fehlt hier an größeren zusammenhängenden Kulturflächen ersten Ranges, die ohne künstliche Wasserzufuhr Ertrag bringen. Dadurch wird trotz der nicht ganz geringen Ausdehnung des überhaupt vorhandenen Kulturbodens — nach Schanz allein in Algerien rund 150.000 qkm — die Entwicklung eines einheitlichen, tiefer in das Land hineinreichenden europäischen Siedlungsgebietes verhindert. Es mag betont werden, dass das keine Entschuldigung für die mangelhafte Besiedlung durch die Franzosen bedeuten soll, aber mit dieser Schwierigkeit würde auch ein besser zu kolonialer Arbeit befähigtes Volk rechnen müssen.

Ein ganz anderes Bild als der Osten gewährt uns der Westen. Das Hochland löst sich in mehrere nach Westen und Südwesten streichende Erhebungsmassen auf, zwischen denen nach dem Atlantischen Ozean hin Raum zur Entwicklung breiter, schließlich in reines Tiefland übergehender Niederungsgebiete vorhanden ist. Das mittelhohe, aber unzugängliche Rif , die durch das Tal der Muluja von ihm getrennte Fortsetzung des nordalgerischen Randgebirges, trennt die erste dieser drei Hauptkulturlandschaften vom Mittelmeer. Niedrige Ausläufer des Atlas begrenzen sie im Süden. Von diesen bis zu den Abhängen des alpengleichen Hohen Atlas reicht die zweite, weitaus größte Senke zwischen den Erhebungen Marokkos. Jenseits der gewaltigen Klimascheide der hohen Gebirgszone aber steigen wir in die Steppen des breiten Wad Sus herab, das durch den wieder zu mittlerer Höhe herabsinkenden Antiatlas von den endlosen Flächen der großen Wüste getrennt ist. Das Ganze ein Land, das in seinem namentlich nach Westen aufgeschlossenen Bau dem Verkehr und besonders der Anlage von Schienenwegen weit weniger Schwierigkeiten in den Weg legt als das algerische Hochland mit seinen steilen Rändern. Freilich müssen, den Grundlinien der Gebirgsentwicklung entsprechend, die erschließenden Linien von Westen her ihren Ausgang nehmen. Mit dem Osten des nordwestlichen Afrika ist nur eine gute Verbindung möglich, welche die vom mittleren Sebu zwischen Rif und dem Hochlande des mittleren Atlas nach dem Tale der Muluja führende Passstraße benutzt. Ein besonders enger Zusammenhang zwischen den kulturfähigen Teilen Marokkos und denjenigen von Algerien ist demnach, genau genommen, von der Natur nicht vorgedeutet, wenngleich die beiden Teile allerdings ein einziges Produktionsgebiet bilden.

Auch die Ausdehnung der kulturell wichtigsten, ohne weiteres anbaufähigen Flächen erfährt in diesem Gebiet eine starke Änderung. Denn diese bilden nach der von Kampffmeyer wiedergegebenen Kulturkarte Th. Fischers, von den vielen und großen Oasen ganz abgesehen, im Westen eine der Küste parallel laufende Zone zusammenhängender Ackerbaugebiete von 60—70.000 qkm, zeigen also eine sehr viel günstigere Verteilung der hochwertigen Böden als Algerien.

Noch eine andere bedeutsame Tatsache ergibt sich aus dem Aufbau von Nordwestafrika. Die natürliche Anlage der Täler gestattet an vielen Stellen die Errichtung von Stauwerken. Nicht minder wichtig ist, dass das in den höheren Teilen namentlich der gebirgigen Hochlandränder versickerte Regenwasser zur Sammlung beträchtlicher Grundwassermengen in den tiefer gelegenen Landschaften führt, so dass Brunnenbohrungen an zahlreichen Stellen mit Aussicht auf großen Erfolg unternommen werden können. Schon im Altertum hat man Stauwerke benutzt und die Franzosen haben diese Arbeiten wieder aufgenommen und ebenso in der Anlage von artesischen Brunnen Hervorragendes geleistet. Selbst in dem weniger kultivierten Marokko wird namentlich im unteren Vorlande des Atlas Berieselung in größerem Umfange betrieben. Aber erst europäischer, methodisch vorgehender Einfluss vermag diesen vorteilhaften Zügen des orographischen Bildes ihre volle Bedeutung für die Landwirtschaft zu verleihen.

Die neueren Sperrdämme in Algier allein genügen nach M. Schanz zur Bewässerung von rund 1.000 qkm. Doch scheinen sie unter der Verkleinerung durch von den Flüssen mitgeführte Schlammmassen zu leiden. Vortreffliche Ergebnisse hat dagegen die Anlage artesischer Brunnen ergeben. Was in dieser Beziehung in Nordwestafrika geleistet werden kann, zeigen namentlich die Bohrungen an der Saharaseite der Erhebungsmassen. „Besonders glücklich ist man mit Brunnenbohrungen in der 200 km langen, aber sehr schmalen Zone längs des Ued Rhir, von den Oasen des Ziban nach Tuggurt, gewesen, wo man zuerst 1856 zur lebhaften Freude der Eingeborenen befriedigende Ergebnisse feststellte. 1889 gaben dort 434 arabische Brunnen 64.000 Liter in der Minute, dagegen 68 neugebohrte französische 113.000 Liter; mit 12 neuerbohrten Brunnen, die 12.000 Liter ergaben, wurde die verfügbare Wassermenge in der Minute auf 209.000 Liter gebracht, aber, wie es scheint, auch die Grenze erreicht."

Dies eine Beispiel zeigt selbst dem im Bewässerungswesen Unerfahrenen, was dank dem glücklichen Zusammentreffen des Aufbaues und günstiger klimatischer Verhältnisse auf den Hochlandrändern in diesem Teile von Afrika in der Wasserwirtschaft in Zukunft, namentlich in Marokko, noch geleistet werden kann.

Im inneren Bau der nordwestafrikanischen Erhebungsgebiete ist für uns lediglich ihr Gehalt an nutzbaren Mineralien von Bedeutung. Sicher beurteilen lassen sich diese Bodenschätze bis jetzt erst in Algerien und Tunis. Hier ist es vor allem das Eisen, das bei dem Eisenhunger der beiden größten europäischen Industrieländer, Englands und Deutschlands, eine hervorragende Berücksichtigung verdient. Die Erze sind weit reicher an Metall als die französischen, sie enthalten etwa 60 Prozent. Dazu kommt, dass die Seefracht noch erträglich ist, wenngleich sie immerhin das Doppelte des Frachtsatzes von den skandinavischen Erzgebieten erreicht. So kommt es, dass selbst Deutschland an den nordwestafrikanischen Eisenlagern interessiert ist, denn es führte bereits von dort stammende Erze in steigender Menge ein. Im Jahre 1910 betrug der Umfang dieser aus Algier und Tunis stammenden Einfuhr 346.000 Tonnen, hatte sich aber 1913 bereits auf 618.000 Tonnen im Werte von 13 Millionen M. gehoben.

Auch im Westen, in Marokko, scheinen recht abbauwürdige Eisenerzlager vorhanden zu sein, denn nach A. Wirth hat man bei Proben aus den Höhen von Marrakesch den sehr günstigen Metallgehalt von 64 vom Hundert festgestellt. Im Gebiete von Mogador trifft man an vielen Stellen auf die Reste alten Eisenbergbaues.

Ein zweites, neuerdings besonders wichtiges Erz, das Kupfererz, scheint in Marokko ziemlich weit verbreitet zu sein. Dort wird es nach Kampffmeyer von den Eingeborenen gewonnen und in Tarudant, der Hauptstadt des Susgebiets, wahrscheinlich noch jetzt von diesen im Kleingewerbe verarbeitet. Inwieweit indessen diese Erze nach europäischen Begriffen abbauwürdig sind, lässt sich noch nicht beurteilen. Die in den beiden östlichen Ländern von Nordwestafrika vorkommenden Lagerstätten sind ebenfalls ziemlich verbreitet, lohnen aber nach unserer jetzigen Kenntnis die Bearbeitung nur an einzelnen Stellen, namentlich in Algerien. Entschieden wichtiger ist das Zink, von dem ziemlich große Mengen zur Ausfuhr gelangen, und neben dem noch des Bleies Erwähnung getan werden mag. All diese Mineralien werden indessen in ihrem Wert für die algerisch-tunesische Ausfuhr weit übertroffen durch die Phosphate, die namentlich im Osten, in Tunis, in großen Mengen gewonnen werden und von denen auch Deutschland beträchtliche Mengen einführte, so in den beiden letzten Jahren vor dem großen Kriege rund ein Drittel seiner Gesamteinfuhr von phosphorsauren Kalken.

Für Tunis gibt O. Jöhlinger einige Angaben, die die von 1900 bis 1911 gemachten Fortschritte im Bergbau veranschaulichen. Es wurden ausgeführt in Tonnen:

1900 1911
Zink 22.000 34.300
Blei 6.300 36.100
Eisenerz — 362.000
Phosphat 172.100 1.539.000

Nach Jöhlinger kommt in einzelnen Bleiwerken ein Metallgehalt von 80% vor. Ebenso ist nach seiner Ansicht auch die Zink- und Eisenerzgewinnung noch recht aussichtsreich.

Andere mineralische Vorkommnisse sind augenblicklich zu unbedeutend, als dass sie hier behandelt zu werden brauchten. Dagegen mag, wegen seines möglichen Einflusses auf den Reiseverkehr der Zukunft, des Vorkommens zahlreicher Mineralquellen, darunter einiger von sehr hoher Temperatur, gedacht werden. Manche von ihnen wurden bereits in altrömischer Zeit zu Badezwecken benutzt.

Wenn irgend etwas dem hier behandelten Gebiet eine sehr hohe wirtschaftliche Bedeutung verleiht, so ist es sein Klima, das es nicht nur gegenüber dem Osten von Nordafrika als besonders begünstigt zeigt, sondern in dem auch die nahe Verwandtschaft der Wirtschaftsweise mit derjenigen des europäischen Südens begründet ist. Eine Ausnahme hiervon bildet lediglich die atlantische Küste von Marokko, doch ist dieser Landstreifen zu schmal, um als selbständiges Gebiet behandelt zu werden. Andererseits gehört das tiefgelegene Gebiet im Süden der äußersten Gebirgshänge klimatisch der großen Wüste an; da es indessen nur in seinen Oasen nutzbare Flächen enthält, so dürfen wir es wegen geringer räumlicher Ausdehnung kaum als selbständige Landschaft betrachten.

Da uns auch die Klimaerscheinungen lediglich in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zu beschäftigen haben und dieser Teil des Kontinents als eines seiner Hauptsiedlungsgebiete unsere besondere Aufmerksamkeit verdient, so sei zunächst seine Temperaturentwicklung mit derjenigen europäischer Gebiete verglichen.

Schon im ersten Teil wurde darauf hingewiesen, dass es nicht sowohl die absolute Höhe der Mittelwärme als vielmehr die Schwankungen der Monatsmittel sind, auf die es für die dauernde Gesunderhaltung der Weißen, in erster Linie also der Mittel- und Nordeuropäer, ankommt. Die Jahresmittel der Küste unterscheiden sich nicht von denen des südlichsten Europa und sind einander überall sehr ähnlich. Die Orte Tunis, Oran, Tanger und, infolge der eigenartigen Wassertemperaturen, auch Mogador und selbst noch das unter 28° n. B. gelegene Kap Juby haben ein Jahresmittel, das sich nur um wenige Zehntelgrade von 18° entfernt, das demnach dem der wärmeren Küstenorte von Sizilien ungefähr entspricht. Freilich ist festzuhalten, dass dieses Mittel nur wenig Wert für uns hat und dass namentlich die Jahrestemperaturen der inneren Landschaften nicht im geringsten die Beurteilung der Klimawirkungen erleichtern, so dass wir sie hier einfach vernachlässigen können.

Recht günstig im Vergleich zu den afrikanischen Tropen ist dagegen die Höhe der Jahresschwankung, d. h. der Unterschied zwischen den Mitteltemperaturen des wärmsten und des kühlsten Monats. Ganz gering ist sie nur an der südmarokkanischen Küste, an derjenigen von Algier und Tunis beträgt sie dagegen schon 13 bis 14° und im tunesischen Osten steigt sie auf 16° und darüber, ist also fast dreimal so hoch wie in den Tropen. Im algerischen Teil ist sie so hoch wie in Mitteldeutschland und im Hochlande der Schotts sogar größer als 21 bis 22°. Man sieht, sie ist völlig ausreichend, wo sie nicht, wie in der Sahara, lediglich infolge sehr hoher Sommermittel eine größere Zahl von Graden erreicht. Wo die Mittelwärme der heißeren Monate 30°, womöglich erheblich, übersteigt, wie überall in den algerischen Oasen südlich vom Hochlande, da ist auch für den Europäer Aufenthalt in dauernder Siedlung so gut wie ausgeschlossen. Hat doch schon das bekannte Biskra im Juli und August ein Monatsmittel von mehr als 30° und in El Golea unter 30 ½ ° n. B. gibt es schon drei Monate mit einer über diese Grenze hinausgehenden Mitteltemperatur.

Von der Sahara abgesehen, sind aber die Sommermittel durchaus nicht unerträglich. Man muss bedenken, dass die geringe Luftfeuchtigkeit während der wärmeren Zeit sie ohnedies leichter ertragen macht, da die Dampfarmut das Entstehen drückender Schwüle im allgemeinen verhindert. Auch sind an der Küste und in den ihr benachbarten Strichen des Teil die Wärmemittel im Juli und August nicht viel höher als in den oberitalischen Ebenen, was bei uns wenig genug beachtet wird. In Algier ist das Temperaturmittel des heißesten Monats nur um 0,7° höher als in Bologna, an der marokkanischen Küste ist es erheblich geringer und gerade im Süden, in Mogador, nur um weniges wärmer als in der oberrheinischen Tiefebene. In den wärmeren Teilen des Hochlandes und in den inneren Landschaften von Marokko erreicht die Mitteltemperatur freilich schon höhere Grade. So steigt sie im August in 3Iarrakesch fast bis auf 30°. Aber sie hält sich viel kürzere Zeit auf dieser Höhe als in der Nordsahara; auch ist daran zu erinnern, dass sie auch im westlichen Palästina, wo deutsche Bauern ohne Nachteil für ihre Gesundheit dem Landbau nachgehen, um einige Grade höher ist als im nördlichen Algerien.

Die Wintertemperaturen interessieren uns nicht sowohl in ihrer Bedeutung für die menschliche Gesundheit, als vielmehr wegen ihrer Wichtigkeit für die Landwirtschaft. Während es im Hochlande der Schotts zu rauer Witterung und zu recht ergiebigen Schneefällen kommen kann und noch in den höheren Teilen des Teil die Temperatur niedriger ist als etwa in Rom, entspricht das Klima in der Nähe der Küste im Winter durchaus demjenigen der wärmeren Gegenden von Sizilien und von Malta und ist in Marokko bis in die Nähe des Atlas sogar noch milder. Das ist aber von größter Wichtigkeit für die Aufzucht früher Gemüse und der winterlichen Früchte der Mittelmeerzone. Schon seit weit mehr als einem Jahrzehnt hat sich Algier infolge seines milden Winterklimas den mittel- und nordeuropäischen Gemüsemarkt im Winter zu erobern gewusst und es ist klar, dass ihm darin auch seine beiden Nachbarländer in großem Umfange zu folgen vermögen. Denn an der Küste und in den unteren Teilen der dem Meere unmittelbar benachbarten Gebirge reifen Blumenkohl, Tomaten, Bohnen und andere Erzeugnisse des Gartenbaues bereits im Dezember und Januar und vermögen so den Markt zu einer Zeit zu versorgen, in der Südeuropa noch kaum für die Lieferung dieser Dinge in Frage kommen kann. So hat Algerien nach Schanz schon im Jahre 1902 315.000 Zentner Kartoffeln und 218.000 Zentner Frühgemüse ausgeführt und seither sind diese Mengen ganz gewaltig gestiegen. Dass auch die wichtigeren Südfrüchte von hier aus früher zum Versand gelangen können als aus dem Süden unseres heimischen Weltteils, bedarf danach kaum eines besonderen Hinweises.

Was soeben über die wirtschaftliche Bedeutung der Wintermittel gesagt wurde, wäre noch dahin zu ergänzen, dass Nordwestafrika als Kurgebiet für leidende Europäer dereinst eine größere Rolle zu spielen vermag als das bisher mit Unrecht so beliebte Italien. Denn hier kommen die starken, gerade für Kranke höchst bedenklichen Kälteeinfälle in Fortfall, die bis weit nach Unteritalien den Winter und Frühling zu einer keineswegs sehr günstigen Zeit für den Schonungsbedürftigen machen. Hier kommen auch, wegen der Wasserverbindung die kräftigenden Einflüsse der Meeresfahrt zu den erwähnten Vorzügen hinzu, so dass man den Ländern Nordwestafrikas auch in dieser Richtung eine Zukunft in Aussicht stellen kann. Auch der Einfluss des Wüstenklimas — wohlverstanden im Winter — lässt sich therapeutisch verwerten, z. B. bei gewissen Lungen- und Nierenleiden, während das Hochland der Schotts von Kranken im Winter zu meiden ist.

Gestattet die Temperaturverteilung sozusagen die Unterhaltung aller Kulturen, die überhaupt im Mittelmeergebiet verbreitet sind, so schafft andererseits die Verschiedenheit der Niederschlagsmenge sehr starke Gegensätze, so große, wie wir sie in Südeuropa nicht finden. Selbst wenn wir von den ganz regenlosen Strichen, die bereits voll zur Wüste gehören, absehen, haben doch auch die Landschaften, in denen jede höhere und sichere Ernten gewährende Bodennutzung an die künstliche Wasserzufuhr gebunden ist, eine im Verhältnis zur Gesamtfläche sehr bedeutende Ausdehnung.

In zweierlei Hinsicht ist die Verteilung der Regen über das Jahr von größter Bedeutung. Ihre Zusammendrängung auf den Winter ist hier noch viel schärfer ausgeprägt als im Süden Europas. In Algier fallen von Oktober bis März 80 Prozent der Regenmenge des Jahres gegen nur etwa 65 in Rom. In den größeren Höhen haben, eben infolge ihrer Erhebung über den Meeresspiegel, auch die Übergangsmonate etwas mehr Regen. Doch ist auch hier das kühlere Halbjahr weitaus die regenreichste Zeit. Überall ist dagegen der Sommer so trocken, dass das Wort Th. Fischers von allen diesen Gegenden gilt, dass der Sommerschlaf der Pflanzen hier an die Stelle des Winterschlafes tritt. Die Zeit der Hauptregen beeinflusst den Anbau der Gewächse im höchsten Grade. Bereits 1879 hat Fischer darauf hingewiesen, dass f?r das Fehlen sommerlicher Regen die geringe Ausdehnung der Maiskultur in diesen Gegenden verantwortlich zu machen sei. Die übrigen Getreide dagegen, die hier die für sie nötige Wärme auch im Winter finden, gedeihen auch ohne künstliche Bewässerung vorzüglich. Zur Bestätigung mag hier nur angeführt werden, dass 1913 allein die mit Gerste bestandene Fläche in Algerien 131 mal größer war als die mit Mais bestellte! Deshalb überwiegt in der Getreideausfuhr von Nordwestafrika völlig diejenige der mitteleuropäischen Getreidesorten. Winterwärme und Regen wirken hier so günstig zusammen, dass diese bereits Mitte Mai geerntet werden können. Es tritt uns demnach hier auch in den Formen der Bodenkultur ein in jeder Hinsicht an den äußersten Süden Europas gemahnendes Bild vor Augen.

Aber noch eine zweite, höchst gewichtige Folge haben wir der Niederschlagsverteilung zuzuschreiben. Kein Gebiet der trockneren Striche von Afrika erfreut sich so sehr in seinen höheren Teilen des natürlichen und zugleich großartigsten Wasserspeichers kühlerer Zonen, des Schnees. Eben weil die Niederschläge vorwiegend in den kühleren Monaten des Jahres zustande kommen, sind im gebirgigen Nordwesten des Kontinents Schneefälle sogar in mittleren Höhen eine häufige Erscheinung und in den Randgebirgen und namentlich in den Atlasketten sogar die Regel. Können auch die etwa in großen Höhen noch vorhandenen Schneeansammlungen im Sommer nicht mehr die Flüsse des tieferen Landes mit reichlichen Wassermengen versorgen, so ist doch zweifellos das allmähliche Wegschmelzen der besonders in voralpinen Höhen lagernden Schneemengen während des Frühlings eine Hauptursache für die Bildung reicher Grundwassermengen bis in das Vorland der großen Wüste. Ohne dies Zusammenwirken von Gebirgsbau und Niederschlagsverteilung wäre das Bohren von ergiebigen Brunnen im Süden dieser Länder niemals in dem jetzigen Umfange möglich gewesen.

Die Menge der Niederschläge genügt freilich nur an der Nordseite der Erhebungen auf größere Strecken hin für den Landbau ohne Anwendung künstlicher Berieselung, womit zudem keineswegs gesagt sein soll, dass sie nicht auch hier für besonders wertvolle Kulturen oder zur Steigerung der Erträge in vielen Fällen wünschenswert ist. Reich bewässert, d. h. von Regen in einer Gesamthöhe von mehr als 80 cm getroffen ist nur das marokkanische Küstenland etwa von 34° n. B. an nördlich sowie dasjenige von Mittel- und Ostalgerien. Schon das Teil und die auf die Küste folgenden Gebiete von Nordmarokko sind zwar noch eben ausreichend (wegen der erwähnten Zusammendrängung der Niederschläge auf die für die Pflanzenwelt wichtigere Hälfte des Jahres) bewässert, aber Jahresmengen von über 60 cm gehören hier bereits zu den Ausnahmen. Die dem Atlas benachbarten Landschaften Nordmarokkos und das Hochland der Schotts dagegen empfangen bereits so wenig atmosphärische Feuchtigkeit, dass sie außer an den Gebirgshängen nur noch eine Steppenvegetation zu ernähren vermögen. So erhält Geryville in 1.300 m nur noch 39 cm, Batna in Ostalgerien nur 43 cm und Marrakesch im marokkanischen Atlasvorlande gar nur noch 24 cm. Ganz geringfügig werden dann die Regenmengen im Süden der höheren Gebiete, wo sie sehr bald unter die Menge von 20 cm im Jahre herabsinken, die man im allgemeinen auch in den Ländern mit kürzerer Regenzeit als die Grenze einer etwas kräftigeren Steppenbewachsung ansehen kann.

Die übrigen klimatischen Faktoren treten in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung hinter den beiden eben behandelten stark in den Hintergrund. Die Lufttrockenheit wirkt natürlich mittelbar auf das Verhalten der Pflanzenwelt sowie auf den oberflächlichen Wasservorrat, unmittelbar ist sie für die Herstellung von Trockenfrüchten für den Handel von Bedeutung; hier kommt sie freilich in beachtenswertem Maße nur für den Vertrieb der Dattel in Betracht. Die Sonnenscheindauer ist vorläufig nur hygienisch wichtig; inwieweit sie technisch nutzbar gemacht werden kann, das zu entscheiden ist Sache der Zukunft (vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 27).

Schließlich äußert sich die Klimawirkung in diesem Gebiet noch ausgeprägter als im Süden Europas in dem Verhalten der Flüsse. Es ist klar, dass der scharfe Gegensatz zwischen winterlichen und sommerlichen Niederschlägen sich sehr deutlich in der Wasserführung der fließenden Gewässer ausprägen muss. Diese kommen freilich selbst im Unterlauf für einen Schiffsverkehr nach europäischen Begriffen nicht in Frage. Auch gleichen die größeren von ihnen in ihren Schwankungen sogar den Rinnsalen der wirklichen Steppe. So wird vom Scheliff in Algerien angegeben, dass er trotz eines 695 km langen Laufes in der Trockenzeit nur 1,5 cbm Wasser führt.

Sind die Flüsse und Wadis somit wirtschaftlich nur für die Bewässerung zu verwerten, so sind sie andererseits infolge der starken Schwankungen ein Hindernis für den Verkehr. Der eben erwähnte Scheliff führt bei Hochwasser 1.450 cbm in der Sekunde dem Meere zu, die Seybuse schwankt sogar zwischen 150 Litern und der sechs- bis siebentausendfachen Menge, nämlich 1.000 cbm. Nach Wahl können Täler, die dem Augenschein nach nie von einem Fluss durchströmt waren, in wenigen Stunden von einem 10, ja 15 m hohen Strome erfüllt sein. So ist der Hinweis v. Jezewskis nicht weiter verwunderlich, dass die Kunstbauten der Eisenbahnen auf dem Hochlande noch jetzt, nachdem man die einschlägigen Verhältnisse besser kennt als zur Zeit der ersten Anlagen, öfters beschädigt werden. Z. B. ist der Verkehr auf der nach Tebessa führenden Linie infolge der Hochwasserwirkungen alljährlich einige Tage hindurch unterbrochen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wirtschaftsgeographie von Afrika