Zweites Kapitel. Einfluss der Weltlage auf das Wirtschaftsleben Afrikas

Die Lage Afrikas innerhalb des Gradnetzes unserer Erde, die sich in erster Linie in der Stellung der Gestirne äußert, ist von verhältnismäßig geringem Einflüsse auf das wirtschaftliche Leben, verdient indessen doch in einigen Einzelerscheinungen unsere Beachtung. Die geographische Länge der wichtigsten Landschaften hat zur Folge, dass für diesen Kontinent die europäische Tageszeit gilt und dass z. B. Kamerun und Südwestafrika unsere mitteleuropäische Zeit zu benutzen in der Lage sind. Das ist indessen von viel geringerer Bedeutung als die Wirkung der geographischen Breite auf die Tagesdauer und den Sonnenstand, da diese beiden einen nicht unerheblichen Einfluss auf das bürgerliche Leben äußern.

Die gleichmäßige Lagerung des Weltteils zu beiden Seiten des Äquators zwischen zwei Linien, die rund 37 und 35 Breitengrade vom Äquator entfernt sind, hat zur Folge, dass das Tagesgestirn auch während seiner niedrigsten Stellung im Jahre beinahe in ganz Afrika eine bedeutende Höhe erreicht. Am 21. Dezember steht die Sonne in der Stadt Algier etwa ebenso hoch wie in Hamburg in den ersten Märztagen und erreicht bereits im ersten Drittel des April die gleiche Mittagsstellung, die sie dort am 21. Juni einnimmt. Mit anderen Worten, die Wärmestrahlung, die einen sehr bedeutenden Einfluss auf das gesundheitliche Verhalten unseres Körpers ausübt, ist in ganz Afrika, also auch im äußersten Norden und Süden, einen Teil des Jahres hindurch so beträchtlich, dass in dieser Zeit anstrengende Körperarbeit im Freien während der mittleren Tagesstunden von den meisten Europäern besser den Eingeborenen überlassen wird. Dies ist einer der Gründe, welche die dauernde Ansiedlung von Weißen in den meisten Gegenden vereiteln, sofern dort nicht ungewöhnlich günstige Verhältnisse besonderer Art herrschen.


Noch in einer anderen Hinsicht macht sich der Lauf unserer Sonne in Afrika sehr bemerkbar. Die Verlängerung der Wintertage auf der einen, die Verkürzung der Sommertage auf der anderen Seite ist so groß, dass sie auf die Tagesarbeit sehr erheblich einwirkt. Wählen wir als Beispiel für diese Erscheinungen etwa den Hauptort unseres Schutzgebietes Deutsch-Südwestafrika, Windhuk, so beobachten wir am Tage der Junisonnenwende, dem kürzesten des ganzen Jahres, den Sonnenaufgang um 6 Uhr 32 Minuten, den Sonnenuntergang um 5 Uhr 14 Minuten. Umgekehrt erhebt sich die Sonne am längsten Tage des Jahres, dem 21. Dezember, daselbst erst um 5 Uhr 5 Minuten morgens, um am Abend bereits um 6 Uhr 34 Minuten wieder zu verschwinden. Das bedeutet, dass selbst in diesem schon in der Nähe des Wendekreises gelegenen Hauptort der kürzeste Tag um rund 3 Stunden länger, der längste um mehr als 3 Stunden kürzer ist als in Berlin. Zu diesem Unterschiede kommt ferner, dass in ganz Afrika die Dämmerung viel weniger lange dauert als bei uns.

Die hier erwähnten Erscheinungen am Himmel ermöglichen also einen Ausgleich der im Freien vorzunehmenden Arbeiten. Die Tätigkeit namentlich im landwirtschaftlichen Betriebe wird aber dadurch ganz erheblich beeinflusst, dass im Sommer durch die Verkürzung des Tages und unter Umständen auch durch den Ausfall einiger besonders heißer Tagesstunden jene lange Arbeitszeit in Wegfall kommt, die für unsere mittel- und nordeuropäische Landarbeit gerade in der wichtigsten Zeit von unschätzbarem Wert ist. Schon aus diesem Grunde erfährt die Art des Betriebes Änderungen gegenüber der bei uns bestehenden, die nicht ohne Rückwirkung auf die Behandlung der Kulturen bleiben können.

Im vorhergehenden ist noch eine weitere Eigentümlichkeit dieses Weltteils gestreift, die vollständige Umkehrung der Jahreszeiten. Auch sie ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Wirtschaft. Die Ausfuhr von frischem Obst und Früchten aller Art nach Europa aus dem Süden des Weltteils wird durch diesen Gegensatz der Reifezeit bedingt und wird nach der im Gange befindlichen Neugestaltung aller Verhältnisse sich als eine der wichtigeren Hilfsquellen des außertropischen Südafrika weiter entwickeln.

Soweit die Einwirkung astronomisch festgehaltener Vorgänge auf das Wirtschaftsleben eines großen Weltgebietes. Unter seiner Weltlage verstehen wir indessen noch mehr, denn unter diesen Begriff fällt auch seine Lage zu den übrigen Festländern und zu den umgebenden Meeren und diese ist wiederum von der größten Wichtigkeit für den Verkehr. Trotz der unmittelbaren Nähe Europas ist die Entfernung zur See von diesem selbst nach den Häfen der südsaharischen Gebiete ungemein groß. Nur der Mittelmeeranteil dieses Kontinents macht davon eine Ausnahme; er bildet mit dem Anteil Europas und Vorderasiens nicht allein seiner Natur nach, sondern auch im Verkehr eine weit engere Einheit als mit den afrikanischen Ländern im Süden der großen Wüste. Dagegen ist das weite Ausladen der nordafrikanischen Ländermasse sowohl nach Westen wie nach Osten die Ursache, dass die Seewege vom Nordseegebiet nach den in gerader Linie gar nicht sehr weit entfernten Punkten selbst der nordafrikanischen Tropen eine außerordentliche Verlängerung erfahren. Denn der mittlere Meridian des ganzen Weltteiles, der 20° östlicher Länge (von Greenwich) ist zugleich derjenige des westlichsten Ostpreußen und von Krakau. Der westlichste dagegen schneidet Island, der östlichste die persische Hauptstadt Teheran. So entstehen jene Entfernungen zur See, die von der geradlinigen außerordentlich stark abweichen. Diese beträgt beispielsweise zwischen Hamburg und dem Kamerungolf in runder Zahl nur 5.500 km, auf dem Dampferwege von Cuxhaven aus dagegen mehr als 8.900 km, d. h. während sie in gerader Linie um ein Sechstel kürzer ist als der Seeweg nach Neu-York, misst sie, auf dem Dampferwege gemessen, fast um ein Drittel mehr.

In Seemeilen sind einige der wichtigen Punkte des Kontinents von Cuxhaven, beziehungsweise Bremerhaven (1 Seemeile = 1 Grad des Äquators = 1.852 m) in runden Zahlen entfernt:
Straße von Gibraltar = 1.600
Kapverden = 3.000
Küste von Togo = 4.400
Kamerungolf = 4.900
Swakopmund = 5.800
Kapstadt = 6.400
Durban (ums Kap) = 7.400
Sambesimündung = 8.300
Sansibar (ums Kap) = 8.600 (über Suez 7.100)
Golf von Aden = 4.900
Suez = 3.600
Alexandrien = 3.400
Algier = 2.000

Dass ein Ort wie Sansibar über Suez trotz seiner viel nördlicheren Lage noch weiter von uns entfernt ist als selbst Kapstadt, zeigt wohl zur Genüge die Wirkung jener weit nach Osten reichenden Erstreckung. Beide Entfernungen würden noch bedeutend zunehmen, wollten wir sie auf den Segelschiffwegen messen. Auch diese Tatsache hat in früherer Zeit außerordentlich viel dazu beigetragen, das Entstehen eines lebhafteren Verkehrs zwischen Europa und den reicheren Gebieten von Afrika hintanzuhalten und damit auch deren wirtschaftliche Erschließung zu verzögern (vgl. die Ausführungen hierzu im ersten Kapitel). Ohne das Vorhandensein größerer Mengen ausfuhrfähiger Güter konnte eine regelmäßige Verbindung nicht wohl ins Leben gerufen werden. Wir sehen daher, wie erst innerhalb des letzten Menschenalters die angeführten großen Wegstrecken von häufiger verkehrenden Schiffslinien benutzt werden.

Die Weltlage des Kontinents brachte aber auch mit sich, dass er von den großen Durchgangslinien der Erde kaum berührt wurde. Seiner Stellung nach wird er nur von dem Verkehr zwischen Europa und Südamerika und dem zwischen unserem heimischen Weltteil und Süd- und Ostasien sowie Australien gestreift. Aber das Berührungsfeld der auf diesen Verkehrsstraßen dahinziehenden Dampfer mit den Küsten Afrikas liegt in einer Zone, in der dieser Erdteil öde und arm an irgendwelchen Massengütern ist. Gerade hier bot er und bietet er noch jetzt keinen Anlass zum Anlaufen irgendwelcher Punkte, die zudem hier nicht einmal in ihrer Eigenschaft als Häfen betrachtet eine besondere Brauchbarkeit aufweisen. So kam es, dass die Dampferlinien meist Inseln oder Punkte an anderen Küsten aufzusuchen pflegten. Madeira, die Kanaren und die Gruppe der Kapverden bildeten infolge der Lagerung der afrikanischen Festlandmassen und ihrer Öde in den entsprechenden Breiten die Ruhepunkte für den Schiffsverkehr mit den Häfen Südamerikas und Südafrikas, während im Osten einzig und allein Aden als Anlaufpunkt benutzt wurde. Entgegen der landläufigen, auch in kaufmännischen Kreisen Europas angetroffenen Ansicht muss ausdrücklich betont werden, dass selbst die Eröffnung des Suezkanals einen unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung Afrikas nicht gehabt hat, da die Entfernung von Suez bis zu den wichtigen Ausfuhrplätzen dieses Weltteils in den Tropen infolge der erwähnten Lageverhältnisse noch nicht geringer ist als diejenige von Hamburg nach Nordamerika und da von Aden aus sogar Indien nicht weiter ist als Sansibar!

Die nördlichen Länder am Mittelmeer sind deshalb die einzige Landschaft geblieben, die schon frühe in enge Beziehungen zu Europa getreten ist. Zu Amerika haben sich trotz der Nähe Brasiliens gar keine solchen ergeben. Denn die Gebiete der neuen Welt, die der alten am südatlantischen Ozean am nächsten liegen, haben selbst erst verhältnismäßig spät eine besondere Bedeutung für den Welthandel gewonnen. Die einzige Handelsware, deren das menschenarme Tropenland von Südamerika bedurfte, und die Afrika ihm zu liefern vermochte hat allerdings eine Art von Handelsverkehr geschaffen, dem aber glücklicherweise die Kriegsfahrzeuge europäischer Stationen und schließlich auch die Einsicht der Empfänger ein Ende bereitete. Der Sklavenhandel, besonders nach Brasilien hin, war eine traurige Episode, die Afrika noch in einer zwei Menschenalter zurückliegenden Zeit schwere Opfer gekostet hat.

Anders lagen die Verhältnisse im Osten. Zwar war auch hier jener fluchwürdige Handel im Schwange, aber neben ihm bestanden doch auch mannigfache Beziehungen anderer Art zu den Völkern Südasiens, die hier durch die Gunst des Klimas, wenn auch nicht ins Leben gerufen, so doch zu allen Zeiten gefördert wurden. Hier, im Gebiet der zwischen Südasien und Ostafrika mit den Jahreszeiten wechselnden Winde, der Monsune des Nord- und des Südsommers, kam es nicht allein zur Entwicklung eines regelmäßigen Verkehrs. Hier machten sich auch kulturelle Einflüsse verschiedenster Art geltend und hier wiederholt sich in kleinerem Maße das Bild, das uns die afrikanischen Mittelmeerländer bieten, eine Verbindung mit einem anderen Weltteil, die viel enger war als die zwischen dem Norden dieses Kontinents und seinen eigenen südlich der Sahara beginnenden Strichen. Dass auch sie ihre Wirkungen nicht weit in das Innere hinein erstreckte, beruht darin, dass in früheren Zeiten die einzige von den Völkern Südasiens begehrte Ware, das Elfenbein, noch in unmittelbarer Nähe der Küste in erwünschter Menge zu bekommen war. Sobald die Nachfrage nach dem wertvollen Stoff stärker wurde, sehen wir auch hier die von Arabern geführten Karawanen, zugleich Sklaven raubend, in die entlegenen Landschaften des Linern vordringen. Schon vor einem halben Jahrhundert begegnen wir ihren Vortrupps am oberen Kongo und ihre Tätigkeit würde zu noch verderblicheren Folgen geführt haben als es tatsächlich geschah, hätte nicht bald darauf das Einsetzen des europäischen Einflusses ihrer gewaltsamen Ausbreitung in diesen wertvollen Ländern ein für allemal ein Ende bereitet. Wie dem auch sei, das einzige Gebiet südlich der Sahara, zu dem zu allen Zeiten lebhafte Beziehungen von anderwärts her bestanden haben, ist und bleibt die dem Indischen Ozean zugewandte Seite des Festlandes. Sie wurde deshalb, obwohl weniger reich als die atlantische, in der ersten Zeit der Europäerherrschaft von den Weißen mehr beachtet als diese, so dass die Länder am Guineagolf erst später eine ihrer Bedeutung entsprechende Wertschätzung auch bei dem dem Handel ferner stehenden Publikum gefunden haben.

Abermals entsprechend der Stellung der europäischen Nationen in Seefahrt und Handel sind es verschiedene Völker, die wir an dem nach Afrika gerichteten Schiffsverkehr in erster Linie beteiligt finden. Beim Ausbruch des Weltkrieges war die Verbindung mit dem Norden vorwiegend in den Händen der Mittelmeervölker einschließlich der Österreicher, während die maßgebenden Linien des großen tropischen und außertropischen Handelsgebiets ganz vorwiegend durch deutsche und britische Gesellschaften vertreten waren. Neben der großen Dampferflotte der Union-Castle-Linie sind es die Woermanndampfer und die Deutsche Ostafrikalinie, neuerdings auch die Hamburg-Amerikalinie, die eine besondere Erwähnung verdienen. Gegen die von diesen Gesellschaften unterhaltenen Verbindungen traten alle anderen schon deshalb zurück, weil sie nur einzelne Landschaften mit europäischen Häfen verknüpften, nicht aber wie jene den größten Teil des Kontinents mit ihren planmäßigen Fahrten umspannten.

E. Barmm hat berechnet, dass im Jahre 1910 der Seeverkehr Afrikas 7 Hundertteile vom gesamten Seeverkehr der Welt umfasste, wobei der Küstenverkehr der einzelnen Länder nicht mit eingerechnet ist. Da Afrika der Größe nach ein rundes Fünftel der bewohnten Erde einnimmt, so würde es schon damit stark hinter dem zurückbleiben, was man erwarten sollte. Auch ist bei jener Zahl der Tonnengehalt aller der Fahrzeuge mit eingerechnet, die nicht etwa einen einzelnen Hafen anlaufen, sondern deren eine ganze Reihe besuchen. In der Menge der ein- und ausgeführten Gewichtstonnen würde also der Weltteil heute noch weit hinter jenem Anteil am Güterverkehr der Erde zurückbleiben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wirtschaftsgeographie von Afrika