Schluss. Die Aufgaben der Europäer in Afrika

Im letzten Kapitel wurden Arbeiten angedeutet, in denen der Vertreter rein geistiger Berufsklassen gegenüber den Afrikanern die gleichen Aufgaben harren wie derjenigen der praktischen, auf Gütererzeugung und Umtausch gerichteten Berufe. Es erscheint aber wünschenswert, zum Schluss auch der Fragen zu gedenken, deren Lösung im besonderen den Männern des praktischen Lebens vorbehalten ist. Auch der aus dieser Tätigkeit für Europa zu erwartende Gewinn mag in einigen Fällen, in denen er sich beurteilen lässt, dabei gestreift werden. Nur wollen wir zu diesem Zwecke den umgekehrten Weg beschreiten und mit der Bedeutung beginnen, die der Bevölkerung in rein wirtschaftsgeographischer Beziehung beigemessen werden kann.

Niemand dürfte es eine Übertreibung nennen, wenn man annimmt, dass sämtliche Bewohner Afrikas im Warenkauf einmal dasselbe leisten werden, was heute die Einwohner eines Landes wie Ägpten zu leisten vermögen, die ja in der weitaus überwiegenden Mehrzahl ganz aus ärmeren Fellachen bestehen. Auf die vielen, in einzelnen Ländern ansässigen Europäer wollen wir dabei gar nicht eingehen, da ja auch im Nillande eine Anzahl von solchen zur Erhöhung der Einfuhr beiträgt. Dann würde bei der heutigen Einwohnerzahl des Weltteils die Einfuhr in runder Summe einen Wert von etwa 6,2 Milliarden M. erreichen, was einen Mehrwert von rund 3 ½ Milliarden entsprechen würde, der zum größten Teile der europäischen Industrie und Kaufmannschaft zugute kommen müsste. Man bedenke auch, dass unter solchen Umständen jede Zunahme der Bevölkerung dieses Weltteils seine Kaufkraft ganz beträchtlich erhöhen dürfte, von der Betätigung dieses Zuwachses in der Gütererzeugung ganz abgesehen, ein sicherlich sehr erstrebenswertes Ergebnis. Jedenfalls bedarf es für den, der vernünftig zu rechnen versteht, keines besseren Beweises dafür, dass eine naturgemäße Bevölkerungspolitik und eine sachgemäße Erziehung des [Schwarzen] sich auch materiell sehr wohl bezahlt machen würde. Auch der, dem der hier gewählte Vergleich mit Ägypten noch zu optimistisch erscheint, wird selbst bei einem viel geringeren Ansatz noch zu unerwartet hohen, von Europa keineswegs zu verachtenden Summen gelangen. Er wird ihn indessen kaum zu hoch finden, wenn er berücksichtigt, dass trotz des Übergewichts der Farbigen im außertropischen Südafrika und ihrer immer noch niedrigen kulturellen Stellung der Kopfanteil an der Einfuhr etwa doppelt so hoch ist wie in Ägypten.


In der tierischen Produktion harren der europäischen Kolonisatoren zwei sehr wichtige Aufgaben. Die erste, am leichtesten zu lösende ist die Besetzung der ungeheuren ganz oder großenteils ungenützten Weideflächen sowie die Freimachung der von der Tsetse bewohnten Gebiete von dem Schädling. Die zweite, nicht minder wichtige ist die Aufbesserung der heimischen Rinderrassen, die weitgehende Ersetzung der Fettschwanzschafe durch Wolle liefernde Herden und die Zurückdrängung der Ziege durch das Schaf bzw. in Steppengegenden durch die hochwertige Angoraziege. Dazu kommt als Nebenarbeit, aber durchaus nicht als eine nebensächliche Aufgabe die Erhaltung und Pflege der nutzbaren Wildtiere und die Schaffung umfangreicher Reservate in für den Menschen weniger nutzbaren Gebieten (Halbwüsten und Sumpflandschaften) für eine Anzahl besonders wertvoller Gattungen.

Sehr mannigfaltig sind auch die Aufgaben, die der Landbau zu lösen haben wird. An der Spitze steht die Einführung einer geregelten Forstkultur, ohne welche die Schonung und Pflege der wildwachsenden Bestände nützlicher Gewächse nun einmal nicht durchzuführen ist. Die zunächstliegende Pflicht des Bodenbaues wird sein, solche Nährgewächse an möglichst vielen Stellen einzuführen, welche eine wichtige Rolle im Welthandel spielen, die also nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Ausfuhr von Wichtigkeit sind. Das sind aber für Afrika vor allem der Mais und der Reis. Weitere Hauptforderungen der Zukunft sind: Erweiterung der Anbauflächen der bereits vorhandenen oder eingeführten Kulturpflanzen, vor allem der heute von bestimmten Ländern geradezu monopolisierten Handelsgewächse. Daher ist von den Genussmittel liefernden Kulturen in erster Linie die des Kaffees, von den industriellen die der Baumwolle zu fördern. Die hier erwähnten Maßnahmen möglichst vollkommen durchzuführen, liegt im Interesse aller europäischen Völker.

Was sonst an den mannigfaltigen, in Afrika anzubauenden Gewächsen genannt werden kann, bestimmt sich nach den besonderen Wünschen und Bedürfnissen der einzelnen in dem Weltteil maßgebenden Staaten; die eben hervorgehobenen Kulturen sollten dagegen vom gemeinsamen europäischen Standpunkte aus eine ebenso gemeinsame Förderung erfahren, an der sich sogar die an diesem Weltteil politisch nicht interessierten Völker unseres heimischen Erdteils beteiligen könnten.

Aber es lassen sich nicht nur für die Gütererzeugung der Zukunft bestimmte Regeln aufstellen, deren Durchführung die Leistungsfähigkeit Afrikas und seinen wirtschaftlichen Zusammenhang mit Europa zu fördern bestimmt ist. Es gibt auch andere Arbeiten, welche dasselbe Ziel zu erreichen bestimmt sind und ohne welche die eben erwähnten Bestrebungen sich nicht im für uns wünschenswerten Umfange durchführen lassen. Sie sind freilich nicht sowohl Sache des Farmers, Pflanzers und Kaufmannes als vielmehr des Technikers, der sich auch auf afrikanischem Boden als deren wichtigster Mitarbeiter erweisen wird, wie er das in anderen Weltteilen bereits in weitgehendstem Maße getan hat.

Die lohnenden Aufgaben für die Technik sind in diesem Teil unserer Erde recht mannigfaltig. Sie warten ihrer schon an der Küste, da, wie ja aus dem im Anfange dieses Buches Ausgeführten hervorgeht, sich bei dem unvermeidlichen Anwachsen des Verkehrs zahlreiche Kunstbauten an Häfen und Reeden als unerlässlich erweisen werden. Selbst an und für sich gute Häfen erfordern solche zur Erleichterung und Sicherung der Einfahrt, wie die großartigen Anlagen von Port Durban beweisen. Dasselbe gilt von der Verbesserung der Lade- und Löschvorrichtungen an offenen Ankerplätzen, die namentlich an der Westseite des Kontinents so häufig als einzige Landungsgelegenheit dienen.

Der Aufbau des Kontinents stellt den Techniker abermals vor eine Fülle der bedeutsamsten Arbeiten, die in absehbarer Zeit in Angriff genommen werden müssen. Da ist zunächst die Anlage von mehr oder weniger großen Stauwerken, in manchen Gegenden geradezu die unerlässliche Vorbedingung für eine Reihe von wichtigen Kulturen. Da ist wieder an die Ausnützung der natürlichen so gut wie der aus solchen künstlichen Becken zu entnehmenden Wasserkräfte zu erinnern, deren ja der Weltteil eine ungeheure Fülle birgt. Rechnen wir für das tropische Afrika trotz seines gegenüber Italien erheblich größeren Wasserreichtums und seiner viel bedeutenderen Mittelhöhe nur den für das genannte Königreich für das Quadratkilometer ermittelten Durchschnitt, so ist die dann verfügbare Summe von mehr als 15 Millionen Pferdekräften doch so groß, dass ihre Fesselung und Nutzbarmachung der europäischen Technik eine reiche Fülle lohnender Arbeit verspricht. In Wahrheit ist aber die vorhandene Kraftmenge wohl noch viel größer anzusetzen als wir es in diesem Vergleich getan haben.

Schließlich wird man auch mit Veränderungen an den afrikanischen Wasserläufen selbst zu rechnen haben. Maßnahmen wie die Verbesserung von solchen zum Zwecke des Verkehrs sind, wie schon angedeutet wurde, an vielen Stellen nötig, jedenfalls an weit mehr als man bei uns denkt. Wenn die große Masse unserer Techniker und Kaufleute bisher bei der Erwähnung afrikanischer Angelegenheiten noch nicht an solche Arbeiten gedacht hat, so liegt das wieder nur an der in der Einführung mehrfach erwähnten Tatsache der Jugendlichkeit unserer Kolonisationsarbeiten. Dass man in engeren Fachkreisen bereits mit solchen Arbeiten bzw. mit ihrer bald einmal klar werdenden Notwendigkeit bestimmt rechnet, beweisen u. a. die Mitteilungen des Kaiserlichen Gouvernements von Kamerun und des Sachverständigen F. Michell über die Stromverhältnisse im Süden dieser Kolonie.

Zu den Änderungen an den Gewässern kommt aber weiterhin die riesige Arbeit, welche bei dem Ausbau des afrikanischen Verkehrsnetzes noch zu leisten ist, wenn der Weltteil seine Produktionskraft im Dienste der Menschheit in voller Ausdehnung soll betätigen können. Auch hier gibt ein Blick in eine hoffentlich nicht gar so ferne Zukunft uns ein Bild dessen, was der europäischen Großindustrie hier im Verein mit der Technik noch zu leisten bleibt.

Es handelt sich darum, Linien von einer Länge herzustellen, die diejenigen großen europäischen Staaten noch weit übertreffen. Ende 1912 gab es erst 42.707 km afrikanischer Bahnen. Unter der niedrig gegriffenen Annahme, dass Afrikas Eisenbahnnetz nur die Dichte desjenigen von Russisch-Mittelasien erreichen würde, müssten nach dem heutigen Stande noch mehr als 300.000 km gebaut werden. Legen wir die ebenfalls sehr niedrigen Baukosten von 80.000 M. für jedes Kilometer der weiteren Berechnung zugrunde, so ergäbe das eine Bausumme von 24 Milliarden M., von der ein sehr großer Teil als Entgelt für Lieferungen und Besoldung für Techniker und sonstige Leiter unmittelbar den europäischen Kulturvölkern zugute kommen würde, während die übrigen Geldsummen, da sie die Kaufkraft der farbigen Arbeiter sehr erhöhen, mittelbar ebenfalls der Industrie und dem Handel Europas große Vorteile brächten. Dazu kommt das rollende Material, das hier noch gar nicht gerechnet ist und dessen Lieferung bei dem Fehlen einer afrikanischen Schwerindustrie ebenfalls der europäischen zufallen dürfte. Bei einer Länge wie der angegebenen bedeutet aber die Beschaffung der Maschinen und Wagen ebenfalls einen Auftrag von mehreren Milliarden.

Dass der hier gegebene Kostenanschlag eigentlich noch viel zu niedrig ist und dass in Wirklichkeit der der fremden Industrie und Technik aus dem Ausbau des afrikanischen Eisenbahnnetzes erblühende Gewinn noch höher sein wird als nach meinen absichtlich mit Vorsicht zugrunde gelegten Zahlen, ergibt sich aus den erfahrungsmäßigen Durchschnittskosten afrikanischer Eisenbahnanlagen. So betrugen die mittleren Kosten für 1 km in unseren Schutzgebieten im Jahre 1913 87.000 M., die der oberen Strecken der westlichen Kongobahn allerdings nur rund 70.000 M., aber diese Bahn hat auch nur eine Spurweite von 0,75 m. Dagegen war der Durchschnittspreis eines Kilometers der algerisch-tunesischen Bahnen 160.000, auf den normalspurigen Strecken sogar 190.000 M. Und die äußerst bequem zu bauende Bahn vom Senegal zum Niger kostete zwar in ihrer Endstrecke nur 51.000, in der schwierigeren Anfangsstrecke dagegen nach S. v. Jezewski nicht weniger als 115.000 M. Der Bau in den eines dichteren Netzes bedürftigen Ländern von Hochafrika erfordert ebenfalls höhere Ausgaben. Bezeichnend dafür sind die schon erwähnten Kosten der Ugandabahn, die sich trotz der ziemlich geringen Spurweite von 1 m auf 121.000 M. für 1 km beliefen.

Neben dem Bahnbetrieb sind es die Maschinen, die unserer Großindustrie in immer steigendem Maße Beschäftigung geben werden, da für sie niemals ein Ersatz auf afrikanischem Boden in irgendwie maßgebendem Umfange wird beschafft werden können. Bedenkt man, dass der Verbrauch von Betriebsmaterial aller Art mit dem Vordringen der Eisenbahnen in das Innere außerordentlich schnell steigt, so gibt uns auch das ein zutreffendes Bild dessen, was wir von einer nicht mehr fernen Zukunft für unsere europäische Großindustrie mit gutem Grunde erwarten dürfen. So wurden an rollendem Material allein im Britischen Südafrika 1906 für 1.050.000, 1911 dagegen für 13.700.000 M. eingeführt. Diese Seite der Einfuhr, ergänzt durch andere Gegenstände der großen Eisen- und Stahlindustrie, die ohne Bahnen nur in der Nähe der Küste abzusetzen sind, wird eine dauernde und ständig steigende Einnahmequelle auch insofern werden, als die Eigenart des Weltteils zu einer Reihe von besonderen Konstruktionen und Anwendungsarten nötigt, die den in Afrika geschulten Techniker auch für andere Weltteile zu einem gesuchten Manne machen wird. Es braucht nur daran erinnert zu werden, dass beim Bau der ersten Bahnstrecke im damaligen Kongostaat nach H. Büchel viele belgische Ingenieure und Techniker im tropischen Bahnbau ausgebildet wurden, die später ihre bei dieser Gelegenheit erworbenen Kenntnisse in manchen anderen außereuropäischen Ländern, in denen belgisches Kapital arbeitete, verwerten konnten.

Weit entfernt, Ausblicke wie die hier gegebenen als ferne Zukunftsbilder anzusehen, sollten die europäischen Fabrikanten und Kaufleute und in erster Linie unsere nach neuen Arbeitsfeldern sich umschauenden Landsleute ruhig und überlegt, aber auch mit dem Wagemut, der den Tüchtigen unter ihnen eignet, an die Aufgabe herantreten, vor die der gewaltige, noch so unfertige und dennoch so entwicklungsfähige Weltteil sie stellt. Wenn die Stürme des Krieges schweigen, müssen die Waffen des Friedens um so fester zur Hand genommen werden. Auch das ist für uns Deutsche eine Pflicht gegenüber dem Reiche. Und auch von ihr gilt Ähnliches wie von den Taten unserer heldenmütigen Soldaten. Auch ihre Erfüllung dient, indem sie den einzelnen ehrt, zugleich der Größe und dem Ruhme unseres Vaterlandes.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wirtschaftsgeographie von Afrika