Fünftes Kapitel. Das Wasser und das Wirtschaftsleben

An die Behandlung des Klimas schließen wir am besten die Erörterung über die Rolle des Wassers im wirtschaftlichen Leben Afrikas an. Erkennen wir doch sogar im fließenden Wasser hier mehr als in anderen Weltteilen ein Erzeugnis der atmosphärischen Niederschläge. Auch spielt seine Verwendung in der Landwirtschaft weit mehr als in Europa in diesem an Steppen und zeitweilig trockenen Gegenden so reichen Lande in die Gütererzeugung hinein. Andere Ausblicke der Ausnutzung seiner Wasserschätze gewährt wiederum die Betrachtung der Rinnsale und Ströme vom Standpunkte der Technik aus. in einzelnen ausgedehnten Ländern aber auch die im allgemeinen weniger bedeutsame Leistungsfähigkeit seiner größeren Wasserläufe im Verkehrsleben.

Beginnen wir mit dem Wasser in der Landwirtschaft. Bei der Rückständigkeit des Kontinents in der rationellen Bodenkultur ist sie noch viel zu wenig gewürdigt worden. Man muss sagen, dass große Gebiete selbst in den von guten Durchschnittsregen getroffenen Strichen gleichwohl bei der im vorigen Abschnitt erwähnten Eigenart des Klimas zwecks Erhöhung ihrer Produktionsfähigkeit zur Anwendung der künstlichen Bewässerung geradezu herausfordern.


Wir lassen uns als Nordländer bei der Beurteilung dieser Produktionserhöhung zumeist durch unsere heimischen Verhältnisse zu einer Unterschätzung der Berieselungskulturen verleiten. Richtiger vermag schon der Südeuropäer diese Verhältnisse zu beurteilen, aber im großen und ganzen kann man in dem weitaus größten Teile von Europa die künstliche Bewässerung von Feldern und Gärten entbehren. Wir erhalten aber von ihrer Bedeutung für Afrika einen richtigen Begriff, wenn wir berücksichtigen, dass in Europa nur etwa 6 % der Gesamtfläche für die Erzielung von Acker- und Gartenfrüchten der Wasserzufuhr bedürfen, in Afrika dagegen rund 50 Prozent. Will man die Wüsten und Steppen, um die es sich in diesem Falle handelt, mit uns bekanntem Maßstabe messen, so genügt wohl die Angabe, dass es sich um eine der anderthalbfachen Größe von Europa entsprechende Fläche handelt, die ohne Bewässerung einer höheren Bodenkultur überhaupt nicht teilhaftig werden kann. Man wird es nach dem Gesagten abermals begreiflich finden, dass die den natürlichen Hilfsquellen voll entsprechende Produktion in dem hier behandelten Weltteil erst noch beginnen soll und dass man die bisherigen Leistungen der Beurteilung der überhaupt möglichen nicht ohne sorgfältige Prüfung zugrunde legen sollte.

Die ungeheuren Steppengebiete Afrikas — sie werden auf insgesamt mehr als 9 Mill. qkm geschätzt — verteilen sich nun vorwiegend auf diejenigen Länder, in denen bereits Völker höherer Kultur ansässig sind. Infolgedessen ist die Technik der Feld- und Gartenbewässerung in Afrika bereits ziemlich hoch entwickelt, aber bei der geringen Zahl der Bewohner, Ägypten natürlich ausgenommen, noch einer ungeheuren räumlichen Ausdehnung fähig.

Schon G. Fritsch hat darauf hingewiesen, dass in Südafrika der Bau des Landes die Anlage von Fangdämmen größeren oder kleineren Umfanges an unzähligen Stellen gestattet. Was er von diesen Gegenden sagt, gilt aber eigentlich von ganz Hochafrika vom Kap bis zum Sudan und ebensosehr von einem Teile von Nordwestafrika. Da in diesen Ländern der Grundwasservorrat verhältnismäßig gering ist, so kommt die Bohrung von Brunnen für große Berieselungsflächen weniger in Betracht, dagegen sind sie so recht eigentliche Landschaften für Stauanlagen, während nur in einem einzigen Teile des Kontinents, im Nillande, neben der Überflutung auch die Bewässerung von Brunnen aus eine große Bedeutung besitzt. Hier spielen die Wasserhebemaschinen in der Tat eine Rolle, die sie in anderen größeren Gebieten des Kontinents niemals erringen werden. Gleichwohl hat auch in diesem Lande die moderne Anlage riesenhafter Stauseen Triumphe gefeiert, wie die Ausmessungen der berühmten Anlage von Assuan zeigen. Die rund 2 km lange Sperre ist seit Dezember 1912 erhöht und fasst nunmehr 2.300 Mill. cbm. Auch in Nordwestafrika, wo infolge ihrer uralten, zum Teil noch auf die Phöniker zurückgehenden Anwendung die Brunnen eine viel größere Rolle spielen als in Südafrika, ist für großzügige Bewässerungsanlagen die Errichtung von Stauwerken von Vorteil.

Wir finden solche bereits in größerem Umfange in Algerien, wo im Jahre 1900 mittels 576 Bewässerungsanlagen 200.000 ha berieselt werden konnten. Dabei sind die von verschiedenen Gesellschaften ohne staatliche Beihilfe ausgeführten Anlagen noch nicht einmal eingerechnet.

Im Süden des Weltteils gibt es deren bereits eine ganze Reihe, von denen einige sehr bedeutende Maßstäbe aufweisen. Andere, noch größere, werden an verschiedenen Stellen, u. a. am Großen Fischfluss, geplant.

Für alle hierher gehörenden Anlagen ist bezeichnend, dass bei der Aufstellung der Baupläne neuerdings zugleich auf die Gewinnung elektrischer Kraft Rücksicht genommen wird. Wie rückwirkend das aufgespeicherte Wasser zur Verbesserung des Bodens ausgenützt werden kann, zeigt wieder das schon erwähnte Werk von Assuan, das in großem Maße zur Erzeugung künstlicher Düngemittel aus dem atmosphärischen Stickstoff Verwendung finden wird.

Es war bereits die Rede davon, dass man keineswegs nur in den Steppen und den übrigen Trockenlandschaften Nutzen von der künstlichen Wasserzufuhr zu ziehen bestrebt ist. Die Sicherung des Anbaues und die Steigerung der Erträge ist bei manchen für den Welthandel unentbehrlichen Gewächsen so wichtig, dass man unbedenklich auch in regenreicheren Ländern Afrikas die Aufführung von Wasserbauten befürwortet, in denen noch vor zwei Jahrzehnten kein Mensch an solche gedacht hat. Die wasserwirtschaftliche Erschließung solcher tropischen Landschaften knüpfte in Afrika an die Versuche an, diese Länder in größerem Maßstabe zur Baumwollkultur heranzuziehen, ist also noch neu und steht daher im Gegensatz zu den Bewässerungsplänen in den regenarmen außertropischen Gebieten noch in ihren ersten Anfängen. Welche hohe Bedeutung die Ausführung dieser Pläne für die Nutzbarmachung großer Flächen gewinnen kann, zeigen die zwei in Deutsch-Ostafrika befürworteten Unternehmungen einer Bewässerung der Mkattasteppe durch Aufstauung und einer südlich vom Viktoria liegenden Landschaft, der das Wasser aus diesem See selbst durch Kanäle zugeführt werden soll. Die erste Anlage würde ein Gelände von 500 qkm Land, die zweite eine solche von 2.300 qkm Land, zusammen also eine die des Herzogtums Sachsen-Meiningen übertreffende Gesamtfläche in einen vorzüglichen Baumwollboden verwandeln.

Sehen wir schon bei diesen Anlagen neben der Berieselung die Kraftgewinnung eine Rolle übernehmen, so kommt sie am meisten bei der Ausnützung natürlicher Wasserkräfte auf ihre Rechnung. In dieser Beziehung ist eine für Afrika bezeichnende Eigenschaft seiner Flüsse, das starke Gefälle, eine Erscheinung von höchster Wichtigkeit für die zielbewusste Verwertung seiner Naturschätze. Die Einschätzung seiner Natur hat augenblicklich sogar eine vollständige Umwandlung gegen ehemalige schulmäßige Auffassungen durchzumachen. Während man noch vor gar nicht langer Zeit die Flüsse Afrikas als ganz minderwertig ansah, weil sie der Schifffahrt nicht in dem gleichen Maße dienstbar gemacht werden können wie etwa die Ströme Amerikas oder Asiens, darf man heute in ihnen gerade um derjenigen ihrer Besonderheiten willen, die ihren Wert als Verkehrsadern herabsetzt, in ihnen die großartigsten Kraftspender erblicken. Es ist klar, dass ihre Leistungsfähigkeit in dieser Richtung erst in einer hoffentlich recht nahen Zukunft sich der Kulturwelt offenbaren wird. Einstweilen werden sie die europäische Technik vor eine Fülle von lohnenden Aufgaben stellen, um so mehr als ja, wie erwähnt, die große Kraftspenderin anderer Erdgebiete, die Kohle, hier nur in beschränkter Menge vorhanden ist. Was unter den europäischen Staaten von Italien gilt, das bei all seiner Kohlenarmut in seinen Gewässern mehr als dreimal so viel Pferdekräfte zur Verfügung hat als das viel größere Deutsche Reich in den seinen, das wird zum mindesten das tropische Afrika, besonders das südlich vom Sudan sich erhebende Süddreieck des Kontinents, in noch viel größerem Umfange unter den Weltteilen leisten.

Was bis jetzt geleistet ist, ist eigentlich nur an einer Stelle einer besonderen Erwähnung wert, erfüllt uns aber mit sehr weitgehenden Hoffnungen für die Zukunft. Es handelt sich um die Ausnützung der ungeheuren, in den Viktoriafällen des Sambesi enthaltenen Kraftmengen, deren teilweise Ausnützung bereits in die Wege geleitet ist. Was auf diesem Felde menschlicher Tätigkeit gerade in Afrika dereinst geleistet werden kann, das lässt sich daraus entnehmen, dass man allein die für Rhodesien benötigte Kraftmenge für industrielle Zwecke neuerdings auf 150.000 Pferdekräfte eingeschätzt hat und dass man mehr als das Dreifache den großartigen Fällen des genannten Stromes glaubt entnehmen zu können.

Wenn vorhin von der geringen Bedeutung der afrikanischen Flüsse für die Schifffahrt die Rede war, so soll damit übrigens keineswegs ihre völlige Wertlosigkeit behauptet werden. Wir müssen eben festhalten, dass bei ihrer Einschätzung als Verkehrsadern in europäischen Kreisen sowohl Unbekanntschaft mit ihrer hydrographischen Beschaffenheit als auch ein gerade hier nicht immer passender Vergleich mit den großen Strömen anderer Weltteile obgewaltet hat. Richtiger als das schulmeisterliche und absprechende Urteil einer früheren Zeit fasst man die Bedeutung der afrikanischen Ströme für den Verkehr in die Worte: Die Gewässer dieses Erdteils sind als lokale Verkehrsadern oft von erheblicher Bedeutung; im Großen kommen sie für ihn nur in drei Gebieten in Betracht, die sich naturgemäß auf die Länder von Flachafrika beschränken.

Wollen wir die Bedeutung der fließenden und stehenden Gewässer für die Einzellandschaften richtig einschätzen, so müssen wir folgerichtig von allen Vergleichen mit amerikanischen und asiatischen, ja selbst mit osteuropäischen Stromgebieten absehen und uns an das halten, was wir etwa innerhalb der mittleren Stromgebiete von Westeuropa beobachten. Dann werden wir auch begreifen, dass das Studium der einzelnen Gegenden sehr wohl dazu führen kann, ihren Flüssen einen ganz erheblichen Anteil an ihrer zukünftigen Verkehrsentwicklung zuzubilligen.

Man muss um den Wert selbst der im Maßstabe unserer Karten oft ganz zurücktretenden Wasseradern zu würdigen, freilich nicht auf die wirtschaftsgeographisch oft ganz unbrauchbaren Darstellungen einer früheren Zeit zurückgreifen. Wir besitzen aber nachgerade genügende Vorarbeiten von technischer und sonstiger sachverständiger Seite, um uns von den wahren Verhältnissen ein einigermaßen zutreffendes Bild zu machen. Es muss an dieser Stelle die Anführung einiger für uns Deutsche besonders wichtiger Beispiele genügen; sie zeigen, dass bei fortschreitender wirtschaftlicher Entwicklung auch die Binnenschifffahrt in erhöhtem Maße in Rechnung gestellt werden sollte. So sei hier auf den Rufidji in Deutsch-Ostafrika verwiesen, der nach dem Bericht von Schmick von der See bis zu den ersten Schnellen auf einer Strecke von 200 km mit weniger als 5 Mill. M. Baukosten in eine gute Schifffahrtstraße verwandelt werden kann. Auch im oberen Laufe lässt sich mit geringen Kosten eine 230 km lange Strecke schiffbar machen, während die Schiffbarmachung der mittleren Strecke der größeren Kosten wegen erst später wirtschaftlich lohnen würde. Bedenkt man, wie ja auch in vielen europäischen Stromgebieten erst eine Reihe von Kunstbauten deren volle Brauchbarkeit bedingt, so erscheint das Bild Afrikas noch weniger ungünstig als zuvor. Selbstverständlich werden solche Änderungen des rohen Flusslaufes sich zunächst auf die kleineren und mittleren Ströme beschränken, aber bei alledem werden sie an zahlreichen Stellen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse ein gut Teil beitragen. Man erinnere sich etwa nur eines Flusses wie des Kameruner Nyong, eines Hochlandflusses, der trotz seiner Kürze innerhalb des Plateaugebiets auf eine obere Strecke von 56 km und eine untere von 169 km für mittelgroße Fahrzeuge schiffbar gemacht werden kann, wofür schließlich nur ähnliche Regulierungsarbeiten nötig wären wie bei vielen französischen und einzelnen mitteldeutschen Flussregulierungsstrecken. Jedenfalls kann man von afrikanischen Strömen, wie sie aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen sind, unmöglich verlangen, dass sie dem Menschen ohne sein Zutun mehr leisten sollen als unsere heimischen Flüsse.

Der Aufbau und das Klima Afrikas bedingen eine gewisse Gruppierung der schiffbaren Wasseradern, die die natürliche Bevorzugung der zwischen der Sahara und dem hohen Süddreieck gelegenen Zone in das hellste Licht setzen. Es mag an dieser Stelle bemerkt werden, dass auf Grund der Neigungswinkel des Geländes und der mittleren Höhe auch das Kongobecken als ein Teil von Flachafrika anzusehen ist. Was wir in Hochafrika an mittleren Wasseradern treffen, darf gleichwohl nicht unterschätzt werden. Lassen sich doch selbst in einer über 1.200 m Seehöhe hinausgehenden Landschaft, in dem Erhebungsgebiet im Westen des Viktoriasees, nach der Schätzung Schmick’s allein am Kagera und seinen beiden großen Nebenflüssen Ruwuwu und Akenjaru etwa 1.000 km Wasserstraßen erschließen. Damit würde also diese eine nicht einmal besonders ausgedehnte Landschaft sich derselben Länge brauchbarer Flusswege erfreuen wie das ganze Wesergebiet in Deutschland. Ein Grund mehr zur Zurückhaltung bei der Abgabe so abfälliger Urteile über afrikanische Schifffahrtmöglichkeiten wie man sie in früheren Jahren allgemein zu hören bekam und wie sie leider die große Masse auch der geographisch Gebildeten heute noch hegt. Aber auch solche Streckenlängen treten hinter denen der flachafrikanischen Ströme in den Hintergrund.

Die erste erwähnenswerte Gruppe sind die Ströme im nordwestlichen Flachafrika, unter denen der Senegal an erster Stelle steht. Sein Gefälle sinkt schon mehr als 800 km oberhalb der Mündung auf 0,1 m auf das Kilometer und er ist bei seinem Wasserreichtum bis hierher für große Flussschiffe befahrbar. Wichtig sind ferner die verschiedenen schiffbaren Strecken des oberen und mittleren Niger, die wegen des von ihnen durchzogenen Gebiets eigentlich eine Gruppe fahrbarer Straßen für sich bilden, weil sie infolge seiner Landesnatur außerordentlich großen Schwankungen der Wasserführung unterliegen. So ist der Fluss von Timbuktu an abwärts auf eine längere Strecke zwar schiffbar, aber doch nur bei einem Wasserstande von einer Höhe, die sich auf ein Viertel des Jahres beschränkt. Anders das Gebiet des Unterlaufes, wo auf dem Niger einschließlich seines mächtigen linksseitigen Nebenflusses, des Benue, die große Flussschiffahrt sich bis Garua erstreckt, d. h. bis zu einem Punkte, der in gerader Linie rund 1.000 km von der Mündung entfernt ist. Das bedeutet also im Verhältnis dasselbe wie die Entfernung von den Donaumündungen bis in die Nähe von Wien, eine Strecke, die man in Europa schon zu den ausgezeichneten Schifffahrtlinien rechnen würde. Diese Wasserstraße ist aber von der Gruppe schiffbarer Zuflüsse des Tschadsees nur durch ein 120 km breites, zum größten Teile flaches Land getrennt, so dass man in diesem Teile Afrikas mit vollstem Recht von einer ganzen Gruppe wertvoller Wasseradern sprechen kann, die im Logone, dem Garua am nächsten liegenden Tschadzuflusse, nach Annahme von Sachverständigen ebenfalls eine schiffbare Länge von rund 800 km besitzen würde.

Die im Osten folgende Gruppe, das Gebiet der bereits im Flachlande dahinziehenden Adern des Nilgebietes, wird zwar erst in Zukunft in ihrer ganzen Bedeutung wirksam werden, verdient aber trotzdem eine besondere Erwähnung. Von 5° bis etwa 13° n. B, erstreckt sich hier die Schifffahrtlinie des Hauptstromes, von der sich als ebenfalls wertvoller Großschifffahrtsweg der Bahr el Gasal nach Westen abzweigt.

Den Nil als zusammenhängende Schiffsstraße zu behandeln geht freilich nicht an. Dazu ist die mittlere, mehrfach durch Schnellen unterbrochene Strecke nicht allein zu lang, sondern auch der Wüstencharakter des von ihr durchzogenen Gebietes zu sehr ausgeprägt, als dass sie in absehbarer Zeit eine besondere Stellung im Verkehrsleben des Weltteils erringen könnte. Man tut deshalb besser, die untere, 1.130 km lange Strecke von Assuan bis zur Mündung als ganz selbständiges Schifffahrtsgebiet zu betrachten. So wichtig dieser Teil des heiligen Stromes indessen für das von ihm durchflossene Ägypten auch als Verkehrsweg ist, so wenig kommt ihm der Rang einer das Innere des Weltteils erschließenden Linie zu. Denn trotz der angeführten Länge dieser Wasserstraße misst die Strecke vom Roten Meere bis zum Endpunkte der Großschifffahrt nur 250 km; dieser parallele Verlauf des Nilweges und der Uferlinie des Meeres ist der Hauptnachteil einer sonst mit vielen Vorzügen ausgestatteten Verkehrsader. So verdient sie diesen Namen zwar für ein wichtiges Land, nicht aber für den Weltteil.

Wie anders erscheint ihr gegenüber das tief in das südliche Hochafrika hineinragende Becken des Kongosystems, das zudem mit dem vorhin erwähnten Stromlande der dem Tschad zugerichteten Adern durch eine flache, nicht sonderlich breite Landschaft in sehr enger Verbindung steht. Allerdings fehlt es diesem Gewirr von Strömen und Flüssen an einer unmittelbaren Verbindung mit dem Ozean. Aber was wir im Innern dieses Riesenstromlandes finden, steht so einzigartig da, bietet nicht etwa nur für afrikanische Verhältnisse ein so imposantes Bild von Verkehrsmöglichkeiten, dass es allein hinreichen würde, den Ruf, den das afrikanische Flussnetz noch vor rund 40 Jahren genossen, in sein besseres Gegenteil zu verwandeln.

Nur ein abermaliger Vergleich mit heimischen, d. h. europäischen Verhältnissen vermag dem Afrika ferner Stehenden einen Begriff dessen zu. vermitteln, was die Natur hier geboten hat und was durch Strombauten und sonstige Maßnahmen natürlich noch einer erheblichen Vermehrung und Verbesserung entgegengeführt werden könnte. Beachten wir selbst nur die bisherige belgische Kongokolonie, so können wir nach den neuesten Feststellungen von Büchel mindestens 12.200 km überhaupt schiffbarer Strecken rechnen. Aber diese Zahlen besagen viel weniger als die Mitteilung, dass mehr als 3.100 km für Fahrzeuge von mindestens 150 t, 1.685 km und einschließlich der Mündungsstrecke sogar 1.845 km für solche von mehr als 500 t schiffbar sind. Bedenkt man, dass auf den größeren östlichen Wasserwegen des Deutschen Reiches das 400 Tonnenschiff als das normale angesehen wird und dass z. B. auf der Oder bis Breslau ununterbrochen nur Kähne von 170 — 200 t verkehren können, so ergibt sich die Bedeutung der Gewässer im Kongobecken für den Verkehr von selber. Selbst die kleineren nördlichen Nebenflüsse kommen noch für einen Verkehr mit größeren Schiffsgefäßen in Betracht, so der untere Sanga im Kamerungebiet für Schiffe bis 1 m Tiefgang das ganze Jahr hindurch.

Für eine Schifffahrt im europäischen Sinne kommen aber nicht nur die bisher behandelten Gebiete in Frage, sondern wir finden mitten im Hochlande des großen Süddreiecks eine Reihe von Wasserwegen, die dereinst eine ganz bedeutende Rolle zu spielen berufen sind. Es sind die drei großen Seen Ostafrikas, zu deren Schifffahrtbereich wir auch den Unterlauf des Sambesi und seinen die Verbindung mit dem Nyassa herstellenden Nebenfluss, den Schire, rechnen. Sind sie auch in ihrer Meereshöhe und nach Art der sie trennenden Landschaften kaum jemals miteinander in eine Wasserverbindung zu bringen, so ist eben doch ihre eigne Ausdehnung so gewaltig, dass sie unbedingt als Verkehrswege großen Stiles bezeichnet werden müssen.

Es könnte bei der Bedeutung, die hier diesen gewaltigen Seen zugesprochen wird, auffallen, dass sie im Verkehrsleben Hochafrikas bisher nur eine sehr geringe Bedeutung gehabt haben. Eine einfache Überlegung führt uns indessen auf die Ursache dieses eigenartigen Zustandes. Es ist, ähnlich wie beim unteren Nil, auch hier der Parallelismus zwischen Küste und Binnenwasserlinie, der diese herrlichen Gewässer bisher gegenüber dem auch in Afrika aufdämmernden neuen Leben so lange hat schlummern lassen. Die Erschließung durch die Europäer hat im äquatorialen Afrika selbstverständlich vom Meere nach dem Innern einen möglichst direkten Weg nehmen müssen, der in diesem Teile des Kontinents sich von Osten und Westen her in das zentrale Gebiet hineinzieht. Die Seen aber als an die großen Gräben Ostafrikas gebundene Wasseransammlungen folgen in südnördlicher Richtung aufeinander. So beträgt die Entfernung von der Küste nach der Mitte des Tanganika rund 900 km, bei Benutzung des Wasserweges unter Einrechnung der 300 km langen Landbrücke zwischen Nyassa und dem genannten See sind dagegen rund 1.200 km, wobei an zwei Stellen ein Wechsel zwischen Wasser- und Landtransport stattfinden muss. So hat selbst der Nyassa bis jetzt für die eigentlichen Binnenländer nur eine Nebenrolle neben den altgewohnten Karawanenstraßen übernommen und so konnte der Tanganika für diesen Verkehr überhaupt noch nicht in Frage kommen.

Ist daher die Aufgabe der großen Seen für den Transport auch in Zukunft nicht so sehr in einer Erleichterung des Weltverkehrs zu erblicken, so werden sie ganz ohne Frage durch den Anschluss an die von der Küste heraufführenden Bahnen zu Wasserstraßen von außerordentlicher Bedeutung für die inneren Landschaften Hochafrikas selber werden. Keine Ausführung theoretischer Art vermag uns das besser zu zeigen als die Ein- und Ausfuhr über die Binnengrenzen Deutsch-Ostafrikas vor dem Bestehen der Mittellandbahn nach dem Tanganika. Diese verteilt sich nämlich auf die Seegrenzen wie folgt: Über die Nyassagrenze gingen 1908 4,6 Prozent der Einfuhr und 0,6 der Ausfuhr, über die Tanganikagrenze nur 2,1 Prozent der Einfuhr und 0,4 Prozent der Ausfuhr. Dagegen kamen über den Viktoriasee, der durch die Ugandabahn an den Seeverkehr angeschlossen war, nicht weniger als 83 Prozent der Einfuhr und gingen über die Seegrenze nach außerhalb sogar 93,1 Prozent der Ausfuhr!

Wie sich in nicht mehr ferner Zeit diese Seen, besonders die drei gewaltigsten von ihnen, im Verkehr der Länder des Innern betätigen werden, das vermag ein Blick auf ihre Ausdehnung zu lehren. Der Viktoriasee, der auf der von 1° s. B. gebildeten Linie 270 km misst, was der geradlinigen Entfernung zwischen Stettin und Dresden gleichkommt, ist schon eher ein Binnenmeer zu nennen. Von Port Florence am Ende der Ugandabahn bis hinüber zu dem Hafen Muansa hat der Dampfer auf ihm sogar eine Strecke von derselben Länge zurückzulegen wie die von Bremen nach Frankfurt a. M.

Verbindet der Viktoria die ringförmig um ihn gelagerten Landschaften, so werden der Nyassa und der Tanganika wegen ihrer langen, schmalen Gestalt vor allem den Verkehr von Süden nach Norden übernehmen. Was sie für diesen bedeuten, zeigen abermals am besten zwei Vergleiche mit bei uns allgemein bekannten Größen. Der Nyassa entspricht mit 550 km Länge einer Wasserstraße von der Länge der Entfernung zwischen Cuxhaven und Stuttgart, der Tanganika mit einer solchen von 650 km sogar derjenigen von Hamburg bis zum Bodensee.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wirtschaftsgeographie von Afrika