Achtes Kapitel. Die wirtschaftliche Bedeutung der afrikanischen Bevölkerung

Das wertvollste Kapital eines Landes ist der Mensch. Dieser Satz, seit vielen Jahren von einer Reihe von Kolonialpolitikern immer wieder betont, bedarf für einen Weltteil, in dem eine freie und wilde Natur zur Hervorbringung wertvoller Güter erst noch genötigt werden soll, kaum noch eines Beweises. Die Rückständigkeit des längst von Europäern [Ansiedlung von Europäern, Einwanderung] in Besitz genommenen reichen Inneren von Südamerika beruht lediglich auf dem Mangel an Menschen. Doch wird uns die weitere Untersuchung zeigen, dass auch Afrika keineswegs an einem Überfluss von solchen krankt, wenngleich es erheblich günstiger dasteht als der Süden der neuen Welt. Hier mag eine Zahl, die in ihrer Verallgemeinerung kein sonderlich klares Bild gibt, zum Vergleich herangezogen werden, die der mittleren Bevölkerungsdichte der Kontinente. Afrika übertrifft mit seiner Volksdichte von 4,5 Südamerika, das nur eine solche von 3,0 zeigt. Aber während hier die dicht bewohnten Gebiete das menschenleere Innere umgeben, finden wir in der Tropenzone Afrikas eher das Umgekehrte. Somit gibt uns die absolute Bevölkerungsmenge eigentlich ein besseres Bild der wahren Bedeutung der Besiedlung. Dann steht Afrika mit rund 135 Millionen Menschen doch nicht so schlecht da, wie die landläufige Vorstellung von diesem Teil der Erde vielen Europäern immer wieder vorspiegelt.

Doch erhalten wir ein Urteil erst, wenn wir unsere Aufmerksamkeit den ungeheuren Gegensätzen schenken, die in diesem Kontinent wie in der Natur so auch in der Menschenwelt vorhanden sind. Mittlere Volksdichtegrade treffen wir im Nordosten, außerhalb der Grenzgebiete der Sahara, 10 — 15 Menschen auf 1 qkm. Den ganz menschenleeren Flächen der großen Wüste steht das Niltal mit so ziemlich der höchsten in einem vorwiegend ländlichen Gebiet auf der Erde beobachteten Dichtezahlen gegenüber, denn in den der Kultur zugänglichen Strichen erreichen diese die unglaubliche Höhe von mehr als 360 Bewohnern auf der Einheitsfläche.


Südlich von der großen Wüste betreten wir die Zone des Sudan, die im Osten nur schwach, im Westen dagegen verhältnismäßig gut bevölkert ist. Hier erreicht die größere Volksdichte mehr als 10 Menschen auf 1 qkm sogar den Ozean; ihre höchste Entwicklung findet sie im Gebiet des unteren Niger, wo sie auf einer Fläche von fast 1 Million qkm mit 25 an mäßig bevölkerte Gegenden von Europa heranreicht. Für afrikanische Verhältnisse ganz gut bevölkert ist auch noch das Kongogebiet, während der größte Teil von Hochafrika, also in der Osthälfte der Tropen, nur eine dünne Bevölkerung aufweist. Auf der ganzen Ostseite finden wir, von dem mittleren Teil der Küste abgesehen, nur zwei besser bevölkerte Gebiete, Abessinien mit den Gallaländern und das Hochland im Westen und Norden des Viktoriasees. Wenngleich hier nach der Darstellung von P. Fuchs im Zwischenseengebiet eine fast mitteleuropäische Dichte festgestellt werden kann, ist dieser Teil von Afrika als Ganzes doch in keiner Weise mit dem westlichen Tropengebiet zu vergleichen.

Je mehr man sich dem Süden nähert, um so geringer wird auch in den fruchtbareren Gegenden die Volksdichte, um im außertropischen Südafrika schließlich auf 2,3 zu sinken. Doch sind gerade in diesem so sehr wichtigen Gebiet außerordentlich große Unterschiede zu beobachten denn hier steht der Natalkolonie im Osten mit ihrer Volksdichte von 12,7 das ausgedehnte Tafelland von Südwestafrika mit einer solchen von weniger als 0,2 auf 1 qkm gegenüber.

Eine unmittelbare Folge der Volksdichte ist, dass selbst unter urwüchsigen Verhältnissen infolge stärkeren Angebots die Arbeit billiger, die Verpflegung aber erleichtert wird. Das beste Beispiel hierfür geben uns die vor der Eröffnung von Eisenbahnen auf den ins Innere führenden Strecken üblichen Frachtkosten beim Trägerverkehr. In dem dünner bevölkerten Ostafrika kostete damals ein Tonnenkilometer 2,30, in dem ziemlich dicht bewohnten Togo aber nur 1,67 M.

Nun geben uns aber auch die bloßen Dichtezahlen wie überhaupt so manche rein statistische Angabe noch durchaus kein zuverlässiges Bild des wirtschaftlichen Wertes afrikanischer Menschen. Man braucht nur die schwächlichen indischen Kulis im Küstenlande von Natal neben einem der muskulösen großen Kaffern dieses Landes zu sehen, um zu einer recht verschiedenen Einschätzung der Farbigen zu gelangen. Besonders gilt diese Erwägung natürlich beim Vergleich Afrikas mit anderen Kontinenten. Sind schon die hamitischen Völker Nordafrikas durch Zähigkeit und Kraft ausgezeichnet, so gilt das in noch höherem Grade von der [Schwarzen]-rasse, die in der Tat zu den körperlich leistungsfähigsten Gliedern des Menschengeschlechts gehört und namentlich in den Tropen höchstens noch vom chinesischen Kuli erreicht wird. Das beweist mehr als alles andere die traurige Tatsache, dass gerade sie viele Menschenalter hindurch anderen Weltteilen in den aus ihrer Mitte stammenden Sklaven ein damals freilich unentbehrliches Arbeitermaterial geliefert hat. Sie für die Erschließung ihrer eigenen Heimat nutzbringend zu verwenden, ist eine Hauptaufgabe einer verständigen und geduldigen Erziehungsarbeit, von der man selbstverständlich nicht von heute auf morgen einen vollen Erfolg erwarten kann. Hier ist ein Gebiet, auf dem sich die Interessen des Farmers und Pflanzers so gut wie diejenigen des Kaufmanns mit denen des Staates und der Mission berühren und hier sollte daher gegenseitige Verständigung noch mehr, als es bisher der Fall war, Platz greifen. Denn, das sei nochmals betont, als freier Arbeiter wird der Schwarze schließlich stets mehr leisten denn als Höriger, womit nicht ausgeschlossen sein soll, dass man durch unpersönliche Maßnahmen wie Steuern, Gewährung von Vorteilen, gegebenenfalls auch durch Benachteiligung der Drohnen unter den Eingeborenen einen gelinden Zwang zur Arbeit ausübt, wie er ja auch in europäischen Kulturstaaten je und je vorkommt.

Zu den körperlich weniger zu harter Arbeit geeigneten afrikanischen Rassen gehören die gelbe Bevölkerung Südafrikas, die Hottentotten, und selbstverständlich auch jene Reste einer kleinwüchsigen Urbevölkerung, die uns in den über die Tropenländer verstreuten zwerghaften Stämmen erhalten sind. Beide kommen aber wegen ihrer geringen Zahl für die Arbeit nur wenig in Frage.

Um dem drohenden Arbeitermangel zu entgehen, hat man nun aber auch Angehörige fremder Rassen nach Afrika gebracht. In größerem Umfange war dies freilich nur der Fall in einigen Gegenden, in denen ein sehr intensiver Betrieb hochwertiger Pflanzungen besteht, also namentlich auf der dem Indischen Ozean zugekehrten Seite des Kontinents. In erster Linie sind es indische Kulis, die man besonders zahlreich auf Mauritius und in Natal als Arbeiter antrifft. Gerade das letztgenannte Gebiet liefert einen recht eindrucksvollen Beweis dafür, dass meist nur die mangelnde Erziehung der [Schwarzen] zur Arbeit die Einfuhr fremdrassiger Arbeiter notwendig gemacht hat, denn in dieser Kolonie gibt es neben weit über 100.000 Indern rund 950.000 Kaffern, von denen bisher nur ein ganz geringer Teil in europäischen Diensten arbeitet. Und ähnlich liegt die Sache in vielen anderen Ländern, in denen kein Mangel an Menschen, sondern nur ein solcher an willigen Arbeitern besteht. Die Zahl der Afrikaner würde noch für lange Zeit genügen, um die europäischen Unternehmungen mit hinreichenden Arbeitskräften zu versehen. Außerdem ist, sobald nur zufriedenstellende hygienische Maßnahmen getroffen sind, die Erneuerungskraft der [Schwarzen]-rasse größer als bei den meisten anderen Urbevölkerungen tropischer Länder, so dass auch die natürliche Zunahme der Afrikaner zur Hebung ihrer Leistungen auf dem Felde der Arbeit beitragen wird.

Von fast noch größerer Bedeutung als die Verteilung der Bevölkerung ist für die Entwicklung der Wirtschaft und namentlich des Handelsverkehrs die Größe und die Zahl der Siedlungen. Das klingt wie eine Binsenwahrheit, ist es aber keineswegs, wie folgendes Beispiel zeigen wird.

Als im Jahre 1892 die planmäßige Besiedlung von Deutsch-Südwestafrika in die Wege geleitet wurde, beging das damit betraute Siedlungssyndikat den großen Fehler, mit einer Aussetzung kleiner Gartenbauer in der Gegend von Windhuk zu beginnen. Damals war aber für die Erzeugnisse ihrer Pflanzungen, hauptsächlich Gemüse und Früchte, noch kein ausreichender Markt vorhanden, da die Größe des Hauptortes noch viel zu gering war. Andererseits gediehen die auf Spekulation gegründeten Kleinsiedlungen in der weiteren Umgebung von Kapstadt, auf der sogenannten Kapfläche, wider alles Erwarten gut. Hier war eben in der damals rasch anwachsenden Stadt ein Markt auch für diese auf schnellen Absatz angewiesenen Erzeugnisse eines einfachen Gartenbaues gegeben. Was aber vom Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse gilt, das tritt uns im Vertriebe der Waren des Großhandels in noch viel weiterem Umfange entgegen. Die Entstehung und Entwicklung von Johannesburg hat den Großhandel Südafrikas in einem Grade belebt, wie er bis dahin nirgends in diesem Teile des Kontinents beobachtet war.

Übrigens gilt das durchaus nicht nur von den europäischen Siedlungen. Wie z. B. der lokale Absatz von Waren, in erster Linie also der Lebensmittelmarkt, auch durch das Vorhandensein von wichtigen Eingeborenenorten, die zugleich Verkehrsmittelpunkte sind, belebt wird, kann man aus den Listen der Schlachtereien von Tabora zur Zeit des Karawanenbetriebes entnehmen. Dort wurden schon in einem der letzten Berichtsjahre des verflossenen Jahrhunderts in den Markthallen 600 — 700 Stück Rindvieh und mehr als 3.000 Stück Kleinvieh geschlachtet. Etwa ein Jahrzehnt später herrschte nach der Schilderung von P. Fuchs dort bereits ein Betrieb, wie man ihn größer kaum in einer europäischen Markthalle findet und die Zahl der täglichen Ochsenschlachtungen war auf sieben bis acht gestiegen.

So wichtig nun auch die [Schwarzen]-orte für die wirtschaftliche Entwicklung des Umlandes sind, so können wir sie hier nicht eingehend behandeln. Denn sie wechseln vielfach zu schnell in ihrer Einwohnerzahl, als dass sie einen ähnlichen Mittelpunkt für die Landwirtschaft eines größeren Gebietes zu bilden vermöchten, wie die unter dem Einflüsse einer höheren Kultur erwachsenen Städte. Viel schneller als bei uns muss infolge der rascheren Änderung der wirtschaftlichen Zustände in neu erschlossenen, oft auch politisch noch unfertigen Eingeborenengebieten die Stellung der Siedlungen sich ändern. So erlebte Tabora, das nach H. Meyer während seiner Glanzzeit in den 1860er Jahren jährlich über eine halbe Million Karawanenleute seine Straßen durchziehen sah, durch das Erlöschen des Sklaven- und Elfenbeinhandels das Herabsinken auf den Grad eines stillen und unbedeutenden Provinzortes. Dann kam ein neuer Aufschwung mit der Vollendung der Ugandabahn, und schon um das Jahr 1905 schätzte P, Fuchs die Einwohnerzahl des wieder emporblühenden Ortes auf 37.000. In noch größerem Umfange lernen wir solch ein Auf und Nieder in der Geschichte der westafrikanischen Eingeborenenstädte kennen. Kuka, das seine Bedeutung seiner Lage an der Karawanenstraße von Tripolis nach dem Sudan verdankte, zählte nach D. Kürchhoff noch 1892 50 — 60.000 Einwohner. Im Jahre 1892 wurde es durch den Sultan Rabeh zerstört und nun hob sich die von diesem Manne neu begründete Hauptstadt Dikoa, die durch die Erhebung von Kuka zur Residenz von Bornu im Beginn des vorigen Jahrhunderts zu einem bedeutungslosen Dorfe herabgesunken war, schnell zu einer Stadt von angeblich 100.000 Einwohnern.

Bezeichnend für Afrika ist immerhin, dass die größeren Siedlungen, die wir in den [Schwarzen]-ländern antreffen, soweit sie wirklich den Namen von Städten verdienen, sich fast nur im Bereich der Sudanvölker mit ihrer an und für sich höheren Kultur entwickelt haben. Die Hauptrasse des großen Süddreiecks von Afrika, die Bantu-[Schwarzen], haben es trotz des zeitweiligen Vorhandenseins großer Menschenmassen an dem Aufenthaltsort bedeutender Häuptlinge zu Städtebildungen im wahren Sinne des Wortes nirgends gebracht, daher konnten auch Handelsstraßen in dem Sinne, wie wir sie im Sudan treffen, in dem Süden des Weltteils erst unter dem Einfluss fremder Völker und dementsprechend erst in neuerer Zeit entstehen wie das mehrfach erwähnte Tabora, eine Gründung arabischer Händler. Namen wie den des altberühmten Timbuktu, das nach Lenz schon vor dem Ende des vorigen Jahrhunderts nur noch ein Schatten seiner einstigen Größe war, würde man selbst in den längere Zeit hindurch bestehenden Eingeborenenreichen der Bantu vergebens suchen. Doch selbst im westlichen Sudan hat mit dem schnelleren Eindringen des europäischen Einflusses eine abermalige Periode durchgreifender Veränderungen eingesetzt. Sind es zunächst die Ausgangspunkte an der See, welche die Hauptbedeutung erlangt haben, so werden es mit dem Vorrücken der Eisenbahnen in das Innere abermals neue Orte sein, die mit der sinkenden Bedeutung der alten Handelsmittelpunkte an deren Stelle treten.

Vom Standpunkt des Weltverkehrs aus haben schon heut die Siedlungen Afrikas ihre Rollen gewechselt und sind nicht mehr die Einwohnerzahlen das Entscheidende, sondern die Ausdehnung, welche der europäische Einfluss in einer afrikanischen Stadt erlangt hat. Von diesem Standpunkte aus kennen wir erst zwei Gruppen von Stadtsiedlungen, die tatsächlich eine hervorragende Bedeutung für das Wirtschaftsleben erlangt oder sich bewahrt haben, die alte Gruppe des Nordens und die junge des Südens, beide zugleich die Mittelpunkte des höchsten auf afrikanischem Boden vorhandenen wirtschaftlichen Lebens.

Wenn man in der Einwohnerzahl auch nicht überall einen Beweis für die wirtschaftliche Bedeutung einer Siedlung erblicken darf, z. B. nicht in den reinen Industrieorten, so ist dies bei den afrikanischen Orten doch immer der Fall, wenigstens soweit sich unter ihren Bewohnern eine größere Anzahl von Nichtafrikanern befindet. Aus diesem. Grunde können, vorläufig wenigstens, auch die marokkanischen Städte nicht als Städte von Wichtigkeit für den Großverkehr betrachtet werden. Für ihn kommen verhältnismäßig wenig Siedlungen in Betracht. In Nordafrika sind es die Großstädte Algier, Konstantine und Tunis, sowie Alexandrien und Kairo, in Südafrika dagegen Kapstadt, Port Elisabeth und Port Durban als Häfen und Johannisburg im Innern. Man würde aber fehlgehen, wollte man die nord- und die südafrikanischen Städte in ihrer Wirtschaftsstellung auf Grund ihrer Einwohnerzahlen miteinander vergleichen. In den größeren Siedlungen von Nordafrika, ganz besonders aber in den ägyptischen, überwiegt durchweg der wenig kaufkräftige Stand der kleinen Leute. Man kann das am besten daran ermessen, dass im Nillande 1907 zwar 14 Prozent der Bevölkerung in den Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern lebten, dass aber kaum 6 Prozent in der Industrie und im Handel und Verkehr tätig waren. Ganz anders in den südafrikanischen Städten, in denen die untersten Vermögensklassen unter den Weißen weitaus in der Minderzahl bleiben. Das gilt auch von denjenigen Orten, in denen der größte Teil der Bewohner europäischer Herkunft ist. In der Lebenshaltung und den öffentlichen Einrichtungen gleichen Orte mit wenigen Tausenden weißer Einwohner dort gewöhnlich solchen mit der zehnfachen Anzahl in Deutschland oder England. Sie sind also auch als Mittelpunkte von Handel und Verkehr entsprechend höher einzuschätzen.

Was von den Ortschaften von Südafrika gilt, kann auch von all den jüngeren Siedlungen in den afrikanischen Tropen gesagt werden, die infolge des europäischen Einflusses eine gewisse Bedeutung erlangten. Mancher von den neueren Häfen zweiten Ranges an den Tropenküsten unterhält regere Beziehungen zum wirklichen Weltverkehr als die Häfen an der Mittelmeerküste des Erdteils, weil die wichtigsten Industrie- und Handelsländer der Erde ihrem Gebiet eine größere Aufmerksamkeit zuwenden als den Hauptorten von Nordafrika. Das kleine Beira am südindischen Ozean mit seinen (1912) 1.224 Weißen und 7.000 farbigen Bewohnern übertrifft in seinem Schiffsverkehr in dem gleichen Jahre denjenigen von Algier um etwa 150.000 Registertonnen, der von Port Durban kommt dem des stolzen Alexandrien beinahe gleich. Swakopmund verzeichnet 1912 bereits eine größere Zahl von Nettoregistertonnen als Oran mit seinen 123.000 Einwohnern und das kleine Mombassa an der Ostküste von Afrika ist ihm sogar um annähernd 400.000 Tonnen voraus. In solchen Ländern entwickeln sich die Siedlungen mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit; es wird nur noch wenige Jahrzehnte dauern, so ist vielleicht manche von ihnen zu einem wichtigen Handelsmittelpunkt geworden, deren Gründung dann kaum ein halbes Jahrhundert zurückliegt.

Die Verteilung der Bevölkerung zwischen Stadt und Land ist ebenfalls von Wichtigkeit für das wirtschaftliche Leben. Im allgemeinen ist sie mit Ausnahme der allerersten Jahre der Erschließung vorwiegend ländlich; in Ländern ohne eine eigentliche Großindustrie, in den Tropen und den ihnen benachbarten Strichen kann man dieser Art der Bevölkerungsverteilung auch die Aussicht auf sehr lange Dauer zusprechen, ja man kann diesen Zustand in unserem Falle, d. h. für Afrika als den eigentlich normalen bezeichnen. Um so auffallender könnte erscheinen, dass von der weißen Bevölkerung des tropischen Südafrika das Gegenteil gilt. Hier sitzen sogar in den neun Orten mit mehr als 10.000 Weißen im Jahre der letzten allgemeinen Zählung (1911) 340.000 Einwohner europäischer Rasse, das sind 27 vom Hundert aller in der südafrikanischen Union anwesenden. Das steht indessen zu dem oben Ausgeführten nur scheinbar in Widerspruch. Hier haben wir die einseitigen Folgen der ungeheuren Gold- und Diamantenförderung, die erst nach und nach überwunden werden können und von denen im speziellen Teil noch ausführlicher die Rede sein wird.

Wir wenden uns nunmehr zu einem sehr bedeutsamen Zusammenhange zwischen der Bevölkerung und dem Handel. Es handelt sich dabei um die Feststellung des Gewichts, das einer Volksmasse von bestimmter Kultur in der Handelsbewegung eines Landes zukommt. Unter Kultur ist in diesem Falle in der Hauptsache die Höhe der Lebenshaltung sowie der Bedarf an solchen Dingen zu verstehen, welche wieder dazu beitragen, die Erträgnisse des Bodens zu steigern, das Gewerbe einträglicher zu gestalten sowie den Verkehr von Menschen und Gütern zu erleichtern und zu vermehren. Es bedarf keiner näheren Ausführungen darüber, dass, je höher die Zivilisation eines Volkes steht, um so größer auch der Bedarf an den hierher zu rechnenden Gegenständen sein wird. Wir gelangen mit dieser Überlegung schon auf dem Wege der rein theoretischen Folgerung zu dem Satze, dass die Einfuhr ihren niedrigsten Wert bei den Bantuvölkern unseres Weltteils erreicht, dass sie dagegen bei den westafrikanischen Stämmen und einigen weiter fortgeschrittenen Völkern im Gebiet des oberen Nil sowie bei den Nordafrikanern erheblich höher steigt. Dass die größten Einfuhrwerte dort zu verzeichnen sind, wo das Europäertum [Ansiedlung von Europäern, Einwanderung] in größerer Volkszahl anzutreffen ist, erscheint wieder selbstverständlich.

Ganz allgemein bestätigt uns schon ein Blick auf die Gesamteinfuhrlisten die Wahrheit dieser Annahme. Rechnen wir zu den urwüchsigen Ländern alles Land südlich vom Tschadgebiet und vom östlichen Sudan, Abessinien und Uganda, sowie die Inseln im Indischen Ozean ausgenommen, so zeigt sich, dass dieser bei weitem größte Teil des tropischen Afrika mit seinen von Natur so reichen Ländern nur mit einem sehr kleinen Teile an der Gesamteinfuhr des Weltteils beteiligt ist. Insgesamt wurden in das ungeheure Gebiet des vorwiegend von der Banturasse bevölkerten Gebiets um das Jahr 1911 nur für rund 200 Millionen M. Waren eingeführt. Das Gebiet geringster Eingeborenenkultur zählt rund 45 Millionen Einwohner. Zu dem zweiten Gebiet der Halbkulturvölker rechnen wir ganz Nordafrika ausschließlich Algerien, ferner die ganze Inselwelt Afrikas und das Ugandagebiet sowie die unmittelbar an Abessinien grenzenden Somahlandschaften, da ihr Handel wesentlich als Durchgangshandel nach und von diesem Reiche angesehen werden kann. Dagegen ist Kamerun und das französische Äquatorialgebiet den Bantuländern hinzugerechnet. Diese zweite Hauptlandschaft zählt in runder Zahl 77 Millionen Bewohner. Ihre Einfuhr betrug um das Jahr 1911 insgesamt 1440 Millionen M. Das dritte Gebiet endlich umfasst diejenigen Länder, in denen die Europäer [Ansiedlung von Europäern, Einwanderung] einen wesentlichen Teil der Bevölkerung bilden und in denen das Wirtschaftsleben bereits halbwegs nach europäischer Art sich abspielt. Zu ihnen gehört Algerien und das ganze außerhalb der Tropen gelegene Südafrika. An Einwohnerzahl wie auch räumlich stehen diese Gebiete mit ihren 14 Millionen Bewohnern weit hinter den beiden anderen, in ihrer Einfuhr nähern sie sich dagegen dem Gebiet der Halbkulturvölker mit einer Summe von nicht weniger als 1.250 Millionen M.

Nun geben uns freilich diese absoluten Zahlen noch kein zutreffendes Bild von der Einwirkung der erwähnten Kulturstufe auf das Wirtschaftsleben. Ein solches von höchst eindrucksvoller Klarheit erhalten wir aber, sobald wir die Beziehung der Einfuhr auf den Kopf der Bevölkerung errechnen. Es kommt alsdann um das Jahr 1911 auf jeden Bewohner der kulturell rückständigen Bantugebiete ein Einfuhrwert von nur 4,44 M., dagegen auf jeden Angehörigen der Halbkulturzone ein solcher von 18,44 M. Im Gegensatz hierzu beträgt das wirtschaftliche Gewicht eines jeden Bewohners der europäischen Siedlungsländer trotz des Überwiegens der Farbigen 89,29 M. Diese drei Zahlen sprechen so deutlich für die Bedeutung der kulturellen Erziehung auch für das wirtschaftliche Leben, dass sie keiner weiteren Erläuterung bedürfen.

Die Erkenntnis, dass auch bei dem Vorhandensein einer überwiegenden Besiedlung des Landes mit Farbigen der wirtschaftliche Einfluss europäischer Niederlassungen eine Höhe wie die hier angedeutete erreicht, ist von besonderer Bedeutung für die Beurteilung der Europäersiedlungen [Ansiedlung von Europäern, Einwanderung] in den afrikanischen Tropen. Aus den obigen Vergleichszahlen geht die wirtschaftsgeographische Bedeutung auch einer nicht sonderlich ausgedehnten europäischen Kolonisation klar hervor. Die Ansiedlungen, wie sie z. B. im ostafrikanischen Hochlande in ihren Anfängen bereits vorhanden sind, bilden Inseln höchster Kultur innerhalb der weiten Eingeborenengebiete. Genau wie sie dies in Südafrika getan haben, bewirken sie eine Hebung der Eingeborenen in äußeren wie inneren Dingen, die nicht nur deren Kaufkraft, sondern auch deren Lebenshaltung in günstigem Sinne beeinflusst. Sie sind es, die mehr als alle volkswirtschaftlichen Maßnahmen die Bedeutung der Kolonie für das Mutterland heben. Zu dieser Wirkung auf die Eingeborenen kommt aber noch ein anderes. Die Kaufkraft auch des einzelnen Weißen ist in solchen Siedlungen viel größer als in den eigentlichen Auswanderungsländern, in denen neben dem Farmer und Kaufmann auch der weiße Arbeiter eine Rolle spielt. Das fällt hier fort, und damit erreicht das Durchschnittseinkommen des Europäers und sein Wert als Käufer europäischer Waren eine viel höhere Stufe als bei den Weißen in Nordamerika und Australien.

Ein besonders geeignetes Beispiel möge das erläutern. In den ersten Jahren der deutschen Besiedlung von Südwestafrika ermittelten wir aus den Büchern einer Anzahl durchaus nicht ungewöhnlich begüterter europäischer Familien, dass der durchschnittliche Verbrauch an Waren fremder Herkunft auf rund 4.000 M. im Jahre veranschlagt werden konnte. Wenngleich in dieser Liste eine Reihe von Dingen enthalten waren, die der Ernährung dienten und die das eigene Land ebensogut liefern kann, so waren doch eine Menge von anderen Gegenständen darunter, die niemals in Südafrika in ähnlicher Weise hervorzubringen sind. Mit dem Wegfallen bzw. der Verbilligung von Nahrungsmitteln wächst außerdem die Ausgabe für jene zweite Reihe von Waren, da dann die Lebenshaltung auch in anderer Weise mehr an die gewohnte der Heimat angenähert wird, wie die Entwicklung jeder Europäersiedlung [Ansiedlung von Europäern, Einwanderung] auf afrikanischem Boden zeigt.

Um die Bedeutung solcher Europäersiedlungen [Ansiedlung von Europäern, Einwanderung] innerhalb der afrikanischen Tropen für den Bezug europäischer Handelsgüter richtig einzuschätzen, sei auf die beiden Nachbargebiete, das Ugandaland und das Protektorat von Britisch-Ostafrika verwiesen, von denen das erste im Jahre 1911 nur 640, das zweite dagegen 3.392 weiße Bewohner hatte. Obwohl das Ugandagebiet eine der farbigen Bewohnerschaft von Ostafrika ungefähr gleiche und dazu noch höher kultivierte Eingeborenenbevölkerung beherbergte, war der Verbrauch an gewissen Einfuhrgütern hier viel geringer als dort. Als besonders bezeichnend für den Europäerverbrauch seien aus den Einfuhrlisten Messing- und Kupferwaren, Glas, Porzellanwaren, Möbel und Maschinen aller Art ausschließlich des Bedarfs der Eisenbahn ausgewählt, wobei noch zu bemerken ist. dass die für die Verwaltung bestimmten Einfuhrgegenstände ebenfalls nicht eingerechnet sind. Dann ergibt sich für die angeführten Dinge ein Einfuhrwert in Uganda von 450.000, für Britisch-Ostafrika hingegen unter Ausschluss des Durchgangshandels ein solcher von 1.880.000 M, Ein unwiderleglicher Beweis für die Bedeutung der verhältnismäßig kleinen Zahl von Europäern als Abnehmer von europäischen Waren, namentlich von solchen, an denen wie an Maschinen und Möbeln ohnedies mehr verdient wird als an vielen auch von den Eingeborenen verlangten Gebrauchsgegenständen.

In ähnlicher Weise lassen sich bestimmte Warengattungen benutzen, um die Beteiligung auch der Eingeborenen an der Einfuhr genauer zu erfassen. In erster Linie gehören dahin die Webwaren, namentlich die aus Baumwolle hergestellten. Das Anwachsen ihres Wertes innerhalb der Einfuhrlisten der letzten Jahre gibt uns außerdem ein gutes Bild von den Fortschritten, welche die Erschließung der inneren Länder Afrikas in verhältnismäßig kurzer Zeit gemacht hat. In Ostafrika wurden 1904 für 3.126.000, in Kamerun für 1.716.000 M. Gewebe, hauptsächlich aus Baumwolle, eingeführt. Im Jahre 1912 betrug der Wert für dieselben Einfuhrgüter in der großen Ostkolonie des Deutschen Reiches allein für unverarbeitete Gewebe 13.215.000 M., zu denen noch für 1.770.000 M. baumwollene Bekleidungsgegenstände kamen. Und in Kamerun hatte sich der Wert derselben Waren auf insgesamt 8.363.000 M. gehoben. Vergleichen wir damit Togo, so finden wir hier nur ein Anwachsen von 1.455.000 auf 2.666.000 M. in der gleichen Reihe von Jahren.

Diese Nebeneinanderstellung ist wirtschaftsgeographisch von größtem Interesse. Sie zeigt uns in Deutsch-Ostafrika die Wirkung der verbesserten Verkehrswege auf das Sinnfälligste, denn gerade die Baumwollwaren sind in der Zeit der ursprünglichen Trägerverkehrs nicht weit von der Küste mit Vorteil zu vertreiben gewesen. Auch in Kamerun zeigt sich in der starken Zunahme die Folge der Erschließung der inneren Landschaften für den Handel, die infolge der früher an der Küste herrschenden Zustände ziemlich lange hatte auf sich warten lassen. In beiden Ländern aber gehört die Mehrzahl der Bewohner zu den weniger kultivierten Völkern der schwarzen Rasse, während die Eingeborenen unserer Togokolonie eine beträchtlich höhere Stufe der äußeren Kultur erreicht haben. Hier, wo man selbst Gewebe herstellt und wo von Anbeginn an der Verkehr mit den inneren Gegenden leichter war als in den beiden anderen Gebieten, ist das Anwachsen des Handels mit Webwaren in einem viel geringeren Grade erfolgt.

Welch hohe Wichtigkeit aber die afrikanischen Eingeborenen in der Abnahme gerade dieser Waren bereits heute erlangt haben, also zu einer Zeit, in der doch der überwiegende Teil von ihnen noch außerhalb der engeren Handelsverbindungen mit Europa steht und in der die Eisenbahn erst an wenigen Stellen weiter in das Innere hineinreicht, zeigt folgender Vergleich: In Britisch Indien wurden an Baumwollgeweben im Jahre 1912 für rund 610 Mill. M. eingeführt, in allen festländischen afrikanischen Kolonien des Britischen Reiches dagegen für etwa 124 Millionen. Das ergibt auf den Kopf in Indien etwa 1,9 M., in Afrika dagegen rund 3,5 M. Würde somit Afrikas Gesamtbevölkerung wirtschaftlich erst so eng mit den europäischen Industrieländern verbunden sein, wie die bisherigen englischen Kolonien, so würde der Weltteil schon bei seiner heutigen Volksmenge etwa Dreiviertel der riesenhaften, von den Indern für europäisch-amerikanische Baumwollwaren angelegten Summen verbrauchen. Da aber viele Länder Afrikas keine eigenen Gewebe herstellen, so kann man vom kaufmännischen Standpunkte aus darin um so eher eine Mindestsumme sehen, als ja der Afrikaner bei gleicher Kultur den Inder aus dem Volke an Bedürfnissen übertrifft. Und wie mit den Baumwollwaren, so verhält es sich auch mit den meisten anderen Handelsgütern fremder Herkunft.

Haben wir also allen Grund, in der afrikanischen Bevölkerung einen der wichtigsten künftigen Abnehmer der von der europäischen Industrie gelieferten Massenwaren zu sehen, so wird sie dieser ihrer Aufgabe im Welthandel in um so größerem Umfange nachzukommen imstande sein, als sie selbst befähigt ist, Güter hervorzubringen.

Bei aller Achtung vor der Fähigkeit des Afrikaners zu körperlicher Arbeit muss betont werden, dass er es von sich aus nirgends zu einer landwirtschaftlichen Tätigkeit gebracht hat, die mit derjenigen des Europäers an Erfolg zu vergleichen wäre. Das gilt nicht allein von den kulturell auf niedriger Stufe stehenden Bantu Völkern, sondern auch von den bereits weiter vorgeschrittenen Sudan[Schwarzen] und selbst von den afrikanischen Mittelmeervölkern. Da aber in den in Afrika heimischen Völkerschaften eine Fülle von Kraft und in den meisten Fällen auch eine nicht geringe Intelligenz vorhanden ist, da es andererseits unmöglich ist, ganz Afrika in ein Plantagenland für europäische Unternehmer zu verwandeln, so sind wir unter allen Umständen darauf angewiesen, mit einer selbständigen Produktion auch der Eingeborenen zu rechnen. Wir kommen damit zu der Frage der sogenannten Volkskulturen. Längere Zeit hat man in Europa und namentlich in Deutschland darüber gestritten, ob im Interesse der Kolonialwirtschaft diese oder die europäische Plantagenwirtschaft vorzuziehen sei. Die viel erörterte Frage dürfte mit den Äußerungen H. Meyers wohl grundsätzlich entschieden sein, der zwar in erster Linie Ostafrika im Auge hat, dessen Ausführungen indessen für den größten Teil von Afrika Gültigkeit beanspruchen können. Er nennt, mit vollstem Recht, den Streit um das Vorwiegen dieser oder jener Produktionsform ganz müßig und betont, dass die Vernachlässigung der Eingeborenenproduktion dem Interesse der Kolonie und der Heimat ebenso zuwiderlaufe wie das gewaltsame Zurückdrängen der Pflanzer und Siedler.

Die Einseitigkeit der reinen Eingeborenenproduktion hat natürlich ihre Schattenseiten. Sie zeigt sich schon bei den viehzüchtenden Völkern, denen es vielfach auf eine Verwertung ihrer Herden im Sinne einer zielbewussten Landwirtschaft überhaupt nicht ankommt (vgl. die Ausführungen über Rinderzucht im vorigen Kapitel). Wo sie indessen von europäischer Seite gelernt haben, ist selbst auf diesem schwierigsten Gebiet der Landwirtschaft, freilich nur unter besonders günstigen Umständen, manches Tüchtige von ihnen geleistet worden. Im Basutoland, das sich innerhalb der südafrikanischen Siedlungsländer die Eigenart eines reinen [Schwarzen]-landes bewahrt hat — es zählte 1911 unter je 1.000 Bewohnern nur 3,4 Weiße — stieg gleichwohl der Bestand an Pferden in den 7 Jahren zwischen den beiden letzten Zählungen von 65.000 auf 88.000, derjenige an Rindern von 213.000 auf 437.000 Stück. Aber schließlich verdankt dieses Bantuvolk seine unleugbaren Fortschritte doch wieder der Fürsorge, die das Europäertum seit einer längeren Reihe von Jahren seiner Entwicklung gewidmet hat. Dasselbe lässt sich von einem anderen Zweige dieser Völkerfamilie sagen, von den Bewohnern des Nyassalandes. Hier ist eine rationelle Baumwollkultur erst durch die Weißen eingeführt worden und die Erzeugung der Faser hat auch unter den Farbigen zugenommen. Aber doch nur zu gleicher Zeit mit einer noch stärkeren Zunahme der Baumwollerzeugung auf den europäisch geleiteten Pflanzungen.

Mehr auf dem Gebiete des Pflanzenbaues als die Bantu leisten fraglos die höher kultivierten Zweige der schwarzen Rasse. Die Baumwollkulturen in Uganda sowohl wie in Nigerien und Togo beweisen wohl am besten, dass auch die Eingeborenen imstande sind, im Interesse des überseeischen Handels zu arbeiten. Doch ist sicher, dass der Großbetrieb und die Bewirtschaftung ausgedehnter, in einer Hand befindlicher Flächen der europäischen Leitung nicht wohl entraten kann.

Dass auch die Nordafrikaner auf Grund des Zusammenwirkens von Großgrundbesitz in den Händen intelligenter Leute und von Kleinbesitz in den Händen des sein Land selbst und ohne Maschinen bearbeitenden Landmannes mehr als bei einseitigem Funktionieren eines der beiden Teile leisten, zeigen am besten die ägyptischen Verhältnisse. F. Magnus nennt nun zwar den Kleinbetrieb die fraglos rationellste Betriebsform in Ägypten, weist aber auf Grund eingehender Untersuchungen auch dem Großgrundbesitz bestimmte sehr wichtige Aufgaben zu. Hier ist auch für Nordafrika bezeichnend, was in noch höherem Maße für das tropische Afrika gilt, dass das Kapital, das in die notwendigen Anlagen (Bewässerung!) und Maschinen gesteckt werden muss, nur im Besitz der Europäer zu finden ist.

Die Annahme, dass man Volks- oder Europäerkulturen in ganzen Ländern einseitig entwickeln könne, dürfte mit dieser einen, unendlich wichtigen Tatsache wohl widerlegt sein. Mit der fortschreitenden Intensität des Landbaues in afrikanischen Ländern wird der Gang der Bewirtschaftung sich in ähnlichem Sinne vollziehen wie im Nillande und beide Teile werden immer mehr auf ein geraeinsames Arbeiten angewiesen sein. Niemand wird daher daran denken, die Farbigen lediglich auf den Anbau der vom Lande selbst benötigten Nährfrüchte zu beschränken oder umgekehrt dem Großbetrieb entgegenzutreten, weil die Farbigen die zu seiner Entwicklung erforderlichen Mittel nun einmal nicht in ähnlichem Maße wie die Weißen aufzubringen imstande sind. Was aber von einem Lande hoher und alter Bodenkultur gilt, das lässt sich mit noch weit größerem Nachdruck selbst von den Halbkulturländern der Schwarzen behaupten. Was Hupfeld und andere Kenner betonten, als der Streit der Meinungen in vollem Gange war, das bestätigen die Ausführungen von J. Booth, wenn er unter Bezugnahme auf Togo sagt, dass der erhoffte große wirtschaftliche Fortschritt selbst in der Kultur einer einheimischen Pflanze wie der Ölpalme nur aus der Verbesserung der Eingeborenenkultur und aus dem Entstehen von europäischen Betrieben hervorgehen könne. Und F. Hupfeld weist darauf hin, wie wertvoll schon das persönliche Kennenlernen der auf den Plantagen der Europäer angewandten Kulturmethoden für die Erziehung der Eingeborenen ist.

Neben der Produktion der Bewohner in Landbau und Viehzucht würde eine geographische Arbeit allgemeiner Natur oder eine Landeskunde afrikanischer Gebiete auch ihrer gewerblichen Tätigkeit gedenken müssen. In einer Wirtschaftsgeographie erübrigt sich das indessen für die meisten Einzelländer. Damit soll keineswegs gesagt sein, dass nicht selbst die Eingeborenen eine recht beachtenswerte gewerbliche Tätigkeit entwickeln. Wer die Fellarbeiten südafrikanischer Völker oder die Elfenbeinschnitzereien aus dem äquatorialen Afrika und die Eisenarbeiten aus den verschiedensten südäquatorialen [Schwarzen] gebieten kennt, wird sogar den Bantu[Schwarzen] in dieser Beziehung höher einschätzen als den landläufigen Ansichten bei uns von den sogenannten Wilden entspricht. Noch weniger wird er den westafrikanischen Stämmen sowie den Sudanvölkern und Abessiniern seine Achtung versagen. Namentlich im tropischen Westafrika wird in Flecht- und Webearbeiten, in Leder- und Schmiedearbeiten und ähnlichen Dingen, ja sogar im Luxusgewerbe (Goldschmiedearbeit) bisweilen ganz Hervorragendes geleistet. Noch mehr gilt das schließlich von den in Arbeiten orientalischer Art geübten Völkern der afrikanischen Mittelmeerländer. Aber alle Anerkennung dieser Dinge führt nicht zu engeren Beziehungen des afrikanischen Gewerbes zu Europa. Im Handelsverkehr erlangen all diese hübschen und interessanten Dinge nur in Ausnahmefällen eine höhere Bedeutung als die von gern gekauften Kuriositäten. Im Eingeborenenhandel von Landschaft zu Landschaft hatten sie allerdings selbst unter den Bantu[Schwarzen] eine gewisse Bedeutung erreicht. Es sei nur an den Vertrieb von Schmiedearbeiten der Ovambo nach dem Hererolande erinnert, der noch vor zwei Jahrzehnten ziemlich lebhaft war. Mit dem Eindringen der europäischen Fabrikwaren geht indessen nicht nur dieser innerafrikanische Handel mehr und mehr zurück, sondern es sinken auch die Leistungen mancher einheimischen Gewerbe von ihrer bisherigen Stufe herab.

Wie gering selbst in einem an guten heimischen Arbeiten reichen Gebiet die Bedeutung des Eingeborenengewerbes für den nach außen gerichteten Handel ist, zeigt uns die Ausfuhr unserer einzigen rein westafrikanischen Kolonie Togo, in dessen Ausfuhrlisten an Kuriositäten, Bast-und Holzwaren sowie Baumwollgeweben 1912 182.000 M. = 1,8 vom Hundert vermerkt sind. Selbst wenn es sich hier tatsächlich nur um dem einheimischen Gewerbe entstammende Gegenstände handelt, doch nur ein verschwindend geringer Anteil, wenn man bedenkt, dass zwei den Eingebornenkulturen entstammende Erzeugnisse der Landwirtschaft, Mais und Rohbaumwolle, ganz allein 7,5 Prozent des Ausfuhrwertes aufbrachten. In Deutsch-Ostafrika fällt auf die dem heimischen Gewerbe entstammenden Dinge im gleichen Jahre sogar nur der verschwindend geringe Anteil von 0,4 Prozent des Wertes der Gesamtausfuhr.

Die einzigen Gebiete, in denen nennenswerte Mengen von Erzeugnissen des nicht auf der Landwirtschaft beruhenden Gewerbes zur Ausfuhr gelangen, sind die Länder Nordafrikas. Bedeutend ist dieser Absatz indessen auch hier nicht und nach F. Magnus steht es z. B. fest, dass in Ägypten der Absatz dieser Dinge fast nur mit den Touristen des Winters rechnet und dass die Händler und Produzenten im Sommer ihre Verkaufsstätten überhaupt schließen. Wie sehr auch hier das Gewerbe in den Hintergrund tritt, zeigt das Ergebnis der Zählung von 1907, nach der ihm nur 376.000 Personen, der landwirtschaftlichen Beschäftigung dagegen 2.315.000 Personen angehörten. Das einzige erwähnenswerte Erzeugnis des Gewerbes, das übrigens nur (1911) mit 1,4 Prozent des ganzen Ausfuhrwertes verzeichnet ist, die Zigaretten, sind schließlich auch ein unmittelbar aus der Landwirtschaft hervorgegangenes Fabrikat. Eher schon dürfen da die aus Tunis stammenden heimischen Wollgewebe genannt werden, die 1911 indessen nur rund 3 Prozent der Gesamtausfuhr ausmachten, wozu in Marokko noch Schuhe mit 1,6 Prozent kommen.

Die Menschen, die, wie wir sahen, noch in viel zu geringer Menge diesen Kontinent bevölkern, müssen also an Zahl bedeutend zunehmen, wenn anders er in dem höchstmöglichen Grade für die Welt nutzbar gemacht werden soll. Das kann aber nicht geschehen, ohne dass zu ihrer Erziehung durch Schule und Mission auch die Ausschließung der schweren Schädigungen tritt, die nicht nur für die Farbigen, sondern auch für die drüben tätigen Europäer eine ständige und drohende Gefahr bilden.

Es ist jedenfalls ein gründlicher, aber in Europa immer noch weit verbreiteter Irrtum, dass der Eingeborene manchen von den Weißen in Afrika besonders gefürchteten Krankheiten nicht unterliege. Wenn er auf der einen Seite auch widerstandsfähig und zähe genannt werden kann, so ist er andererseits durch seine hygienisch oft recht minderwertige Umgebung viel mehr Gefahren ausgesetzt als der Weiße. Dysenterie und die so sehr gefürchtete Malaria ergreifen den [Eingeborenen] so gut wie jenen, und Todesfälle unter den Schwarzen sind keineswegs so selten wie man ehemals angenommen hat. Ein bis zu einem gewissen Grade mögliches Ausrotten der genannten und verschiedener anderer Krankheiten würde daher auch in nur von Farbigen bewohnten Gegenden zu den wichtigsten Bedingungen auch des wirtschaftlichen Fortschreitens zu rechnen sein.

Keine der seit längerer Zeit bekannten Krankheiten dieses Weltteils lässt sich indessen an verheerender Wirkung mit der entsetzlichen, durch den Stich der Glossina palpalis übertragenen Schlafkrankheit vergleichen und die Zurückdrängung bzw. Vernichtung dieser furchtbaren Seuche bildet in manchen Landschaften geradezu die Vorbedingung ihrer weiteren wirtschaftlichen Erschließung. Nach G. Meyer ist als ihr eigentlicher Herd das Kongogebiet anzusehen; erst von hier aus ist sie namentlich nach Westafrika vorgedrungen, ist aber dort nur in einigen Gegenden, u. a. am Gambia, stark aufgetreten. Kleinere Herde hat man bis in die Breite von Benguella nachgewiesen. Im Osten hat sie sich namentlich in der Umgegend des Viktoriasees, besonders in Uganda, gezeigt. Doch ist ihre Bekämpfung nach der Angabe von G. Meyer leichter als diejenige der Malaria.

Die Verwüstungen, die diese Krankheit in einzelnen besonders verseuchten Gebieten angerichtet hat, lassen sich in einigen Fällen sogar statistisch abschätzen. In Uganda wurde im Jahre 1903 die Bevölkerung auf 3.500.000 Bewohner geschätzt. Dort ist die Schlafkrankheit durch Leute Emin Paschas eingeschleppt worden und hat dann in diesem Lande in grauenerregender Weise gewütet. Die Zählung von 1911 ergab infolgedessen eine Einwohnerzahl von nur 2.843.000. Nimmt man nun auch eine zu hohe Einschätzung für das zuerst angeführte Jahr an, so ist eine Überschätzung um ein volles Viertel der wirklich vorhandenen Bewohner in einem damals bereits sehr gut bekannten Lande von verhältnismäßig hoher Eigenkultur doch so gut wie ausgeschlossen. Man darf also ohne Übertreibung den Menschenverlust durch die Schlafkrankheit in der Zeit von weniger als acht Jahren auf einige Hunderttausend Eingeborne ansetzen. Die durch diesen afrikanischen Würgengel hingerafften Massen treten somit nur wenig hinter denen zurück, die in gleich kurzen Zeiträumen in der Zeit der Sklavenjagden in einzelnen Landschaften dem Menschenraube zum Opfer gefallen sind.

Eine ebenfalls sehr ernst zu nehmende Gefahr sind die venerischen Erkrankungen, zu deren Eindämmung bei der dem Afrikaner eigenen Sinnlichkeit die Erziehung nicht ausreicht, sondern gegen die der Kampf nicht ohne eingreifende staatliche und hygienische Maßnahmen geführt werden kann. Man unterschätze nicht, verführt durch falsche europäische Anschauungen, die von dieser Seite drohenden Nachteile für die natürliche Vermehrung der schwarzen Rasse. Nachdem in Uganda die Schlafkrankheit eingedämmt war, wurde laut amtlicher Feststellung der erneute Zuwachs gerade durch die Folgen der Geschlechtskrankheiten erheblich beeinträchtigt.

Ein weiterer Schaden, die Säuglingssterblichkeit, muss ebenfalls durch besondere Maßnahmen bekämpft werden, wenn eine sichtbare und starke Volksvermehrung erreicht werden soll. Ich wiederhole, dass jede dieses Ziel anstrebende Maßregel einen unmittelbaren Wert für die erhoffte Hebung des wirtschaftlichen Lebens und damit für das Gewicht Afrikas im Welthandel und Weltverkehr hat. Auch diejenigen, die im [Schwarzen] eine wesentlich für körperliche Arbeit geeignete Rasse erblicken, worin nebenbei gar keine Herabwürdigung des Schwarzen im rein menschlichen Sinne liegt, werden in der Schonung und Vermehrung der von Natur in dieser Rasse schlummernden Kräfte das beste Mittel erblicken, den Interessen der kolonisierenden Mächte zu dienen. Auf diesem Gebiete einer ins Afrikanische übersetzten Sozialpolitik treffen ihre Wünsche und Bestrebungen bis ins Einzelne mit denen der Heidenmission und der Vertreter reinen Menschentums zusammen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wirtschaftsgeographie von Afrika