Der Wind

Der Wind ist ein Lotter (ein Landstreicher), der von Haus zu Haus geht. Man derhängt ihn nicht an; man ist froh, wenn er geht: denn wenn er fahrt, derstellt man ihn nicht aus, ebensowenig wie einen fahrenden Wagen oder einen herankommenden Eisenbahnzug.

Wenn die Hennen krähen, kommt der Wind. Er muss so lange gehn, bis er blutet; daher soll man nichts Böses auf ihn sagen. „Das glaub’ ich, dass der Wind Enk angeblasen hat! Wo mag er jetzt hingegangen sein?“


Anno zwölfundachzig *) ist der Wind so gegangen, dass er den Leuten das Haar von den Köpfen gerissen hat. Viel Wind, viel Krieg! hat der alte Wechsler allem gesagt. Wenn der „äußere“ Wind (NO vom Brenner) weht, ist es frisch und klar, weht aber der „untere“ (SW von Sterzing), dann gibt es Regen. Heuer weht der äußere allein, der untere hat wohl mal auergelugt, ob er nicht aufer kommen könnte, aber der andere hat es nicht gelassen.

*) Vielleicht eine dunkle Erinnerung an das Jahr 1792, das den Leuten nicht nur das Haar, sondern auch die Köpfe mit fortgenommen hat.

Den alten Brennern diente des Windes Treiben als „Los“ (Orakel). Sie streuten zu Georgi etwas Nudelmehl auf das Dach des Hauses. Vertrug es der Wind, so glaubten sie, es erginge dem Mehl, woraus Nudeln gemacht worden, ebenso — streng genommen dem Weizen auf dem Felde, aus dem Mehl bereitet wird.

„Die Furl“, haben Sie von der nie gehört? ein gemachter Wind! — es wird wohl soviel wie eine Hexe gewesen sein. Die Furl drehte einem Bauern das Heu umeinander, da warf ein Bube von ihm mit dem Messer nach ihr. Das Messer aber blieb im Bauch des Vaters stecken, der wohl in der Nähe Gras geschnitten haben wird, — ich weiß nimmermehr recht, wie es war, — dort fand man nachher das Messer, und den Mann fand man tot.“ —

„Wissen Sie auch, was ein armes Weible getan hat, damit der Wind ihr nicht die Erde vertrüge?" Das Weible hatte nur eine alte Hütte und nur ein kleines Stück Land, — die Erde lag dünn auf dem Felsgrund, und der Wind wehte immer über sie hin, so dass die Frau fürchtete, er würde das Land ganz forttragen. Da opferte sie ihm jedesmal, wenn sie Mus kochte, eine Kelle voll Mehl, welches sie ihm zum Fenster hinausstreute. Und der Wind ließ ihr das Land.“ —