Wild-, Wald- und Waidmannsbilder. - Schmalrehchens Ende

Aus: Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt
Autor: Hammer, Guido, Erscheinungsjahr: 1874

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Jagd, Wild, Wald, Waidmann, Reh, Schmalreh, Förster, Jäger
Weil bei Ausübung der Jagd das Gefühl des Triumphes, die erhoffte Beute endlich errungen zu haben, in der Regel von dem Reiz freudiger Aufregung begleitet ist, deshalb darf der Laie nicht meinen, der Jäger finde solchen Hochgenuss etwa im Vernichten eines frischen Lebens, Nein! Vielmehr ist er nur eine Wirkung des geschmeichelten Selbstbewusstseins seiner Überlegenheit über das Tier, bekunde diese sich nun in mannhafter Bewältigung eines mit besonderer Kraft und hohem Mut ausgerüsteten Individuums oder in den Eigenschaften der Klugheit, Vorsicht und Raschheit, mit welchen der Jäger dem ihm hierin stets ebenbürtig ausgestatteten Wilde den Rang abzulaufen verstand. Trotz dieses Gefühls geschmeichelten Selbstbewusstseins kommen aber doch Momente vor, wo selbst der leidenschaftlichste Jagdfreund bittere Reue über einen getanen siegreichen Schuss empfindet. Kann ich doch aus eigener Erfahrung einen recht schlagenden Beweis für einen solchen Fall anführen, der in mir heute noch — ich schäme mich nicht, es einzugestehen — das nagende Gefühl nur allzu gerechten Unmutes über mich selber erregt, sobald ich nur daran denke. Nur wie eine Art Sühne betrachte ich es daher, darüber des Weiteren mich auszusprechen.


Ich hatte von dem mir befreundeten, nun längst schon auf himmlischen Etat gesetzten Oberförster C. Schusserlaubnis, ja sogar -Befehl auf ein Spießböckchen oder auch Schmalreh — eines oder das andere gleich erwünscht — erhalten, weil gerade solch ein zartes Stücklein Wild für die Tafel einer hochstehenden kränkelnden Dame dringlichst bestellt worden war. Damit diese so ganz ausdrücklich begehrte Lieferung auch sicher beschafft werden möge, begleitete mich des Försters Sohn, mir von Kindheit her ein guter Kamerad, wobei wir das Übereinkommen trafen: dass Jeder für sich einen bestimmten Teil im Reviere abpirschen und, höre dabei Einer den Anderen schießen, jener seine Kugel bewahren und diesem schleunigst entgegen eilen sollte.

So verfolgten wir denn bald von einen, sich gabelnden Waldsteig aus unsere verschiedenen Pfade, um die aus den vorgenommenen Strecken liegenden alten Graswege, lichten Stangenhölzer, kleinen Blößen und weiten Schläge nach dem Begehrten abzusuchen. Auf einem der letzteren, wo ich noch jedes Mal Rehe angetroffen, ich mochte nun jagend oder nur beobachtend darnach gegangen sein, gewahrte ich denn auch heute alsbald einen ganzen Sprung Rehe. Doch selbst von der Holzwand aus, wohin ich mich überhaupt notwendig erst noch anzuschleichen hatte, um das ganze Gehau übersehen zu können, standen sie noch viel zu weit entfernt, um beschossen werden zu können.

Als ich daher durch den vor mir gelegenen hohen Bestand, wo ich mich immer von Baum zu Baum decken konnte, bis an den hinter Anflug versteckten Rand vorgedrungen war, lugte ich zuvörderst nach rechts und links aus, die nähere Umgebung zu mustern, ob in dieser nicht etwa schon Schussgerechtes stünde. Und richtig! Gar nicht weit von meiner gut gedeckten Stellung, wohin ich übrigens zuletzt auf dem Bauche, die Büchse dabei immer vor mir her schiebend, durch dichtes Heidelbeergestrüpp lautlos gekrochen war, erblickte ich einen einzelnen Kapitalbock. Wohl war es mir eine hohe Freude, dem Stattlichen so völlig unbemerkt angekommen zu sein und ihn nun in Muße beobachten zu können, aber auch wiederum eine harte Pein, gemessensten Schussbefehls halber nicht darauf schießen zu dürfen. Gleich einer schweren Last fiel mir es daher vom Herzen, als der ganz vertraulich Äsende nun langsam weiter zog und sich endlich meinen Blicken entzog; war ich dadurch doch der Verführung enthoben, trotz des Verbotes auf den gar so prächtigen Burschen den Finger krumm zu machen".

Während ich nach dieser Prüfung wieder leichter aufatmete und nun erst den inmitten des Gehaues herumnistelnden und zuweilen scherzenden Rehen meine Aufmerksamkeit zuwandte, regte sich plötzlich wieder seitwärts, links von mir, etwas, und wahrlich — da zog ein altes Reh mit einem Schmalreh heraus! Waren beide auch jetzt noch zu weit entfernt, als dass ich sofort auf sie hätte schießen können, so nahmen sie doch alsbald ihre Richtung, wenn auch unter mancherlei Aufenthalt, weil bald hier bald dort nach süßen Gräslein suchend, schräg auf mich zu. So kam denn das Pärchen näher und näher, zuweilen aber roch recht peinlich lange hinter Hügeln blühender Haide oder anderer Deckung verschwindend, wo die Traulichen dann wohl ruhig äßen mochten.

Unter solcher Verzögerung war aber auch die Sonne, welche im Scheiden noch die pinienartigen Wipfel der übergehaltenen Kiefern mit purpurner Pracht durchglühte, hinter einer mir gegenüberliegenden Waldwand niedergesunken, und heimliche Dämmerung breitete sich nun über die ganze weite, stille Heide. Mit Ungeduld wartete ich daher aus das endliche, hoffentlich diesmal recht nahe Wiedererscheinen meines ersehnten Zieles, denn nicht nur dass mir bei längeren. Ausbleiben desselben ums genügende Büchsenlicht bangte, sondern mit Aufregung lauschte ich dabei auch des Schusses meines Mitpirschenden, welcher jeden Augenblick erschallen konnte, wonach — der getroffenen Bestimmung zufolge — ich ja auf den meinigen verzichten musste. Endlich trat das Mutterreh wieder und zwar hinter dichtem Fichtenanflug hervor. Es stand in, bester Schussweite. Noch fehlte aber sein Schützling, und diesem ja galt heute einzig und allein die Jagd. Da — mit graziösem Sprung — war er plötzlich an der Seite seiner Mutter. Nun aber begann eine wahre Marter für mich, denn wohl hatte ich endlich mein langersehntes Stück schussweit vor mir, aber bald stand dasselbe dicht vor der Alten, bald deckte diese wieder den gefährdeten Sprössling, und ward dieser wirklich einmal frei, dann blieb er doch jedes Mal spitz nach vorn oder nach hinten gewandt. Kurzum, es schien, als jollte es mir heute nimmer glücken, und diese etwa zehn Minuten, die mich eine Ewigkeit dünkten, brachten mich fast zum Verzweifeln, Solche Stimmung aber ließ mich denn durchaus nicht zu sentimentalen Regungen kommen, die sonst wohl, im ruhigen Anblick der gar so lieben Geschöpfe, dem schmucken Geischen ras Leben und dem Altreh seinen Liebling gerettet haben würden, vielmehr erfasste mich ob der vorwaltenden Hindernisse ein so leidenschaftliches Gefühl, dass ich nur mit verstärktem Begehr nach der ausersehenen Beute trachtete. Darum, als endlich doch einmal das schmächtige Backfischchen nur einen Fuß breit hinter der Rike zurückblieb, benutzte ich rasch diesen Augenblick und, scharfes Korn nehmend, berührte ich den Stecher.

Dröhnend hallte der scharfe Büchsenknall durch den in abendlicher Ruhe grabesstill daliegenden Forst und brach sich in mehrfachem Echo an der gegenüber liegenden hohen Holzwand, das lichtblaue Pulverwölkchen aber strich zurück, mir über die Achsel — und niedergeschmettert lag draußen auf moosigem Grunde das zum Tode getroffene niedliche Tier, Aber nicht verlassen war es — die Mutter stand mit den zierlichen, schreckhaft gespreizten Läufen, wie in den Boden gewurzelt, vor dem todeswunden Liebling und starrte diesen, ihren feingeformten Kopf und Hals darüber hinneigend, mit schmerzberedtem Auge an. Und eine bange Weile, während das Schmalreh vergeblich sich aufzuraffen trachtete, fesselte treue Mutterliebe das alle Reh regungslos an die verhängnisvolle Stelle; ja so lange, bis ich wieder geladen hatte und nun rasch auf mein Opfer einsprang, um es, das immer noch lebende, von seiner Qual durch einen Nickfang zu erlösen. Nun erst verließ das geängstete Muttertier, aber immer noch zögernd, die Unglücksstätte und folgte dem Wechsel der nach dem Schuss fluchtig Gewordenen, welche draußen auf dem Gehau gestanden, um wie diese drüben im nun lief düster gewordenen Walde sich dem grausamen menschlichen Auge zu entziehen.

Von Mitleid gequält, beeilte ich mich möglichst, dem noch immer nicht Verendeten den Gnadenstoß zu geben, aber so sicher ich solchen zu vollstrecken meinte — sterben wollte das Ärmste doch nicht daran. Und so oft ich den Fang noch wiederholte — zum Tode traf er heute nicht. Noch einmal aber darauf zu schießen, unterließ ich, um bei meinem Protektor, dem Oberförster — so ist der Mensch! — meiner Waidmannsehre nichts zu vergeben. Dazu war auf den Schuss jetzt auch mein Freund herbeigeeilt, und willig überließ ich nun diesem, das leidende Tier zu töten, -Mitleidlos und darum völlig ruhig versuchte es auch Dieser — doch mit nicht besserem Erfolg als ich. Weinen hätte ich mögen, der ich mir in diesem Augenblicke wahrlich wie ein Mörder vorkam, und so recht ward mir dabei die Entstehung des Volksaberglaubens klar, der da meint: dasjenige Tier, welches man bei seinem Todesnahen bedauere, könne nicht ersterben. Endlich, als selbst die wiederholte Anwendung des Nickfängers von der erprobten Hand meines Waidgenossen nicht zum Ziele führte, knüpfte dieser die Fangleine vom Hirschfängerkoppel los, und eine Schlinge daran knüpfend — erwürgte der harte Jägersmann gleich einem Henker das sanftäugige, jungfräuliche Wesen damit, dabei in die Worte ausbrechend: „Ins Lazarett können wir dich doch nicht schaffen."

Ich aber nahm mir vor, auf Jungwild nie wieder zu schießen, und obwohl noch manches Mal die Aufforderung zum Abschuss auf Schmalrehe und Wildkälbchen an mich erging, da solche Leckerbissen gar oft in die feinen Küchen verlangt werden — ich habe mir mein Wort gehalten..

Jagd, Schmalrehchens Ende

Jagd, Schmalrehchens Ende