Die Selektionen

Die Selektionen wurden auf verschiedene Weise durchgeführt und galten alle dem einen Ziel, die Anzahl der Lagerinsassen weitgehend zu dezimieren. In der ersten Zeit hieß es im Stammlager zum Beispiel: „Antreten auf der „Birkenallee“!" Und dann ging es einzeln nackt durch den Baderaum, in dem der SS-Arzt seine Gas-Opfer aussuchte. Um zu verhindern, dass sich besonders schwache Häftlinge rechtzeitig versteckten, wurden im Jahre 1944 die Selektionen ganz überraschend angesetzt. Nicht einmal der Lagerälteste wurde vorher informiert. Die über Fünfzigjährigen schwebten dadurch in ständiger Gefahr, denn sie sollten zuerst vernichtet werden.

Alle mit unserer Organisation verbundenen Blockältesten bzw. Blockschreiber verpflichteten sich, ihre Kartotheken so zu fälschen, dass kein über Fünfzigjähriger mehr darin blieb. Des öfteren ergab sich dabei die Schwierigkeit, dass die davon Betroffenen nicht unterrichtet werden durften, weil sie nur selten die Größe der Gefahr übersehen konnten, in der sie sich befanden und vielleicht auch fürchteten, die Jüngermachung könnte ihnen sogar noch schaden. Wir richteten daher im letzten Dreivierteljahr des Auschwitzer Konzentrationslagers eine förmliche Bereitschaft für derartige Fälle ein. Da im letzten Jahr hauptsächlich Juden den Selektionen unterworfen wurden und die deutschen Blockältesten und Kapos bei diesen Aktionen den Absperrdienst übernehmen mussten, sammelten wir unsere Leute an der Desinfektion und ließen durch sie die Gefährdeten aus der Absperrung und damit aus der Gefahrenzone holen. Das war selbstverständlich mit Gefahren verbunden. Besonders haben dabei mitgewirkt der Kapo der Desinfektion, Alfred Ponthius (deutscher Kommunist), der Blockälteste vom Block V, Rudolf Göbel (Kommunist aus Reichenau), der Lagerälteste Heinz Dürmayer (österreichischer Kommunist) und unsere Freunde aus den anderen Ländern. Sie haben bei diesen Dingen viel geholfen. Auf diese Weise und durch das Wirken unserer Organisation konnten viele Menschen dem Gastod entrissen werden. Auch hier ist wieder zu sagen: vielen, nur zu vielen konnten wir nicht helfen, sie fielen dem Gastod zum Opfer.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Widerstand in Auschwitz