Wer soll nach Argentinien kommen?

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 9. 1921
Autor: Mirau, Leo, Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderung, Einwanderung, Argentinien, Fachkräfte, Handwerker, Sprachkenntnisse, Fleiß, Arbeitskräfte, Bauern, Viehzüchter, Schäfer, Landbesitzer, Arbeitskräftemangel, Erfolg
*) Aus dem sehr empfehlenswerten Buch eines zuverlässigen Kenners der argentinischen Verhältnisse, Leo Mirau, Argentinien von heute. Schilderung von Land und Leuten. 3. Aufl. 1920. Herdersche Buchhandlung in Freiburg i. Br.

Milchwirtschaft in der Sierra de Cordoba.
Im Lager der Gauchos.
Ein Pampagespann.
Kirchgang in Jujuy im nördlichen Argentinien
Wandelnde Viehherde in der Pampa.
Auf einer Estanzia.
Baden der Schafe in der Pampa.
Ein Transportzug.

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Das ist eine wichtige Frage, die nur von Berufenen beantwortet werden kann, die jahrelang den Strom der Einwanderung nach dem La Plata beobachtet haben. Vielfach kommt es vor, dass junge Leute, denen es im ersten Jahre ihres Aufenthaltes in Argentinien gelungen ist, eine auskömmliche Stellung zu finden, voll von Begeisterung ihren Verwandten und Freunden in der alten Heimat die Verhältnisse in Argentinien in zu rosigem Lichte schildern und anraten, herüberzukommen. Es gibt andere, die sich in Buenos Aires nur vorübergehend aufgehalten haben und bei ihrer Rückkehr nach Europa alles, was sie gesehen, abfällig beurteilen. Beide Arten der Berichterstattung sind unrichtig; die Wahrheit liegt in der Mitte.

Zunächst ist Argentinien allen denen anzuraten, die vom Glück wenig begünstigt und von Schicksalsschlägen niedergehalten werden. Wer wollte es leugnen, dass im Leben eines strebsamen Menschen plötzlich Ereignisse eintreten können, die ihm den Aufenthalt in der Heimat unerträglich machen. Andere gibt es, die nichts ihr eigen nennen und des Nachts nicht missen, wo sie ihr Haupt hinlegen sollen, während in Argentinien Hunderte von Quadratkilometern Landes brachliegen, die noch von keines Menschen Fuß betreten sind und noch des Ubarmachens durch fleißige Hände harren.

Menschen, die guten Willens sind, zu arbeiten und sich ehrlich zu ernähren, und danach streben, im Leben voranzukommen, ist Argentinien in erster Linie anzuraten.
In zweiter Linie weise ich Viehzüchter und Landwirte auf Argentinien hin.


Da der argentinische Boden ergiebig ist und die Viehzucht gut gedeiht, so ist die Arbeit groß, der Arbeiter aber sind wenige in Argentinien. Wie viele Großgrundbesitzer gibt es in Argentinien, die Hunderte von Quadratkilometern Landes besitzen mit tausendköpfiger Herde von Schafen, Pferden oder Rindern, aber nur einen Hirten haben, der den ganzen Tag dazu braucht, um ein einziges Mal nur die ganze Herde herumzureiten, und sie durch Hunde zusammenhalten muss!

Es gibt viele Landwirte, die hundert bis tausend Hektar Land besitzen, aber nicht einmal den vierten Teil davon bebauen und bepflanzen können, weil es ihnen an Arbeitskräften mangelt. Andere wieder haben eine schöne Ernte erzielt, ihr Getreide auf dem Felde ausgedroschen und, in Säcken verpackt, zur Station befördert. Es fehlt aber zur Erntezeit im Januar häufig an Beförderungsmitteln. Oft bleibt das Getreide monatelang unter freiem Himmel liegen, Wind und Regen ausgesetzt, ohne dass Hände genug da sind, es zu verladen und weiterzubefördern. Die Herden der Großgrundbesitzer gehen oft in stürmischem Wetter zu einem großen Teil ein, weil keine Stallungen auf dem unendlich weiten Kamp zu finden sind. Aus diesem Grunde ist Landwirten anzuraten, nach Argentinien zu kommen, um zu verhindern, dass Millionen von Mark der Landproduktion verloren gehen, weil nicht Hände genug da sind, das Erntegut sich nutzbar zu machen.

Ferner hat das Handwerk in Argentinien „goldenen Boden“. Wer immer ein ehrbares Handwerk, sei es Maurer oder Zimmermann, Techniker oder Elektriker, Schuster oder Schneider, gut gelernt hat, der kann sicher sein, dass er Arbeit und hilfreiche Menschen findet, die ihm dazu verhelfen, auf einen grünen Zweig zu kommen. Ich könnte eine ganze Reihe von Beispielen anführen von solchen, denen es gelungen ist, in Argentinien bei Fleiß und Strebsamkeit weiterzukommen, die sich vom Gesellen zum Meister oder Fabrikherrn emporgeschwungen haben, in deren Werkstätten Hunderte von Arbeitern beschäftigt sind, wo der Betrieb außer an Sonntagen nie stillsteht.

Auch die Großkapitalisten möchte ich auf Argentinien aufmerksam machen. Ich bin der Meinung, dass es eine Unterlassungssünde gewesen ist, dass das deutsche Kapital sich nicht im Wettstreit mit anderen Nationen um Argentinien bekümmert und anderen das Feld überlassen hat. Wie anders wäre es denn möglich, dass von etwa vierzigtausend Kilometer Schienenweg in Argentinien etwa dreißigtausend in Händen englischer Kapitalisten sich befinden? Obschon erst im Anfangsstadium, haben die Eisenbahngesellschaften, die meist ihren Sitz in London haben, sechs bis sechzehn Prozent Dividenden jährlich ihren Aktionären ausbezahlt. Darum wäre es für deutsche Kapitalisten ratsam, dem Beispiel der A.E.G. in Berlin zu folgen, die unter dem Namen „Deutsche transatlantische Elektrizitätsgesellschaft“ vor zwanzig Jahren dort festen Fuß gefasst hat und heute in Argentinien fest im Sattel sitzt.

Aber nicht nur Männern verspricht Argentinien eine reiche Zukunft. Im letzten europäischen Kriege sind zahllose Männer gefallen oder verwundet worden; um die Toten trauern heute Tausende von Frauen und Jungfrauen. Viele von ihnen sind hilfsbedürftig und des Mitleides wert. Pflicht wäre es also von blühenden Nationen, wie es die argentinische ist, diesen Frauen hilfreich die Hand zu bieten, um ihnen in ihrem Land noch glückliche Tage zu verschaffen. Deswegen kann ich auch Frauen und Jungfrauen, welche im Haushalt tüchtig sind, Argentinien empfehlen. Der Mangel an weiblichem Personal ist so groß, dass in den Zeitungen viel mehr „Gesuche“ als Angebote zu finden sind. Es ist deshalb kein Wunder, dass Köchinnen außer freier Pension ein Monatsgehalt von 40 bis 80 Dollar beziehen, dass eine Privatlehrerin monatlich 80 bis 150 Dollar verdient, und dass Jungfrauen häufig schnell in den Hafen der Ehe gelangen, da unter den Fremden in Argentinien zehnmal mehr Männer als Frauen vorhanden sind.

Dringend abraten, nach Argentinien zu kommen, muss ich aber allen jungen Kaufleuten ohne spanische Sprachkenntnis, die sich Argentinien als Eldorado vorstellen. Sprachunkundige Kaufleute machen sich in der Heimat häufig kaum eine Vorstellung, wie schwer es hier auf gut Glück Suchenden fällt, eine zufriedenstellende Tätigkeit zu erhalten. Oft müssen diese jungen Leute, wenn ihnen der Muttergroschen ausgeht, zu den niedrigsten Arbeiten greifen, um ihr Leben zu fristen. Daher rate ich keinem jungen Kaufmann, der eine einigermaßen auskömmliche Stelle hat, diese leichtsinnig aufzugeben, um in Argentinien sein „Glück zu suchen“. Junge Leute mit ausreichenden Sprachkenntnissen finden dagegen vielfach Stellung.

Häufig besteht in Europa die Neigung, ungeratene Muttersöhnchen einigermaßen mit Geld versehen nach Amerika abzuschieben. Es ist dies ein falscher Grundsatz, denn nach dem Ausspruche des Horaz werden die Leichtsinnigen „nur den Himmelsstrich, nicht aber ihre Gewohnheit ändern“, wenn sie über das Meer reisen. Leichtsinnige weiden meist nur noch leichtsinniger, und Taugenichtse werden Vagabunden. Auch andere Herren sollten es sich merken, dass Argentinien kein Tummelplatz für Tunichtgute ist, sondern Fleiß, Ausdauer und strenge Arbeit erforderlich sind, um in der menschlichen Gesellschaft Tüchtiges zu leisten.

Auswanderung, Argentinien, Milchwirtschaft in der Sierra de Cordoba

Auswanderung, Argentinien, Milchwirtschaft in der Sierra de Cordoba

Auswanderung, Argentinien, Im Lager der Gauchos

Auswanderung, Argentinien, Im Lager der Gauchos

Auswanderung, Argentinien, Ein Pampagespann

Auswanderung, Argentinien, Ein Pampagespann

Auswanderung, Argentien, Kirchgang in Jujuy im nördlichen Argentinien

Auswanderung, Argentien, Kirchgang in Jujuy im nördlichen Argentinien

Auswanderung, Argentinien, Wandernde Viehherde in der Pampa

Auswanderung, Argentinien, Wandernde Viehherde in der Pampa

Auswanderung, Argentinien, Auf einer Estanzia

Auswanderung, Argentinien, Auf einer Estanzia

Auswanderung, Argentinien, Baden der Schafe in der Pampa

Auswanderung, Argentinien, Baden der Schafe in der Pampa

Auswanderung, Argentinien, Ein Transportzug

Auswanderung, Argentinien, Ein Transportzug