Graf Rostoptschin (1763-1826)

Da jedoch der Brand Moskaus mit dem Namen Rostoptschin eng verwachsen ist, so dürfte, bevor wir auf die Ereignisse selbst übergehen, eine kurze Charakteristik des Grafen Rostoptschin als General Gouverneur von Moskau im Jahre 1812 am Platze sein.

Feodor Wassiljewitsch Rostoptschin ist am 20. März 1765 zu Liwna im Gouvernement Orel geboren. Er führt seine Abstammung auf einen der Söhne Dschingis-Chans zurück. Sein Stammvater Boris Davidow Rostoptschi soll aus der Krim während der Regierung des Großfürsten Wassilij Iwanowitsch eingewandert sein. Feodor Wassilij witsch trat im Jahre 1782 in das Prjeobrajensker-Garde-Regiment als Korporal ein, wo er 1785 Sekondeleutnant wurde. Im Jahre 1792 wurde er Kammerjunker.


Als im Jahre 1796 Pavel Petrowitsch Kaiser wurde, wusste Rostoptschin sein Vertrauen zu erwerben und gelangte zu den höchsten Würden. Noch den 2. November 1796 wurde er Kavalier des Ordens der Heiligen Anna dritter Klasse, am 7. November Brigadier und Kavalier desselben Ordens zweiter Klasse, am 8. Generalmajor und Generaladjutant des Kaisers, am 9. wurde ihm die erste Klasse des genannten Ordens, am 15. April 1797 der Orden des heiligen Alexander Newsky verliehen; am 3. März 1798 wurde er zum Generalleutnant befördert, und am 10. Oktober desselben Jahres wurde ihm die Verwaltung des Ministeriums des Äußeren anvertraut, am 24. desselben Monats wurde er zum Wirklichen Geheimrat und zum dritten Präsidenten des Kollegiums des Äußeren ernannt: am 21. Dezember wurde er Kommandeur des Reichsordens des Heiligen Johannes von Jerusalem, am 31. desselben Monats wurden ihm die lnsignien des Ordens des Heiligen Alexander Newsky mit Brillanten verliehen.

Am 22. Februar 1799 wurde er in den Reichsgrafenstand erhoben, am 30. März desselben Jahres wurde er Großkanzler des Ordens des Heiligen Johannes von Jerusalem und Kavalier des Großkreuzes des Ordens des Heiligen Andreas; am 25. September zum ersten Präsidenten des Kollegiums des Äußeren ernannt, wurde er am 15. März 1800 Mitglied des Kaiserlichen Rates u. s. f. *)

Wie wir sehen, wurden also in einer kurzen Zeit Rostoptschin die höchsten Würden und Auszeichnungen zu teil.

Kaiser Paul wollte sich dadurch Anhänglichkeit und Treue unter seinen Dienern sichern; jedoch gelang es ihm nicht. Nur wenige aber blieben ihm tatsächlich treu, die übrigen komplottierten gegen ihn und entleibten ihn am 20. März 1801. Um die schlechte Tat ausführen zu können, brachten sie durch Intrigen Rostoptschin, der ihre Pläne vereiteln konnte, zu Fall. Im Januar 1801 musste er in die Verbannung gehen.

Kurz vor der Ermordung erhielt er folgendes Telegramm: „J'ai besoin de vous, revenez vite — Paul". **) Allein es war zu spät, die Verschwörer hatten schon ihre Arbeit verrichtet. Rostoptschin konnte nicht mehr seinem Herrn und Gönner helfen.

*) Vie du comte Rostoptschine, Gouverneur de Moscou, en 1812, par le comte A. de Ségur. Paris 1871.

**) Vie du comte Rostoptschine S. 86.


Paul starb, und für Rostoptschin war kein Platz mehr da. Er siedelte nach seinem Gute, das bei Woronowo lag, über, wo er zehn Jahre in Inaktivität verbrachte, und blieb ohne jede Beziehung zum Hofe.

Im Jahre 1811 ging Rostoptschin zum ersten Male seit 1801 wieder nach Petersburg, wo er vom Kaiser Alexander empfangen wurde. Im Jahre 1812 übertrug ihm der Kaiser Alexander den Posten eines General-Gouverneurs von Moskau an Stelle des greisen Feldmarschalls Graf Goudowitsch.

Der Erlass hierzu erschien jedoch erst am 24. Mai (5. Juni) 1812 zu Wilna;

„Der Wirkliche Geheimrat und Kammerherr am Hofe seiner Kaiserlichen Majestät, Graf Rostoptschin, wird gnädigst zum General der Infanterie und Kriegsgouverneur von Moskau ernannt." *)

*) N. K. Schilder, Imperator Alexander. Petersburg 1897. Bd. III, S. 66—67.

Diese kurz vor dem Beginn der Feindseligkeiten erfolgte Ernennung lässt vermuten, dass sie nicht so sehr des Kaisers Wunsch, als vielmehr eine politische Notwendigkeit war, da die Gefahr eines schweren Krieges drohend näher rückte und man sich so gezwungen sah, auch die Führer der Opposition zur Mitarbeit heranzuziehen. Dass Graf Rostoptschin jetzt unentbehrlich war, dürfte aus folgenden Worten seiner Aufzeichnung über das Jahr 1812 klar hervorgehen:

„Da meistenteils die Herren, die man für unentbehrlich hielt, sich schmeichelten und ehe sie etwas geleistet hätten, Abschätzungen für ihre künftige Arbeit vornahmen, Goldbelohnungen, Ordens-Auszeichnungen, Würden und dergleichen sich wünschten — so nahm ich mir die Freiheit von S. M. zu erflehen, dass ich mir nichts wünschte, da ich jene Auszeichnungen, mit denen ich von seinem erhabensten Vater während dessen Regierung überschüttet worden war, noch erst verdienen möchte; dennoch aber bat ich ihn meine Vorschläge zu Gunsten meiner untergebenen Beamten zu berücksichtigen." *)

Dass es politische Notwendigkeit war, die den Grafen Rostoptschin und den Kaiser Alexander zum gemeinsamen Wirken zusammen tat, lässt sich sehr deutlich auch aus folgenden Worten eines Briefes erkennen, den der Graf Rostoptschin am 2. September 1812 an den Kaiser schrieb infolge der Vorwürfe, die ihm der Kaiser wegen Wereschtschagins grausamer Hinrichtung gemacht hatte: „Mais je ne vous cacherai pas, Sire, que le malheur qui semblait attaché à votre destin, a réveillé le sentiment d'amitié dont mon coeur était plein jadis pour vous." **)

Seine Aufgabe als Oberbefehlshaber fasste Rostoptschin dahin auf, vor allem Ruhe und Ordnung zu erhalten, um jedweder Revolution vorzubeugen, die er nicht wenig fürchtete:

„Welchen Gehorsam und Eifer dürfen wir in den Provinzen erwarten, wenn der Bösewicht (Napoleon) seine Manifeste aus Moskau ergehen lassen wird?" schreibt der Graf Rostoptschin in einem Briefe vom 19. (31. August) an den Fürsten Kutosoff. ***) „Es haben sich gestern nicht weit von hier, auf Mamons' Gut, Marodeure zur Plünderung gezeigt. Sie wurden verjagt, aber zwei Leibeigene riefen zur Empörung auf, indem sie behaupteten, dass sie nunmehr weder dem Grafen Mamons noch Ihnen gehörten, da Buonaparte schon in Moskau ist und der nun ihr Kaiser wäre"; schreibt Graf Rostoptschin in einem Berichte an den Kaiser Alexander vom 8. (20. September) 18 12. ****)

*) 1812 god v sapiskach grafa F. W. Rostoptschina. Perew. s franz. podlin. rukop. J. J. Oreus. Russkaja Starina 1889. Bd. 64. S. 649.

**). Pisma grafa Rostoptschina k imperatoru Alexandru Pawlowitschu. Russkji Archiv 1892, 2.

***) Pisma grafa Rostoptschina k knjasju Kutusowu Russkaja Starina, 1872, 2.

****) Pisma grafa Rostoptschina k imperatoru Alexandru Pawlowitechu Russkji Archiv 1892, 2.


In einem andern Berichte vom 19. September (2. Oktober) 1812 schreibt er: „Wenn wir uns immer weiter zurückziehen, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass er (Napoleon) es versuchen wird, das Volk aufzuwiegeln, das durch die Aufgabe des in seinen Augen als unantastbar geltenden Moskaus ganz verblüfft ist."

Wie ernstlich der Graf Rostoptschin seine Aufgabe auffasste, beweisen seine Affichen an das Volk. Er bediente sich darin der Volkssprache und bemühte sich, Religiosität und Vaterlandsliebe zu erwecken und zugleich Hass gegen den Fremden, den Ungläubigen, der herkomme, um die Kirchen zu entweihen und das Land auszuplündern. Er wollte dadurch den Mut des Volkes heben. Wir führen eine Affiche in wörtlicher Übersetzung an: *)

*) Das Datum dieser Affiche ist leider von dem Herausgeber nicht angegeben. Sie ist aber wohl infolge des Rückzuges der Russen von Smolensk entstanden und daher um 12./24. August erschienen.

„Gott sei Dank! Alles bei uns in Moskau steht gut und ruhig. Das Brot wird nicht teuerer und das Fleisch wird wohlfeiler. Eins nur wünschen alle: den Bösewicht zu schlagen, und das wird auch geschehen. Wir wollen nur zu Gott beten und die Krieger ausrüsten und sie zum Heere abschicken. Für uns aber sind bei Gott Vertreter: die heilige Mutter Gottes und die Moskwaschen Wundertäter; vor der Welt aber unser gnädigster Kaiser Alexander Pawlowitsch, und gegen den Feind die christliebende Kiegerschar. Um aber die Sache schneller zu entscheiden, dem Kaiser zu gefallen, Russland zu verpflichten, und es Napoleon einzutränken, muss man Gehorsam, Eifer und Vertrauen zu den Worten der Befehlshaber haben, und sie werden sich freuen, mit Euch zu leben und zu sterben. Gibt's etwas zu tun, so bin ich mit Euch; geht's in den Krieg, so bin ich vor Euch; zur Erholung aber hinter Euch. Seid gutes Muts! Eine Gewitterwolke ist aufgestiegen, allein wir blasen sie fort. Alles wird aufgemahlen werden, es wird Mehl geben; nur nehmt Euch vor einem in Acht: vor Trunkenbolden und Toren; sie treiben sich mit aufgesperrten Ohren umher und blasen auch anderen plötzlich in die Ohren. Manche glauben, dass Napoleon gute Absichten hat, allein er will nur das Fell schneiden; er verspricht alles, aber es kommt nichts dabei heraus. Den Soldaten verspricht er den Marschallstab, den Armen goldene Berge, alle aber zieht er an der Nase umher und lockt sie nur in den Tod; und sie werden bald hier, bald dort erschlagen. Deshalb aber bitte ich Euch, wenn jemand von den Unsrigen oder von Fremden ihn zu loben oder dies und jenes zu versprechen beginnt, wer er auch sein möge — packt ihn beim Schopf und fort mit ihm zur Polizei; wer ihn greift, soll Ehre und Lohn haben; wer aber ergriffen wird, mit dem werde ich schon fertig werden, und wenn er eine fünfspännige Stirn hätte; ich habe dazu die Gewalt, und der Kaiser hat zu befehlen geruht, Mütterchen Moskwa in Acht zu nehmen, und wer anders sollte wohl die Mutter hüten als ihre Kinder? Bei Gott Brüder, der Kaiser hofft auf Euch, wie auf den Kreml, und ich bin bereit, für Euch zu schwören. Lasst mich nicht zu Schanden werden! Ich aber bin ein treuer Diener des Monarchen, ein russischer Bojar und ein rechtgläubiger Christ. Und das ist mein Gebet: Herr Gott, König des Himmels! Verlängere die Tage unseres frommen irdischen Herrschers, erhalte und verlängere deine Wohltaten über das rechtgläubige Russland, erhalte den Mut und die Tapferkeit der christliebenden Kriegerschar; erhalte die Treue und Vaterlandsliebe des rechtgläubigen russischen Volkes! Wende den Schritt der Krieger zum Verderben der Feinde, erleuchte und stärke sie durch die Kraft des lebenbringenden Kreuzes, das ihre Stirn beschützt! Und mit diesem Zeichen werden sie siegen."*)

*) Sotschinenija Rostoptschina. Isd. Alexandra Smirdina. Petersburg 1855. S. 166—182.

Weil Graf Rostoptschin eine Revolution befürchtete, war er der ausgesprochenste Feind des Rückzuges und der Aufgabe Moskaus. Er hielt es für eine Schande, wenn unter seinem Regiment Moskau in die Hände der Franzosen fallen sollte. Er wollte Moskau auf alle Fälle halten.

„Die Frage, was ist besser, — soll man die Stadt (Moskau) oder die Armee retten, unterliegt meiner Meinung nach keinem Zweifel. Die Armeen waren gesammelt und an die Grenzen geführt, um unser Gebiet in Schutz zu nehmen, nachher waren sie genötigt, Smolensk zu verteidigen, nun aber heißt es vor allem, Moskau, Russland und den Kaiser zu retten. Jeder Russe glaubt jetzt, dass die höchste Macht in der Hauptstadt liege, und mit Recht verehrt er sie als Stützpunkt des Zarentums; allein mit ihrem Fall in die Hände des Feindes wird sich das Band, das alle Meinungen zusammenhält und das an dem Thron unseres Herrschers befestigt ist, auflösen und der allgemeine Eifer sich zersplittern und wirkungslos bleiben. Das russische Volk ist das wohlgesinnteste. Aber niemand wird dann für dasselbe verantwortlich sein, wenn die alte Hauptstadt der Aufenthalt des starken, schlauen und glücklichen Feindes des menschlichen Geschlechts sein wird. Die Wolga fließt 120 Werst, die Oka 100 Werst weit von hier, und alle Beziehungen mit den nördlichen, halb im Eise steckenden Teilen des russischen Reiches werden dann abbrechen. Welche Untergebenheit und welchen Eifer wird man von den Provinzen erwarten, wenn der Bösewicht seine Manifeste von Moskau ausgehen lassen wird! Welcher Gefahr wird sich der Kaiser aussetzen, wenn er, sei es aus Verwirrung über die Wahl seines Aufenthaltes, sei es aus Verzweiflung, sich zu seiner Verteidigung in die entferntesten Teile seines Reiches zurückzieht! Ich kann es mir nicht vorstellen, dass es möglich wäre, an Frieden zu denken. Für Bonaparte ist Russlands Untergang notwendig. Ich werde es Ihnen mitteilen, was ich dem Kaiser geschrieben und gesagt habe, dass wahnsinnig oder ein Verräter jeder von seinen Untertanen ist, der es glauben könnte, dass es anders möglich sei, unsererseits den Krieg einzustellen, als nach der Vernichtung des Feindes. Wenn dem Himmel Russlands Untergang genehm ist, so gehen wir alle, aber mit Ehre, unter. Ich werde dann als der erste die Ehre haben, mein Leben dem Vaterlande zu opfern, um es nicht verschmäht zu sehen. So denke ich, Fürst!" *) schreibt Graf Rostoptschin in einem Briefe vom 19./31. August 1812 an den Fürsten Kutusoff. Dieses Schreiben bezeugt wohl die Ansichten des Grafen. Er will Moskau verteidigen, denn mit dessen Untergang geht das Reich unter. Diese Ansicht ist sehr stark und konsequent von ihm aufrecht erhalten.

*) Pismo Gr. F. w. Rostoptschina k. kn. M. S. Golenischtschewu Kutusowu. Russkaja Starina 1870, 2. S. 305.

In einem Briefe vom 1./13. September 1812, den Graf Rostoptschin vor dem Verlassen Moskaus an den Kaiser Alexander schrieb, sagt er: „Majestät! Bis zum 26. Aug. (7. Sept.) tat ich Alles, was ich vermochte, um die Bürger Moskaus zu beruhigen und die öffentliche Meinung günstig zu beeinflussen; jedoch der schnelle Rückzug unserer Armee, das Herannahen des Feindes und die Menge herangefahrener Verwundeter, welche die Straßen füllen, haben Entsetzen erregt. Ich sah, dass das Schicksal Moskaus von einer Schlacht abhänge, und habe mich entschlossen, viele, die noch geblieben waren, zum Verlassen der Stadt zu bewegen." *)

*) Pisma grafa Rostoptschina k imperatoru Alexandra Pawlowitechu. Russkji Archiv 1892, 2.

Als Beilage zu demselben Briefe schreibt er: „Majestät! In dem Momente, wo ich meinen Bericht abfertigte, kam zu mir der Adjutant des Fürsten Kutusoff herangeritten mit einem Briefe, in welchem er mich um Polizeioffiziere bat, um die Armee durch die Stadt auf den Weg nach Rjasen zu führen. Er schreibt, dass er Moskau mit Bedauern verlasse. Von seinem Entschlusse, Majestät, hängt das Schicksal Moskaus und Ihres Kaiserreichs ab, welches in seinen Grundfesten erschüttert wird, sobald es erfährt, dass man die Stadt preisgebe, die die russische Größe verbürgt und wo die Asche Ihrer Väter ruht. Ich folge der Armee; ich habe alles fortgeschafft, und jetzt habe ich weiter nichts zu tun, als das Los meines Vaterlandes und Ihr Schicksal zu beweinen."
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wer hat Moskau im Jahre 1812 in Brand gesteckt?
Napoleon in Moskau

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Rostoptschin, Fjodor Wassiljewitsch, Graf (1763-1826) Russischer General, Oberhofmeister und Minister

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Brand von Moskau 1812

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Napoleon, Rückzug von Moskau 1812

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Napoleons Soldaten beim Verzehr von Pferdefleisch 1812

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