Der Brand

Am 1./13. September beschloss der unter dem Vorsitze des Fürsten Kutusow abgehaltene Kriegsrat, Moskau zu verlassen. Graf Rostoptschin wurde erst spät in der Nacht durch den Fürsten Kutusow hiervon durch ein Schreiben benachrichtigt, worin er auch um Polizeioffiziere zur Führung der Armee durch die Stadt auf den Weg nach Rjasan bat.*) Frühmorgens am 14. durchzog Kutusow die Stadt, ohne dass jemand ausser ihm es ahnte, wohin. **) Er schlug aber die Richtung nach Kaluga ein. Miloradowitsch deckte sehr gut den Abzug, so dass er ruhig und in Ordnung vor sich ging. Er hatte zu diesem Zweck einen Waffenstillstand von Murad erwirkt Dennoch fehlte es bei dem Abzüge auch nicht an Desorganisation. Die Armee konnte nicht umhin, manches aus den nun dem Feinde überlassenen Schätzen Moskaus mitzunehmen, sodass es Barkley große Mühe kostete, den Rückzug aus Moskau zu befördern. ***) „Ich sah am Wege einen Laden, worin sich zehn Soldaten zusammengetan hatten, um ihn zu plündern.

*) Pisma grafa Rostoptschina k imperatoru Alexandra Pawlowitschu. Brief vom 13. September 1812. Russkji Archiv 1892, 2. S. 530.


**) Sapiski Knajasja Nikolaja Boridwitscha Golizina. Russkji Archiv 1884, 2. S. 343.

***) Löwenstern, Denkwürdigkeiten eines Livländers.


Der Kaufmann lief zu mir und bat mich, ihm zu helfen. Ich stieg vom Pferde und vertrieb die Soldaten; einem von ihnen, der einige Beute mitnehmen wollte, gab ich einen Hieb mit blankem Säbel auf die Schulter, so dass er zu Boden sank. Nachher bedauerte ich es, dass ich die Soldaten daran gehindert hatte, sich dessen zu bemächtigen, was alsdann den Franzosen zufiel," sagt N. N. Murawjew in seinen am 16. (28.) Januar 1818 vollendeten Memoiren. *)

Graf Rostoptschin schreibt in einem Briefe vom 8./20. September 1812 an den Kaiser Alexander: „Die Nacht verging sehr still; allein des Morgens vernahm das Volk, dass das Schicksal der Hauptstadt sich entschieden hätte, und dass sie nun eine Beute der Franzosen würde; schon fingen Marodeure an, in die Häuser einzudringen, um sie zu plündern." **)

Aber es waren nicht nur die Marodeure, die in der Stadt Beute suchten, sondern auch ein großer Teil der Moskauer Bevölkerung, der die Stadt preisgegeben ward. „Allerhand Gesindel, verwundete Soldaten, die aus allen Gefängnissen freigelassenen Sträflinge, Handwerker und andere Leute, die in Moskau auf Abenteuer ausgegangen waren, gingen scharenweise in den Straßen umher, um die Schänken, Branntweinkneipen und alles, was ihnen entgegentrat, zu zerschlagen. Es war der wirkliche Feind noch nicht da, und ich sah schon mit eigenen Augen die Früchte der Anarchie und der Eigenmächtigkeit, die Vorläufer des künftigen Unheils. Schließlich kam der verhängnisvolle Tag, der 2. (14.) September 1812 heran. Alsdann ward das Arsenal geöffnet, sodass jedem Gelegenheit gegeben wurde, sich beliebiger Waffe, soviel er wollte, zu bemächtigen. Um 3 Uhr nachmittags kam zu mir ein Deutscher, auch ein Moskauer Einwohner, ich weiß nicht, warum er geblieben war, und forderte mich auf, mit nach dem Arsenal zu gehen, um Waffen zu holen. Da ich jung war, nahm ich freilich sein Anerbieten an und ging mit. Nun suchten wir uns aus den Kisten Säbel aus und nahmen uns jeder zwei," sagt G. Ja. Koslowsky in seinen Memoiren.

*) Sapiski N. N. Murawjewa (Tifiliski). Russkji Archiv 1885, 3. S. 346.

**) Pisma grafa Rostoptschina k iroperatoru Alexandra Pawlowitschu. Russkji Archiv 1802, 2.


Wenn nun auch hiernach in Moskau bei dem Abzüge der Russen eine allgemeine Plünderung herrschte, so hat dieser Zustand doch nicht lange gedauert, nur so lange, als der Abzug währte und der Feind noch nicht da war. Denn als die Franzosen in die Stadt einzogen, herrschte eine überraschende Ruhe daselbst.

„Es war am 2./ 14. September, ich dachte, dass uns wenigstens ein Kampf in der Nähe der Stadt bevorstehen würde, denn mehrere Ordonnanzoffiziere suchten meinen Marsch zu beschleunigen. Indessen hielten wir unseren Einzug ohne Schwertstreich um 6 Uhr abends und meine Batterie war die erste, die in Moskau erschien. Der Kaiser war noch nicht eingezogen und sah uns über die Brücke ziehen; die Generale umgaben ihn, aber ich sah keinen einzigen Russen bei ihm" . . . und weiter: „Unterdessen durchzog ich hinter der Infanterie Straßen und ungeheure Stadtviertel. Ichsüchte die Einwohner hinter den Fenstern zu erspähen und war, da ich keine Menschenseele sah, starr vor Schreck. Zwischen uns sprengten einige Male Kavallerieregimenter im Galopp hier und da durch, ohne weiter jemand zu treffen. Ich rief laut aus, dass die Stadt verlassen wäre, und ich lachte noch über den sentenzenhaften Ton des Kapitäns Lefrancais, der mir antwortete: Man verlässt keine große Stadt, diese Canaillen halten sich versteckt, wir werden sie wohl auffinden und sie zu unseren Füssen sehen," sagt ein Augenzeuge.*)

*) Moskwa v 1812 godu Sanjataja franzusom. Wosspominanie otsehowitza (G. Ja. Koslowski). Russkaja Starina 1890. Bd. 65. S. 106.

Ein anderer Augenzeuge berichtet: „Mit großer Ordnung ging daher unser Marsch durch die ersten Straßen der Stadt. Aber alle Häuser waren leer, und überall nur die Spur von der übereiltesten Flucht der Einwohner zu erkennen. Nirgends erblickte man deren; bloß von den dort lebenden Ausländern, als Deutschen und Franzosen, kamen uns hier und da einige entgegen.“ *)

Das bezieht sich auf den 2./1 4. September, als die französische Armee in Moskau ihren Einzug hielt.

Abbé Surrugues, ein französischer Emigrant, der zur Zeit Pfarrer bei der Kirche Saint -Louis in Moskau war, hat die Ereignisse von 1812 während des Aufenthaltes der Franzosen in Moskau in einem an einen seiner Freunde, den Jesuiten Bouvet, gerichteten Brief beschrieben. Auf der Seite 14 lesen wir: „Um 10 Uhr vormittags (am 14. September) bot die Stadt Moskau, fast gänzlich verlassen, den Anblick einer weiten Einöde. Auf den lärmenden Abmarsch der Armee war eine mit Schrecken gemischte Stille gefolgt, die der traurige Vorbote eines großen Unheils zu sein schien."***)

*) Maurice Chipon et Léonce Pingaud: Mes Campagnes (1792 bis 1815), notes et correspondances du colonel d'artillerie Pion des Loches, mises en ordre et publikées par M. M. . . . Paris, Firmin Didet et Cie., 1889 in 8°, 520 pp. — Angeführt aus: La Campagne de 1812 d'après des témoins oculaires publiée par Georges Bertin. Paris (— ) p. 125.

**) Die Sachsen in Russland, ein Beitrag zur Geschichte des russischen Feldzuges im Jahre 1812. Aus dem Nachlasse des Kgl. Preussischen Majors von Ruckersroda, Naumburg 1846. S. 16.

***) Lettres sur l'incendie de Moscou, écrites de cette ville. An R. P. Bouvet, de la compagnie de Jésus, par l'Abbé Surrugues, témoin oculaire et euré de l'église de Saint-Louis à Moscou. Paris 1823.


Hören wir hierüber auch Kaiser Napoleons Generaladjutanten, den Grafen Mathieu Dumas, an: „Die Nacht nahte heran; als wir in diese weite und prächtige Einöde eindrangen, zeigten sich kaum einige Individuen aus dem niedrigen Volke hier und da bei dem Durchmarsch der Truppen des Königs von Neapel. Wir passierten den Kreml, den Bazarplatz und die Straße, die zum Platze führt, wo sich der Palast des Gouverneurs befindet."*)

*) Souvenirs du Lieutenant-General Comte Mathieu Dumas de 1770 à 1836 publiés par son fils. Tome troisième. Paris 1839. S. 443.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wer hat Moskau im Jahre 1812 in Brand gesteckt?