Wer hat Moskau im Jahre 1812 in Brand gesteckt?
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Über den Brand von Moskau im Jahre 1812 sind verschiedene Meinungen vorgebracht worden. Die herrschende ist diejenige der offiziellen Bulletins Napoleons aus dieser Zeit, nämlich, dass Graf Rostoptschin, der damalige Militär Gouverneur von Moskau, die Einäscherung Moskaus angeordnet habe. Derselben Meinung sind fast alle französischen, deutschen und der größere Teil der russischen Geschichtsschreiber dieser Zeit. So stellte es zu allererst am 17. September 181 2 das 20. Bulletin der großen Armee aus Moskau dar:
„3 à 400 brigands ont mis le feu dans la ville en 500 endroits à-la-fois, par l'ordre du gouverneur Rostoptschine", heißt es darin.
Dagegen veröffentlichte Graf Rostoptschin im Jahre 1823 in Paris eine Broschüre,*) worin er durchweg in Abrede stellte, irgendwie den Brand von Moskau herbeigeführt zu haben. Sie vermochte aber damals keine Änderung der allgemeinen Meinung zu bewirken. Dieser Glaube war so tief eingewurzelt, dass man die Ableugnung sogar als ein keckes Possenspiel ansah. In dem Geschichtswerke von Schlosser lesen wir hierüber: „Rostoptschin hat freilich, als er um 1822 in Paris war, in seiner Schrift, la vérité sur l'incendie de Moscou, dreist alles abgeleugnet; aber schon damals verlachte Jedermann diesen brutalen Possenreißer wegen des Versuchs, der Welt etwas vorzugaukeln. **)
*) La vérité sur l'incendie de Moscou. Par le comte Rostoptschine. Paris 1823.
**) F. C. Schlosser. Geschichte des 18. Jahrhunderts und des 19. bis zum Sturz des franz. Kaiserreiches. Bd. 8, fünfte Auflage, neue Ausgabe. Berlin 1879. S. 239. (Die 4. Auflage war 1860 erschienen.)
General von Clausewitz, der im Jahre 1812 in der russischen Armee diente, schreibt hierüber: „Der Verfasser hat sich daher lange nicht von einem absichtlichen Abbrennen Moskaus überzeugen können. Nachdem aber, was nun von allen Seiten zur Sprache gekommen ist und besonders nach der wenig befriedigenden Verteidigung, welche Graf Rostoptschin hat drucken lassen, ist er in seiner früheren Ansicht nicht nur zweifelhaft geworden, sondern er hat auch fast die Überzeugung bekommen, dass Rostoptschin allerdings Moskau hat anstecken lassen und zwar auf eigne Verantwortlichkeit ohne Vorwissen der Regierung. *)
So hat auch der Herzog Eugen von Württemberg seinen Glauben gewechselt. **)
*) General v. Clausewitz. Der Feldzug von 1812 in Russland. Berlin 1835. S. 180.
**) Memoiren des Herzogs Eugen von Württemberg. Frankfurt 1862. 2. Th. S. 155.
Diese Äußerungen über die Schrift des Grafen Rostoptschin sind aber unzutreffend. Er hat darin alles ganz deutlich gesagt, was er sagen konnte. Er kritisiert treffend ein Bulletin nach dem andern und schloss endlich mit den Worten: „J'ai dit la vérité et rien que la vérité". Mehr konnte er ja auch nicht sagen.
In Russland glaubte man von Anfang an fest daran dass die Franzosen Moskau in Brand gesteckt hätten, welche Meinung sich bis heute bei dem russischen Volke erhalten hat. Graf Toll sagt in seinen „Denkwürdigkeiten": „Was für verschiedene Ansichten über die Entstehung dieses Brandes sind nicht nach und nach geltend gemacht worden! Im russischen Heere und überhaupt im ganzen großen Reich hielt man ihn zunächst für eine Untat der Franzosen." *)
M. D. Buturlin sagt in seinen Memoiren: „Mein Vater pflegte mit besonderem Nachdruck davon zusprechen, dass nur die Franzosen und niemand anders die Stadt verbrannt habe. Schließlich, da sie schon abgebrannt war, dachten alle Russen so; allein, kaum waren drei bis vier Jahre vergangen, als meine Eltern sich davon überzeugten, dass Moskau von dem Grafen Rostoptschin angezündet, oder vielmehr die Verbrennung von ihm zugelassen sei." **)
*) Toll, Graf Friedrich Karl, Denkwürdigkeiten von Bernhardi. Leipzig 1856. Bd. II. S. 155.
**) Sapiski Grafa M. D. Buturlina. Russkji Archiv 1897, 1. S. 244.
A. Sewerbeeff schreibt in seinen „Memoiren über den Brand Moskaus im Jahre 1812": „Ich brauche nicht davon zu sprechen, unter welchen Umständen Moskau abgegeben wurde, das ist schon Allen bekannt, auch nicht davon, dass noch am ersten Abend der Ankunft des Feindes Moskau in Brand geriet.
„Die Franzosen stecken Moskau in Brand", schrien mit Entsetzen die wenigen Einwohner, die nicht die Mittel dazu hatten, die Stadt zu verlassen. „Die Franzosen stecken Moskau in Brand", wiederholten mit der Sprache der Moskauer die Bewohner der Vorstädte, zu denen sich die Moskauer, so gut es jeder konnte, durchgeschlichen hatten.
. . . . . . Da ist der Anfang der Volksüberlieferung, dass Moskau durch die Franzosen eingeäschert ward. Diese Überlieferung wurde allgemein von dem damaligen Geschlecht anerkannt. Und sie erhielt sich lange, ohne Schwanken, bei ihm. Diesen allgemeinen Glauben bestätigen die damaligen Zeitungen, sowie offizielle und private Meldungen aus jener Zeit; ihm wurde durch Dokumente eine staatliche Sanktionierung gegeben; er wurde endlich durch unsere Gebete geweiht . . . .
Ein so feierliches und so oft wiederholtes Zeugnis darüber, dass Moskau durch den Feind vernichtet sei, gibt uns das Recht zu behaupten, dass im ganzen russischen Volke oder aber in seiner Mehrheit es keinen einzigen Menschen gab — und es werden sich auch heutzutage (1869) nicht viele solche finden — der auf die Frage über den Brand Moskaus im Jahre 1812 eine dieser Überlieferung zuwiderlaufende Antwort hätte geben können. Die Dichter dieser Zeit mit Shukowski an der Spitze verewigten diese Überlieferung in ihren Lobdichtungen." *)
*) A. Sewerbeef, Wospominanija o moskowskich posharach 181 2 goda. Wjestnik Europi 1872, VI. S. 303—304.
Der Direktor des Findelhauses, der Staatsrat Iwan Tutolmin, sowie der Inspektor des Pawlowski-Spitals, Pawel Noskoff, die beide damals in Moskau, während des Aufenthaltes der Franzosen daselbst, waren, bezeugen, dass französischerseits bei dem Brande mitgeholfen wurde. Wie sehr an die Brandstiftung der Franzosen geglaubt wurde erhellt aus folgender Erzählung, wo die Moskauer das Löschen sogar für verboten hielten: „Einige trugen Heiligenbilder aus den Häusern und ließen sie vor dem Tore stehen; andere, als man sie fragte, warum sie die Ausbreitung des Brandes nicht hinderten, entschuldigten sich damit, dass die Franzosen sie töten würden, wenn sie löschten." *)
*) Wospominanija moskowskago Shitelja o prebiwanije franzusof v Moskwje 1812 g. Russkji Archiv 1869. S. 1405.
L. Blesson, der Übersetzer von Chambrays Geschichte, hat im Jahre 1822 Moskau besucht und weiß von den Meinungen des russischen Volkes Folgendes zu berichten: „Allgemein ist übrigens in Moskau die Meinung nicht, dass Rostoptschin diese Hauptstadt angezündet habe, im Gegenteil, man hört hauptsächlich zwei andere Urteile darüber fällen. Einerseits schreibt man den Franzosen den Brand zu, weil sie schon alle anderen Städte verheert hatten; und das ist der Glaube des Volkes. Die gebildetere Klasse hingegen vereinigt sich in der Ansicht, dass der Mangel an polizeilicher Aufsicht, als natürliche Folge des Abganges aller städtischen Behörden, Schuld daran gewesen sei." *)
*) Napoleons Feldzug in Russland 1812. Aus dem Französischen der Histoire de l'Expedition de Russie par M * * * (Marquis von Chambray) übersetzt und mit neuen Plänen, Karten und Erläuterungen versehen durch L. Blesson. Bd. I. S. 362. Berlin 1824.
Während das russische Volk, das Augenzeuge des Brandes war, von Anfang an fest daran glaubte, dass die Franzosen Moskau in Brand gesteckt hätten, war man in Europa der falschen Ansicht, dass diese Meinung dem russischen Volke eingehetzt wäre. Das Buch vom Jahre 1812 schreibt hierüber: „Die Masse der Russen glaubt heute noch (1844), dass die Franzosen — warum? danach fragt der mehr oder minder in Tierheit versunkene Haufe nirgends — Moskau angezündet haben. Zuerst wurde diese Meinung ihr eingehetzt (!), um sie zur Rache zu entflammen, dann haben die Eltern sie den Kindern wiedererzählt, und so ist sie Tradition geworden, hat als solche eine Art Unantastbarkeit erhalten, wie das bei allen Traditionen — sogar kirchlichen — der Fall ist; sodass der gesunde Menschenverstand Luxus treiben würde, wenn er gegen sie zu Felde zöge."*)
Dies ist jedoch ganz unrichtig; denn die russische Intelligenz sowie die russische Geschichtsschreibung war gleich nach dem Jahre 1812 der Meinung, dass der Graf Rostoptschin Moskau in Brand gesteckt hätte. **) Wie diese Meinung entstanden ist, erzählt uns E. M. Arendt in seinen Memoiren über das Jahr 1812:
„In Petersburg waren von Anfang an die Meinungen darüber, wer Moskau in Brand gesteckt habe, die Franzosen oder der Graf Rostoptschin, geteilt. Diejenigen, die Rostoptschin kannten, versicherten, dass er es gewesen sei, und die Mehrzahl verdammte seine Tat als eine schreckliche Grausamkeit. Als aber auch die Franzosen ihn zu verdammen begannen und als Muster der wildesten Barbarei hinstellten, da trat bei den Russen ein Umschwung ein, und alsbald kam ihnen in den Sinn, was für einen Sieg sie über den Feind durch dieses flammende Opfer davongetragen hätten. Rostoptschins Name wurde danach groß und berühmt; jetzt begannen Legenden und Märchen von Ballons, woran er niemals gedacht hatte." ***)
Wenn wir diese Erzählung mit derjenigen Buturlins vergleichen, so ergibt sich wohl, dass um das Jahr 1815 man schon fast daran glaubte, Rostoptschin hätte Moskau in Brand gesteckt, während man den Verdacht schon 1813 gehabt haben dürfte. Diese Erzählung ist auch daher von Interesse, da sie zeigt, wie die Meinung in Russland, Rostoptschin hätte Moskau in Brand gesteckt, durch Einwirkung von außen her entstanden ist. N. N. Murawjew (Tifiliski), dessen Memoiren das Datum 16./28. Januar 1818 tragen, ist schon der Meinung, dass Graf Rostoptschin Moskau habe verbrennen lassen:
„Rostoptschins Zweck war, die Hauptstadt in Brand zu stecken, um dem Feinde die Möglichkeit zu rauben, sich der Proviantvorräte zu bemächtigen." ****)
*) Das Buch vom Jahre 1812 oder Napoleon in Russland. Dargelegt von einem Augenzeugen. Bd. 2. Quedlinburg und Leipzig 1844. S. 352.
**) Siehe oben Buturlins Erzählung.
***) Is wospominanji E. M. Arendta o 181 2 gode. Russkji Archiv 1871. S. 094.
****) Sapiski N. N. Murawjewa (Tifiliski). Russkji Archiv 1885, 3. S. 346.
Diese Meinung wurde 16./28. Januar 1818 zu Papier gebracht, entstanden muss sie aber früher sein. Diese Ansicht ist auch in der russischen Geschichtsschreibung fast die herrschende. Der Geschichtsschreiber Boutourlin, der seine Geschichte über den Feldzug 1812 im Jahre 1824 veröffentlichte, vertritt die Meinung, dass Moskau durch den Grafen Rostoptschin den Flammen überantwortet sei:
„Moins militaire que citoyen zélé, il avait cru à la possibilite de défendre la ville pied à pied, et pris toutes les mesures nécessaires pour enflammer les habitants du désir généreux de seconder les efforts de l'armeé. La résolution du prince Koutousoff d'évacuer Moscau, fut un coup de foudre pour son âme patriote. Mais dans ce moment même il ne négligea pas le seul moyen que lui restait de servir son pays. Ne pouvant plus rien pour le salut de la ville confiée à ses soins, il se détermina à utiliser sa perte en la ruinant de fond en comble. Ce projet, digne d'un Scévola, fut exécuté habilement. Tant que les troupes russes étaient en ville, Ton n'aurait pu y mettre le feu sans nuire à leur retraite; mais Ton disposa des matières combustibles dans plusieurs maisons, et Ton répandit par la ville une troupe d'incendiaires salariés et dirigés par quelques officiers de l'ancienne police de Moscou, qui y demeurèrent deguisés."*)
*) Histoire militaire de la campagne de Russie en 181 2 par le colonel Boutourlin. Tome I, Paris-St. Petersburg 1824, p. 368 bis 370.
Der Verfasser blieb bei dieser Ansicht, wiewohl der Graf Rostoptschin kaum ein Jahr vorher die ihm zugeschriebene Tat durchweg in Abrede stellte. Er erklärte in einer Anmerkung, dass er dennoch daran glaube.
M. Bogdanowitsch in seiner „Geschichte des Feldzuges im Jahre 1812" vom Jahre 1863 spricht sich ähnlich aus: „Jetzt, wo bereits ein halbes Jahrhundert seit der Zeit des Moskauer Brandes verflossen, die Stadt, gleich einem Phönix, in vollendeter Schönheit aus ihrer Asche entstanden ist und nichts von der früheren Größe verloren hat, darf die Geschichte das traurige Schicksal weder dem Kaiser [Napoleon noch der Selbstaufopferung der Einwohner Moskaus zuschreiben. Es unterliegt keinem Zweifel: der Haupturheber des Moskauer Brandes oder, der wenigstens die erste Veranlassung dazu gab, war Graf Rostoptschin, obwohl er später alle und jede Teilnahme an dieser Tat geleugnet hat; *) denn er wollte natürlich nicht, dass, als die Einwohner auf ihre Trümmerhaufen zurückkehrten, man auf ihn, als den Urheber all' dieses Elends zeigen sollte. **) Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass seine Broschüre in Paris erschien, und das zu einer Zeit, wo er beständig daselbst lebte und in den Augen der Franzosen nicht als roher Scythe erscheinen wollte, der stets bereit ist, zum Nutzen seines Vaterlandes sich und andere zu opfern.***)
*) Hier wird „La verite sur l'incendie de Moscou" gemeint.
**) Die Bewohner hatten das Elend schon längst vergessen, als Rostoptschin seine „La vérite" veröffentlichte!
***) Die Broschüre erschien, nachdem Rostoptschin Paris (Frankreich) schon verlassen hatte!
Rostoptschin kann sich glücklich schätzen, wenn die Franzosen ihm aufs Wort geglaubt haben, wir Russen aber sind, auf Grund oben angeführter Fakta, davon überzeugt, dass er die Absicht hatte Moskau anzuzünden, und dass die ersten Feuersbrünste, unmittelbar nach dem Einrücken der Franzosen, sein Werk zu nennen sind." *)
Dieselbe Meinung wird auch vertreten durch das im Jahre 1897 erschienene Werk Schilders: Kaiser Alexander I., sein Leben und seine Regierung. „Unter solchen Umständen tat der Oberbefehlshaber von Moskau Alles, was er seinerseits vermochte, und traf alle Maßregeln, um die Stadt nach dem Rückzüge der Armee in Brand zu stecken," **) so wird darin gesagt.
Neben dieser Meinung existiert in der russischen Litteratur noch eine andere: Moskau wäre durch das patriotisch gesinnte russische Volk in Brand gesteckt worden. Diese ist zu allererst durch den Grafen Rostoptschin in seiner 'La verite sur l'incendie de Moscou' aufgestellt worden. ***) Er scheibt darin: „Ein Hauptzug im Charakter der Russen ist die Uneigennützigkeit, und der Hang, lieber zu zerstören, als nachzugeben; er endigt dann den Streit mit den Worten: 'So wird es denn für niemand sein.' In den häufigen Unterredungen, die ich mit Kaufleuten, Handwerkern und gemeinen Leuten hatte, habe ich sie oftmals sagen hören, wenn sie mit Schmerz die Besorgnis ausdrückten, Moskau möchte in Feindes Hände geraten: 'besser wäre es, es zu verbrennen.' Während meines Aufenthaltes im Hauptquartiere des Fürsten Kutusoff habe ich mehrere Personen, die nach dem Brande entkommen waren, sich damit rühmen hören, dass sie ihre Häuser in Brand gesteckt hätten. Ich teile hier noch einige Umstände mit, die ich nach meiner Rückkehr gesammelt habe. Ich gebe sie, wie sie mir zugekommen sind. Gesehen habe ich sie nicht, da ich abwesend war.
*) Geschichte des Feldzuges im Jahre 1812 nach den zuverlässigsten Quellen. Auf Allerhöchsten Befehl bearbeitet von M. Bogdanowitsch, Kaiserlich russischer Generalmajor. Aus dem Russischen von G. Baumgarten, Leipzig 1863. Bd. II. S. 294.
**) N. K. Schilder. Imperator Alexander perwji, ego shisan i zarstuowanije. Bd. III. S. 110. Petersburg 1897.
***) Graf Rostoptschin hat noch früher diese Meinung in seinen Briefen vertreten, so z. B. in einem Briefe an den Fürsten Woronzow in London vom Jahre 1821 ; allein wir nennen sie in der Broschüre als die erste, weil sie da zuerst öffentlich ausgesprochen ist.
In Moskau gibt es eine ganze Straße, die aus Wagner-Werkstätten und Wagen-Magazinen besteht. Als Napoleons Armee anlangte, verfügten sich mehrere Generale und andere Offiziere in dieses Viertel, besichtigten die dortigen Fabrikanlagen, und suchten Wagen für sich aus, auf welche sie ihre Namen schrieben. Die Eigentümer, damit einverstanden, dem Feinde keine Wagen zu liefern, steckten in der Nacht die Magazine in Brand.
Ein mit seiner Familie nach Jaroslaw ausgewanderter Kaufmann hatte seinen Neffen zur Verwaltung des Hauses zurückgelassen. Dieser meldete nach der Rückkehr der Moskauer Polizei, dass sich siebzehn Leichen von Erstickten in dem Keller seines Oheims befänden, und erzählte die Sache auf folgende Weise: Am Tage nach dem Einzüge des Feindes in die Stadt fanden sich vier Soldaten bei ihm ein, durchsuchten das Haus, und da sie nichts zu nehmen fanden, stiegen sie in den Keller hinab, wo sie etwa 10 Flaschen Wein vorfanden. Sie machten dem Neffen des Kaufmanns verständlich, dass er für deren Aufbewahrung Sorge tragen solle, und kamen am Abend mit 13 anderen Soldaten wieder, ließen Licht anzünden, gingen in den Keller und fingen an zu saufen, zu singen und endlich zu schnarchen. Der junge russische Kaufmann, der sie in tiefem Schlafe sah, kam auf den Gedanken, sie umzubringen. Er verschloss den Keller, verrammelte ihn mit Steinen und floh auf die Straße. Nach einigen Stunden überlegte er, dass siebzehn Mann sich doch wohl befreien, ihm begegnen und ihn umbringen könnten. Er beschloss daher, das Haus anzuzünden, was er auch mit Stroh ins Werk setzte. Wahrscheinlich sind diese siebzehn Unglücklichen im Rauche erstickt." *)
Hierauf stützt sich der Geschichtsschreiber Michailowsky Danailewsky, wenn er den Brand auf die russische Nation zurückführt: „Aus Rache stellte er (Napoleon) den Grafen Rostoptschin als Brandstifter Moskaus dar und wollte in dieser Beziehung vor dem Richterstuhle der Welt unschuldig dastehen. Gewiss werden die Russen keinem die Ehre abtreten, die ersten Urheber des Brandes gewesen zu sein: dies gehört unter die Zahl ihres teuersten Erbes, welches unser Jahrhundert dem zukünftigen übergibt; allein der wahre Urheber der Feuersbrunst und des Unglücks der Hauptstadt bleibt Napoleon. Ohne seine Invasion wäre das von ihm der Plünderung preisgegebene Moskwa nicht aufgebrannt." **)
*) La vérité sur l'incendie de Moscou par le comte Rostoptschine Paris 1823. S. 12—14.
**) Geschichte des vaterländischen Krieges im Jahre 1812. Auf Allerhöchsten Befehl Sr. Majestät des Kaisers von Russland, verfasst von Michailowsky Danailewsky, Generallieutenant Senateur und Mitglied des Kriegsrats. Aus dem Russischen übersetzt von Carl R. Goldhammer. Riga-Leipzig 1840. Bd. II, p. 334.
Derselben Meinung ist auch A. N. Popoff in seiner Abhandlung: „Die Franzosen in Moskau im Jahre 1812." Nachdem er auseinandergesetzt hatte, dass es nicht der Graf Rostoptschin getan habe, fährt er fort: „Aber die allgemeine Neugierde ist nicht befriedigt, man will wissen, und das ist ganz natürlich, wer denn Moskau in Brand gesteckt habe. Der Graf Rostoptschin ist es nicht, wir sind davon vollständig überzeugt. Aber wer denn? Indem man natürlich gar nicht daran denken darf, dass Moskau von Napoleon in Brand gesteckt sei, um sich selber zu vernichten, findet der Verfasser dieser Abhandlung einige Angaben in dem Werke desselben Grafen Rostoptschin, die ihn zu dem Schlüsse führen, dass die Russen selbst ihre Hauptstadt verbrannt haben."*)
*) Franzusi v Moskwje v 1812 gedu. Sotschinenije A. N. Popowa, Russkji Archiv 1876. Heft 5. S. 75.
Also die russische Geschichtsschreibung glich der französischen und deutschen, verwarf von vornherein die Frage, ob es irgendwie möglich sein könnte, dass Napoleon Moskau in Brand gesteckt hätte. Moskau musste unbedingt russischerseits verbrannt sein. Es frage sich nur, ob Graf Rostoptschin oder das russische Volk die Brandstifter gewesen seien, obwohl die letztere Annahme dem Glauben des russischen Volkes widerspricht.
Außer den angeführten Meinungen gibt es noch eine zuerst 1824 durch L. Blesson vertretene, dass Moskau unwillkürlich in Brand geraten sei.
„Der Brand von Moskau ist ein zu wichtiges Ereignis, als dass man an Ort und Stelle gewesen sein könnte, ohne Erkundigungen darüber einzuziehen, um so viel wie möglich über eine Begebenheit belehrt zu werden, die niemand veranlasst haben will. Dass niemand ihn absichtlich veranlasst habe, scheint am Ende auch das Ergebnis aller Untersuchungen darüber zu sein."
Indem er weiter die Unmöglichkeit dessen, dass Graf Rostoptschin den Brand befohlen habe, auseinandersetzt, fährt er fort: „Das zurückgebliebene Gesindel hatte sich überall einquartiert; die Franzosen bivouakierten und zündeten Feuer an neben Palästen, die sie, mit der russischen Bauart unbekannt, für steinerne ansahen, die aber in der Tat ganz von Holz aufgeführt waren. Die Stadt war in allen Richtungen besetzt; es war folglich kein Wunder, dass an allen Ecken zugleich und auf dieselbe Weise Feuer entstand.*) Es bedurfte demnach keines absichtlichen Anzündens. Als es einmal brannte, mag freilich mancher Verwegener, um die Unordnung noch zu benutzen, den Brand zu vermehren gesucht haben. Nirgends ist aber eine Spur von Brandsystem zu erkennen, das überhaupt, um ins Werk gerichtet zu werden, gewissermaßen hätte militärisch organisiert werden müssen. Unsere Meinung ist nicht, dass die Behauptung, als habe Rostoptschin Moskau anzünden lassen, Napoleons eigene Erfindung sei. Gewiss hatte er sie voreilig aufgefasst, und gern durch seine Bulletins verbreitet, weil es sein Interesse war, die Tat auf die Russen zu schieben." **)
*) Es war nicht zugleich an allen Ecken auf dieselbe Weise Feuer entstanden. Das Feuer nahm mit der Zeit zu!
**) Chambray (L. Blesson) Bd. I S. 360—362. — Chambray ist der Meinung, dass Rostoptschin Moskau in Brand gesteckt habe. L. Blesson, der Übersetzer, erwidert dem in einer Anmerkung.
Eine ähnliche Ansicht vertritt auch Herzog Wellington:
„Despatches correspondence, and memoranda of Field Marchal Artur Duke of Wellington. K. G. London: 1868 Bd. IIL S. 34—36."
Wir haben bisher in kurzem die verschiedenen Meinungen vorgeführt; in Folgendem wollen wir nun darzulegen versuchen, wer Moskau im Jahre 1812 in Brand gesteckt hat.
Moskau - Der Kreml
Moskau - Roter Platz
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Moskau - Basilius-Kathedrale
Moskau - Bettler und Obdachlose wärmen sich am Feuer
Moskau - Bettler vor der Kirche
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Moskau - Die Zaren-Kanone
Moskau - Droschkenkutscher
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Moskau - Im Kreml 1921
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Moskau - Kaiserliches Opernhaus
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Moskau - Pferdeschlitten vor dem Kreml
Moskau - tanzende Soldaten
Moskau - Verkäuferin von Salzheringen
Moskau - Wirtshausleben
Napoleon Bonaparte I. Kaiser der Franzosen 1769-1821.
Französiche Soldaten.
Fürst Kutusow, Oberbefehlshaber der russischen Armee 1745-1813.
Napoleon 1769-1821 & Alexander I. 1777-1825.
Die Große Armee auf dem Rückzug.
Schlacht an der Moskwa bei Borodino am 7. September 1812.
Das Handwerkszeug eines französischen Soldaten.
Napoleon Bonaparte (1769-1821) französischer Kaiser
Grenadier der Alten Garde Napoleons, Ölbild von Edouard Detaille
Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 4
Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 2
Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 3
Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 1
Bei Borodino 7. September 1812
Napoleon in Angesicht Moskaus im Jahre 1812