Farbige Amerikaner - Honolulu, im August

»Paradies des Pazifik« nennt der Amerikaner seine Hawaiinseln. Und in der Tat wäre man versucht, zu glauben, sie hätten diesmal den Mund nicht zu voll genommen, wenn man an einem lauen Abend durch die vornehmen Vorstädte von Honolulu geht, dort im Manoatale, wo der Mensch erst beim Millionär anfängt, wo alles still und vornehm ist und nur die Farben zum Himmel schreien. Farben der Hibiscusblumen, die blutrot über den Hecken liegen, der violetten Bougainville und so vieler anderer, für die unsere Botanik nicht ausreicht. Ein Duft von Ingwer und Jasmin liegt schwer in der Luft. Es ist eine Atmosphäre von glattgeschorenem Rasen, träumenden Limousinen und koketten Portierhäusern, vor denen gähnend die Gärtner stehen. Hier merkt man nichts von dem greulich-langweiligen, englischkolonialen Bungalow, der einen heutzutage über die ganze Erde verfolgt und der neuerdings sogar in den Grunewald einzudringen beginnt. Es sind alles schöne weiße Landhäuser im soliden alten Neuenglandstil, meist mit einer Terrasse, bei deren Anblick man nicht umhin kann, zu denken, wie göttlich es sich wohl dort oben wohnen ließe und wie schön es sein müßte, mit dem schwindenden Tageslicht hinauszublicken auf das weite Meer und die Sonne, die im Abendrot erstirbt. –

Aber die Terrassen und Landhäuser, die Gärten und Automobile sind nicht das einzige, was hier auffällt. Honolulu hat noch ein anderes Gesicht. – Weniger schön, weniger gepflegt, aber interessant. Wer Länder und Völker am Pazifik studieren will, der braucht sich eigentlich nicht weiter zu bemühen. Er findet alles in Honolulu aus erster Hand. – Ja, dieses ist des lieben Gottes Menschentiergarten in seiner vollsten Besetzung! Nirgendwo sonst, vielleicht abgesehen von den Fidschiinseln, findet man solches Chaos der Rassen. Aber es ist ein Superfidschi. Jeder dritte Mensch auf der Straße ist ein Problem für den Rasseforscher, ein unlösbares Problem in vielen Fällen. Da trifft man Leute, die einen aus braunem Kanakengesicht mit Chinesenaugen anblicken, da sieht man blondhaarige Chinesen und Weiße, die doch irgendwie chinesisch ausschauen. Und malaiische Kanaken und kanakische Japaner und was sonst sich noch so fröhlich und gefährlich gemischt hat auf diesem »Kreuzweg des Pazifik«. Der Geruch des Orients liegt in den Gassen, und der Osten schaut aus allen Buden. Chinesische Inschriften stehen verworren an den Hauswänden. Wong Lu, der Barbier, hält nach Kundschaft Ausguck, Yamayaschi, der Optiker, blickt müde durch seine Brillengläser. Und immer wieder stößt man auf das farbige Schild: Chop Sui.


Wer hätte je die Wunder und Wunderlichkeiten eines Shop-Sui-Hauses erschöpfend geschildert! Und wer vermöchte es je? Man muß sie erlebt, gesehen und vor allem gerochen haben. In der Halle am Eingang ist ein Büfett aufgebaut mit den köstlichen Gerichten, die ein chinesisches Herz höher schlagen machen. Chinesisches Gebäck, Pasteten, die trocken und sandig ausschauen, und sonstige Dinge, von denen der weiße Teufel auf den ersten Blick nicht zu sagen vermag, ob sie eßbar sind oder nur zum Hausrat gehören. Droben im Speisesaal ist es ein großes Geklapper von Stäbchen, ein Klingen von echtem chinesischen Porzellan. Man schaut ein wenig hinaus zu den schönen Lampen an der Decke und den wunderlichen Bildern an den Wänden. Dann bringt ein lächelnder Himmelssohn die Speisekarte, in die wir uns staunend vertiefen.

Lop Chong – chinesische Wurst.
Schuen Ji Giok – süße Schweinsfüße.
Schuen Fa Kuen – gehackter Fisch mit Erdnüssen.
Schin Lin Og Gung – Entensuppe mit Lotussamen.
Schiu Berk Gup – gebratener Tintenfisch.
Hei Jung Ji Chi – gehacktes Huhn mit Haifischflossen und Bambusknospen.
Hai Jung Jin War – Krabben mit Vogelnestern.

Ferner gibt es noch Reis mit Regenwürmern, Enten mit Bambusknospen, Krebse mit Kürbissamen usw.

Da hat man nun die Wahl und die Qual. – Ah, aber die Karte allein schon ist eine Delikatesse, ein Märchen aus anderen Welten! Chinesischer Tee aus chinesischen Tassen – darüber kann man Zeit und Stunde vergessen in einem Shop-Sui-Hause. Die Nacht liegt schon in den Gassen, aber das Geschäft geht weiter wie gewöhnlich. Alle Läden sind weit offen. Es hastet und hämmert hier wie am hellen Tage. Denn diese Welt kennt kein Weekend und keine Polizeistunde. Wilde, verworrene Welt! Eben schaute sie noch aus chinesischen Augen, in der nächsten Gasse aus japanischen oder aus philippinischen oder hawaischen oder allen zusammen. Alles Ansässige im Lande, meist schon hier geboren, abgerichtet in amerikanischen Schulen, farbige Amerikaner, die sich auch als solche fühlen.

Oder doch nicht?

Ost bleibt Ost, und West bleibt West. Es gibt keine Brücke zwischen den beiden. Ein Chinese bleibt ein Chinese, wenn man ihn auch mit noch so viel Firnis europäischer Höflichkeit übertünchte. Und ein Japaner bleibt ein Japaner, und das ist das Problem Hawais. Sehr viel Tinte ist darüber geflossen. Wer über diese Inseln schreibt, der kommt früher oder später auf das drohende Gespenst der japanischen Gefahr zu sprechen. In allen Farben hat man es an die Wand gemalt. Und doch ist solche Furcht nicht recht verständlich. Warum sollten sie etwas erobern wollen, was sie bereits besitzen? Wenn heute eine japanische Flotte auf der Reede erschien, um die Stadt Honolulu zu beschießen, so würde sie nur das Eigentum ihrer eigenen Volksgenossen zerstören, und selbst bei einem erfolgreichen Ausgang des Unternehmens würde das Gesicht Honolulus nicht viel japanischer ausschauen, als das heute schon der Fall ist.

Der in Hawai geborene Japaner pflegt zwar jedem Fremdling europäischer Rasse zu versichern, daß er Amerikaner sei und sich allein als solcher fühle. Doch das ist weiter nichts als eine orientalische Höflichkeitsphrase nach dem Rezept des persischen Sprichworts: »Lieber eine angenehme Lüge, als eine unangenehme Wahrheit«. Schon seit vielen Jahren ist die Grenze gesperrt gegen Einwanderer aus dem fernen Osten, aber man hat hier den Brunnen zugedeckt, nachdem das Kind hineingefallen war. Es ist eine » pénétration pacifique«, gegen die alle Mittel der Gewalt versagen. Hand in Hand damit geht die Ausbreitung auf wirtschaftlichem Gebiete. Die goldenen Zeiten der europäischen Zuckerkönige sind endgültig vorüber. Der steigende Arbeitslohn liegt wie eine Hypothek auf den großen Plantagen, während der kleine japanische und chinesische Ansiedler mit eigenen, d. h. unbezahlten Arbeitskräften wirtschaftet. So dreht sich alles in einem bösartigen Kreise. Zuerst sperrt man die Grenzen, um eine Überflutung des Landes mit Ostasiaten zu verhindern. Dadurch schafft man Knappheit an Arbeitskräften, Lohnerhöhungen und fördert schließlich nur das wirtschaftliche Aufblühen derer, die man bekämpfen wollte. Und eben erst, wo die Kinder der Einwanderer als amerikanische Bürger ins wahlfähige Alter hineinzuwachsen beginnen, fängt man an zu merken, daß diese Frage auch eine politische Seite hat. Hawai ist keine amerikanische Kolonie, sondern ein integrierender Bestandteil der Vereinigten Staaten und wurde bisher als Bundesterritorium verwaltet. Über kurz oder lang kommt aber der Tag, wo es als neuer Stern im Banner einen Staat darstellen wird; einen Staat mit allen sehr weitgehenden Selbstverwaltungsrechten der amerikanischen Bundesstaaten, einen amerikanischen japanischer Nation. Ein gewisses Gegengewicht gegen diese japanische Übermacht verspricht in den letzten Jahren durch die Einwanderung der Philippinos geschaffen zu werden. Sie stellen rein zahlenmäßig bereits eine Macht dar, aber wirtschaftlich sind sie eine quantité négligeable, eine Masse von armen Teufeln, die zu spät ins Land kamen, nachdem die Kuchen schon verteilt waren.

Bei alledem fragt man sich, wo das eingeborene Element der eigentlichen Hawai-Insulaner bleibt. Sie wurden, so wie einst das Volk der Indianer, von den Yankees zwar in Liedern gepriesen und in Romanen verherrlicht, aber in der Praxis gequält, gepeinigt, von Landspekulanten von ihrer Scholle vertrieben, bis man heute auf sie das Dichterwort anwenden kann:

»Und auf seinem Herrschersitze
Schweift er elend, heimatlos.«

Wir sind in der Tat weit weg von den Zeiten, da hier noch der stolze König Kamahameha herrschte, an dessen Denkmalsstufen heute die braunen Mädchen die Leis verkaufen, die Tänze aufführen und auf den Ukuleles klimpern, alles Dinge, die sie einst taten aus Freude am Leben und der Sonne, die sie heute wiederholen mit einem kleinen und einem großen Auge nach dem Geldbeutel der Touristen.

Ja, auch die Sonne Honolulus ist eine Dawessonne, die auf Dollars scheint.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer