Rausch des Orients - Aleppo, im Juli

Nordwärts von Damaskus ist Syrien so, wie man es auf den Bilderbogen und in den Märchenbüchern sieht: Steppe, Wüste, Schafherden, Nomadenzelte, ab und zu ein Beduine auf mehr oder minder feurigem Rosse, verschleierte Frauen, die auf langsamen Eseln ihre Straße ziehen, dann wieder irgendwo in der Fläche ein Dorf mit seltsam spitzen Lehmdächern oder eine Stadt, die ganz Lehm ist mit unglaublich engen, uralten Gassen, mit dennoch modernstem Baustil in nüchterner Sachlichkeit. Neben der Eisenbahn ziehen lange Kameelkarawanen, wie vor tausend Jahren, die Bauern bestellen ihre Äcker mit dem Pfluge, mit dem schon Noah pflügte, und man wird erfaßt von einem Gefühl, als ob dieses Teufelsding Eisenbahn ein Filmstreifen wäre, der eben nur vorüberhusche durch dieses Land, das einen aus uralten Augen so seltsam anschaut.

Langsam sinkt die Sonne. Die Hügel ringsum ragen glühend in die fallenden Schatten des Abends. In der Ferne steht eine große, von zahlreichen Minaretten überhöhte Stadt. Eng zusammengedrängt liegt sie um eine mächtige, hochragende Zitadelle, wie die Küken um eine Henne, oder wie eine Schar geängstigter Schafe.


Das ist Aleppo, die große Handelsstadt, oder, um genauer zu sein, die einstmalige große Handelsstadt des Ostens.

Von Aleppo erzählt man sich manche Geschichte, mehr noch von seinen Bewohnern, den »Alepinos«, die als die härtesten Handelsleute des Orients gelten, und das wohl mit Recht, wie wir bald selbst beobachten konnten. Von der ersten bis zur letzten Minute unseres Aufenthaltes in jener unruhigen Stadt war es eine Orgie der »Geschäftstüchtigkeit«, die mich umgab. Nicht einmal in Port Said geht es ähnlich zu. Der Zug war noch nicht halb in der Bahnhofshalle, als er im Sturm genommen wurde von einer malerisch zerlumpten Mahallah, die von allem Besitz ergriff, nicht zuletzt von den Menschen. Einer eroberte meinen Rucksack, einer riß mir eine Zeitung aus der Hand, ein dritter stürzte sich auf meinen im Gedränge abhandengekommenen Hut und trug ihn triumphierend vor mir her bis zu einer Kutsche, wo sie dann alle – ja, das muß einer selbst miterlebt haben – mit funkelnden Augen, mit drohenden Mienen und gierig gekrümmten Fingern die Hände hoben und den Mund spitzten zu dem Worte, das die Lippen eines Franken niemals so vollkommen auszusprechen vermögen:

»Mister, Backschi-i-i-isch!«

Alle standen sie da und schrien. Der Mann, der den Rucksack getragen hatte, der mit der Zeitung, der mit dem Hut, und hundert andere Hände, die garnichts damit zu tun hatten. »Mister, Backschi-i-i-i-isch!« Sie standen auf dem Trittbrett, sie hängten sich an den Kutscher, sie fielen den Pferden um den Hals.

»Backschi-i-i-isch!«

Es ist ein Wahnsinn, aber einer, der Methode hat und klug berechnet ist auf die schwachen Nerven des Franken. – Natürlich hat man kein Kleingeld. Natürlich erscheint einer auf der Bildfläche, dessen Taschen geschwollen sind mit Medjidies, syrischen Pfunden, französischen Francs, mit denen er dir hier mitten auf der Straße eine Rechnung aufmacht, daß dir die Augen übergehen. – Und gerade dann, wenn du den Kopf so ungefähr vollständig verloren hast wie vorher den Hut, erscheint ein sündhaft elegant gekleideter Herr, der dich mit sanften, mandelförmigen Augen freundlich anlächelt, der Französisch spricht, der diese Fäden mit wenigen Worten und einem Stück Geld entwirrt.

Wie? Oh, frage nicht! Du hast es dir ohnehin schon abgewöhnt und legst es zu den anderen Rätseln, die dir zwischen Stambul und Damaskus über den Weg gelaufen sind. Den freundlichen Herrn aber wirst du so schnell nicht wieder los. Denn wisse: dieser ist ein Dragoman, ein Beelzebub, der oberste der Teufel, ein böser Schatten, ein Gespenst, das sich nicht abschütteln läßt, wenn man sich einmal mit ihm eingelassen hat. Für die Dauer deines Aufenthaltes betrachtet er dich als sein ganz persönliches Eigentum. Tagsüber verfolgt er dich durch alle winkligen Wege, nachts liegt er vor deiner Stubentür, des leisesten Winkes gewärtig zur Erfüllung jeglichen Wunsches, auch des unmöglichsten. Wolltest du sagen: »Bringe mir Kemal Pascha« – er würde ihn herbeischaffen, wenn auch mit Hängen und Würgen, oder doch ein Ding, das ihm ungefähr ähnlich sähe. Siehst du dich um auf der Straße, so wird sicher sein Fes soeben um die Ecke kommen, bist du im Basar verstrickt in ein Handelsgeschäft, so wird er dort auftauchen, hast du es mit dem Geldwechsler zu tun, so ist er alsbald zur Seite mit seiner sanften Stimme und seinen noch viel sanfteren dunklen Augen, die dich mit schwärmerischer Verehrung anblicken. Und gerade hier ist er eigentlich am Platze. Denn wenn es je einen Franken gegeben hat, der es verstanden hat, sich ohne Anleitung durch den Irrgarten der orientalischen Münzverwirrung hindurchzufinden, so möchte ich ihn mir einmal ansehen.

Dann sind da die Männer, die mit lauernden Augen hinter den Glaskästen sitzen und über ihre Schätze wachen, die je nach Vermögen aus deutschen und österreichischen Milliardenscheinen von anno 1923, oder aber aus kleinen Bergen von Goldstücken bestehen, bei deren Anblick einem die Augen übergehen: Guineen, Dukaten, Napoleons, Zwanzigmarkstücke, Fünfpfundstücke groß wie Taler, japanische Yens, Schanghaidollars, persische Tomane und Maria-Theresien-Taler. Überall ist der Umgang mit solchen Geldwechslern eine komplizierte Angelegenheit. In Aleppo aber ist er ein Geduldspiel, das noch niemand durchgehalten hat, er sei denn ein Dragoman gewesen. Will man z. B. syrische in türkische Pfunde umwechseln, so geht die Operation ungefähr folgendermaßen vor sich:

Ein syrisches Pfund gleich x französische Francs. – Ein französischer Franc gleich x Beirutfrancs. – Ein Beirutfranc gleich soundso viele Medjidie. Gewissenhaft zählt er diese vor in schlanken, schönen Silberstücken. Soundso viele Medjidie sind aber soundso viele türkische Goldpfunde, die nun auch wieder einen kurzen Augenblick erscheinen, aufgezählt werden und sogleich wieder verschwinden, um den Papierpfunden Platz zu machen. So geht das krause Einmaleins über viele Stationen, an deren jeder etwas hängen bleibt an den krummen Fingern des Wechslers.

So ist das Leben in Aleppo mit noch mehr Schwierigkeiten verknüpft als anderwärts im Orient. Und dabei ist es nicht einmal eine Stadt, die die Mühe des Dortseins lohnte für den, der nicht kommt, um wie die anderen nach Pfunden und Medjidies, nach syrischen und Beiruter Francs zu jagen. – Ach, um die Wasser von Damaskus! Um die Brunnen, die dort in jedem Kaffeehause sprudeln, die Bäche, die durch die Gassen rinnen! Hier ist alles nur Staub, Sonne und Dürre und irgendwo ein langsamer Bach, der sich auflöst in eine Serie von fröschezuckenden Tümpeln. Jetzt namentlich, wo ein glutheißer Wind von der Wüste kommt und gelbe Staubwolken durch die Gassen wirbelt, ist es ein Ort, der einem hienieden schon einen Vorgeschmack der Hölle gibt. An solchen Tagen lungert alles Leben noch mehr als sonst im Basar, wo durch die übermauerten Gassen wirklich so etwas wie Kühle weht und man von der finsteren Bude des Kaffeeausschanks faul und behaglich auf das Pflaster schauen kann, wo es trippelt und klappert von Eselshufen, wo faule Händler grüne Oliven und gesalzene Mandelkerne knabbern und schwarzverschleierte Frauen vor den Buden feilschen, wo die Bäcker ihre flachen, handtuchförmigen Brote zu hohen Haufen aufgetürmt haben.

»Basari« nennt man solches Vergnügen mit einem orientalischen Fachausdruck. Es ist ein intensives Vergnügen, das die Mühe lohnt, trotz allem, und einen die Welt aus einem anderen, freundlicheren Gesichtswinkel sehen läßt, selbst in Aleppo.

Ja, selbst in Aleppo!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer