An heiligen Stätten - Haifa, im Mai

Alles andere wiederholt sich auf diesem Planeten, aber Palästina ist wahrlich ein Erdenwinkel, den es nur einmal gibt. Es ist ein einziger großer Wiederholungskurs der Biblischen Geschichte beim Wandern auf diesen Straßen, wo um jede Wegbiegung die alten Geschichten lebendig werden, die wir vor allen anderen gehört haben, die alten Bilder, die wir einst betrachtet haben mit der ganzen Glut unserer Kinderphantasie. Unwandelbar stehen sie vor uns, wie die Stimme der Schrift, vor der tausend Jahre sind wie ein einziger Tag: die Tempel, die Hütten, die Kamele, die Schafe, die Hirten auf dem Felde – –

So gingen wir dieser Tage von Jerusalem nach Bethlehem auf der Straße, die schon die Weisen aus dem Morgenlande zogen. Breit, gerade, sorgfältig asphaltiert zieht sie sich durch die Landschaft, eine Art Nürburgring, lebendig von Verkehr, wimmelnd von Autos. Schon dicht hinter der hohen Zionsburg stehen wir vor dem alten Baume, an dem sich Judas Ischariot erhängte. Nicht weit davon, im Tale Ephraim, dort, wo David die Philister schlug, steht der Brunnen, in dessen Wasser einst die Weisen den Stern sich spiegeln sahen, als sie ratlos von Herodes kamen. Auf einer Anhöhe, auf der ein mächtiges Kloster wie eine Festung steht, bemerkt man in einem Stein die Fußspuren des Propheten Elias, der hier auf der Flucht vor Jesebel rastete; das ist ein Platz, wie geschaffen zum Rasten für einen müden Wanderer. Rückwärts liegt Jerusalem, gerade voraus am Berghang Bethlehem, fast greifbar nahe in der klaren Luft, und ringsum im Grün des ersten Frühlings die weite Landschaft wie jene, die der Versucher vom Berge zeigte: »Dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest!«


Weiter führt der Weg bergab gen Bethlehem, und es ist, als ob es auf einmal keinen Staub und keine Autos mehr gäbe, als ob jemand die Uhr zurückgedreht habe – um neunzehnhundert Jahre. Die dunklen Ölbäume stehen auf den Terrassen, die man mühsam in die steilen Hänge gehauen hat, vielleicht schon zu König Davids Zeiten. Arabische Bauern bearbeiten ihre steinigen Äcker mit einem Pfluge, wie ihn schon Vater Noah gekannt haben mochte. Esel trippeln beschaulich vorüber, Frauen kommen mit Krügen auf dem Kopfe wie Rebekka vom Brunnen. Unversehens stehen wir vor dem Grabe der Rahel, die, schon tausend Jahre vor Christus, hier sterben mußte, als sie Benjamin das Leben schenkte. Es ist ein Ort, der Christen, Juden und Mohammedanern gleichermaßen heilig dünkt und dessen Bild um dieser paritätischen Eigenschaft willen auch auf die Briefmarken des Mandatsgebiets gekommen ist. Viel Staat ist freilich nicht damit zu machen, denn das sogenannte Grabgebäude ist nicht viel mehr als eine armselige Hütte, die zudem stark im Verfall begriffen ist. Seit Menschengedenken streiten sich Juden und Mohammedaner um die Ehre der Erhaltung des Grabes, und da keiner sie dem anderen gönnt, geht es etwa wie in dem edlen Wettstreit der beiden Polen, von denen Heinrich Heine berichtet:

»Und weil keiner wollte leiden.
Daß der andre für ihn zahl',
Zahlte keiner von den beiden,
Ein System, das sich empfahl.«

Nur wenige Schritte hinter Rahels Grab beginnt die Stadt Bethlehem. Auch wenn man nicht wüßte, daß man hier vor einem Orte steht, der für jeden Christen heiliger als jeder andere ist, bekäme man doch einen starken Eindruck von der Stadt mit ihren hohen, farblosen Lehmhäusern, die zwischen dunklen Ölbäumen am steilen Berghang kleben. Ein mächtiges, festungsartiges Klostergebäude umschließt die Kirche, die über der Krippe zu Bethlehem steht. Wie anders ist die Wirklichkeit, wie meilenfern verschieden von den Bildern, die wir uns von dieser Stätte machten!

Die Kirche – eine der ältesten der Welt – wurde schon im Jahre 330 n. Chr. gebaut und hat seither allen Stürmen widerstanden, allen Türkenkaisern getrotzt und steht heute wie damals – nichts Überwältigendes, aber doch eine respektable Leistung für damalige Zeiten. Ein Stern auf dem Fußboden zeigt die Stelle, an der Christus geboren wurde, dicht daneben steht die Krippe im Scheine weniger Lampen, gehüllt in eine Wolke von Weihrauchdämpfen. Ein griechischer Pope führt uns herum und zeigt die frommen Stätten mit resigniertem Lächeln. Da beten die Orthodoxen, hier die Lateiner, die Kopten, die Abessinier. Hier ist die Stätte, wo der Engel den Joseph warnte, hier der Platz, wo man auf Befehl des Herodes die vierzehntausend Kinder verscharrte. Hier war es, wo die Weisen niederknieten. Ich höre eine Stimme, die weiterplappert wie eine aufgedrehte Grammophonplatte, und langsam steigt sie wieder aus den rauchgeschwärzten Wänden des alten Gotteshauses, die liebe alte, die schönste aller Geschichten ... »Und du, Bethlehem Ephrata, bist mit nichten die kleinste unter den Städten Judas – – –«

»Hier gab es immer Streit,« sagte der Pope, indem er auf die Steinstufen deutete, die zur Krippe führten.

»So?«

»Ja, die eine Seite wollten immer die Kopten fegen, die andere die Abessinier. Da wurde es beiden verboten, und nun werden die Stufen von der Polizei gefegt. Den Teppich hier mußten die Armenier entzweischneiden, weil die Katholiken nicht darauf laufen wollten. – Et ça, c'est pour l'église.« Dies mit einem Blick auf die Sammelbüchse.

»Pour l'église,« kam eine Stimme von der anderen Seite, und mit ihr ein Bart und eine andere Sammelbüchse, und noch eine, und noch eine – »Pour l'église! Pour l'église!«

Es ist eine Backschischpolonaise bis zur Tür, wo einen draußen im sonnendurchglühten Hof die Händler überfallen mit fetten Ablaßbriefen und geweihten Rosenkränzen. Man hat den Eindruck, als ob hier viele Kamele durch ein Nadelöhr gehen und alle Reichen ins Himmelreich kommen. –

Ein geschäftstüchtiger Herr packte mich am Ärmel, zog mich in seinen Laden und bot mir einen Stern von Bethlehem zum Kauf an. Schon leuchtete er vor meinen Augen, hübsch in Perlmutter gearbeitet. Wieviel der koste?

Schließlich wurden wir handelseinig bei vier Piaster für vier Stück. Leider aber war das Geld nicht abgezählt. Mit großer Hartnäckigkeit irrte sich der Händler immer wieder um einen Piaster zu seinen Gunsten. Da verließ mich die Geduld. Ich packte die ganze Schachtel voller Sterne und ging aus dem Laden hinaus. Darauf großes Geschrei. Aufruhr auf dem Markt. Polizei. Langes Verhör. Endlich noch zwei Sterne für den Piaster. –

Mit dem Auto fuhren wir wieder zurück nach Jerusalem, aber nicht auf der großen breiten Straße, sondern auf der engen, die in die Verdammnis führte. Wir waren noch nicht weit gekommen, als wir aufgehalten wurden durch eine lange Autokolonne, an der kein Vorbeikommen war. Viele Araber rannten aufgeregt umher.

Was da los wäre? fragte der Chauffeur.

Ja, das war eine Hochzeit! Das Brautpaar hatte eine Panne, und da ziemte es sich, zu warten, bis der Schaden behoben war. Wir warteten eine halbe Stunde. Da brummte der »bräutliche Motor« und stand gleich wieder still. Es fing an dunkel zu werden. Droben stand die Silhouette Jerusalems scharf wie ein Scherenschnitt vor dem roten Abendhimmel. Hundert Autos hatten sich schon angesammelt, die nun endlich als eine lange Lichtschlange nolens volens in Gesellschaft dieser seltsamen Hochzeit zu Kanaa gen Jerusalem zogen.

Am anderen Tage gingen wir nach Jericho, zum Jordan und zum Toten Meer. Es gab eine Zeit – und die liegt noch gar nicht weit zurück –, in der so etwas ein anstrengendes Abenteuer, eine mühsame Reise von zwei oder drei Tagen war. Heute macht man es in wenigen Stunden auf tadelloser Straße, auf der es mit Vollgas in atemraubenden Kurven immer bergab geht, bis man in der dumpfen Mittagshitze einige hundert Meter unter Seehöhe am Ufer des Toten Meeres hält.

Blau und lustig lag es da in glitzerndem Sonnenschein unter einer lebendigen Brise. Aber die steilen Uferberge standen kahl und heiß wie Backöfen in der glühenden Sonnenhitze. Am flachen Südufer hat jemand einen gedeckten Kaffeegarten errichtet, das einzige schattige Plätzchen auf Meilen in der Runde. Dort saß ein langer, strohblonder Engländer und rauchte seine Pfeife. Er war Chemiker, den irgendein Syndikat hierhergeschickt hatte. Der hatte dieses Wasser sich ausgerechnet auf Heller und Pfennig, und da er sonst keine Unterhaltung hatte, fing er an, es mir vorzurechnen.

»Kali steht augenblicklich auf 4 Pfund 10 Schilling pro Tonne, und hier liegt genug davon, um die ganze Erde 2000 Jahre lang mit einer Million Tonnen pro Jahr allein aus dem Toten Meer zu versorgen,« – Schon ein business: Dazu kämen noch die vielen anderen Salze. Binnen kurzem würden hier die größten Fabriken mit den fettesten Dividenden entstehen, und überdies könne man an Hand dieser neuen Tatsachen nunmehr die ganze biblische Geschichte, einschließlich des Unterganges von Sodom und Gomorrha beweisen.

So sprach der Herr aus England, nüchtern, sachlich und berechnend, mit einem großen Aufwand von Geschäftstüchtigkeit. Mir aber grauste ein wenig vor der Art, wie man hier Sodom und Gomorrha und Lot und die Salzsäule kommerzialisierte. –

Eine Stunde später standen wir am Ufer des Jordans an der Stelle, wo Jesus getauft wurde. Die Weltgeschichte hat sich hier eine kleine Liebenswürdigkeit erlaubt und den zweitausend Jahre vorher erfolgten Übergang der Kinder Israels an dieselbe Stelle gelegt, in Vorahnung kommender Touristen, die das nun auf einmal abmachen und zum five o'clock wieder im Hotel zu Jerusalem sein können. Viel ist ohnehin an dem Platze nicht zu sehen. Eine Hütte in den Uferbüschen, eine mottenzerfressene, ausgestopfte Hyäne als Hauptattraktion und endlich der Jordan, der breit und schlammig vorüberzieht wie ein kleiner Mississippi. Sechs Millionen Tonnen Wasser sind es, die hier jährlich ins Tote Meer fließen und wieder verdunsten ohne Abfluß.

Nahebei, am Fuße eines hohen Berges, liegt Jericho, die »Blume der Wüste«. Der Berg ist kein anderer als der, auf den Jesus zum Blick auf das umgebende Land von dem Versucher geführt wurde. Diese Versuchung kann nicht allzu groß gewesen sein, es sei denn, daß das Land seither eine erhebliche Wandlung des Klimas durchgemacht hat. Ringsum sieht man nur Sand, Sonne und Steine und mittendrin Jericho mit seinen erbärmlichen Lehmhäusern und den schwarzen Zelten, vor denen schlampige, zigeunerhafte Beduinen hocken. Seltsamerweise zeigt man nicht mehr den Feigenbaum, auf dem einst Zachäus saß. Doch sprudelt noch immer die Quelle, aus der Elisa einst das Salz verbannte.

Solche Wunder geschehen heute nicht mehr! Aber der Wunderlichkeiten gibt es noch mehr, und die merkwürdigste von allen dünkt mich diese: Mitten in dieser weltfernen Ansammlung von Armseligkeiten in diesem glühenden Hitzepol der Erde steht ein moderner Hotelbau mit der verlockenden Überschrift: »Winterpalast« als Sensation für alle Snobs, die vor Blasiertheit nicht mehr wissen, wohin mit den Dollars! Ganz geheuer ist es freilich hier nicht. Vor einem Jahre verlor ein indischer Nabob seine zwei Frauen bei einem Erdbeben. Doch bietet er wenigstens Garantie gegen das Klima.

Und ich bin gewiß: wenn im kommenden Winter das Wetter sich anläßt wie im vorigen, so werde ich gleichfalls meine Schritte gen Jericho zum »Winterpalast« lenken...

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer