Siebzehntes Kapitel. - Obrist Talbot wurde Waverley gegenüber immer offner und freundlicher, ...

Obrist Talbot wurde Waverley gegenüber immer offner und freundlicher, seit ihm dieser mit vollem Vertrauen entgegengekommen war. Anfangs schien in seinem strengen Wesen das Gegenteil zu liegen, aber er hatte sich durch die lange Gewohnheit zu befehlen, eine gewisse Härte angeeignet, und war überhaupt durchaus verschieden als Soldat von den Kameraden, die Waverley bisher gehabt hatte. Er war in allen Hinsichten der richtige Repräsentant des englischen Offiziers, mit ganzer Seele dem Dienste seines Königs und Vaterlandes geweiht, ohne sich auf die theoretischen Fachkenntnisse so viel zu gute zu tun, wie der Baron von Bradwardine, der gewiß auch ein sehr tüchtiger Soldat war, oder wie der Major Melville sich mit den praktischen Kleinigkeiten viel zu befassen, oder wie der Häuptling Glennaquoich all sein Wissen auf die Förderung seiner ehrgeizigen Absichten zuzuspitzen. Hierzu kam noch, daß der Oberst ein Mann von ausgebreiteten Kenntnissen war und über einen sehr feinen Geschmack in allen Dingen gebot, wenngleich er auch von den Vorurteilen nicht frei war, die dem Engländer und nicht zum wenigsten dem Engländer als Offizier anhaften.

Allmählich wurde Edward der Charakter des Obristen Talbot klar, denn die Hochländer vergeudeten mehrere Wochen auf die Belagerung des Schlosses, und Waverley hatte unterdes weiter nichts zu tun, als den Vergnügungen nachzugehen, die in Edinburg veranstaltet wurden. Er hätte seinen neuen Freund gern mit einigen seiner schottischen Freunde bekannt gemacht, aber schon nach den ersten Versuchen lehnte der Oberst alle weiteren Bemühungen Waverleys in dieser Hinsicht ab, ja er machte nicht das geringste Hehl aus seiner feindseligen Gesinnung gegen den Baron von Bradwardine sowohl als ganz besonders gegen den Häuptling von Glennaquoich. Wenn er sich darauf beschränkte bei dem erstern, ihn als Sklaven der Form, wie man ihn sich greulicher gar nicht denken könne, zu bezeichnen, so nannte er den andern einen »zum Franzosen gewordnen Schotten, der sich ganz das lackierte, gleisnerische Wesen der Nation angeeignet habe, bei der er erzogen worden sei, während er von der Nation, der er durch Geburt angehöre, den Dünkel, die Rachsucht und den unruhigen Geist in vollstem Maße überkommen habe. Wenn der Satan einen Sendboten ausschicken wollte,« schloß er seine Rede, »dies unglückliche Land in grenzenlosen Jammer zu stürzen, so konnte er schwerlich ein besseres Werkzeug dazu finden als diesen Menschen, der Rührigkeit und Geschmeidigkeit mit Bosheit verbindet und auf den promptesten Gehorsam dieser Sorte von Gurgelabschneidern rechnen darf, der Ihr so hohe Bewunderung zollt, und an der Ihr eine so ungeteilte Freude zu empfinden scheint.«


Auch die Damen der Gesellschaft entgingen seiner scharfen Beurteilung nicht. Er ließ gern gelten, daß Flora Mac-Ivor ein schönes Weib sei, Rosa von Bradwardine dagegen ein recht niedliches Kind, aber die erstere zerstöre den Eindruck ihrer Schönheit durch affektierte Manieren, wahrscheinlich ein Erbstück ihres Aufenthalts in Saint-German an dem Afterkönigshofe, der dort noch immer zur Blamage für Frankreich gehalten würde, und Rosa Bradwardine sei doch noch viel zu harmlos, um irgendwie ernsthaft genommen zu werden; das bißchen Erziehung, über das sie gebiete, stände schließlich ihrem Geschlecht und ihrem Alter gerade so unvorteilhaft, wie wenn sie sich von ihrem Vater die alte Felduniform anzöge.

Allerdings mochten diese Urteile zum großen Teil ihren Grund in dem Spleen und in den Vorurteilen des trefflichen Mannes haben, dem eine weiße Kokarde an der Brust oder eine weiße Rose im Haar, wie das Wörtchen »Mac" vor einem Namen jeden Engel zu einem Teufel verwandelt hätte, dem sogar Venus unausstehlich gewesen wäre, wenn sie sich ihm als Miß Mac-Jupiter in einem Courzimmer hätte vorstellen wollen.

Daß Waverley auf die Namen mit ganz andern Augen blickte, werde ich dem Leser nicht erst zu erzählen brauchen. So lange die Belagerung dauerte, machte er täglich Besuche bei den Damen, trotzdem er zu seinem Leidwesen die Bemerkung machte, daß all seine Mühe, bei Flora in bessre Gunst zu kommen, gänzlich umsonst war, und sie ihm nach wie vor mit unveränderter Gleichgültigkeit begegnete. Dagegen gewann Rosa Bradwardine täglich in seiner Achtung, und zu wiederholten Malen fand er Gelegenheit zu der Wahrnehmung, daß ihr Wesen außerordentlich gewann, sobald sie ihre große Schüchternheit bezwingen konnte, und daß die Erschütterungen dieser stürmischen Zeit eine Würde über ihr ganzes Wesen breiten, die ihm bislang immer an ihr entgangen war, sowie daß sie keine Gelegenheit vorbeigehen ließ, die sich ihr zur Mehrung ihrer Kenntnisse wie zur Verfeinerung ihres Geschmacks bot.

So wurde langsam Rosa für Waverley zu einem Wesen von ganz andrer Bedeutung, als sie bisher gewesen war. Sie war jung und harmlos, und infolgedessen noch außer stande, die Wirkung zu beobachten, die sie in der Gesellschaft übte. Auch die Wandlung, die sich in Waverley vollzog, mochte ihr nicht bewußt werden, und ihr Vater war zu sehr in seine Lieblingsthemata vertieft, als daß er sich um die Empfindungen hätte bekümmern können, die sie weckte und selbst hegte. Dagegen hatte sie Flora gegenüber aus dem Zustand ihres Herzens keinerlei Hehl gemacht, und die kluge und scharfsichtige Freundin hatte es sich nicht bloß nicht nehmen lassen, Rosa in diesen Empfindungen zu bestärken, sondern hatte vielmehr dem Bruder wenn er durchblicken ließ, daß er selbst Absichten auf Rosa habe, manchmal im Scherz, manchmal im Ernst, das Unpraktische solcher Gedanken ernstlich vorgehalten. Wußte sie doch zu gut, daß ihr Bruder im Punkte der Frauen und gar der Ehe Gesichtspunkte hatte, die in den auf dem Kontinent, vornehmlich an den Höfen zu Versailles oder Saint-Germain, vorhandenen Anschauungen fußten. Zudem kam die gewiß nicht unwichtige Frage noch in Betracht, die Mehrung von Ansehen und Vermögen betreffend. Denn vom Baron von Bradwardine war doch die Marotte, seine Besitzungen als Mannslehen zu betrachten, sattsam bekannt. Dadurch allein schon verbot es sich für Fergus, sich ernstlich mit solchem Gedanken zu befassen. In seinem Kopfe gärte es außerdem ununterbrochen von Plänen und Entwürfen und Ränken aller möglichen Art, aber fast immer reifte bei ihm kein Gedanke recht aus, sondern machte schnell wieder einem andern Platz, sobald sich ihm ernstliche Schwierigkeiten in den Weg stellten. Infolgedessen ließ sich fast nie voraussagen oder erraten, wie er sich definitiv zu einer Frage stellen oder welchen Entschluß er letzter Stunde fassen werde.

Flora hing ja an dem Bruder mit großer Liebe, denn sein Feuergeist rang ihr Bewunderung ab, und hätte sie ihr abgerungen, auch wenn sie nicht durch solche enge Bande mit ihm verbunden gewesen wäre. Indessen war sie für seine Fehler keineswegs blind, sah sie im Gegenteil als viel zu gefährlich an, als daß sich einem weiblichen Wesen hätte raten lassen, seine Hoffnungen auf solchen Mann zu setzen. Wer die Verwirklichung seiner Begriffe von glücklicher Ehe in dem friedlichen Genusse häuslichen Lebens und in dem Austausche beiderseitiger Liebe, in dem Ineinanderleben zweier Menschen suchte, für den war wohl Rosa Bradwardine das richtige Weib, für solches Weib war aber kein Fergus der rechte Mann.

Dagegen erschien ihr Waverley als ein Charakter, wie geschaffen dazu, solche Erwartungen zu erfüllen. Ihm sah man es an, daß ihn solches Leben in Sturm und Drang nichts weniger als befriedigte, sondern im Gegenteil ihm bitter verhaßt war, daß ihn alle Erörterungen über Stammesinteressen und politische Fragen gräßlich langweilten, daß er, wenn die Unterhaltung auf solche Kapitel übergriff, in der Regel das Zimmer verließ und sich so lange draußen verhielt, bis er meinen konnte, daß man sich einem andern Gesprächsstoff zugewandt habe. Alles wohl erwogen, gelangte Flora zu der Ansicht, daß Waverley ganz ohne Frage der Mann sei, der ein Wesen von solcher Sanftheit und Milde der Lebensanschauungen und Lebensansprüche, wie Rosa Bradwardine, glücklich machen werde.

Eines Tages sprach Rosa in diesem Sinne mit Flora.

»Ach, rede doch nicht, Flora,« sagte hierauf Rosa zu der Freundin, »ein Mann wie Waverley mit solch reinem Geschmack und von solch bedeutender Geistesbildung kann sich doch nicht angezogen fühlen von solch hohlem Kram, ob der Häuptling von den Indallaghers, der nur fünfzig Mann ins Feld gestellt hat, bloß Hauptmanns- oder Obristenrang zu beanspruchen habe. Oder was kanns einen Waverley angehen, ob Fergus oder dem jungen Corrinaschian der eigentliche Anspruch auf die Eigenschaft eines Clanführers zustehe?«

»Liebe Rosa, wäre er der Held, als den Du ihn Dir ausmalst,« erwiderte Flora, »dann müßte er sich für dergleichen Fragen freilich interessieren, wenn auch nicht, weil sie Fragen von irgend welcher Bedeutung seien, sondern um zwischen den Feuergeistern, die sich an solche Dinge von untergeordnetem Wert klammern, den Vermittler abzugeben. Du hast es doch selbst mit angesehen, wie Waverley, als Corrinaschian aufsprang, und mit der Hand zum Schwerte griff, emporschreckte wie aus einem Traume und fragte, was denn eigentlich los sei, mit einer Ruhe, die allgemeines Gelächter weckte.«

»Aber diente dieses Gelächter nicht weit besser zur Beruhigung der Geister, als all die Worte, die er vielleicht hätte schwatzen können?«

»Ganz richtig. Doch war es minder ehrenvoll, als wenn er diese Beruhigung auf anderm Wege erreicht hätte,« sagte Flora.

»Sollte er denn allgemeiner Friedensstifter sein zwischen all diesen wilden Hochländern im Heere? Vergiß doch nicht, Flora, daß sich diese wilden Gemüter, die mich täglich mehr in Schrecken setzen, mit einem Waverley ganz und gar nicht vergleichen lassen!«

»Mit ihnen stelle ich ihn ja auch nicht in Parallele,« versetzte Flora. »Mich schmerzt es im Gegenteil, daß er in Gesellschaft sich bewegt, die nicht für ihn geeignet ist, trotzdem sich Männern, wie zum Beispiel Lochiel, Bildung und Talente auch nicht absprechen lassen. Warum will er sich solchen Männern nicht angenehm und nützlich erweisen? Nein, Rosa, ich muß annehmen, sein Herz hat sich erfroren an diesem eiskalten Engländer, dessen Bewachung ihm der Prinz anvertraut hat.«

»Der Obrist ist freilich ein sehr unangenehmer Mensch, der ganz so aussieht, als wenn er einer Schottin alle Daseinsberechtigung absprechen wolle. Aber Waverley ist doch so liebenswürdig, so fein von ...«

»Gewiß, gewiß, er singt den Mond an und macht einen himmlischen Vers auf das winzigste Blümelein ...«

»Aber, Flora, Du weißt doch, daß er auch seinen Mann sehr wacker in der Schlacht gestellt hat ...«

»Bloß um zu kämpfen, nicht anders,« versetzte Flora; »ich glaube, Rosa, in dieser Hinsicht ist ein Mann wie der andre, wenn auch im großen und ganzen mehr Mut dazu gehören mag als zum Davonlaufen. Es mag wohl auch ein gewisser Instinkt dabei mitsprechen, wie man ihn ja auch bei andern Geschöpfen männlichen Geschlechts, wie zum Beispiel bei Hunden, beobachten kann. Indessen Rosa, hohe und gefahrvolle Unternehmungen sind Waverleys Sache nicht, und er würde wohl niemals seinem berühmten Ahnherrn Nigel gleichkommen, sondern eher nur seinen Leibdichter abgegeben haben. Ich will Dir sagen, liebe Rosa, wo unser Waverley an seinem richtigen Platze sein wird: in Waverley-Würden, auf seinem Stammschlosse, hinterm warmen Ofen oder im alten Bibliothekzimmer, mit einer gelehrten Schwarte vor der Nase oder einem drallen Pausback von Jungen auf dem Arme: so sehe ich, wenn die Zeiten ruhiger geworden, Edward Waverley vor meinem geistigen Auge. Einem hübschen Weibchen, das an seinem Arme hängt, ein paar Mondscheinverse vorschwärmen, das ist sein Element, und darin wird er sein Glück finden!«

»Und darin wird auch die Frau ihr Glück finden,« dachte Rosa wehmütig bei sich, »die das Glück haben wird, an seiner Seite auf Waverley-Würden zu leben!«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Waverley oder Es ist sechzig Jahre her. Zweiter Band