Sechsundzwanzigstes Kapitel. - Endlich kam Edward in London an. Es war in der Abendstunde,...

Endlich kam Edward in London an. Es war in der Abendstunde, und er setzte sich sogleich in einen Fiaker und ließ sich nach der Wohnung des Obristen Talbot fahren, die sich im Westen, an einem der Hauptsquares, befand. Seit seiner Verheiratung war derselbe durch verschiedne Erbschaften in den Besitz eines bedeutenden Vermögens gelangt und lebte im Stile der vornehmen Welt von London, war auch reich an den besten Beziehungen zur Regierung und zu deren damals tonangebenden Persönlichkeiten der politischen Welt.

Der Oberst saß grade bei der Tafel, als er sich melden ließ. Lady Emily, von ihrer kaum überstandnen Krankheit noch etwas blaß, saß ihm gegenüber. Kaum hörte er Waverleys Stimme, als er aufsprang und ihm mit den Worten entgegeneilte: »Aber, Frank, bester Junge! was bringt Dich hierher?«


Dann wandte er sich zu seiner Frau:

»Liebe Emily, unser Vetter Stanley!«

Die Dame hieß ihn willkommen, aber die zitternde Hand und ihre unsichre Stimme verrieten deutlich, wie sehr sie betroffen war.

»Das wundert mich, Frank,« sagte der Obrist wieder, als man sich zur Tafel gesetzt hatte, »daß Eure Aerzte Euch haben laufen lassen, und obendrein hierher nach London, wo doch für Euch die ungesündeste Luft herrscht. Ich meine, es wäre gescheiter gewesen, Ihr hättet das nicht riskiert! Indessen ist es mir schließlich ganz recht, daß Ihr Euch wieder mal sehen laßt. Bloß meine ich, auf langes Beisammensein wird sich nicht rechnen lassen.«

»Mich hat ein ganz besondrer Anlaß hergeführt," stotterte Waverley.«

»Das konnte ich mir denken,« versetzte der Oberst, »aber, wie gesagt, wir werden uns mit unsern Angelegenheiten ein wenig beeilen müssen... Spontoon,« wandte er sich zu seinem Diener, dem äußern Habitus nach zu urteilen, einem pensionierten Soldaten, »trag das da hinaus, und komm erst herein, wenn ich Dich rufe. Laß auch niemand jetzt zu mir! Ich habe mit meinem Vetter wichtige Dinge zu besprechen.«

Kaum hatte sich der Diener entfernt, als der Oberst auf Waverley zueilte und ihn bei beiden Händen nahm.

»Um Gottes willen, Mensch!« rief er, »was fällt Euch ein, hierher zu kommen? Das ist ein Streich, den Ihr mit Eurem Leben büßen könnt!«

»Aber, lieber Waverley,« flüsterte jetzt auch die Dame, »wie konnten Sie so unvorsichtig sein?«

»Mein Vater... mein Oheim... hier diese Nachricht,« stotterte Waverley, indem er dem Obersten den Zeitungsausschnitt gab, den er von dem Geistlichen in dem kleinen Dorfe, wo er bei den Williams'schen Pächtersleuten sich verborgen hielt, bekommen hatte.

»Hol der Teufel diese Hundsfötter von Zeitungsschreibern,« rief der Oberst. »Daß Euer Vater gestorben ist, Waverley, trifft allerdings zu. Aber von dem Senf, der von seinen sogenannten unangenehmen Situationen gemacht wird, Waverley, ist kein Wort wahr. Es tut mir ja leid, das sagen zu müssen, aber es wird Euern Schmerz, und, was noch wichtiger ist, Euer Gewissen erleichtern, und drum, mach ich kein Hehl draus. Euer Vater hat sich weder um Euch noch um seinen Bruder, Euern braven Oheim, auch nur einen Deut in seinem ganzen Leben gekümmert, sondern ist immer bloß seine eignen selbstischen Wege gewandelt. Erst letzthin, als ich ihn traf, sprach er sich zufrieden aus darüber, daß ich die Sache mit Euch in die Hand genommen hätte, weil ihn das jeder Bemühung überhöbe und in die Lage setze, mit der Regierung für sich selbst zu paktieren.«

»Und mein Oheim? ... mein lieber, guter Oheim?«

»Sir Everard ist aus aller Gefahr. Was hier steht, lief wohl vor ein paar Wochen als Gerücht herum, ist aber falsch. Euer Oheim ist wieder in Waverley-Würden, und bis auf die Dinge, die Euch betreffen, von aller Unannehmlichkeit erlöst. Aber Ihr, Waverley, schwebt in schwerer Gefahr, Euer Name steht auf jedem Erlasse, und es sind Haftbefehle, wohl an ein halbes Dutzend, gegen Euch erlassen. Aber wie und wann seid Ihr hierher gekommen?«

Edward erzählte all seine Abenteuer, nur den Zwist mit dem Häuptling verschwieg er, weil er dem Obersten keinen Anlaß geben wollte, gegen die Hochländer, die er noch immer in Ehren hielt, loszuwettern.

»Die Geschichte mit Eurer Reisegefährtin gefällt mir gar nicht,« sagte der Oberst, »ich glaube ganz bestimmt, heut abend ists in der ganzen Stadt herum, daß sie mit dem Leutnant Butler gefahren sei, der sich aber als ein ganz andrer, als der Deserteur Waverley, entpuppt habe.«

»Ist Euch denn die Frau bekannt?« fragte Waverley.

»Ihr Mann ist vor sechs Jahren als Sergeantmajor in meiner Kompagnie gewesen. Sie war Witwe und hatte ein bißchen Geld, da heiratete sie Rosebag. Die beiden Leute haben es ganz hübsch vorwärts gebracht, aber sie ist eine Schwatzliese und vorlaute Person sondergleichen. Morgen seid Ihr unpaß und bleibt auf Eurer Stube. Meine Frau wird Euch pflegen, und wenn Ihr sonst etwas braucht, dann ruft mich oder Spontoon. Allen im Hause gegenüber geltet Ihr, das sei nicht außer acht gelassen, als Frank Stanley, mein Vetter.«

Am andern Morgen war der Oberst in aller Frühe bei Waverley.

»Ich kann Euch gute Nachricht bringen,« sagte er, »von der Anschuldigung wegen Meuterei seid Ihr freigesprochen worden, die Untersuchung hat in ihrem weitern Verlaufe Günstiges für Euch ergeben. Von Belang hierfür sind hauptsächlich die Aussagen eines Geistlichen, namens Morton, gewesen, der Euch beim Major Melville kennen gelernt hat in Cairnvreckan. Sodann ist Euer Räuber aus der Grotte, Donald Dean Lean oder wie er heißt, in die Hände der Philister gefallen. Bei einem Diebstahl, den er vorgehabt hat bei einem Laird Killan ...«

»Killancureit,« fiel ihm Waverley ins Wort.

»Ganz recht. Es mag wohl ein großer Landwirt oder so was sein,« versetzte der Oberst ... »aber wahrscheinlich kein sehr tapfrer Bursche, denn er hatte wohl Wind bekommen, daß ihm die Bande einen Besuch abstatten will, und um ein Kommando Militär ersucht. So war der Bandit dem Löwen grad in den Rachen gerannt. Er wurde natürlich zum Tode durch den Galgen verurteilt, aber es wurde ihm Gelegenheit gegeben, sich das Gewissen zu erleichtern, und dazu schickte man ihm eben den Morton. Und der Mann, das muß man sagen, hat seine Sache großartig verstanden. Ihm und dem Major Melville, offenbar einem sehr wohlwollenden und einsichtsvollen Manne, hat nun Donald all seine Intrigen mit dem Sergeanten Houghton offenbart, die Ursachen erklärt, die ihn dazu bestimmt hatten, auch die Art und Weise, wie er alles eingeleitet hatte, auseinandergesetzt, und daraus hat sich denn ergeben, daß Euch hierbei gar keine Schuld trifft. Er hat auch erzählt, daß er es gewesen sei, der Euch aus den Händen des Kameroniers Gilfillan befreit habe, um sich bei dem Präten – Chevalier, wollt ich sagen – in ein gutes Licht zu setzen, daß er Euch auf dessen Befehl nach dem Schlosse Doune geschafft habe, von wo aus Ihr dann, ebenfalls wieder als Gefangner, nach Edinburg geschafft worden seiet. Das sind natürlich Umstände, die erheblich zu Eurer Entlastung sprechen. Donald hat auch noch bekannt, daß er für diese Dienste sehr gut bezahlt worden sei, aber von wem, das wollte er nicht sagen, es würde ihm ja sonst auch darauf nicht ankommen, aber er hatte es auf seinen Dolch geschworen, hierüber zu schweigen, und dagegen zu verstoßen sei nicht möglich.«

»Und was ist aus ihm geworden?«

»In Stirling haben sie ihn mitsamt seiner Bande aufgeknüpft, ihn aber an einem Galgen, der um ein paar Meter höher war als die, an denen seine Untergebnen baumeln mußten.«

Da kam Spontoon voll Angst in das Zimmer gestürzt. »Er habe bei einem alten Regimentskameraden grade die Frau Rosebag getroffen, die sich fuchsteufelswild dort gezeigt habe. Weil sie herausbekommen hätte, daß ihr Reisebegleiter nicht ein Kapitän Butler, sondern der Ausreißer Waverley gewesen sei, und weil sie nun um die ausgesetzte Prämie sei; sie böte Himmel und Hölle auf, zu ermitteln, wohin sich der Ausreißer in London gewandt habe.«

Das war ein Vorfall, der leicht dem Obristen, wie auch dem Flüchtling und dessen Oheim gefährlich werden konnte. Wohin aber sollte sich Edward nun wenden?

Dieser war schnell schlüssig.

»Zurück nach Schottland,« sagte er kurz entschlossen.

»Nach Schottland? und zu welchem Zwecke?« fragte der Oberst, »doch nicht, um mit den Rebellen von neuem anzufangen?«

»Nein, keinesfalls,« erwiderte Waverley, »meine Rolle als Soldat sehe ich für gründlich ausgespielt an. Die Hochländer sind auf alle Fälle wieder in ihren Bergen und rüsten zum Winterfeldzuge. Da wäre ich ihnen bloß hinderlich. Außerdem halten sie sich jedenfalls bloß noch im Felde, um dem Chevalier die Flucht aus England zu ermöglichen und dann für sich selbst in Unterhandlungen zu treten. Hierzu brauchen sie mich ganz sicher nicht. Dagegen sind wohl andre Personen, die meiner bedürftig sein können, noch in Edinburg, und dieser Pflichten möchte ich mich entledigen ...«

»Also hatte meine Frau doch recht, als sie meinte, es sei auch ein bißchen Liebe mit dabei? ... Nun, hoffentlich hats Euch nicht diese Miß Glenna – – ich kann den Namen nicht über die Zunge bringen – –«

»Bewahre, Herr Oberst.«

»Na, die andre will ich mir eher gefallen lassen, ein einfacher Sinn läßt sich modeln, aber Hoffahrt und Dünkel nie. Gut, ich will Euch nicht die Courage rauben, ich denke auch Sir Everard wird nicht nein dazu sagen, nach den Aeußerungen zu urteilen, die er, wenn ich darüber gescherzt habe, mir gegenüber getan hat. Bloß der unausstehliche Baron mit seinen Sandalen und seinem Schnupftabak und seinen fremdsprachlichen Brocken, der würde mich stören ... aber das ist Eure Sache und geht mich nichts an ... umflattert Euer Herz nun einmal diese schottische Rosenknospe, dann habt Ihr ja den Trost, daß der Baronet eine hohe Meinung von ihrem Vater und seiner Familie hat, und Euch sehr gern verheiratet sehen möchte. Immerhin will ich mal bei ihm horchen und Euch dann, da Ihr mit ihm oder mir in schriftlichen Verkehr noch immer nicht treten dürft, die Kunde persönlich nach Schottland überbringen.« »Wirklich? Aber was könnte Euch bestimmen, noch einmal die Reise noch Schottland zu unternehmen? Die Sehnsucht nach seinen Bergen doch ganz gewiß nicht!«

Nein, auf mein Wort nicht! Aber meine Frau ist wieder hergestellt und viel Hoffnung auf glückliche Erledigung des Geschäfts, das mir jetzt vor allem am Herzen liegt, habe ich nicht, wenn ich mit dem Generalissimus unsrer Truppen nicht an Ort und Stelle persönlich verhandle. ... Aber ich verlasse Euch jetzt auf ein paar Stunden, weil ich verschiedenes für Eure Abreise noch in Ordnung zu bringen habe. Ueber die Zimmer meiner Frau hinaus habt Ihr nicht Bewegungsfreiheit. Das wollt Ihr, bitte, nicht vergessen!«

Zwei Stunden war der Oberst abwesend. Als er zurück ins Zimmer trat, sagte er:

»Lieber Edward, es ist nun alles in Ordnung. Ihr reist also als Frank Stanley, und zwar brecht Ihr schon morgen in aller Frühe auf. Spontoon soll mit Euch reisen. Bis Huntingdon nehmt Ihr Postpferde, Spontoon ist auf der ganzen Strecke gut bekannt, jeder hat ihn als meinen Diener schon wiederholt gesehen, und in Huntingdon trefft Ihr meinen Neffen, den richtigen Frank Stanley, der in Cambridge studiert. Als es um Emilys Gesundheit noch schlecht stand und ich noch nicht genau wußte, ob ich die Reise nach Schottland würde ausführen können, besorgte ich ihm einen Paß vom Staatssekretär, weil er statt meiner dann hätte reisen müssen. Da er sich in der Hauptsache bloß nach Euch umsehen sollte, ist seine Reise jetzt unentbehrlich. Dagegen könnt nun Ihr seinen Paß benützen. Frank kennt Eure Abenteuer, es gelingt Euch zusammen vielleicht, noch einen andern Plan auszutüfteln, wie sich die Gefahr solcher weiten Reise für Euch mindern läßt. Und nun noch eins,« sagte er, indem er aus dem Sekretär ein Saffiankästchen nahm, »Euer Vater hat mir, für den Fall seines Ablebens, die Sorge um Eure Zukunft anvertraut und mir ein Barvermögen in Höhe von 5000 Pfund ausgefolgt. Außerdem geht auf Euch die Besitzung Brerewoodge über, Ihr besitzt also ein sehr hübsches Vermögen, Waverley. Anbei behändige ich Euch zweihundert Pfund in Wechseln auf die Plätze, durch die Euch der Weg führt. Außerdem nehmt hier noch zweihundert Pfund bar. Sollten es die Verhältnisse bedingen, so könnt Ihr jederzeit über weitres verfügen. ... Und nun, Waverley, gute Reise! Ihr brecht wie gesagt, in aller Frühe auf, wir sehen uns also zunächst nicht wieder. Glücklichen Erfolg für all Eure Pläne!« In Huntingdon traf er Frank Stanley, wie verabredet worden war. Die beiden jungen Männer wurden schnell miteinander bekannt. Frank behändigte Waverley unter ein paar scherzhaften Worten den auf seinen Namen lautenden Paß, ließ sich dann von ihm noch alles mögliche aus seinem Feldzuge erzählen, sogar den Dudelsackmarsch vorpfeifen und einen Hochländertanz vortanzen. Und am andern Morgen ritten die neuen Freunde zusammen noch eine Station weiter, wenn auch ungern, aber Spontoon als alter Soldat mochte von Insubordination nichts wissen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Waverley oder Es ist sechzig Jahre her. Zweiter Band