Neunundzwanzigstes Kapitel. - Früh am Morgen war Waverley unterwegs nach Klein-Tully, wo ...

Früh am Morgen war Waverley unterwegs nach Klein-Tully, wo Mr. Macwheeble, jetzt seiner beiden Würden, der eines Kommissarius wie der eines Schössers, entkleidet, aber infolge rechtzeitigen Rücktritts von allen Beziehungen zum Aufständischenheere der Erklärung in Acht und Bann entgangen, sich der Aufgabe widmete, »für Miß Rosa zu retten, was noch zu retten war«, wie schon der Baron seinem jungen Freunde gesagt hatte.

Edward fand ihn in seiner Kanzlei, in Akten und Rechnungen vertieft. Vor ihm stand eine Riesenschüssel mit Haferbrei und ein kleiner Krug mit einfachem Biere. Während er in den Akten blätterte, schob er von Zeit zu Zeit einen Löffel voll Haferbrei in den großen und weiten Mund. Eine dickbäuchige Flasche voll Schnaps ließ darauf schließen, daß der Schösser entweder für diese der Verdauung nützliche Beigabe schon Sorge getragen hatte oder Sorge tragen wollte. Schlafrock und Schlafmütze waren wohl noch die alte aus Tartan, aus Rücksichten der Politik und Sparsamkeit hatte er sie sich aber schwarz färben lassen. Um dies düstre Gemälde zu vervollständigen, hatte er sich das ganze Gesicht mit Schnupftabak verkleistert und die Finger bis zu den Knöcheln mit Tinte geschwärzt. Einen Blick zweifelnden Argwohns heftete er auf Waverley, als er an das Gitter trat, das sein Pult und seinen Sessel vorm Andringen des Publikums schützte. Denn nichts war dem Schösser unangenehmer, als der Gedanke, er könne von einem jener Leute in Anspruch genommen werden, die mit dem Aufstand zu tun gehabt hatten und die jetzt wohl Hilfe brauchen, aber keine mehr gewähren konnten. Aber als er Waverley erkannte, wandelte sich der Ausdruck seines Gesichts langsam, denn er dachte daran, daß Waverley ja der junge reiche Engländer sei, ein alter und guter Freund des Barons, der doch vielleicht auf die eine oder andre Weise noch immer zu helfen vermöge.


Während solche Gedanken Macwheeble durch den Sinn gingen und ihm ein wunderliches Gepräge von Verlegenheit und Albernheit liehen, trat Waverley der Gegensatz, in welchem dasselbe zur Mitteilung stand, die auf den Lippen schwebte, so kraß vor die Augen, daß er nicht umhin konnte, laut aufzulachen. Da nun aber Macwheeble nicht denken konnte, daß ein Mensch lachen könne, wenn er sich in Gefahr wüßte oder von Armut bedrückt sei, fühlte er sich durch Edwards fröhliche Stimmung außerordentlich erleichtert und hieß ihn in Klein-Tully willkommen. Dann fragte er, ob er mit einem bescheidnen Frühstück aufwarten dürfe. Waverley sagte darauf, er habe mit dem Schösser einige vertrauliche Punkte zu besprechen und bat um die Erlaubnis, die Tür abschließen zu dürfen. Macwheeble war das im Grunde genommen nicht recht, aber er konnte jetzt nicht mehr gut nein sagen.

Edward fing an zu erzählen. Als er davon sprach, daß er noch immer in Acht und Bann sei, legte sich Macwheebles Stirn in Falten, die sich aber glätteten, als er hörte, daß Waverley im Besitz eines Passes sei. Als Edward ihm einen Einblick in den Stand seines Vermögens gab, rieb er sich die Hände vor Freude, und als er von seinen Hoffnungen auf die Zukunft hörte, strahlten seine Augen; als aber Waverley nun gar davon sprach, daß es in seiner Absicht liege, all diese Vorteile auch Miß Bradwardine mitgenießen zu lassen, da geriet der alte Rechenmeister schier aus dem Häuschen, rutschte von seinem Dreibein auf den Boden, fiel dabei über den Ständer, auf dem seine Amtsperücke hing, so daß diese in weitem Bogen zum Fenster hinaus flog, warf seine Schlafmütze zur Decke hinauf, fing sie mit beiden Händen wieder auf, hüpfte in der Stube herum, pfiff ein altes Schottenlied, tanzte einen Hochländer und sank dann erschöpft in einen Winkel. Dort lallte er: »Jesus, Jesus! Lady Waverley! mit zehntausend Pfund Einkommen im Jahr! ... Ach, lieber Herrgott droben im Himmel, erhalte mir meinen armen Verstand!«

»Amen,« sagte Waverley und hob den braven Mann vom Boden auf, »aber nun, lieber Macwheeble, zu den Geschäften!«

Dieses Wort übte eine lindernde Wirkung auf den Schösser, und wenn er auch meinte, es sei ihm im Kopf noch immer, wie wenn tausend Hummeln drin schwirrten und summten, so spitzte er doch den Gänsekiel, legte ein halbes Dutzend Schreibbogen zurecht, langte seinen dicken Wälzer von Rechts- und Staatshandbuch aus dem Regale, schlug die Paragraphen aus, die über Ehekonsens lauten, und schickte sich an, einen Heiratsvertrag aufzusetzen, »an dem nichts zu rütteln und zu deuteln sein solle.«

Waverley machte ihm mit Mühe begreiflich, daß er ein wenig zu schnell ins Zeug gehe, und erklärte ihm, daß er vor allen Dingen seines Beistands dazu bedürfe, sich einen sichern Aufenthalt zu suchen. Er ersuchte ihn deshalb, an den Offizier des nächsten Kommandos zu schreiben, daß ein englischer Edelmann Frank Stanley, ein naher Verwandter des Obristen Talbot, in Geschäften bei ihm abgestiegen sei, und daß er, Mr. Macwheeble, ihm, dem Herrn Offizier, in Berücksichtigung der derzeitigen Verhältnisse im Lande den Reisepaß seines Gastes zur Einsicht unterbreite. Dann möge der Schösser einen berittnen Boten nach ... senden, wo für Waverley, beziehentlich Frank Stanley, Briefe zur Abholung liegen dürften. Im Nu war Jack Scriever, des Schössers Schreiber, auf dem Ritt nach der Poststelle. Und da der Schösser nun wieder ansetzen wollte zu seinem Jubelsermon über »Lady Waverley« und »zehntausend Pfund Einkommen im Jahr«, hielt es Waverley für angemessen, ihm durch eine Frage nach dem Häuptlinge Glennaquoich einen Riegel vorzuschieben.

»Keine Silbe weiß ich von ihm,« erwiderte Macwheeble, »als daß er in Carlisle interniert ist. Ich wünsche dem jungen Manne nichts Schlimmes, aber ich denke, wer ihn hat, der wird ihn halten und hindern, daß er wieder zurück in die Hochlande zieht, uns mit Schutzgeld und dergleichen Sünde zu placken, in eigner Person sowohl wie durch andre ehrenwerte Bagage. Der konnte sein Geld, das er nun einmal hatte, auch nicht besser anbringen, als daß ers mit Weibern in Edinburg wieder verpraßte. Aber, wie gewonnen, so zerronnen, das alte Lied! Was mich angeht, will ich nichts mehr sehen und hören weder von einem Schurz oder Plaid noch von Rotröcken in unserm Lande. Die Kerle sind alle vom gleichen Schlage. Haben sie Euch mal unter der Schere gehabt und ausgeplündert, da könnt Ihr noch so viel prozessieren und klagen, wieder kriegt Ihr doch keinen Pfifferling!«

Ueber solchen Gesprächen kam der Mittag. Macwheeble versprach, es sich zu überlegen, wie Waverley am besten und einfachsten sich in Duchran bei dem alten Freunde des Barons, wo sich Rosa zurzeit befand, einführen könne. Dann gings zu Tische, und bald saß Waverley vor einem Teller dampfender Lauchsuppe und gebratnem Fleisch. Auch einer Flasche Weißwein wurde der Hals gebrochen, die wohl aus dem Keller in Tully-Beolan gestiebitzt worden sein mochte, denn sie schmeckte Waverley ganz ebenso gut wie dort. Dann kam Jack Scriever der Schreiber zurückgesaust, mit einem dicken Briefe in der Hand, der das Siegel des Obristen zeigte. Ein paar obrigkeitliche Schreiben, kenntlich auf den ersten Blick an Form und Schrift und Siegel, weckten Macwheebles Interesse zu allererst, hatte er doch einen instinktartigen Sinn für alles, was mit Justiz und Magistrat in Zusammenhang stand. Aber nicht wenig überrascht war er, als er las: »Schutzbrief Seiner königlichen Majestät von Großbritannien für die Person des Cosmo Comyne Bradwardine, Esquire dieses Geschlechts, und straffällig wegen Teilnahme am Aufstand gegen Seine Majestät«, auf dem andern Dokument: »Schutzbrief« ec., »für Edward Waverley« ec.

Und der beiliegende Brief des Obristen Talbot lautete wie folgt:

»Mein lieber Edward! Eben erst angekommen. Habe das bezweckte Geschäft prompt erledigt. Zwar nicht ohne Mühe und auf mancherlei Umweg, aber doch erreicht! Majestät war eben beim Lever, empfing mich sehr gnädig, klagte aber: »Lieber Talbot, eben hat mich ein halbes Dutzend schottischer Offiziere geplagt um einen Schutzbrief für den alten halsstarrigen Rebellen Bradwardine, weil er im Grunde doch ein kreuzbraver Kerl sei und solch alter Adel doch nicht behandelt werden könne, wie andrer Pafel. Rubrik, der alte Pfarrer, hat sich bereit erklärt, ihn so lange bei sich zu beherbergen, bis wieder Ruhe im Lande sein werde, und Major Melville will ihn von Cairnvreckan aus überwachen. Aber verkehrt ists doch, solchem alten Rumorer immer und immer wieder die Sünde nachzusehen und ihn zu pardonieren.« Ich merkte freilich, daß es der ungünstigste Augenblick sei, für Euch ein gutes Wort einzulegen; aber ich sagte mir, ein andermal sei es am Ende noch schlechter und ging ohne weitres aufs Ziel los. Aber es wollte alles nichts helfen, was ich ins Gefecht führte, weder Euer altes Geschlecht noch meine Dienste im Ausland, noch die Rücksicht auf das große Vermögen Eures Oheims. Da zog ich schließlich, am Ende meiner Weisheit angelangt, mein Offizierspatent aus der Tasche und bat um meinen Abschied. Und das half endlich. Meine Worte, daß ich bisher nie um auch nur die kleinste Gunst gebeten habe, und daß es mich kränken müsse, auch in solchem Falle eine Abweisung zu bekommen, wo ich nichts für mich erbäte, sondern für einen greisen Freund, dem ich alles im Leben zu verdanken hätte, und der durch Zusammentreffen von allerhand Verdruß und verkehrter Auffassung, wofür die Schuld nicht bloß den Beschuldigten, sondern auch andre Personen, die der Regierung sehr nahe ständen, träfe, in das schwerste Ungemach gestürzt sei, wirkten endlich und verschafften mir den beiliegenden königlichen Schutzbrief auch für Euch, mein lieber Edward. Ihr seid nun frei wieder, aber, das vergeßt nicht, ich habe mich für Euch und Euer künftiges Verhalten verbürgt. Unterlaßt also alle ferneren Torheiten!

»Es freut mich, Euch den Beweis zu erbringen, daß auch mein Prinz so edel sein kann wie der Eurige. Die beiliegende Abschrift des dem Baron Bradwardine ausgestellten Schutzbriefs, den mir der unserm Hause geneigte Generaladjutant Seiner Majestät ausgestellt hat, befördert Ihr wohl an diejenige Stelle, die hoffentlich nun auch von manchem alten Vorurteil geheilt werden wird.

»Nützt Eure Zeit im übrigen aufs beste aus, denn nach Verlauf von etwa acht Tagen wird es notwendig sein, daß Ihr nach London reist, um dort von dem königlichen Gerichtshof Euren Pardon auszuwirken. Empfehlt mich und meine Frau Eurer schönen Dame. Sir Everard und Mrs. Rachel schließen sich diesen Grüßen und Empfehlungen aufs herzlichste an. Und nun, mein lieber Waverley, wie immer der Eurige

Philipp Talbot.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Waverley oder Es ist sechzig Jahre her. Zweiter Band