Neuntes Kapitel - Miß Bradwardine war erst siebzehn Sommer alt. ...

Miß Bradwardine war erst siebzehn Sommer alt.

Bei einem der letzten Pferderennen zu ... wars, als in einem Zirkel schöner Namen ihre Gesundheit ausgebracht werden sollte, und es der Laird von Bumperquaigh, ständiger Toastmeister und Bankhalter im dortigen Bautherwillyklub, sich nicht nehmen ließ, den Zusatz zu dem Toaste mit hocherhobnem Humpen zu machen: »Der Rose von Tully-Beolan!«


Diesen prächtigen Zusatz begleiteten sämtliche anwesende Herrschaften mit einem dreimaligen Lebehoch! ja, es ist versichert worden, daß diejenigen Teilnehmer der Sitzung, die sich schon unter den Tisch getrunken hatten, dem Trinkspruch ihre Zustimmung »zugeschnarcht« hätten ... ich will jedoch den Scherz nicht weiter treiben. ...

Ein so allgemeiner Applaus läßt sich bloß erringen, wenn wirkliches Verdienst vorhanden ist, und bei Miß Rosa Bradwardine war dies der Fall, und zwar im vollsten Maße: das erkannten noch ganz andre und weit vernünftigere Leute an als der Butherwillyklub. Rosa Bradwardine war in der Tat eine liebliche Rose; eine schottische Schönheit, heißt das, mit langem, goldfarbigem Haar, und einer Haut, an Weiß dem Schnee in Schottlands Hochlanden vergleichbar. Aber ihr Teint war weder blaß, noch »schmolz er dahin«; ihr Gesicht wie ihr ganzes Wesen war von lebhaftem Ausdruck, und ihre Farbe so zart, daß man schier meinen konnte, sie »durch und durch zu sehen«; und die geringste Wallung ihres Herzens jagte ihr alles Blut in Gesicht und Nacken. Sie war von Figur nicht groß, aber überaus lieblich und niedlich; ihre Bewegungen waren ungezwungen und unbefangen.

Sie kam von der andern Gartenseite her, und sie begrüßte den Kapitän schon von weitem, aber mit einer Manier, die zwischen Höflichkeit und Schüchternheit die Mitte hielt.

Nach dem ersten Austausch von Komplimenten hörte Edward aus dem Munde der jungen Dame, daß »die schwarze Hexe«, die ihm in der Erzählung des Hofmeisters ziemlich rätselhaft geblieben war, weder mit einem schwarzen Kater noch mit einem Besenstiel was zu tun habe, sondern weiter nichts sei als ein Schlag Eichenwald, der heute gerade hätte gefällt werden sollen. Sie erklärte sich bereit, dem Junker den Weg dorthin zu zeigen. Das Holz sei gar nicht weit, meinte sie. Aber die Erscheinung, des Barons von Bradwardine kam ihr zuvor. Zufolge der Meldung, die ihm David Gellatley gemacht, und zufolge des Schreibens, das er ihm gebracht, erschien er,

»den Gast gastfreundlich zu empfangen«,

den Boden schnell messend mit langen, geschwinden Schritten, in einem Tempo, so gewaltig, daß es Waverley vorkam, als sei das Märchen von den Siebenmeilenstiefeln wieder lebendig geworden.

Der Baronet war eine schlanke, hagere, aber athletische Figur, zwar bejahrt und schneeweiß, aber mit Muskeln ausgestattet, die durch beständige körperliche Bewegung und Arbeit wie Eisen so hart geworden waren.

Sein Anzug wies keinerlei Sorgfalt auf, aber er trug sich nach französischer Art, und seine energischen Züge sowie das straffe Wesen, die schnurgerade Haltung verliehen ihm einen gewissen Grad von Aehnlichkeit mit einem Offizier der Schweizergarde, der eine Zeitlang in Paris geweilt und von dort wohl die herrschende Mode, nicht aber die seinen Verkehrsformen mit hinweggenommen hatte. Ich glaube nicht im Unrecht zu sein, wenn ich sage, daß bei ihm Sprache sowohl als Sitte im direkten Widerspruche standen zu seinem ganzen äußern Habitus. Es wohnte ihm von Geburt an eine Neigung zur Wissenschaft inne, und nach der in Schottland unter den bessern Ständen heimischen Sitte war er für den Juristenstand herangebildet worden. Da ihm aber die politischen Grundsätze seiner Familie alle Hoffnung, auf diesem Wege sich in die Höhe zu arbeiten, abschnitten, ging Mr. Bradwardine ein paar Jahre lang auf Reisen und nahm auch in fremden Diensten an verschiednen Feldzügen, teil. Nachdem er sich im Jahre 1715 des Hochverrats schuldig gemacht hatte, aber, wie zu Anfang dieser Erzählung schon berichtet, »mit einem blauen Auge« davongekommen war, lebte er in gänzlicher Zurückgezogenheit und hielt Verkehr bloß mit solchen von seinen Nachbarn, von denen er wußte, daß sie gleicher Gesinnung mit ihm in der Politik seien.

Begreiflicherweise bestärkten sich seine Vorurteile als Erbe und Sproß eines uralten Geschlechts und als strenger Jakobit mit der Abgeschlossenheit seines Lebens und seines Umgangs. Nur zu gern tat er der Fakta Erwähnung, daß »die Ländereien von Bradwardine und Tully-Beolan zur freien Baronie erhoben worden seien durch König David den Ersten, und daß ihnen hierbei das Recht verliehen worden sei, ihre Vasallen und Hörigen zu verhaften, zu verhören und hinzurichten«. Aber wie Johannes der Erste sprach auch der gegenwärtige Herr von Bradwardine mehr davon, daß ihm diese Rechte zuständen, als daß er sie ausübte; nur zweimal hatte er Wilddiebe, die er auf frischer Tat ertappt hatte, im alten Turmverließ gefangen setzen lassen, wo sie von Gespenstern jämmerlich geschreckt und von Ratten halb aufgefressen wurden, sowie daß er ein andermal ein altes Weib in das Halseisen gesteckt hatte, weil sie gesagt hatte, »es gäbe auf dem Edelhofe des Laird mehr Narren außer David Gellatley.«

Als er Waverley den ersten Gruß sagte, machte es beinahe den Eindruck, als wäre durch seine herzliche Freude, den Neffen seines Freundes bei sich zu sehen, die steife, erhabne Würde in der Haltung des Barons von Bradwardine einigermaßen aus dem Gleichgewicht gerückt worden, denn es standen ihm die Tränen in den Augen, als er Edwards Hand zuerst vertraulich nach englischer Weise schüttelte, ihn aber dann nach französischer Sitte umarmte und auf beide Wangen küßte, und sowohl die heftige Weise, wie er dem Junker die Hand zu drücken liebte, als die reichliche Menge von Schnupftabak, die ihm hierbei entfiel, übte eine solche Wirkung auf die Tränendrüsen seines Gastes, daß auch ihm Wasser in die Augen trat.

»Auf Edelmanns Wort!« rief er, »es macht mich wieder jung, Euch hier zu sehen, Mr. Waverley! Ein würdiger Sprößling des alten Stammes von Waverley-Würden! Ihr habt ganz das Gepräge des alten Geschlechts, Mr. Waverley! wenn auch noch nicht die ganze Würde meines alten Freundes Sir Everard, mais cela viendra avec le temps. aber das wird schon noch werden ... So so? Ihr habt also die alte Kokarde aufgesteckt? ... Recht so, recht so! aber wenn ich auch andre Farbe lieber gesehen hätte, und ... wie ich mir denken kann, Sir Everard vielleicht auch ... so denke ich doch, daß es besser sein möchte, von diesem Thema nicht weiter zu reden. Ich, bin alt geworden, und die Zeiten sind auch andre geworden. ... Na, und nun sagt Ihr mir wohl, wie geht es denn dem wackern Ritter William mit der schönen Mrs. Rachel? ... O Ihr lächelt, Junker? Aber sie war ganz sicher die schöne Mrs. Rachel im Jahre der Gnade 1716! freilich die Zeit vergeht... das ist nur allzu wahr.... Noch einmal! Seid mir herzlich willkommen, Junker, in meinem ärmlichen Tully-Beolan! ... Lauf hurtig ins Haus, Rosa, und sieh zu, daß Saunderson den alten Chateau Margaux hervorsucht, den ich Anno 1713 aus Bordeaux und Dundee geschickt habe.«

Rosa eilte hinweg, ziemlich gesetzten Schrittes noch, so lange sie meinen konnte, gesehen zu werden, aber flüchtig wie ein Reh, sobald sie um die Ecke war, die sie den Blicken des Vaters und des Junkers entzog.

»Wir können nun freilich nicht mit der Pracht englischer Schloßtafeln wetteifern, Kapitän Waverley, aber meinen Bordeaux sollt Ihr kosten, und ich denke, Ihr werdet ihn loben können; c'est des doux oreilles, bei dem man die Ohren spitzen muß wie der Kapitän Waverley so gern sagte ... vinum primae motaeWein erster Marke wie ihn der Wirt von Sankt-Andrä nannte. Und nochmals, Kapitän Waverley! recht, recht sehr freue ich mich, daß Ihr mit mir das Beste trinken könnt, was mein Keller zu bieten vermag.«

Diese Unterhaltung währte, bis die Herren die Strecke vom untern Gartenwege, wo sie einander getroffen hatten, bis zu der Tür des Hauptgebäudes, wo sie von vier bis fünf Dienern in altmodischer Livree, an ihrer Spitze dem Haushofmeister, Alexander Saunderson, der jetzt keine Spur mehr vom Gärtner an sich hatte, vielmehr in Galatracht dastand, bewillkommt und in die mit Piken und Bogen und Panzern und Schilden ausstaffierte Halle eingeführt wurden.

Unter Aufwendung zahlreicher Zeremonien, aber mit steigender Herzlichkeit, geleitete der Baron den Gast durch eine Zimmerflucht, ohne sich aufzuhalten, nach dem großen Speisesaal, der mit Schwarzeiche getäfelt war und zugleich die Ahnengalerie bildete. Hier stand, für sechs Personen gedeckt, die Tafel neben einem altmodischen Büffet, das mit dem sämtlichen alten, massiven Silberzeug des Hauses Bradwardine dekoriert war.

Am Eingange der Hauptallee dröhnte jetzt ein Glockenschlag; ein Greis, der an Galatagen den Türsteher abgab, hatte das Geräusch gehört, das durch Waverleys Ankunft entstanden war, und er hatte sich kaum auf seinen Platz begeben, so erschienen weitre Gäste, und er verkündete ihr Erscheinen durch jenes Glockenzeichen.

Es waren, wie der Baron sich äußerte, höchst respektable Herrschaften. »Der junge Laird von Balmawhapple, mit dem Beinamen Falconer, aus dem Hause Glenfarquhar, ein passionierter Jäger ohnegleichen ... gaudet equis et canibushat seine Freude an Pferden und Hunden. ... im übrigen jedoch ein höchst gesetzter Junker. Sodann, der Laird von Killancureit, ein Edelmann, der alle freie Zeit dem Ackerbau widmete und sich einen Bullenbeißer aus der Grafschaft Devon, der Damnonia der alten Römer, sofern man dem Chronisten Robert von Eirencester glauben dürfe, geholt habe, der geradezu unvergleichliche Eigenschaften besäße. Wie der Junker von Waverley aus solcher Neigung ersehen werde, eigentlich nur ein Freisassenextrakt, und, so setzte der Baronet hinzu, von fremdländischer Abkunft, wenigstens sei der Großvater aus dem Auslande gekommen, habe bei dem letzten Girnigo von Killancureit als Verfasser, Amtmann, Wirtschaftsinspektor Stellung gehabt, dann sei der letzte Girnigo von Killancureit an Auszehrung gestorben, und dann habe dieser »Bullsegg« das Glück gehabt, Gefallen bei der Hinterbliebenen Witwe Girnigo, die noch jung und arg verliebt gewesen sei, zu finden, und so sei der fremde Mensch in den Besitz der Herrschaft, einer der ältesten im schottischen Norden, gelangt « »ein Skandal, wie ihn Schottland seit Menschengedenken nicht erlebt habe« »die ganze Erbfolge habe alles Recht und Herkommen auf den Kopf gestellt, denn die Frau habe durch ihre Erbschleicherei den natürlichen Erben des Verblichenen im siebenten Gliede, Girnigo von Tepperhewitt, bestohlen, dessen Familie durch den hierdurch bedingt gewesenen Prozeß an den Bettelstab gekommen sei, und der letzte Sproß dieses altadligen Geschlechts diene jetzt als altadliger Gemeiner in der schwarzen Wache der Hochlandsarmee. Aber von mütterlicher Seite habe dieser Edelmann, Bullsegg von Killancureit, wie das Geschlecht jetzt heiße, edles Blut in seinen Adern, denn die Mutter und die Großmutter stammten aus dem Geschlechte der Pickletillim, »und das weiß er recht gut, denn er hält auf seine Herkunft, und ist auf grund derselben auch geachtet. Uebrigens hat er sich auch durch sein Auftreten und Verhalten im Lande beliebt zu machen verstanden. Gott soll hüten, liebster Kapitän Waverley, daß wir Adlige untadelhaften Stammes uns besser halten als er, denn wer bürgt uns, daß nicht bei uns der Fall eintrete, daß im achten oder neunten oder zehnten Gliede die Nachkommenschaft nicht in gewisser Art in gleichen Rang mit dem alten Landadel getreten ist? Vix ea nostra voco, wie schon Ovidius Naso sagt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Waverley oder Es ist sechzig Jahre her. Erster Band