Drittes Kapitel - Edward stand in seinem sechzehnten Jahre, als sein Hang zur Einsamkeit ...

Edward stand in seinem sechzehnten Jahre, als sein Hang zur Einsamkeit und Zurückgezogenheit so offenbar wurde, daß Sir Everard sich ängstlicher Besorgnis hingab. Er suchte ihm nun Zerstreuung dadurch zu schaffen, daß er ihn zu Jagdpartien heranzog, die für ihn als Jüngling die schönste Zerstreuung gewesen waren.

Aber wenngleich sich Edward eine Zeitlang diesem Sport mit großem Interesse widmete, so dauerte dies doch im Grunde kaum länger, als bis er meinte, sich die notwendigste Befähigung dafür angeeignet zu haben.


Nun gab sich der alte Isaak Walton die erdenklichste Mühe, aus ihm einen echten Angelbruder zu machen. Aber von allen Zerstreuungen, die sich der menschliche Geist machen kann, ist wohl diejenige des Angelns am allerwenigsten geeignet, einem ungeduldigen Charakter zuzusagen.

Geselliger Verkehr hätte unserm Jüngling wohl noch am ehesten behagt, aber die Umgegend von Schloß Waverley war im Grunde genommen schwach bewohnt, und die Landjunker derselben gehörten kaum zu derjenigen Klasse, wie sie für Edward passend gewesen wäre. Hierzu kam, daß Sir Everard nach dem Tode der Königin Anna auf seinen Sitz im Parlament verzichtet und sich zufolgedessen auch von allen gesellschaftlichen Verpflichtungen frei gemacht hatte, er war eben auch mit den Jahren an Vermögen reicher, aber an Freunden ärmer geworden, wie es den meisten Menschen in geordneten Verhältnissen zu gehen pflegt, wenn sie in ein höheres Alter hinauf rücken. Eine Folge für Edward hieraus war, daß er sich, wenn ihn der Zufall einmal mit jungen Leuten seines Standes zusammen führte, linkisch und unbeholfen vorkam, und zwar weniger infolge von Mangel an Bildung und Kenntnissen; als infolge von Mangel an Befähigung, sie zu beherrschen und von sich zu geben.

Hieraus entwickelte sich nun bei Edward eine steigende Abneigung gegen allen gesellschaftlichen Verkehr, und hieraus wieder entstand ein hoher Grad von Empfindlichkeit, und der Gedanke, einen Verstoß gegen die gewöhnlichen Umgangsregeln zu begehen, war ihm im höchsten Grade peinlich. Daher darf es nicht Wunder nehmen, wenn sich in Edward die Meinung bildete, er sei für die Gesellschaft ein unverwendbarer Faktor, der am gescheitesten täte, sich ganz von ihr fern zu halten. Dagegen waren ihm die Stunden ein Genuß, die er bei Onkel und Tante verbringen konnte, und die mit Erzählungen aus der guten Zeit ausgefüllt wurden, wobei sich freilich nicht umgehen ließ, daß sehr oft Dinge zum dritten und vierten Male, vielleicht auch noch häufiger, wiederholt wurden.

Die Heldentaten Wiliberts von Waverley im gelobten Lande, seine lange Abwesenheit von der Heimat und seine gefahrvollen Abenteuer auf der Aus- und auf der Einfahrt, sein vermeintlicher Tod und seine endliche Wiederkehr an jenem Abend, als seine Braut demjenigen die Hand gereicht hatte, der sie in seiner Abwesenheit gegen Kränkung und Anfeindung geschützt hatte, der Edelmut, mit dem dann der Kreuzfahrer seinen Ansprüchen entsagte und im nahen Kloster den Frieden für seine Seele suchte, solchen und ähnlichen Geschichten und Mären konnte Edward stundenlang lauschen. Und nicht weniger bewegt wurde er, wenn ihm Tante Rachel von den Leiden und dem kühnen Mute der Lady Alice Waverley erzählte während des langen und schweren Bürgerkriegs. Das freundliche Gesicht der alten Dame nahm einen Ausdruck gar hoher Würdigkeit an, wenn sie erzählte, wie König Karl nach der Schlacht bei Worcester einen Tag lang Zuflucht gesucht habe auf dem Schlosse Waverley-Würden, und wie Lady Alice beim Nahen einer feindlichen Reiterschar ihren jüngsten Sohn mit einer Handvoll Diener aus ihrem Hause ausgesandt habe, um eine Stunde Zeit durch Einsetzung seines Lebens zu gewinnen, die dem König den nötigen Vorsprung zur Flucht verschaffte. »Und Gott schenke ihr die ewige Ruhe,« schloß Miß Rachel die Erzählung, indem sie die Augen auf das Bildnis der Heldenfrau heftete. »Teuer genug hat sie die Rettung unsres Königs erkauft, indem sie das Leben ihres Liebsten dafür opferte. Tödlich verwundet brachten sie ihn wieder aufs Schloß, und noch kannst Du die Blutstropfen zählen, die er auf dem Transporte durch das Schloßtor über die kleine Galerie nach der Halle vergossen hat, wo sie ihn neben das Leichenlager der Mutter betteten.«

Und wenn er solchen Familiengeschichten stundenlang gelauscht hatte, dann erschien vor seinem geistigen Auge all die Pracht, die bei Hochzeitsfeierlichkeiten auf Schloß Waverley entfaltet wurde. Dann sah er die hagere, dünne Gestalt jenes wirklichen Schloßherrn wieder, wie er dastand im Pilgergewande, ein unbemerkter Zuschauer des Hochzeitszuges der so lang ersehnten Braut mit dem untergeschobenen Erben, dann hörte er, wie die ganze Versammlung erschüttert wurde, als sie die Kunde der Heimkehr des Ritters vernahm, und dann, wie die Vasallen zu den Waffen griffen, wie der Bräutigam wie ohnmächtig niederschlug auf die steinernen Fliesen, und wie die Braut aufschrie ... und dann fühlte er den furchtbaren Schmerz, den Wilibert gefühlt haben mochte, als er der Braut das Wort zurückgab und sie des ihm verpfändeten Wortes entband, sein Schwert in die Scheide zurückschob und die Halle verließ, um sich in die Einsamkeit des Klosters zurückzuziehen.

Und dann sah er die Lady Alice, wie sie saß und lauschte mit klopfendem Herzen erst auf den ersterbenden Widerhall des Hufschlags der Rosse, die ihren König von dannen trugen, dann auf den Lärm des in der Ferne geführten Gefechts, und wie es dann zu ihren Ohren drang, das näher und näher dringende Brausen des Schlachtengetümmels ... und dann das Siegesgeschrei feindlicher Stimmen, dazwischen Flinten- und Büchsenschüsse und dann sah Edward ganz deutlich im Geiste, wie die Lady sich aufrichtete, und wieder zusammenbrach, als ein Diener hereinkam mit der Nachricht, der Sohn sei verwundet, und ... aber wozu eine Fortsetzung dieser Gebilde? ...

Das Leben hier in dem Erbschlosse Waverley wurde unserm Helden von Tag zu Tag lieber und werter, und so war es kein Wunder, daß ihm jede Störung desselben mit der Zeit immer ungelegner kam.

Die ausgedehnten Ländereien, die rings um das Schloß herum lagen, und die gewöhnlich mit dem Namen »Waverley-Forst« bezeichnet wurden, da ihre Größenverhältnisse weit über den Begriff Park hinausgingen, waren vor Zeiten ganz mit Wald bedeckt gewesen und hatten auch jetzt noch einen Teil jenes urwäldlichen Charakters an sich, als Wild- und Auerochsen sich in ihrem Röhricht tummelten. Sie wurden von breiten Schneisen durchzogen, und an manchen Stellen waren noch die Baumzweige sichtbar, unter denen die Damen der Ritter ihren Stand nahmen, um den Hirsch vor den Doggen flüchtig zu sehen, und im entscheidenden Augenblick ihm den Bolzen aus der Armbrust in die Weiche zu senden. Dann wieder wanderte er mit Flinte und Hund, die er beide mitnahm als Vorwand um der Leute willen, meist aber mit einem Buch in der Tasche, zu dessen Lektüre ihm der Vorwand der Jagd dienen sollte, eine dieser Schneisen entlang, die sich ein paar Stunden lang zu einer sanften Höhe hinaufzog, erst durch einen wilden, engen Pfad, dann durch einen felsigen, verwachsnen Engpaß, bekannt als Mirkwood-Dingle, und sich dann jäh zu einem finstern, tiefen und schmalen Wasserloch erweiterte, dem »Mirkwood-See«. Hier hatte in grauer Zeit eine einsame Burg gestanden, hoch oben auf einem Felsen und fast ganz umschlossen vom Wasser, die, weil sie in stürmischer Zeit der Familie Waverley oft als Zufluchtsstätte gedient hatte, den Namen »Waverley-Feste« führte. Hier war es gewesen, wo die letzten Anhänger der roten Rose in dem wilden Kriege der Häuser York und Lancaster im Kampfe um ihr Recht sich festsetzten, um blutige und räuberische Fehden zu führen, bis sie durch den wilden Richard von Gloucester bezwungen wurden.

Hier setzte sich auch eine Anzahl von Rittern noch lange fest unter dem altern Bruder jenes Waverley, dessen Schicksal die alte Tante Rachel erzählt hatte, und der unter dem Namen Nigel Erzählt in dem Scott-Romane »Nigels Schicksale.« eine hervorragende Figur im Hause der Waverley bildet.

Das waren die Szenen, mit denen sich Edward unablässig »in sauersüße Träume wiegte«, gleich einem Kinde, tändelnd mit seinem Spielzeuge. Und aus den strahlenden, doch mäßigen Gebilden seiner Phantasie, mit denen sein Geist überladen war, schuf er sich Träume über Träume, die wie die Abendröte sich färbten, um schnell zu verbleichen.

Und von welchem Einflüsse dieser Hang Edwards auf sein Gemüt und seinen Geist wurde, davon soll das nächste Kapitel handeln.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Waverley oder Es ist sechzig Jahre her. Erster Band