Dreizehntes Kapitel - Am nächsten Morgen stand Edward frühzeitig auf und machte einen Gang ...

Am nächsten Morgen stand Edward frühzeitig auf und machte einen Gang um das Haus herum und sah sich auf einmal in einem kleinen Abteil des Hofes, in welchem sein Freund David damit beschäftigt war, seine vierfüßigen Pfleglinge zu striegeln und zu füttern. Kaum war David Waverleys ansichtig geworden, so drehte er schnell den Rücken und fing, als hätte er ihn nicht bemerkt, eine Stelle aus einer alten Ballade zu singen an:

Es liebt Dich der Junker, doch bald ists vorbei
Hörst Du das Vögelchen singen?
Des Mannes Liebe wird täglich neu,
Und das Köpfchen steckt unter den Schwingen


Wie Strohfeuer Jünglings Zorn entflieht,
Hörst Du das Vögelchen singen?
Und wie Stahl des Mannes Eifer glüht,
Und das Köpfchen steckt unter den Schwingen

Der Jüngling schmollt bei dem Abendschmaus,
Hörst Du das Vögelchen singen?
Zum Kampf zieht der Mann frühmorgens aus,
Und das Köpfchen steckt unter den Schwingen.

Waverley merkte wohl, daß David auf diese Verse einen satirischen Nachdruck legte. Er trat zu ihm und suchte durch allerhand Fragen etwas aus ihm herauszubringen, aber David hatte keine Lust, sich auszusprechen, Wohl aber Witz genug, den Schelm hinter dem Narren durchblicken zu lassen. Endlich begriff aber Waverley so viel, daß er mit den Versen meinte, der Laird von Balmawhapple sei gestern »mit blutiger Nase« heimgegangen, und nachdem er einmal so viel gemerkt hatte, ließ sich der alte Seneschall, der ihm gegenüber nun nicht mehr hinter dem Berge hielt, daß er hin und wieder, um dem Laird und Miß Rosa eine Liebe zu erweisen, neben seinen Seneschall-Obliegenheiten auch Gärtnerdienste verrichte, zu der Auskunft herbei, daß der Laird von Balmawhapple darum so kleinlaut und unterwürfig gegen ihn gewesen sei, weil er schon in aller Herrgottsfrühe vom Baron von Bradwardine zum Duell genötigt und dabei in den Arm gestochen worden sei. Darüber war Edward sehr beschämt, denn während sich das zugetragen, hatte, er selbst noch in Morpheus' Armen geschwelgt. Außerdem verübelte er es dem Baron bei seinem Alter aufs höchste, daß er sich dem um viel jüngeren und stärkeren Balmawhapple gestellt und, um ihn, den jüngeren, zu schonen, sich in solche Gefahr gesetzt habe.

Der Baron setzte dem Junker auseinander, daß der Zwist ihre gemeinschaftliche Angelegenheit gewesen sei, und daß Balmawhapple nicht hatte darum herum kommen können, ihnen beiden Genugtuung zu geben, und so habe er die Angelegenheit auf einfachem Wege geregelt durch einen ehrenvollen Zweikampf für sich, und für Edward durch einen Widerruf der Beleidigung, der einen zweiten Schwerterkampf überflüssig gemacht habe. Auf grund dieser Regelung müsse die ganze Sache nunmehr als abgetan angesehen werden.

Durch diese Abbitte war Waverley, wenn auch nicht befriedigt, so doch zum Schweigen gebracht. Indessen konnte er nicht umhin, durch ein paar Worte seinen Unmut gegen den »geweihten Bären«, der den ganzen Unfrieden angestiftet habe, Luft zu machen. Worauf der Baron erwiderte, daß der Bär nun einmal etwas Täppisches, Mürrisches und Hoffährtiges in seiner Art habe, und daß sich allerdings nicht in Abrede stellen lasse, daß er schon öfter einmal die Ursache zu Zerwürfnissen und Streitigkeiten im Hause Bradwardine geworden sei.

Hiermit wurde aber die ganze Duellsache als aus der Welt geschafft erklärt, und nachdem ich nunmehr alles erzählt habe, was unserm Helden in diesen ersten Tagen seines Aufenthalts auf dem Edelsitze Tulley-Beolan an Unterhaltung und Zerstreuung beschert gewesen, dürfte es wohl nicht weiter nötig sein, über das, was nun in diesem Genre noch an ihn herantrat, mit derselben Umständlichkeit zu berichten. Es würde sich wohl mancher andre junge Mann, der an frischen Verkehr gewöhnt gewesen, bei solchem eifrigen Verfechter alter Wappenkunde und Genealogie gelangweilt haben, wie ein Mops im Tischkasten, aber Edward fand eine ihm höchst angenehme Abwechslung im Umgange mit Miß Rosa Bradwardine, die ihrerseits ebenso angenehme Zerstreuung in seiner Gesellschaft fand. Edwards kluge Bemerkungen über Lektüre, seine zutreffenden Worte über den Wert von allerhand Büchern gefielen ihr. Ihr williges Gemüt hatte sich in alles gefunden, was ihr Vater ihr zum Leben überlassen hatte, sogar in allerhand theologische Abhandlungen und Streitschriften, in dickleibige Folianten über Geschichte und heraldische Wissenschaft; und ihre immer gleiche Liebenswürdigkeit, ihre Dankbarkeit für Aufmerksamkeiten, ihre körperliche Schönheit nicht zum wenigsten, die dem Vater die Schönheit der geliebten Ehefrau wieder in Erinnerung rief, ihre ungeschminkte Herzensfrömmigkeit und der wahre Adel ihrer Gesinnung waren Vorzüge und Tugenden, die auch die übertriebenste Zärtlichkeit des Vaters entschuldigt und gerechtfertigt hätten.

Indessen schien seine Vaterliebe sich weniger mit jenen wichtigen Fragen zu befassen, die dem Mädchen einen ruhigen Ausblick in die Zukunft hätten verschaffen können, also ihr eine reiche Mitgift sicher zu stellen oder sie durch eine vorteilhafte Heirat frei von Lebenssorgen zu machen. Eine alte Familienstiftung erklärte nämlich fast sämtlichen Landbesitz des Barons zum Mannslehen, sodaß also bei seinem Ableben die Tochter so gut wie leer ausging und der gesamte Besitz an den nächsten Kollateral- oder Seitenerben fallen mußte. Und da nun die Geschäfte des Barons seit zu langen Jahren in der Hand des Schössers Macwheeble gelegen hatten, ließ sich vermuten, daß Miß Bradwardine nicht die besten Aussichten für eine freundliche Zukunft winkten, wenn der Baron einmal die Augen schließen würde. Freilich wohl war der Schösser seinem Herrn sowohl als dessen Tochter in aller Liebe» zugetan, und das hatte ihn auch wohl zu dem Einfalle geführt, daß es nicht ausgeschlossen sein möge, dieses Mannslehen aufzuheben, und zu diesem Behufe sich bereits ein Urteil von einem berühmten schottischen Rechtsanwalt eingeholt; aber der Baron mochte zu keiner Zeit von solchem Vorschlag etwas hören. Es bereitete ihm im Gegenteil seltsamerweise Vergnügen, sich rühmen zu können, daß seine Baronie Mannslehen sei, wahrscheinlich weil dadurch bekundet wurde, daß ihre Errichtung in jene frühe Zeit fiele, da man die Frauen noch nicht für fähig hielt, ein Gut zu verwalten, und noch ganz der alte Normannenspruch in Geltung stand: C'est l'homme, qui se bast et qui conseille. Der Mann ists, der kämpft und beratet.

Nachdem der Schösser in solcher Weise des Mißfallens seines Herrn, an seinem Projekte sich klar geworden war, mußte er es für ausgeschlossen ansehen, dasselbe weiter zu verfolgen, und begnügte sich damit, dem Seneschall sein Leid über den Eigensinn des Laird zu klagen und mit ihm vereint auf andre Pläne zu sinnen, durch die sich die Zukunft des jungen Mädchens sicher stellen ließe. Und so kamen sie darauf, im Mr. Batmawhapple einen schicklichen Ehegespons für sie zu erblicken, da er im Besitz eines stattlichen, nicht hoch mit Hypothek belasteten Stammgutes sei, und auch als tadelloser Junker gelten dürfe, gegen den sich überhaupt nichts sagen lasse, sobald es gelänge, ihn vom Branntwein und den Branntwein von ihm fern zu halten. Und davon, daß er sich hin und wieder mit lockrer Gesellschaft abgebe, meinte Saunders Saunderson, würde er schon abzubringen sein, wenn er verheiratet sei, denn Ehemänner besserten sich doch immer in vielen Dingen.

»Wie sauer Bier im Sommer,« bemerkte David Gellatley, der sich dieser Geheimsitzung näher befunden hatte als man dachte.

Miß Bradwaridine nahm die Gelegenheit in ihrer Einsamkeit wahr, die Edwards Besuch ihr bot, sich mit, der Literatur auf vertrautern Fuß zu setzen. Edward ließ sich einige von seinen Büchern aus der Garnison schicken, von denen das junge Mädchen bislang keine Ahnung gehabt hatte. Musik und Blumen wurden darüber so vernachlässigt, daß Saunders Saunderson nicht bloß zu brummen anfing von müßig verrichteter Arbeit, sondern überhaupt alle Lust verlor, noch was für Blumenfenster zu machen. Keine Frage, daß ans diesem dauernden Zusammensein eine wachsende Gefahr für den Herzensfrieden des jungen Mädchens heranwuchs, die einen um so bedrohlicheren Charakter annahm, als ihr Vater über den ihm obliegenden Arbeiten gar nicht dazu kam, sich Gedanken über solche Frage zu machen, außerdem sich in dem Gefühl seiner Würde für viel zu hoch gestellt dünkte, als daß er sich hätte träumen lassen sollen, was seiner Tochter widerfahren könne. Seiner Meinung nach standen die Töchter der Baronie Bradwardine auf gleicher Höhe mit den Töchtern eines von Bourbon oder von Habsburg. Kurz, er blickte mit solcher Sorglosigkeit auf diese gemeinschaftlichen Leseübungen seiner Tochter und des Junkers, daß die ganze Nachbarschaft sich zum Schlüsse berechtigt hielt, es sei ihm eine Verbindung seiner Tochter mit dem reichen Junker aus England ganz angenehm, und man gab gern zu, daß er in dieser Sache eine weit größere Klugheit bewiesen habe, als es sonst in seiner Weise läge oder gelegen habe.

Hätte aber der Baron sich in der Tat mit solcherlei Gedanken getragen, so wäre doch Waverleys Kälte ein Hindernis für seinen Plan gewesen, mit dem er ernstlich hätte rechnen müssen. Seit sich unser Held in der Welt ein bißchen umgeguckt hatte, verursachte es ihm immer eine Empfindung von Scham und Verdruß, wenn er sich jener frommen Begeisterung erinnerte, mit der er zur heiligen Cäcilia emporgeblickt hatte. Zudem besaß Rosa, so schön und liebenswürdig sie war, nicht jene Art Schönheit und Liebenswürdigkeit, die eine jugendliche Phantasie in Fesseln schlagen kann. Sie war zu unbefangen, zu harmlos, zu gutmütig: bekanntlich Eigenschaften, die bei aller Liebenswürdigkeit doch jenen höhern Zauber vernichten, in den eine jugendliche Phantasie gern den Gegenstand seiner Liebe zu hüllen sucht.

Ich hätte schon einflechten müssen, daß Edward um eine Verlängerung seines Urlaubs beim Regiment eingekommen war. Der Obrist hatte ihm sein Ansuchen bewilligt, indessen nicht für überflüssig erachtet, den jungen Offizier darauf aufmerksam zu machen, daß es im Grunde nicht vorteilhaft für seine Laufbahn sein könne, wenn er sich zu lange in Kreisen aufhielte, deren Unfreundlichkeit gegen die zurzeit herrschende Regierung doch offnes Geheimnis sei, und außerdem befürchte er auch, daß die Prälatenklerisei der schottischen Hochlande, die sich verkehrterweise bemühe, in kirchlichen Dingen königliche Prärogative aufrecht zu halten, ihn in seinem alten Glauben wankend machen könne.

Dieser letzte, doch nur wohlgemeinte Rat legte Waverley die Meinung nahe, daß der Grund dazu in den Vorurteilen des Offiziers zu suchen sei. Er hatte die feste Ueberzeugung, daß der Baron alles mit besondrer Strenge vermieden habe, was auch nur im entferntesten den Zweck hatte haben können, seine politischen Meinungen zu irritieren oder gar ihn in seinem Glauben wankend zu machen. Und gerade darum gelangte Waverley zu der Meinung, daß es unrecht von ihm sei, solchem alten Freunde um der Vorurteile eines vorgesetzten Offiziers willen dadurch zu nahe zu treten, daß er sein Haus früher meide, als es ernstere Gründe notwendig machen sollten. Er beantwortete deshalb das Schreiben seines Obersten in allgemeinen Ausdrücken der Höflichkeit, und gab ihm die beruhigende Versicherung, daß seine loyalen Gesinnungen nicht im geringsten der Gefahr ausgesetzt wären, Schaden zu leiden, und blieb wie bisher ein geschätzter und geehrter Gast des Edelsitzes Tully-Veolan.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Waverley oder Es ist sechzig Jahre her. Erster Band