Dreiundzwanzigstes Kapitel - Was Edward bisher von Briefen nach Glennaquoich bekommen hatte, ...

Was Edward bisher von Briefen nach Glennaquoich bekommen hatte, war für den Verlauf unsrer Erzählung von keinem Belang, der Erwähnung also nicht wert. Anders heute. Es waren verschiedne Briefe auf einmal angelangt, und alle handelten von dem gleichen Thema. Die Partei, zu der sein Vater gehalten hatte, und der er sein Amt und seine Einnahmen verdankte, war gestürzt worden, und sein Vater war um Amt und Einnahmen gekommen.

Der erste Brief, den er las, war von seinem Vater. Es war ein Meisterstück in seiner Art, dieses Schreiben. Kein Aristides hätte das Thema mit traurigeren Worten schildern können. Am Schlusse jedes Satzes kamen die Klagen wieder über ein ungerechtes Vaterland und einen undankbaren Herrscher. Er betonte seine lange Dienstzeit, die freiwilligen Opfer, die er gebracht habe, wenngleich es ihm hätte schwer fallen sollen, dieselben nachzuweisen, sie hatten denn gerade darin gesucht werden müssen, daß er sich weniger aus Ueberzeugung als vielmehr, in der Hoffnung auf materielle Vorteile der Tory-Partei angeschlossen hatten im Gegensatz zu den alten Traditionen des Hauses.


Am Schlusse des Briefes verstieg sich sein Aerger so weit, daß er mit Rache drohte, trotzdem sie weder am Platze noch ausführbar für ihn war, und daß er seinem Sohne nahe legte, im Hinblick auf die ungerechte Behandlung, die man seinem Vater angetan hatte, ohne weiteres den Dienst beim Heere zu quittieren. Seines Wissens sei dies auch der Wunsch seines Bruders, also Edwards Oheims, worüber er sich vorbehalte, ihm noch in ehester Zeit zu schreiben.

Der zweite Brief war von Sir Everard. Das Mißgeschick, das dem Bruder widerfahren war, schien allen Groll aus seinem Herzen, getilgt zu haben, und da es ihm verschlossen war, Kenntnis davon zu bekommen, daß Richard nicht ohne Grund und Ursache in solches Mißgeschick geraten war, sondern es sich zum nicht geringen Teil selbst beizumessen hatte infolge von mancherlei Ränken, die er getrieben, so schilderte Sir Everard seinem Neffen die Sache als einen neuerlichen Beweis für den Undank und die Ungerechtigkeit der zurzeit im Lande am Ruder befindlichen Regierung. Freilich lasse sich eins dabei nicht verheimlichen, daß solche Unwürde dem Hause Waverley-Würden nie hätte widerfahren können, wenn Edwards Vater es sich überhaupt nie hätte einfallen lassen, seine Dienste dieser Regierung anzubieten. Indessen hege er nun keinen Zweifel mehr, daß sich sein Bruder seines Unrechts, vollständig klar sein und es billigen werde, daß sich nun er nach Möglichkeit bemühen wolle, Vorkehrungen zu treffen, daß dieses Mißgeschick nicht ökonomischen Nachteil für ihn habe, denn für das Haus Waverley-Würden sei es vollauf genug, solche Unwürde erlitten zu haben. Da nun Edward als Stammhalter des Hauses dastehe, sei es sowohl seine wie seines Vaters Meinung, daß er sich nicht der Gefahr aussetzen dürfe, solcher Kränkung, wie der Vater, nun selbst noch ausgesetzt zu sein. Deshalb erachte er es für angezeigt, daß Edward jede schickliche Gelegenheit benutzen solle, dem Kriegsministerium den Dienst zu quittieren, wobei er am besten tun werde, die gleiche Rücksichtslosigkeit zu üben, die gegen seinen Vater geübt worden sei. Zum Schlusse bat er noch, dem Baron Bradwardine tausend beste Empfehlungen zu bestellen, und zwar an ihn persönlich wie sein Haus.

Ein Schreiben von Tante Rachel sprach sich noch deutlicher und kräftiger aus. In ihren Augen sei die Ungnade, die über den Bruder gekommen sei, eine ganz gerechte Strafe dafür, daß er dem, wenn auch in Verbannung befindlichen, so doch einzig legitimen Königshaus die Treue gebrochen habe dadurch, daß er bei dem Usurpator einen Dienst angenommen habe. Solcher Nachgiebigkeit habe sich ihr Großvater weder gegen das presbyterianische Parlament der Rundköpfe, noch gegen Cromwell selbst schuldig gemacht. Und dabei hätte doch sein Leben in höchster Gefahr gestanden. Darum hoffe sie, daß ihr treuer Edward in die Fußstapfen seiner Ahnen treten und das Joch der Sklaverei, in das ihn der Vater in seiner Verblendung gespannt habe, so schnell wie möglich von sich streifen werde. Sie schloß gleichfalls mit allen guten Wünschen für den Baron von Bradwardine und fragte an, ob seine Tochter Rosa nun groß genug sei, ein Paar hübsche Ohrringe zu tragen, die sie ihr zugedacht habe. Auch lasse sie den Baron fragen, ob er noch immer so flott und fleißig tanze wie vor dreißig Jahren, als er Gast in Waverley-Würden war.

Ueber diese Briefe war Edward, wie sich wohl denken läßt, äußerst erregt. Ihm, selbst mangelte es, infolge seiner blinden Lesewut, an einem festen Urteil über politische Grundsätze und Meinungen, und er war deshalb nicht in der Lage, zu der Kränkung, die seinem Vater vermeintlicherweise widerfahren, eine bestimmte Meinung zu fassen. Mit der eigentlichen Ursache, die dem Fall zu grunde lag, war er völlig unbekannt, er hatte keinen Einblick in die Intrigen, in die sein Vater sich verstrickt hatte, und sie entzogen sich seiner Beurteilung genau so, wie sie sich seinem Oheim verschlossen hätten. Er überließ sich mithin genau demselben Grade von Unwillen, der sich seiner Verwandten bemächtigt hatte, denen übrigens das beste Recht zustand, sein Verhalten zu beeinflussen und zu leiten. Kein Wunder, daß ihm in solcher Lage um so schärfer bewußt wurde, daß ihm im grunde seine Garnison recht wenig behagte, und daß er sich der unbedeutenden Rolle, die er dort als Offizier spielte, um so stärker bewußt wurde. Immerhin wäre er sich über sein Verhalten wohl noch unschlüssig geblieben, wäre ihm nicht auch zu gleicher Zeit ein Schreiben zugegangen von dem Kommandierenden seines Regiments, das folgenden Wortlaut hatte: »Herr Kapitän! Ich habe nun, fast über die Grenzen meiner Kompetenz, Nachsicht geübt gegen Verirrungen, die nur aus jugendlicher Unerfahrenheit hervorgehen konnten; aber leider, ohne allen Erfolg. Ich sehe mich nunmehr gezwungen, das letzte Mittel in Anwendung zu bringen, das mir zusteht, und beordre Euch, binnen drei Tagen in Eurem Standquartier Euch zu gestellen, widrigenfalls ich dem Kriegsministerium unverzüglich melden werde, daß sich Kapitän Waverley ohne Urlaub von seinem Regiment entfernt hat. Die Schritte, die sodann zu ergreifen sein würden, dürften dem Kapitän nicht minder unangenehm sein wie

Eurem gehorsamen Diener

I. G., Oberst und Kommandeur.«

Edwards Blut geriet in Wallung bei der Lektüre dieses Briefes. Seit frühester Kindheit war er gewöhnt, über seine Zeit fast unbeschränkt zu gebieten. Die strenge militärische Disziplin war ihm infolge dessen von Grund, seines Herzens aus zuwider. Zudem hatte sich bei ihm der Gedanke festgesetzt, daß man es bei ihm in dieser Hinsicht nicht so genau nehmen werde, und hierin hatte ihn die bisherige Nachsicht seines Obersten bestärkt. Es war ihm deshalb vollständig unbegreiflich, was denselben so, plötzlich zu diesem barschen Tone hatte bringen können, wenn nicht ein ursächlicher Zusammenhang vorlag mit der Angelegenheit, über die ihn die Briefe seiner Verwandten unterrichteten, daß man also gegen ihn in derselben Weise vorzugehen beabsichtige, wie gegen seinen Vater, und daß das Ganze darauf abziele, die Familie Waverley zu unterdrücken und zu demütigen.

Unklar darüber, wie er solches Schreiben abzufassen habe, durch das er seinen Dienst quittieren wollte, beschloß er, sich an Fergus Mac-Ivor um Rat zu wenden. Er traf ihn noch über der Lektüre der Zeitung, die ihm die Post gleichzeitig gebracht hatte.

»Habt Ihr etwa Briefe bekommen, Kapitän Waverley, die Euch die unwillkomne Nachricht melden, die sich hier in diesen Blättern abgedruckt findet?« fragte Fergus Mac-Ivor mit der befangenen Miene eines Mannes, der jemand etwas Unangenehmes mitzuteilen hat.

Fergus gab Waverley eine Zeitungsnummer in die Hand, in welcher über dem an seinem Vater begangenen Akt der Ungnade in einer für denselben höchst unangenehmen Weise berichtet wurde. Und am Schlüsse des Abschnitts stand die seltsame Notiz:

»Hierzu sei noch bemerkt daß, wie aus andrer Stelle (unter der Rubrik Amtliches) der heutigen Zeitung ersichtlich ist, dieser Richard Waverley, nicht das einzige unwürdige Mitglied des Hauses Waverley-Würden ist.«

Mit Hast und bangem Argwohn blickte unser Held in der bezeichneten Stelle der Zeitung nach und fand die amtliche Mitteilung:

»Kassiert wurde wegen Fernbleibens vom Regiment ohne Urlaub Edward Waverley, Kapitän im ...ten Dragoner-Regiment.«

Unter Rubrik »Beförderungen« las er wenige Zeilen weiter unten, die andre Notiz:

»Leutnant Jul. Butler an Stelle des kassierten Edward Waverley zum Kapitän avanciert im ...ten Dragoner-Regiment.!«

In der Brust unsers Helden tobte jene Wut, die jede unverdiente, den Anschein nach wohlberechnete Beschimpfung bei einem rechtlich denkenden Menschen erwecken muß, der sich immer redlich bemüht hat, seine Ehre heilig zu halten, und den man unvermutet dem Spott und Hohne des Publikums preisgibt. Ein Vergleich zwischen dem Datum des Briefes und dem der Zeitungsnotiz ergab, daß der Oberst seine Verwarnung buchstäblich wahr gemacht hatte, und zwar, dem Anschein nach, ohne sich darüber vergewissert zu haben, ob sein Brief auch rechtzeitig in Waverleys Hände gelangt sei, daß er der Aufforderung hätte entsprechen können. Ihm erschien also das Ganze wie ein wohldurchdachter Plan, ihn und seine Familie in der Oeffentlichkeit zu brandmarken. Der Gedanke, daß dieser höllische Anschlag auch vollständig geglückt sei, drohte ihn rasend zu machen, und er warf sich tief erschüttert Fergus Mac-Ivor in die Arme.

Fergus war nicht der Mann, sich gegen Unglück von Freunden teilnahmlos zu verhalten. Der ganze Hergang erschien ihm ebenso ungewöhnlich und auffällig wie Edward selbst. Zwar wären ihm für die Order, die Edward zum Regiment zurückrief, mehr Ursachen bekannt als Edward selbst. Aber daß der doch als human und leutselig bekannte Oberst auf eine so überaus schroffe Weise hatte vorgehen können, erschien ihm als ein äußerst auffälliger Umstand, dessen Gründe sich seiner Erkenntnis vollständig verschlossen hielten. Indessen tat er sein möglichstes, seinen Freund zu beruhigen, und benützte sodann diesen günstigen Anlaß, das Gemüt desselben für die Rache zu bereiten. Edward ging begierig hierauf ein.

»Würdet Ihr, Fergus, dem Obersten meine Herausforderung, überbringen und mich so zu Eurem dauernden Schuldner machen?«

Fergus schwieg eine Weile. Dann erwiderte er:

»Es wäre ein Freundschaftsdienst, der wohl nicht zu dem Ziele führen möchte, das Euch vorschwebt, denn ich bezweifle, ob Euer Kommandeur sich fordern lassen werde wegen einer dienstlichen Maßregel gegen Euch, zu der er schließlich durch seine Pflicht als solcher berechtigt gewesen sein dürfte. Die Grenzen derselben wird er, so schroff auch sein Vorgehen gegen Euch genannt werden muß, nicht überschritten haben. Im übrigen darf ich mich im gegenwärtigen Augenblick aus sehr wichtigen Gründen in kein Standquartier der zurzeit am Ruder befindlichen Regierung begeben.«

»Soll ich dann ruhig hier sitzen bleiben und die Beleidigung auf mir ruhen lassen, die solche Behandlung mir antut?«

»Das möcht ich nicht empfehlen, Freund. Ich würde jedoch an Eurer Statt am Haupt meine Rache kühlen, nicht an der Hand. Ich würde mich auflehnen gegen die tyrannische Regierung, die solche wohlberechnete Beschimpfung anordnete, nicht an den Werkzeugen, die sie dazu benützte.«

»An der Regierung?«^

»Allerdings! an dem Hause Hannover, das den Thron Englands widerrechtlich bestiegen hat, und dem Euer Großvater auch nie gedient hätte, geschweige denn sich Sold hätte von ihm auszahlen lassen.«

»Aber seit meines Großvaters Ableben haben zwei Generationen dieses Königshauses den Thron inne gehabt!«

»Allerdings! weil wir ihm mit Geduld und Ruhe Zeit gelassen haben, den wahren Charakter zu offenbaren! weil wir in sklavischer Unterwürfigkeit hingeträumt und uns so in seine Herrschaft hineingedacht und hineingefunden haben, daß wir sogar Dienste bei ihm genommen haben, so daß sich jetzt bequeme Gelegenheit findet, uns in der Oeffentlichkeit herabzusetzen dadurch, daß man uns dieser Dienste eigenwillig enthebt! Sind wir nicht auf dem Punkte angelangt, einen Schimpf zu rächen, den unsre Vater wohl gefürchtet, den wir aber an unserm Leibe empfunden haben? oder ist das königliche Haus der Stuarts darum weniger loyal, weil seine Ansprüche an einen Erben übergangen sind, den an keiner jener üblen Handlungen, die man der Regierung seines Vaters zur Last legen zu sollen meint, auch nur die geringste Schuld trifft? ...Aber kommt! überlaßt es mir, Euch einen ehrenvollen Weg zu zeigen, wie Ihr Euch in der Öffentlichkeit rehabilitieren und zugleich schnelle Rache nehmen könnt! Suchen wir Flora auf, die vielleicht noch weitre Neuigkeiten für uns hat, die sich während unsrer Abwesenheit zugetragen haben. Zuvor setzt, aber Eurem Briefe eine Nachschrift bei, in welcher Ihr die Zeit vermerkt, in welcher Ihr von diesem kalvinistischen Obersten die erste Aufforderung, Euch wieder zum Dienste zu melden, bekommen habt, und Euer Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, daß sein eiliges Verfahren Eurem Entschlüsse, den Dienst zu quittieren, zuvorgekommen ist. Und dann überlaßt es ihm, sich solcher sklavischer Dienstwilligkeit zu schämen.«

Der Brief wurde gesiegelt und einem direkten Boten zur Besorgung nach dem nächsten Postamt im Unterlande übergeben. Er enthielt die Aufkündigung von Waverleys Dienstverhältnis.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Waverley oder Es ist sechzig Jahre her. Erster Band