Wasserfahrzeuge im Orient

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1922
Autor: M. Ro., Erscheinungsjahr: 1922

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Maritimes, Wasserfahrzeuge, Schlauchboote, Tierhäute, Lederschläuche, Schwimmhilfen, Verkehrsmittel
Im alten Orient, bei den Völkern der Euphrat- und Tigrisländer, und auch im fernen Osten benützte man aufgeblasene Lederschläuche aus den Häuten von Rindern und Hammeln, um Flüsse und Ströme damit zu überqueren oder weite Strecken darauf zurückzulegen. Brücken oder Fähren werden in jenen Gegenden nicht so häufig angetroffen. Die auf obigem Bild sichtbare Auslegerbrücke ist neueren Datums, wie schon die eisernen Bänder und Schrauben verraten, die aus einer europäischen Fabrik stammen. Da sie unvollständig ist, ist auch hier das einzig mögliche Verkehrsmittel die Tierhaut.

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Auf eine größere Zahl solcher Schläuche legte man Balken, und auf diesen eigenartigen Flößen wurden schwere Lasten über Wasser gebracht. Nach Jahrtausenden bedient man sich im Orient und auf den Flüssen Indiens noch der gleichen „Schwimmkissen“, Keleks oder Mussuks genannt, mit denen Männer, Frauen und größere Kinder recht geschickt umzugehen verstehen. Dr. W. Andrae, der bei den deutschen Ausgrabungen in Assur, der alten assyrischen Stadt auf dem Hügel Kalat Schergât am Tigris zwischen Mosul und Bagdad, beteiligt war, berichtete über diesen absonderlich anmutenden Verkehr auf dem Wasser. Anfangs schwammen die über dem Fluss hausenden Leute täglich zur Arbeit herüber und zum Feierabend hinüber, später nur noch für die Dauer des Sonntags. Sie durchquerten auf ihren Schwimmkissen die Fluten des Tigris sogar, wenn er kalt war und mit Eis ging. Dabei ritten Männlein und Weiblein auf einem aufgeblasenen Lederschlauch, die Männer splitternackt, die Frauen in indigoblauen Hemden, mit beiden Beinen und einer Hand im Wasser paddelnd. Die Strömung zwang sie oft zu zwei und drei Kilometer weiten Wasserritten. Ein Bote, der einen Brief brachte, hatte mit dem landesüblichen Fahrzeug auf dem unzählige große und kleine Windungen machenden Tigris eine Strecke von hundertzehn Kilometer zurückgelegt. Gewiss eine achtbare Leistung. Hatten sie an Land die Luft aus dem Schlauchboot gelassen, so konnten sie die Haut bequem auf dem Rücken tragen. Fürwahr, ein einfaches und doch praktisches Verkehrsmittel! Bei den phantastischen Lederpreisen wären solche einfache „Faltboote“ bei uns unerschwinglich; sie werden aber auch im Orient und in Indien nun nicht mehr so billig zu haben sein wie vor dem Krieg.

Mussuks, aufgeblasene Tierhäute, am Beasfluss im nördlichen Vorderindien.

Maritimes, Mussuks, aufgeblasene Tierhäute, am Beasfluss im nördlichen Vorderindien

Maritimes, Mussuks, aufgeblasene Tierhäute, am Beasfluss im nördlichen Vorderindien