Was man im Gebirge erlebt.

Eine quatschende und patschende Gesellschaft!
Autor: Kröner, Adolf von (1836-1911) deutscher Verleger und Vorsitzender des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Erscheinungsjahr: 1875
Themenbereiche
„Durchgemacht und durchgelacht ist die Berglustbarkeit, liebe Freunde. Nun lasst sie uns zu Papier bringen!“ Diese schöne Rede hielt ein Mann von der Feder an zwei Männer vom Stifte in einem Tiroler Gebirgswirtshause im kühlen Grunde, zu welchem sie aus den höheren Regionen der Sennhütten herunter gekommen waren. Die Namen dieser durch treffliche Leistungen bekannten Künstler sind den Freunden der Gartenlaube längst nicht mehr fremd: L. Braun schreibt sich der Eine und H. Heubner der Andere, und Jeder von Beiden wiegte eine absonderliche Idee im filzbedeckten Haupte, während der Eine die Skizzenmappe aufs Knie, der Andere auf den Tisch legte, Jeder nach seiner Art,

„denn die Gewohnheit nennt er seine Amme.“

Braun war von seiner Aufgabe entzückt: das verrät sein Bild der Sennhütte. Sie war wie tausend andere und enthielt das tausend Mal gesehene Personal. Aber mit frischer Naturwahrheit, ganz abweichend von den süßlichen Mimilivorstellungen, welche der Plattländer an die Sennhütten zu knüpfen pflegt, hat Braun auf seinem Bilde das kecke, fröhliche Gebirgsleben wiedergegeben. Seine Gestalten, sowohl der Sennerinnen mit den Wildheuerhosen, wie der Sennbuben, tragen das frische Rot der Wirklichkeit auf den Wangen.

Während wir uns noch an dem Bilde Braun’s erfreuten, vernahmen wir ein herannahendes Durcheinander von Stimmen, und zur Tür herein grüßten mehrere Reisedämchen und Reiseherren. Ich freute mich der lustigen Schar; es waren keine verzwickten Modekinder, sondern frische und sogar namhafte Bühnengenossen, darunter eine unserer beliebtesten Tragödinnen, so daß es mir wirklich leid tut, zum Ausputze dieser Zeilen nicht einige Namen nennen zu dürfen. Ich hab’s versprochen, sie nicht mit diesem Scherze in die Öffentlichkeit zu bringen, denn der Himmel begnadete uns mit einem gar absonderlichen gemeinsamen Geschicke.

Wir hatten uns der Gesellschaft natürlich zum Hinabsteigen ins Thal angeschlossen; das Wetter, das den Tag über uns leidlich günstig gewesen, hatte endlich die Geduld verloren und brach, als wir nur noch die letzte Viertelstunde Wegs bis zu unserer Herberge vor uns hatten, mit solchem Wasch- und Badeeifer über uns her, daß wir so pudelnass, wie nur menschenmöglich, aber trotz alledem mit vollem Lachen – denn der Humor war selbst bei den Damen nicht mit den Kleidern verdorben worden – ins Wirtshaus hineintrieften.

O, diese quatschende und patschende Gesellschaft! Die angeklebten Schleier und die Spritzbrünnchen der Stiefeletten bei jedem Auftreten! Das ganze Haus lief zusammen – aber die Hausfrau war weise und der Wirth klug und bei Beiden guter Rath nicht teuer. Männlein und Fräulein wurden in zwei Gemächer getrennt und beiden Teilen alle nur vorrätigen Kleidungsstücke des Haushalts zugeteilt. Die nasse Ware aber, alles Gewand vom Kopfe bis zu den Füßen, ward zu den beiden Türen hinausgereicht, um zu einer gemeinsamen Draperie des großen Kachelofens in der Wirtsstube vereinigt zu werden.

Nach vorgenommener Umkleidung bildeten wir Mannsleute eine recht stattliche Gesellschaft von Bauern und Burschen, nahmen auch keinen Anstand, in unserm Kostüme in die Gaststube zu wandern und einen Tisch mit unseren lebenden Bildern zu schmücken. Da – mitten in dieser gemütlichen Unterhaltung, öffnet sich die Tür zum Gemache der Frauen, und herein tritt mit ehrfurchtgebietender Gravität, mit den Kleidern der Wirtsleute halb männlich, halb weiblich kostümiert, die Hände feierlich erhoben, eine abenteuerliche Gestalt.

„Dich begrüß’ ich in Ehrfurcht,
Prangende Halle,
Säulengetragenes, herrliches Dach,“

tönte es aus ihrem redegewaltigen Munde, und betroffen und fast erschrocken starrte Alles auf die groteske Erscheinung. Als aber aus allen Ecken und Winkeln des engen Zimmers das Ach und O freudigen Erstaunens erscholl, winkte sie still mit der Hand und fuhr in gehobenem Tone fort:

„Schwer liegt der Himmel von Madrid auf mir,
Wie das Bewustsein eines Mords. Nur schnelle
Veränderung des Himmels kann mich heilen – “

und mit unnachahmlicher Grazie wies sie zum Fenster hin, wo noch immer der Regen prasselnd anschlug. Im Zimmer war es still, als ob ein Engel durch dasselbe schreite. Da plötzlich erscholl von der Tafelrunde der tiefe Bass des Heldenspielers:

„Beim wunderbaren Gott, das Weib ist schön!
Welch’ edler Anstand, welch’ ein holdes Wesen,
Wie einfach jeder Zug und doch wie auserlesen!
Unschuld und Grazie gehen ihr zur Seite,
Und keine Tugend fehlt in dem Geleite.“

Die Hand auf die Joppe des Wirths legend, da, wo der Sage nach, das Herz pochen soll, verneigte sich die Schöne mit verschämten Blicken:

„O, stille, Prinz! von diesen kindischen
Geschichten, die noch jetzt mich schamrot machen!“

Es war ein herrlicher Anblick: unsere Tragödin – denn keine andere war es – in den Unterkleidern der Frau Wirtin und der kurzen Joppe des Vater Wirtes! Sie, die sonst nur gewohnt war, das griechische Gewand der Iphigenie in klassischen Falten über die Schulter zu werfen, den Harnisch und den Helm der Johanna von Orleans im Lampenlichte leuchten zu lassen oder die stolze Schleppe der jungfräulichen Königin von England gravitätisch über die weltbedeutenden Bretter zu wälzen – sie, die sonst so schlanke Gestalt im groben Gewande der Frau Wirtin, das noch dazu zum erforderlichen Umfange künstlich ausgefüllt war!

Die komische Wirkung, welche diese Figur hervorrief, prägte sich auf allen Gesichtern aus, und allgemeine Heiterkeit ergriff die Gesellschaft – eine Szene, die wiederzugeben kein Stift ausreichen dürfte. Der Künstler hat deshalb auch nur zwei Momente der prächtigen Situation herausgegriffen, die Tragödin und das Stillleben am Ofen.