Was hollaendische Windmühlen erzählen

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1927
Autor: Franz Carl Endres, Erscheinungsjahr: 1927

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Holland, Mühlen, Mühlensprache, Gebräuche, Mühlen-Sagen, Mühlen-Märchen, Müller, Korn,
Die holländische Windmühle ist ein charakteristischer Bestandteil holländischer Landschaft. Sie kann es an Traulichkeit und malerischem Reiz zwar nicht aufnehmen mit den Wassermühlen etwa des Schwarzwaldes oder an romantischen Wildbächen der Alpen. Aber die leise Melancholie, die über einer Windmühle liegt, hat auch ihre künstlerischen Reize. Und wer erst alle die Sagen und Märchen kennt, die in Windmühlen zu Hause sind, wird diese eigentümlichen Bauwerke liebgewinnen.

***********************************************************
Die holländische Windmühle hat viel zu tun. Es wird Korn gemahlen, Öl geschlagen, Holz gesägt, Papier fabriziert, Hanf geklopft, und Tabakblätter werden zu Schnupftabak zerrieben. Viele Mühlen stehen auch im Dienst der Wasserverwaltung und müssen den Wasserstand in den zahllosen Kanälen regeln, die das Land wie ein Netz bedecken.

Vor Jahren, als die Elektrizität noch nicht im Dienste des Menschen stand und als man noch nicht seinen Freunden und Bekannten blitzschnell durch Telegraph und Telefon Nachricht geben konnte, dienten die Mühlen als Nachrichtenapparate. Ab und zu werden sie von Müllern, die fest an den alten Gebräuchen halten, auch heute noch hierzu verwendet. Aber es ist erklärlich, dass der Brauch schon fast überall vergessen ist, denn die Menschen opfern das Schöne nur allzu gerne dem Bequemen.

Die Mühle „spricht“ durch die Stellung ihrer Flügel im Ruhezustand. Von den Mühlen in Brabant habe ich folgendes erfahren können: Die erste Stellung der Mühle ist ein genau in der Diagonale liegendes Kreuz (Abbildung 1). Steht die Mühle etwa am Feierabend oder am Feiertagmorgen in dieser Position, so heißt das: „In der Familie des Müllers wird ein Fest gefeiert.“ Findet man alle Mühlen eines Ortes in dieser Stellung, so weiß man, dass der ganze Ort irgendein Fest feiert. Und hängen gar noch Fähnchen an den Spitzen der Mühlenflügel, dann gilt das Fest für das ganze Land. Die zweite Stellung (Abb. 2), in der das Kreuz etwas steiler steht, ist die Position der Trauer. Wenn ein Familienmitglied gestorben ist, wird die Mühle in dieser Stellung angehalten, und solange die Trauerzeit währt, bleibt die Mühle (wenn sie nicht arbeitet) in dieser Position stehen. Ein sehr schöner und ergreifender Brauch ist auch der, dass eine arbeitende Mühle stillgestellt wird, wenn ein Leichenzug an ihr vorbeigeht, und dass die Mühle durch Annahme der Trauerstellung, also der zweiten Stellung, dem Toten einen letzten Gruß sendet. Dieser Brauch besteht zum großen Teil auch heute noch.

Die dritte Stellung (Abb. 3), mit über die Diagonale geneigtem Kreuz, bedeutet, dass der Müller, mit dem Schärfen seiner Mühlsteine beschäftigt, nicht mahlen kann. Da die baumlose, weite Ebene des holländischen Tieflandes die Sicht nicht hindert und außerdem der Kundenkreis einer Mühle nur ein paar Kilometer im Durchmesser beträgt, so ist dieses Zeichen ein überall gesehenes Signal, dass die Kunden mit ihrem Mahlgut zu Hause bleiben sollen.

Bleibt die Mühle aber in der vierten Stellung (Abb. 4) stehen, so bedeutet das einfach Feierabend. Es ist das Zeichen für die beendete Tagesarbeit.

Sehr verständige Leute in Holland bemühen sich, diesen Gebrauch der Mühlensignale zu erhalten. Die neuzeitlichen Müller erwidern achselzuckend, dass die Bevölkerung sie ja doch nicht mehr verstehe. Aber warum versteht man sie nicht mehr? Weil sie nicht mehr regelmäßig angewendet werden. Sobald das wieder geschehen würde, würde auch die Bevölkerung wieder verstehen, was die Mühlen sagen.

Mühlen - 1. Flügelstellung

Mühlen - 1. Flügelstellung

Mühlen - 2. Flügelstellung

Mühlen - 2. Flügelstellung

Mühlen - 3. Flügelstellung

Mühlen - 3. Flügelstellung

Mühlen - 4. Flügelstellung

Mühlen - 4. Flügelstellung