Zweite Fortsetzung

Der berühmten Reiterstatue Peters des Großen an der Newa (nicht zu verwechseln mit jener vor der Ingenieur-Akademie) wird hinsichtlich des dichterischen Gedankens, wie der frischen Art der Ausführung, kein Denkmal den ersten Rang streitig machen. Der Gründer Petersburgs, den Ausdruck der geistigen Überlegenheit und der männlichen Tatkraft auf der Stirne tragend, sprengt einen jähen, mächtigen Felsen hinauf, verkörpernd die Energie, welche kein Hindernis kennt, und in der Ausführung eines gefassten Entschlusses vor Nichts zurückschreckt.

Wenn wir uns von den erhabenen Eindrücken, welche wir beim Anblicke der Paläste, Kirchen und Monumente Petersburgs in uns aufgenommen haben, zu dem Leben der Straße wenden, finden wir unser Auge, wenn auch in anderer Weise, aber sicherlich nicht minder, angeregt. Mancherlei Neues, nur im Norden heimisch, fällt uns auf, wie denn überhaupt jede Großstadt ihre eigentümlichen Charakterfiguren besitzt, welche ihr ebenso sehr als die Bauart, das besondere Gepräge aufdrücken.


Der Lazzarone Neapels, der Gondoliere Venedigs, der Lastführer Londons, wie der Ouvrier in der blauen Blouse des Faubourg Saint Antoine — sind so scharf unterschiedene Gattungen von Individuen, und dabei so lokaler Physiognomie, dass ohne sie gedacht, die Stadt ihr Aussehen förmlich verändern würde.

Nun gibt es zwar überall Droschken und Kutscher, aber der Iswoschtschik Petersburgs ist gewissermaßen der Prototyp der ganzen Kutscherwelt und bildet ein Volk für sich. Die Zahl dieser allenthalben gleich gekleideten Rosselenker der Kaiserstadt soll mit Einschluss der zweispännigen Lohnfuhrwerke — wie gegen uns öfters behauptet worden — die beträchtliche Zahl von vierundzwanzigtausend betragen (in Moskau mindestens ebenso viel) und begreift alle Lebensalter in sich, vom sechzehnjährigen Jungen bis zum eisgrauen Sechziger. Im Jahre 1840 sollen es nur etwas über achttausend gewesen sein, seitdem sieh jedoch die Bevölkerung-Petersburgs gegen damals verdoppelt hat, und gegen siebenmalhunderttausend angegeben wird (in runden Zahlen); vermehrte sieh durch das gesteigerte Bedürfnis die Zahl der Lohnwägen um das Dreifache.

Zudem ist dort das Fahren keine Sache des Vergnügens oder des Luxus allein, sondern bedingt durch die außerordentlichen Entfernungen, welche uns erst klar werden mit der Uhr in der Hand. Plätze, auf welchen Paraden über mehr als fünfzigtausend Mann abgehalten werden, wie Marsfeld und Admiralitätsplatz. — Prospekte in der Länge von mehr als zwei Drittteilen einer deutschen Meile, deren Ende sich nicht mehr mit dem Auge wahrnehmen lässt, lassen sich auf eine andere Weise nicht mehr schätzen, weil durch die Großartigkeit der sie einfassenden Rahmen die Anhaltspunkte des Maßstabes der sonst gewohnten Dimensionen verloren gehen. Das große Kadetten-Korps in Wassili Ostrow hat ein Vierteil englische Meile = 440 Yards im Quadrat, und überragt an Ausdehnung der horizontalen Fläche noch jene der Admiralität, der Generalität, wie des Winterpalastes.

Auf diese abnormen Entfernungen gründet sich auch die Sitte des immerwährenden Fahrens. welche selbst die vom Markte heimkehrenden Dienstboten, wie die zur Arbeit verschickten Handwerksgesellen zur Benützung von Iswoschtschik oder Omnibus zwingt

Der Iswoschtschik hat keine obrigkeitlich fixierte Taxe, keinen Tag. keine Nacht, keine Empfindlichkeit gegen Hitze oder Kälte, kein Bett, worin er schläft. Die Straße ist seine Heimat. In allen Straßen, auf allen Plätzen, an den Brücken, vor den Bahnhöfen, an den Landungsplätzen der Newa-Quais ist er so sicher in Menge zu treffen, wie an den entferntesten Promenaden, den Datschen (Villen), und zwar zu jeder Stunde des Tages und der Nacht.

Genügsamkeit ist seine Devise. Er bezieht alle seine, wenn auch geringen Lebensbedürfnisse vom Kolporteur der Straße. Von ihm kauft er den Heubündel für die jedesmalige Fütterung des Pferdes, wie auch sein eigenes Mittagsmahl, schwarzes Brot, rohe Gurken, Johannisbrot als beliebtes Dessert, und lässt sich dazu aus einer weitbauchigen Flasche ein Glas Kwass einschenken, ein billiges Getränk der niederen Classen aus Wasser, Honig, Salz und Schwarzbrot; — Fleisch und Bier genehmigt seine Sparsamkeit nicht. Er schläft auf seinem Bocke, und sieht deshalb auch immer übernächtig und struwelpeterlich aus. Sein niedriger, grober Filzhut ist nach oben tschakoartig ausgeschweift, sein bis auf die Füße gehender blauer Leibrock, faltig und mit rauen Schaffellen gefüttert, seine Wadenstiefel, sowie der mehr oder minder abgeschossene rote Leibgurt, sind stets gleich. Die Caretta, ein Zweispänner, befindet sich nur in Händen der Wohlhabenderen, dagegen ist der Einspänner, — ein dachloser runder Sitz, auf welchem nur zur Not zwei Personen Raum haben, — eine prekäre Position, und häufig gradezu erbärmlich.

Nirgends wird so rasch gefahren, aber sicherlich auch nirgends so viel gefahren, als in Petersburg. Das Pferd kennt nichts als den schärfsten Trab, und so geben die zahllos an einander vorüberjagenden Gefährte das Bild einer unaufhörlichen Wettfahrt. In andern Städten wehrt der Schutzmann dem allzuschnell Fahrenden, namentlich bei Brücken und Kreuzwegen; in Petersburg treibt der Butschnik (Polizeimann) den Säumigen zur Eile.

Anderwärts muss über Schiffbrücken schon aus technischen Gründen langsam und nur im Schritte gefahren werden; die Petersburger Brücken dagegen, welche (mit Ausnahme der Nikolai Brücke) nur auf Pontons ruhen, sind, wie es scheint, bedeutend solider konstruiert. Sie sind so breit, dass, die Trottoirs für Fußgänger abgerechnet, noch fünf Equipagen leicht neben einander vorbeirasen können. Des gegenseitigen Zurufens und Zeichengebens ist kein Ende.

Der Iswoschtschik bietet seine Dienste an, wie sein College in Italien oder anderswo, aber in einer bescheidenen, von der Zudringlichkeit der ersteren sehr verschiedenen Manier. Er nennt seinen Preis, wird aber sogleich von den umstehenden Kameraden heruntergeboten, und dem Wenigstnehmenden, welcher in der Regel auch der Schmutzigste ist, bleibt die Fahrt. Er ist höflich, zieht bei jedem Worte seinen Hut, und betrachtet den Mieter des Fuhrwerks für die Dauer der Fahrt als seinen Gebieter. Ein Surplus über das Akkordierte wird nicht erwartet, noch weniger verlangt, aber stets akzeptiert. Unter seinen verschiedenen Standesgenossen in den Hauptstädten ist er, — wenn auch im Allgemeinen nicht der eleganteste, — aber der leichter zu behandelnde:

Der Herrschaftskutscher ist eine verfeinerte Ausgabe des Iswoschtschiks. Er trägt den gleichen altrussischen Anzug, aber von besseren Stoffen und sehr reinlich. Man sieht unter diesen vollbärtigen Männern des Kutschbockes wunderschöne Leute, und muss die Gewandtheit bewundern, mit welcher sie im schärfsten Trabe sich durchwinden, ohne je an einem Rade zu streifen. Aber es bedarf auch straffer Zügel und der größten Aufmerksamkeit , das geringste Versehen ist unverbesserlich !

Wo russisch angespannt wird, ist der Kutscher national gekleidet, wenn englisch, trägt er Livree. Es ist bekannt, dass in Russland Hengste besonders beliebt als Wagenpferde sind, ebenso, dass beim Einspänner über die Gabel ein Bogen geht, und das russische Geschirr, wie alle jene der slawischen Völker und Orientalen sich durch einen Reichtum silberplattierten Schmuckes, herabhängender Riemen und Troddeln auszeichnet.

Für das Auge des Sportsmanns kann es nichts Entzückenderes geben, als ein vor überfliegendes, flottes Dreigespann, die „Troika". Hier läuft das Mittelpferd, — ein kräftiger Carossier — in der Gabel, die beiden Außenläufer, mittelst des verkürzten äußeren Zügels stark abgebogen, dagegen in der Wildbahn und galoppieren fortwährend rechts und links, während der Mittlere nie aus dem schärfsten Trabe fallen darf.

Bei dem Temperamente dieser Pferde, welche nie angespornt," sondern mit Anlegen des Trensengebisses auch meist gehalten werden müssen, dann dem Reichtum der Mähnen, und der bis zum Hufe herabreichenden Schweifhaare ist eine elegante Troika in Wahrheit ein stolzes Bild, und lässt sich denken, was die Korsofahrten in Petersburg, auf den beliebten Promenadenwegen, Alles auf diesem Gebiete dem Pferdefreunde vorzuführen im Stande sind.

Der Omnibus wie der Fuhrmannswagen, überhaupt jedes schwere Lastfuhrwerk hat stets vier neben einander gespannte Pferde.

Wie in den herrschaftlichen Palais das Personal der Küche und Konditorei mit Vorliebe aus Franzosen gewählt wird, so sollen für den Vertrauensposten eines Leibkutschers die Tataren besonders gesucht sein. Wird mit vier Pferden gefahren, so reitet auf dem vorderen Sattelpferde stets ein kleiner Vorreiter von 12 bis 14 Jahren, ebenfalls in russischer Nationaltracht, welche überhaupt von allen mit Stall, Koss und Wagen beschäftigten Personen behalten werden muss. Das männliche Dienstpersonal des Hauses selbst ist dagegen stets in Livree nach französischem Schnitte und steht unter den Befehlen des Dworezki (Haushofmeisters), welch' letzterer oft ein stattliches Kontingent von Köpfen zu kommandieren hat.

In natürlichem Zusammenhange mit der Fahrgelegenheit selbst steht Straße und Weg. Über die Vorzüglichkeit der letzteren wird Jedermann außerhalb der Vorstädte sich zu überzeugen Gelegenheit haben. Gleiches gilt von jenen Straßen, wo die Hauptfahrbahnen mittelst hölzerner sechsseitiger Prismen gepflastert sind. Diese Art von Pflasterung hat bei dem ungeheuren Verkehre, welcher Tag und Nacht unausgesetzt einen unerträglichen Lärmen hervorbringen würde, die große Annehmlichkeit, dass sie für die Anwohner geräuschlos, für den Innensitzenden sehr sanft das Gefährte dahin rollen lässt. Bei dem Holzreichtum des nördlichen und mittleren Russlands ist die öftere Erneuerung auch nicht allzu teuer. So ist z. B. der Newsky-Prospekt mit einer doppelten Fahrbahn von Holz versehen, während in der Mitte die Pferdeeisenbahn läuft. Die übrige Straße ist in ihrer ganzen Breite bis zu den Trottoirs mit großen Kieseln gepflastert. Wo man jedoch von dem Holzpflaster auf letztere überzugehen gezwungen ist, da möchte dem Fahrenden buchstäblich Hören und Sehen vergehen. Das Steinpflaster besteht hier nämlich nicht aus sorgfältig eingegrabenen, sondern nur auf die hohe Kante nebeneinander gestellten Kieselsteinen, welche dann mit Sand überdeckt werden. Sowie Regen diesen weggewaschen hat, wird das leichte Fuhrwerk, besonders wenn es pfeilschnell darüber weggeht, bei jedem Steine in die Höhe geworfen. In Kronstadt sind die Fahrbahnen der Hauptstraßen teilweise mit Eisen gepflastert, mittelst dicht aneinander in den Boden getriebener Keile, sehr angenehm zum Fahren, aber weil glatt, für den Fußgänger bedenklich. Wer gleich uns, Petersburg im Juni besucht, muss Verzicht leisten auf den Glanz, welchen der kaiserliche Hof, der reiche Adel und die bedeutende Garnison über die weiten Plätze und Prospekte verbreitet, obgleich der Verkehr der Straße auch ohne diese an Lebhaftigkeit nichts zu wünschen übrig lässt.

Unter den Verkehrswegen Petersburgs spielt die Wasserstraße der Newa und ihrer Seitenarme nicht die letzte Rolle. Im Sommer sind die Inseln zum großen Teile für ihre Verbindung mit der Hauptstadt darauf angewiesen, und wer nicht eigene Equipage besitzt, wird unbedingt der kleinen Dampfschaluppe den Vorzug vor dem Iswoschtschik oder gar dem Omnibus geben, welcher letztere sein Publikum nur aus den niederen Ständen zu erhalten gewohnt ist.

Im Winter, wenn die Newa einmal zugefroren ist, und die sämtlichen Schiffbrücken abgefahren sind, dient ihre weite Eisfläche als die einzige Verbindung für die verschiedenen Stadtteile. Erst mit der Vollendung der prächtigen Nikolai-Brücke zwischen dem englischen Quai und Wassili-Ostrow wurde eine das ganze Jahr über bestehende feste Passage in das Leben gerufen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland