Vierte Fortsetzung

Auf der Fontanka, dem breiten, ebenfalls graniteingefassten Newa-Arme, welcher beim Sommergarten beginnt, in einem weiten Bogen die Admiralitätsseite durchschneidet, und am Westende derselben, unfern des Ausflusses der Newa in den Finnischen Meerbusen sich erst mit dieser wieder vereinigt, Hegen zahllose Schiffe; welche den kolossalen Bedarf an Brennholz der Hauptstadt zuführen. Dieselben sind gleichmäßig bis zur Höhe eines Stockwerks mit bereits geschnittenem Fichtenholze bedeckt, so dass nur noch der Schiffsrand über Wasser bleibt.

Wie groß der Verbrauch an Brennholz in Petersburg sein mag, lässt sich beim Anblicke dieser Massen erst erwägen, wobei nicht außer Acht zu lassen ist, dass die Kälte dort fünf Monate ohne Unterbrechung währt, mit zwanzig Grad oftmals längere Zeit andauert, auch mitunter bis zu dreißig Grad steigt, und deshalb die Gewohnheit herrscht, mittelst mächtiger holzverschlingender Öfen, nicht nur die Reihen der hohen Salons und Zimmer, sondern zugleich alle Stiegenhäuser und Gänge, fortwährend hoch temperiert zu erhalten.


Die Beischaffung des Materials und die Unterhaltung der Feuerung beschäftigt unausgesetzt in den großen Häusern mehrere Personen, und zwar ausschließlich.

Im mittleren Durchschnitte stellt sich größere Kälte Anfangs November ein, so dass das Feststellen des Eises in der Newa auf die Mitte dieses Monats fällt, und erst mit der ersten Hälfte des Aprils der Eisgang und das Offenwerden des Stromes als normal angenommen werden kann.

Zwischen den mit Holz beladenen Schiffen liegen wieder andere, auf welchen die Fischhändler ihre reichen Vorräte aufgeschichtet haben. Wer es über sich gewinnt, von dem oft unerträglichen Gerüche Umgang zu nehmen, findet hier eine stattliche Versammlung von Delikatessen , unter andern den vielversprechenden Sterlet, den geräucherten Sik, den kurzfaserigen Soudak, und wie die wohlschmeckenden Newabewohner, welche um die Gunst des Kauflustigen rivalisieren, alle heißen mögen. Die nordischen Gewässer sind es vorzüglich, in welchen die edelsten Fische und in den meisten Arten gedeihen, und stehen zweifelsohne weit über der Ausbeute, wie sie an Qualität und Menge das Mittelmeer gibt!

Daher wohl auch der Übermut, in Petersburg den von uns so wertgeschätzten Hecht, welcher, wenn auch nicht bei Galadiners, wo der Salm dominiert, doch auf jeder feinen Mittagstafel gern gesehen wird, unter die „gemeinen" Fische zu zählen!

In Wassili-Ostrow, nahe der Börse, findet der Liebhaber von Singvögeln Gelegenheit, für sein Zimmer solche bedauernswerte Gefangene zu akquirieren, zu gleicher Zeit jedoch auch eine reiche Auswahl von Affen, Papageien, Kakadus, Inseparables u. s. w. Es ist ein eigentümlich wehmütiger Anblick, diese geflügelten Kinder der Tropenländer im Scheine der Junisonne so unbefangen in ihren Käfigen hüpfen zu sehen, ohne Ahnung, welche eisige Schneewinde und Nordlandsstürme in wenigen Monaten das Heimweh ihrer kleinen Herzen nach Brasilien, Patagonien oder Neuseeland wecken werden! Vom La Plata zur Newa! Ihr armen Geschöpfe!

Neben den langen Budenreihen des Gostinoi-Dwor und seinen Dependenzen treibt sich außer den Verkäufern in festen Läden noch eine Unzahl von Kolporteuren, großenteils halberwachsenen Jungen umher, welche, meistens auf einem umgehangenen Brette, ihren kleinen Vorrat feil bieten, oft auch gleich auf dem Straßenpflaster zur Auswahl ausgebreitet haben. Man muss sich wirklich in Acht nehmen, bei dem fortwährenden Ausweichen, nicht dem Einen oder Andern seine Sachen zu zertreten. Wer im Vorübergehen nur einmal einen mehr als gleichgültigen Blick auf den Gegenständen ruhen lässt, kann sicher sein, dass der hoffnungsschwangere Besitzer, wie auch der zweite und dritte nebenan sofort beginnt, seine Ware anzupreisen, und so pflanzt sich's durch die ganze Reihe fort. Seifen, Schokolade, Schnur und Knöpfe — wiederholen sich so oft, dass nur zum Verwundern ist, wie der Einzelne überhaupt zum Verkaufe gelangen könne.

Tische mit mürbem Brot finden sich dort ebenfalls über Bedarf, daneben werden in dem nordischen Petersburg Apfelsinen so häufig angeboten, dass man sich nach Italien versetzt halten könnte. Diese Südfrucht ist für hier verhältnismäßig nicht einmal teuer zu nennen, und verdankt diesen relativ niedrigen Preis, wie wir belehrt wurden, nur dem Transporte zu Wasser, wo bei den großen Quantitäten die Fracht des einzelnen Stückes sich auf einen unendlich kleinen Bruchteil reduziert, obgleich ein jedes den „kleinen Umweg" durch die Straße von Gibraltar, den britischen Kanal und den Sund bei dieser Transportart zurücklegen musste!

Wie der Russe überhaupt aufgeweckt und vorzugsweise in Handelsgeschäften lebhaft ist, so wissen diese jungen Kleinkrämer einen solchen Wortschwall an den Passanten zu verschwenden, und dabei dem „Niemetz" (auf russisch eigentlich der „Stumme", worunter vorzugsweise der Deutsche begriffen wird) mit Abzählung an den Fingern den Preis zu verdeutlichen, dass man unwillkürlich an die braunen Jungen der Chiaja Neapels denken muss. Hat man Etwas ausgewählt und ist handelseinig, so fährt er dann hastig nach seinem Stiefel, wo regelmäßig in einem couvertartig zusammengelegten Papier das kleine Betriebskapital aufbewahrt ist, zieht es hervor, um herauszugeben, oder die erbeuteten paar Kopeken mit triumphierendem Blicke auf seine neidisch blickenden Kameraden aufzubewahren. (Dazu bedarf er nicht einmal der Rechenmaschine, wie sie jeder Petersburger Verkäufer vor sich stehen hat, was mehr ein Gegenstand der Ladeneinrichtung als des wirklichen Bedürfnisses sein mag!)

An Genügsamkeit steht der kleine Kolporteur wohl noch über dem Iswoschtschik, da er sicher weit weniger als dieser verdient. Es mögen Wochen vergehen, bis er etwas Warmes zu sich nimmt. Die kleine Salzgurke, welche in Petersburg von der geringen Klasse in Massen konsumiert wird, zu deren Aufbewahrungen gros ganze, weite Kellerräume vermietet sind, bildet wohl auch seine Hauptnahrung. Wo diese Tausende des Nachts eine Unterkunft finden, weiß der liebe Gott und die Polizei allein, soviel ist jedoch gewiss, dass Keinen von Allen ein Bett erwartet, welches der gemeine Russe ohnedies nicht zu schätzen weiß, und sich ausschließlich mit einem großen Schaffelle begnügt.

Es wurde uns erzählt, dass die Abhärtung von Jugend auf bei diesen Leuten eine so allgemeine sei, dass z. B. die Hausknechte gar nicht anders wissen, als quer an der Haustüre liegend, die Nacht zu verbringen, und auf den Steinplatten vielleicht besser schlafen, als ihr fürstlicher Gebieter im schwellenden Himmelbette. Möglich, dass auch ein Gläschen des beliebten gebrannten Wassers vor dem Niederlegen das Seinige beiträgt, des Tages Mühen und des Granits Härte desto schneller vergessen zu können! Nun, wenn auch der Genuss des köstlichen Allasch versagt ist, der Wotki macht die gleiche Wirkung und trägt hinüber in das Reich seliger Träume.

Der Newsky-Prospekt mit seinen fortwährenden Abwechslungen ist für den Fremden eigentlich so fesselnd, dass es eines gewissen Entschlusses bedarf, um dieses Zentrum großstädtischen Lebens zu verlassen, und seine Schritte nach anderen Promenaden zu wenden. Da bietet sich u. A. der englische Quai, an dessen prachtvollen Palästen man vorübergehen mag. um sich recht klein und unbedeutend vorzukommen, der Wosnosenski'sche Prospekt, ebenso die große Gartenstraße, welche sich in endlose Fernen zu verlieren scheinen, — immer jedoch wird man mit besonderer Vorliebe auf den Newsky-Prospekt zurückkehren, welchen die Pariser Boulevards an ihren schönsten Stellen wohl an Lebhaftigkeit des Verkehrs, aber nicht an Großartigkeit erreichen.

Unterhaltend ist es auch, das Newa-Ufer oberhalb des taurischen Palastes aufzusuchen, wo an den Lagerhäusern die zur See kommenden und abgehenden Waren aus- und eingeladen werden. Endlich empfiehlt sich ein Spaziergang zum berühmten Mannskloster Alexander-Newsky, auf dessen Kirchhof der höchste Adel und die Großwürdenträger des Reiches ihre Begräbnisstätte finden.

An Reichtum der hier hart nebeneinander gedrängten Grabmonumente und vornehmen Namen wird ihn kein zweiter übertreffen, wie andrerseits der Pariser Pere-Lachaise durch dort ruhende Männer der Wissenschaft und seinen prachtvollen Überblick auf das großartige Häusermeer, — das campo santo Pisa's durch seine imposanten, von Ocagna's Pinsel geschmückten Arkaden, den ersteren wieder überragt.

Wie anspruchslos ist dagegen der Raum an der Cestus Pyramide zu Rom, wo unter dem üppig wuchernden Strauchwerke des Südens der deutsche Landsmann sein Grab findet!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland