Dritte Fortsetzung

In den Sommermonaten ist das Leben auf der Newa in seiner Art weniger originell; als in jenen des hohen Winters, aber immerhin höchst unterhaltend; eine Morgenfahrt auf den kleinen Dampfern, welche alle Stunden von den Inselorten nach der großen Seite (Petersburg auf dem linken Ufer) abgehen und am Sommergarten anlegen, kann auch für schon verwöhnte Leute als ein Vergnügen gelten, da die Aussichten fortwährend wechseln, wie die ab- und zugehende kleine Reisegesellschaft.

Diese für den Verkehr zwischen den Stadtteilen und Inseln bestimmten Dampfer sind nicht gedeckt, und bieten für höchstens dreißig bis vierzig Personen Raum. In der Mitte steht die Dampfmaschine von der Größe eines Kochofens, das ganze Personal beschränkt sich auf zwei Köpfe, den Steuermann und Heizer. Verschiedene Plätze gibt es selbstverständlich in diesem kleinen Raume nicht, der einfache Brettsitz ist für alle Passagiere gleich, wie die herrliche Morgenluft von jedem mit dem gleichen Hochgenüsse eingeatmet wird.


Fahren wir z. B. von den Datschen Krestowskys auf dem schmäleren Arme, der diese Insel von Yelagin trennt, weg, so liegen links von uns die schönen Baumgruppen dieser Petersburger Lieblingspromenade; sobald wir dann in die kleine Newka einbiegen, begleiten uns links die mannigfaltigen Landsitze von Kamenoi-Ostrow, rechts die reizenden Sommerwohnungen der Apothekerinsel. Übergehend auf das bereits mächtige Gewässer der großen Newka, begrüßen uns die schon stattlichen Gebäude der Wiborg'schen Seite; in der Nähe des Feuerwachtturmes legen wir zum zweiten Male an, geben Passagiere ab gegen andere, wenden sofort, um, über den breiten Strom setzend, bei der großen Kaserne der Petersburger Seite dasselbe zu tun.

Wo unser Boot dann aus dem bisherigen Seitenarme in den Hauptstrom, die große Newa, eintritt, bietet sich ein Anblick, welcher, wenn auch öfter schon genossen, stets wieder durch seine Großartigkeit neu überrascht.

Der ganze Quai der großen Seite, vom taurischen bis zum Winterpalast breitet sich mit einem Male vor unseren Blicken aus, eine fast unabsehbare Keine von Palästen, welche sich gegenseitig zu übertreffen suchen, entwickelt sich mehr und mehr, so dass wir mit Bedauern gewahren, wie unsere pfeilschnelle Dampfschaluppe, — allzu rasch für den herrlichen Anblick, — dem jenseitigen Ufer, der Treppe am kaiserlichen Sommergarten sich nähert. Die zurückgelegte Strecke mag in Folge der Krümmungen zwei Wegstunden betragen haben, allein die dreißig Minuten, welche wir dazu brauchten, flogen wohl schneller vorüber, als wir es wünschen mochten.

Auf der Newa besteht eine eigene Strompolizei. Oft begegnet man einem kleinen Kahn mit zwei Ruderleuten in der Matrosentracht und einem Polizei-Beamten, welcher nach Gutdünken den Dampfer halten lässt, einsteigt, die, wenn auch kleine Schiffsmannschaft — Steuermann und Heizer — mustert, an den Aus- und Einsteigepunkten die Rapporte seiner Untergebenen einnimmt, und ebenso beliebig sein Boot besteigend, den Dampfer wieder verlässt.

Während unserer Anwesenheit zu Petersburg, welche in den Monat Juli des verflossenen Jahres fiel, war der Hof, wie aus den Zeitungen bekannt, mit geringen Ausnahmen im Ausland. Die sämtlichen Regimenter des in Petersburg stehenden Garde-Corps befanden sieb im Lager von Krasnoe-Sselo konzentriert. Um diese prächtigen Truppen in größeren Abteilungen vereinigt zu sehen, war mithin dieser Monat ungünstig gewählt, sofern nicht der Besuch des Lagers selbst, dessen Hauptquartier Krasnoe-Sselo mittelst Eisenbahn in weniger als zwei Stunden erreicht wird, ins Werk gesetzt werden wollte, aber ein nicht uniformierter Zuschauer spielt bei Manövern überall eine so traurige Rolle, dass er um diese alte Erfahrung neu bestätigt zu sehen, nicht einige hundert Stunden weit zu reisen braucht, und in der Residenzstadt selbst seine kostbare Zeit besser verwenden kann.

Die Krasnoe-Sselo-Bahn ist eine Abzweigung der Peterhofer Bahn, welche in einer Länge von 38 Werst die Residenzstadt mit den Schlössern Peterhof und Oranienbaum verbindet. Bei der Station Ligowa verlässt das Geleise nach Krasnoe-Sselo die Hauptbahn. Es ist 12 Werste lang, — wurde 1859 eröffnet, und ist im Besitze der Peterhofer Eisenbahngesellschaft, obgleich die fragliche Bahnstrecke vorherrschend militärischen Zwecken ihre Entstehung verdankt.

Es schien, dass in Abwesenheit der eigentlich ständigen Garnison aus den zahlreichen Regimentern des Garde-Corps, — Infanterie-Regimenter der Linie die einzigen in der Hauptstadt anwesenden Truppenkörper waren.

Was wir in Abteilungen hiervon begegneten, waren meist kleine, blonde Leute, stramm in Haltung, sehr gut gekleidet, im dunklen, russisch-grünen Waffenrocke, weiten Pumphosen von weißer Leinwand in Waden stiefeln, und Tuchkäppis französischen Schnittes, mit kleinen herabhängenden schwarzen Rosshaarbüschen. In einzelnen Individuen war dagegen die ausmarschierte Garnison auf der Straße immerhin reichlich vertreten, namentlich konnte man Offizieren jeder Waffe und jeden Ranges, zu Wagen und zu Fuß zahlreich begegnen, meistens schöne militärische Gestalten, elegant uniformiert und reich dekoriert, wie es der Glanz eines kaiserlich russischen Corps der Garde erwarten lässt. Die Gradauszeichnungen befinden sich wie bei dem Heere des nunmehrigen deutschen Reiches auf den Epauletten und Feldachselstücken, wenn auch mit einigen Modifikationen.

Da begegnete man Generalen in glänzenden Equipagen, dann Offizieren der Garde-Kosaken, dann der Garde-Dragoner im Raupenhelme mit hinten herabhängendem rotem Tuchbeutel, ebenso solchen der finnischen Scharfschützen (in welchen das Großfürstentum ausschließlich sein Kontingent stellt) — des Paulow'schen und Preobrasensk'schen Garde Regiments u. s. w., so dass die Residenz deshalb noch immer als in militärischer Beziehung verwaist nicht betrachtet werden konnte, wenn auch der malerische Anblick, welchen größere, unter militärischer Musik vorüberziehende Truppenkörper auf den prächtigen breiten Avenuen Petersburgs machen müssen, wegfiel. Am häufigsten vertreten war die Marine, deren Truppen, abweichend von der ziemlich annähernd gleichen Uniformierung der übrigen europäischen Truppen zur See, weiße Mützen tragen.

Militär-Kapellen hatten wir nur zweimal Gelegenheit zu hören, die Blechmusik eines Infanterie-Regiments und jene einer Abteilung der Flotte, welche sich gegen Entree produzierten.

Auch ohne das Gewühl der herrschaftlichen Equipagen, der Droschken; der schweren Lastwägen und regulär fahrenden Omnibus , auch ohne die Buntfarbigkeit der Militär- und Zivil-Uniformen (die Schüler der höheren Lehranstalten , Latein- und Realschulen , Gymnasien sind alle uniformiert, dunkelblau mit kleinen Stickereien an Kragen und Mütze); welche sich durch die flottierende Menge drängen, bietet sich dem Flaneur eine reiche Ausbeute, sofern er den verschiedenen prächtigen Auslagen der Magazine; den Passagen und Kaufhäusern, bis hinab zu den schwimmenden Fischbuden und Holzmassen auf der Fontanka seine Aufmerksamkeit schenkt.

Die schönsten und geschmackvollsten Läden besitzt wohl der Newsky-Prospekt in seinem elegantesten Teile; vom Admiralitätsplatze, bis zur Annitschkow'schen Brücke, welche letztere mit kolossalen Bronze-Gruppen, vier Pferdebändigern in stets andern Stellungen geschmückt ist. Bis hierher ist auch die lohnendste Promenade und gestatten die besonders breiten Trottoirs ohne fortwährende Belästigung die ausgestellten Schätze in Augenschein zu nehmen, eine Unterhaltung; welche dem Fremden z. B. in London sehr verkümmert und durch das Achselklopfen des Polizeimannes in den engen Straßen der City unmöglich gemacht wird.

In den Schaufenstern der Läden sind fast überall die Preise der ausgestellten Gegenstände angegeben, und wer nicht gezwungen ist, Einkäufe zu machen, kann es nur sehr amüsant finden, die Petersburger Anschauung über den Wert eines Rubels — (1 Silberrubel = 1 Thaler 2 Groschen 6 Pfennige preußisch = 1 Gulden vierundfünfzig Kreuzer süddeutsch, oder 3 Mark fünfundzwanzig Pfennige neuer deutscher Reichswährung) — gegenüber dem eines Thalers oder gar Guldens in Deutschland zu vergleichen. Der einfachste runde Filzhut, welcher in Frankfurt oder München sechs Gulden kostet, ist hier mit sieben bis neun Rubeln angesetzt, in gleicher Weise Handschuhe und namentlich Herrenkleider aller Rubriken. An der Spitze stehen die feineren Pelzwaren, welche wirklich zu einer auffallenden Höhe getrieben sind, obgleich die arktische und nördliche Zone Russlands, — vermittelt durch die berühmten Messen in Nischnei-Nowgorod, grade diese Artikel in Menge liefert. Was nur der Luxus in Meublements, Goldwaren, Brillanten und sonstigen Erzeugnissen der Joaillerie, Arbeiten in Malachit, Alabaster, Bronze und Glas, in Kupferstichen und Photographien erdenken und wünschen kann, ist vorhanden und findet sein kaufendes Publikum in dem Adel und der reichen Kaufmannschaft Petersburgs, wo allerdings um den Preis nicht gemarktet wird, und die in den sieben Farben des Regenbogens spielenden „Hundert-Rubel-Noten" wie kleine Münzen kursieren.

Zwischen der kleinen, von Andächtigen stets umlagerten Kapelle, gegenüber der armenischen Kirche und neben dem Gebäude der kaiserlichen Bibliothek, steht der Gostinoi-Dwor, ein großes Trapezoid, wo sich unter einfachen Arkaden Laden an Laden reiht, welche jedoch in Hinsicht auf Raum und Eleganz hinter den übrigen Magazinen des Newsky-Prospektes zurückstehen. Hier sind die Kaufleute und Detaillisten, welche dem Mittelstande seine Bedürfnisse liefern, Gegenstände der Damen-Toilette, Stoffe, Saffian und Juchten, Stickereien, Kirchen-Paramente, Heiligenbilder in getriebenem Metall, vergoldet und versilbert, aber stets mit platten, gemalten Gesichtern (die russisch-griechische Kirche verpönt bekanntlich die Darstellung Christi und der Heiligen in vollständiger Plastik): daneben Ausstellungen von militärischen Equipierungsstücken, vergoldeten Helmen, Kürassen, Epauletten, Orden aller Klassen u. s. w.

Hat man diesen Bazar in seinen Hauptseiten und Mittelgängen durchstreift, so gelangt man gleich dahinter unvermerkt in den Apraxin-Ruinok, welcher in ebenfalls langen Reihen von einzelnen Verkaufslokalen seine minder wohlgefälligen Artikel ausbreitet und sich endlich in einen Trödelmarkt verliert, welcher — abgesehen von den charakteristischen Kostümen der hier sich umtreibenden Bevölkerung — von den Stapelplätzen des alten Plunders anderer Großstädte nicht unterschieden ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland