Zweites Kapitel

Petersburg von der Newa gesehen. — Bauart. — Sommergarten. — Winter-Palast. — Eremitage. — Peter Paulskirche in der Festung. — Kasan'sche Kirche. — Isaaks-Kirche. — Monumente. — Das Leben der Straße. — Fuhrwerk. — Kleinhandel. — Läden und Kaufhaus. — Italienische Nächte an der Newa.

Über den Begriff der Schönheit einer Stadt lässt sich überhaupt verschiedener Ansicht sein. Wem kam es nicht schon vor, dass bei Abhandlung des beliebten Themas der Reisen der von Paris Zurückgekehrte die Wunder der champs élysées , der von Wien Entzückte die Pracht des Kärnthner Rings, der Berliner die Herrlichkeiten seiner „Unter den Linden" obenan stellte, und Jeder seinem protegierten Lieblinge die Palme zuerkennen wollte? Wohl öfter als einmal mischte sich dann vielleicht Einer aus der Ecke in das Gespräch, und warf als einer der selteneren Besucher der russischen Residenz den Trumpf zu, dass immerhin Petersburg die prächtigste Hauptstadt Europas sei und bleibe.


Die volle Berechtigung dieses Urteiles will wohl nicht sofort einleuchten, und konnten auch wir sie in der Regel ehedem nicht teilen. Warum soll eine Masse von Häusern, auf eine sterile, vormals sumpfige Fläche zusammengebaut, und — wahrscheinlich mit ängstlicher Regelmäßigkeit! — grade dieses Prädikat für sich in Anspruch nehmen dürfen?

Gerade, lange Straßen finden wir ja auch in Turin und Berlin, — die nahe, blaue See in Neapel, Stockholm und Kopenhagen, — bewundernswerte Paläste in Florenz und Rom, — elegante Bazars in Brüssel, Paris und Wien, — prächtige Reitpferde und Equipagen, tausend Masten und Seefahrer aus allen Teilen der Erde in London!

Allerdings fanden wir annähernd Gleiches allenthalben, zerstreut, aber doch nur in Petersburg vereinigt. Ihm gebührt der Apfel!

Die Gründung Petersburgs fällt in die ersten Jahre des achtzehnten Jahrhunderts. Der damals achtundzwanzigjährige Zar, Peter der Große (geboren am 30. Mai a. St. 1672), trug unter den vielseitigen Plänen, welche seine Seele erfüllten, mit besonderer Neigung die Umwandlung seines russischen Binnenvolkes in eine mächtige seefahrende Nation in sich. Auf dieses Ziel strebten jahrelange Studien und Versuche hin; um dieses zu erreichen, warf er kriegerische Blicke nach der Ostsee und dem Schwarzen Meere, welche seinen projektierten Handelsverbindungen zugänglich zu machen, seinem nimmer ruhenden Geiste ein Gebot der Notwendigkeit schien!

Dem Mutigen gehört die Welt! Im Jahre 1696 entriss Peter den Türken Asow am Schwarzen Meere; — 1702 pflanzte er seine Fahne auf die Wälle der kleinen damals schwedischen Festung Nyenschanz, am Einfluss der Newa in die Ostsee, und vereinigte die Provinzen Ingermannland und Karelien mit seinem Reiche. Dem wohldurchdachten Plane war die kühne Tat gefolgt, und Russland hatte festen Fuß gefasst am Gestade zweier Meere.

Auf der Petersburger Seite, unfern der Newa und der Troizki-Brücke steht ein kleines, hölzernes Haus nach holländischer Einrichtung, — rot angestrichen, mit hellgrünem Dache. Ein Gitter umgibt es, Wächter hüten es, obgleich keine Schätze darin aufgespeichert sind. Aber die Erinnerung hat es geheiligt. Peter der Große hat es bewohnt, von hier aus leitete der kaiserliche Baumeister, anspruchslos in allen Bedürfnissen des Lebens, persönlich den Bau seiner Festung auf der Insel der Newa, welche er St. Petersburg nannte. Erst während des Entstehens derselben tauchte in ihm der Plan auf, eine völlig neue, großartige Stadt damit zu verbinden. Rasch krönte den Gedanken die Tat. Im Jahre 1703 wurde der Grundstein zur Festung gelegt, nach vier Monaten war sie schon sturmfrei und spiegelte ihre sauber gemauerten Bastionen in der blauen Newa-Flut!

Im Jahre 1705 zählte der Stadtteil Wassili-Ostrow schon viele Privathäuser, und begann der Bau auf der Petersburger- und Admiralitäts-Seite. Der Plan, den erst genannten Stadtteil welcher quadratförmig angelegt ist; um ihn Amsterdam ähnlich zu machen, mit Kanälen zu versehen, und dadurch die Verladung der Waren vor jedem Kaufmanns Magazine zu ermöglichen, scheint bald aufgegeben worden zu sein, die begonnenen Kanäle wurden zugeschüttet, und in den prächtigen Straßenzeilen haben stattliche Wohngebäude die Warenräume in den Hof zurückgedrängt.

Im Jahre 1710 wurde schon die Vermählung der Nichte Peters mit dem Herzog von Kurland in der neuerbauten Stadt gefeiert. Der Gedanke, seinen Lieblingsplan durchgeführt zu sehen und Palast um Palast vor seinen Augen emporwachsen zu schauen, machte ihn so glücklich, dass er sich entschloss, hier seine künftige Residenz aufzuschlagen. Die Erhebung Petersburgs zur Residenzstadt datiert vom Jahre 1712.

Unter den Großstädten Europas ist mithin Petersburg unbestritten die jüngste, unter den Residenzen dagegen die vorletzte, da ihre im Wachstum etwas zurückgebliebene, noch jüngere Schwester, „Karlsruhe" nicht viel über hundert Jahre zählt.

Mehr und mehr nahm Petersburg zu unter der zwanzigjährigen Regierung von Peters Tochter und Nachfolgerin, Elisabeth Petrowna, geboren 1710, gestorben 1762. Mit jedem Jahre wuchs die Zahl der nach der neuen Hauptstadt für den Winter zuziehenden oder ständig übersiedelnden Gutsbesitzer und Edelleute. Namentlich diese wählten zwischen der Moskauer Seite und Fontanka ihre Wohnplätze. In Folge dieser stets wachsenden Bauten hörte um 1730 Wassili-Ostrow auf der dominierende Teil zu sein, und der Schwerpunkt Petersburgs wurde auf die Stadtteile des linken Ufers, deren Zentrum das kaiserliche Residenzschloss, — übergetragen.

Kadetten-Corps, — Ritter-Akademie, — Reitschulen und die großen kaiserlichen Stallungen an der Moika wurden 1721 — 1733 gebaut. Letztere, heute noch bestehend, sind von so ungeheurem Umfange, dass für das zahlreich dort untergebrachte Personal des Hofstall-Ressorts eine eigene Kirche, — die „Stallkirche" aufgeführt wurde.

Etwa zur selben Zeit erhielt auch (1742) das Ssemenow'sche Garde-Regiment, dessen weitläufige Kasernen und noch weit ausgedehnterer Exerzier- und Parade-Platz (Ssemenowskoi-Platz-Parad) beim jetzigen Warschauer Bahnhofe am Süd-Ende der Stadt liegen, seine eigene Kirche, wie ja auch das Preobrasenskysche Garde-Regiment heute noch an der Erlöserstraße sein eigenes Bethaus als selbstständige Regiments-Kirche (Spass-Preobrasensky-Sabor) besitzt. Schon ihr Äußeres trägt militärisches Gepräge; das ihren Hofraum umgebende Gitter ist aus zweihundert erbeuteten türkischen und französischen Kanonenrohren zusammengesetzt, um welche sich zierlich geschwungene Ketten schlingen, das Innere schmücken Trophäen von allerlei besiegten Völkern.

Der erste große Brand, welcher Petersburg heimsuchte, 1736, hatte mehrere kaiserliche Verordnungen zur Folge, welche die, in Folge des raschen Anwachsens der Stadt nicht zu vermeidenden Missstände zu beseitigen geeignet waren. Die mangelhafte Straßenbeleuchtung wurde verbessert, dadurch der Sicherheit der Person und des Eigentums ein mächtiger Vorschub geleistet; das Steinpflaster, welches bis jetzt auf die Plätze vor dem Winterpalast und dem Posthause sich beschränkt hatte, wurde auf die übrigen Straßen ausgedehnt. Die Bauart der Häuser, welche in den ersten Dezennien eine sehr einfache genannt werden musste, ließ einen zunehmenden Luxus wahrnehmen. Es mehrte sich die Zahl der zweistöckigen Häuser, — deren Paradesäle das Licht oft aus zwei Reihen hoher über einander befindlicher Fenster erhielten, die Fassaden zierte reiche Stuckatur-Arbeit, teilweise vergoldet, die Fenstereinfassungen wurden aus schwerem Eichenholz verfertigt, in welche helle, böhmische Glasscheiben gefügt, dem Ganzen einen stattlichen Anstrich gaben.

Große Balkone, welche ganzen Gesellschaften Platz geben, wurden hergestellt und boten ihre Räume der nordischen Liebhaberei, Haus und Hof, Treppen und Salons; Altane und Vestibül mit einem Reichtum von Blumen zu schmücken.

Die häufigen Feuersbrünste bewogen ferner die Regierung, vom Systeme, die Häuser dicht an einander zu bauen, abzugehen, die isolierte Stellung aller Neubauten zu verordnen, und die Bestimmung zu treffen, dass vom Jahre 1739 an, auf der Admiralitäts-Seite nur aus Ziegelstein errichtete Gebäude aufgeführt werden durften, während dieses für die übrigen Stadtteile gar nicht, auf Wassili-Ostrow nur für die Quais und ersten Linien obligatorisch sein sollte.

Auch die „Datschen“ — die in ihrer Art nur Petersburg eigentümlichen Villen, für die ausschließliche Benützung in der heißen Jahreszeit — verdanken dieser Zeitperiode ihre Entstehung. Wir werden am Schluss dieses Abschnittes noch auf dieselben zurückkommen. Schon die moskowitischen Herrscher, vor Peter dem Großen, hatten die Gewohnheit, im Hoch-Sommer nicht den Kreml zu bewohnen, sondern in eines der um Moskau liegenden Dörfer überzusiedeln.

Die erste Datsche, ein Sommerhaus mit weitläufigem Garten, erbaute sich Roumjanzow an der Fontanka. Ebenso war unter den ersten die Datsche des Generals Dupré, in der Gegend des heutigen Wosnessensky-Prospektes gelegen, wo jetzt der Yussupow'sche Garten ist. Häufig wurden die Grundstücke zur Erbauung vom Kaiser geschenkt, da der Boden wertlos, und die schnelle Zunahme der Stadt in jeder Hinsicht zu fördern, sein aufrichtiges Bestreben war.

Mit Anfang der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erst, als von Seite des Hofes der Anstoß hierzu gegeben worden, fand man für geeigneter, die Landsitze aus den sumpfigen Umgebungen der Kanäle an die Peterhof'sche Straße zu verlegen, umso mehr, als der kaiserliche Haushalt für die Sommer-Monate von da ab in Peterhof seinen Aufenthalt nahm.

Unserer Meinung nach sollte man, um das herrliche Bild von Petersburg in seiner vorteilhaftesten Auffassung zu gewinnen, zur See ankommen, etwa von Kronstadt oder Peterhof her, weil sich vom Eintritte in die Newamündung an, mit jeder Schraubendrehung des Dampfers dasselbe mehr und mehr entwickelt.

Etwa drei deutsche Meilen von der Küste, d. h. dem Ausfluss des Stromes in den Finnischen Meerbusen, taucht als erstes sichtbares Merkmal der nordischen Metropole die Riesenkuppel der Isaaks-Kirche auf, welche als eine goldene Kugel über den Wassern schwimmt, wenn die Küste selbst noch lange nicht in unsern Gesichtskreis getreten ist. Schon dieses erste Wahrzeichen lässt uns ahnen, wie in einzelnen Anklängen die Zauber des Orients, in den Norden herübergetragen, uns überraschen werden.

Allmählich steigen die westlichen Stadtteile, links Wassili-Ostrow, rechts die Admiralitätsseite aus der blauen Flut, welche sich nun bald zum mächtigen Strome verengt, an dessen prächtigen Granit-Quais, soweit das Auge reicht, Dampfschiffe und Kauffahrer in buntem Gemische sich aneinander reihen. In der Nähe der steinernen Nikolai-Brücke mehren sich die Paläste und Prachtbauten, so dass die angestrengteste Aufmerksamkeit nötig wird, auf beiden Seiten dem stets neu Erscheinenden sich zuzuwenden. Obgleich der Arm, auf welchem wir uns nun befinden, die „große Newa" heißt, führt er hier etwa nur ein gutes Drittheil der Hauptwassermasse, mit welcher die Newa oberhalb des Alexander-Newsky-Klosters in den Stadtkomplex einströmt, herab.

Unter den öffentlichen Gebäuden tritt nun zuerst links die Akademie der Künste auf, vor ihr an der Quai-Mauer die zwei kolossalen, aus Ägypten gebrachten Sphinxe, dann folgt der Rumjanzow-Square mit seinem hohen Obelisk aus grünem Marmor mit goldener Kugel, — die lange Front des kaiserlichen ersten Kadetten-Korps, die Akademie der Wissenschaften, dann die Börse mit ihren zwei hohen Säulen, letztere durch gegossene Schiffsschnäbel verziert!

Rechts die schönen Bauten längs des englischen Quais, der Petersplatz mit dem Gebäude der Synode, der Isaakskirche und dem Monumente Peter' s des Großen im Vordergrunde, daneben die alte Admiralität mit dem weit sichtbaren, vergoldeten Spitzdache des Turmes, dann der Winterpalast, die Eremitage (ein zur Gemälde-Galerie umgewandelter Palast), — das kaiserliche Hoftheater, noch andere Paläste von Großfürsten, das Marinor-Palais, das ungeheure Marsfeld mit der Statue Suwarows am Quai, der kaiserliche Sommergarten mit seiner reichvergoldeten Marmorkapelle im Vordergrunde, dann weiter aufwärts der Taurische Palast u. s. w.

An der Troizki (Dreifaltigkeits-) Brücke wollen wir, als am Mittelpunkte der Stadt angelangt, in Gedanken einen Augenblick anhalten.

Wir sind jetzt an der Stelle, wo die Newa sich entschließt, ihre mächtige Wassermasse teilweise abzugeben, und ihres Überflusses sich entledigend, rechts die Newka und die kleine Newa, links die Fontanka abzuzweigen. Hier beträgt ihre größte Breite etwa einen Werst, den siebenten Teil einer deutschen Meile über 3.600 Fuß oder gegen 1.500 Schritte. Keine zweite Stadt Europas wird von einem solchen mächtigen Gewässer durchströmt. Die Donau bei Buda-Pesth zählt nur 2.000, der Rhein bei Köln nur 1.300 Fuß.

Zur Linken schwimmt nun die Festungsinsel, mit ihren aus dem Wasser aufsteigenden Bastionen, dahinter ihr hoher Kirchturm, dessen letzte 150 Fuß eine vergoldete Spitze bilden, welche wie eine neuvergoldete Federmesserklinge in den blauen Äther ragt. Auf der Wyborger Seite (ebenfalls links) schließt sich hieran die langgedehnte Front der Klinik, während vor uns, in mindestens fast stundenweiter Entfernung, am Ostende Petersburgs, die prächtige Kirche des Smolnoi-Klosters, mit ihren fünf indigoblauen Kuppeln himmelanstrebend, das Rundbild abschließt.

Die hervorragende Schönheit Petersburgs gipfelt in den richtigen Verhältnissen zwischen Strom, Straßen und Plätzen, zusammengefasst in der „großartig durchgeführten Raumverschwendung", welche alle diese Riesenbauten erst ganz ins Licht treten und würdigen lässt. Peter der Große hat mit dem Gedanken, an dieser Stelle die neue Kapitale seines Reiches zu gründen, sicherlich erwogen, dass eine Stadt, welche an beiden Seiten solch' mächtigen Stromes zu stehen sich vermesse, in der ersten Anlage schon von den Dimensionen anderer Städte abstrahieren müsse, sowie, dass man hier nicht mit Quadratruten rechnen und die allmähliche Vergrößerung getrost der Zukunft überlassen könne.

Deshalb finden sich auch hier im ersten Entwurf schon alle Proportionen so kolossal gegriffen, wie nirgends anderwärts, und Petersburg wird nicht wohl in die Notwendigkeit versetzt werden, stückweise Häuser niederreißen und Straßen erweitern zu müssen, um mit diesem Flickwerk die früheren Sünden gegen den guten Geschmack zu korrigieren.

Alle Straßen Petersburgs ohne Ausnahme sind breit und bequem, Winkel- und Sackgässchen sind durchaus unbekannt. Jene ersten Ranges sind die schon oben erwähnten drei, vom Admiralitätsplatze auslaufenden Radien, welche „Prospekte" genannt werden, außerdem die kleine und große „Morskaja", die große und kleine „Millionawa", die „Metschanskaja", und Ssadowaja (Gartenstraße).

Zweiten Ranges sind die „Ulitzen", endlich des dritten die „Pereuloks" (Querstraßen).

Den Vorzug, im großen Ganzen wie aus einem Guss hervorgegangen zu sein, kann ihr keine andere Großstadt streitig machen. Der Unterschied springt schon in der ersten Stunde dem Ankommenden in die Augen, dass in Petersburg nicht, wie in Paris und Wien, um einen alten winkligen Kern die Vorstädte und Boulevards sich ankristallisiert haben, sondern sich in der Übereinstimmung aller seiner Teile ein großartiger verkörperter Gedanke ausspricht.

Wie nun die horizontalen Verhältnisse einerseits der russischen Kaiserstadt mit Recht das Prädikat „imposant" bezüglich des Raumes sich zuerkennen lassen müssen, so fügt sich andrerseits das harmonisch durchgeführte Prinzip, einen Baustil vorherrschen zu lassen, hinzu, ohne sich dennoch zur uniformmäßigen Wiederholung zu verirren.

Die abwerfende Meinung, welche Cüstine in seinem 1843 erschienenen Werke: „Russland im Jahre 1839" über die Architektur Petersburgs und namentlich über die häufige Anwendung des griechischen Stiles an den öffentlichen Gebäuden ausspricht, kann nicht wohl allseitig geteilt werden. Im Gegenteile möchte sich für den häufig benützten Schmuck des Prostylos und des Giebelfeldes keine Stadt besser eignen, als eine solche mit verhältnismäßig niedrigen Gebäuden, wo große freie Plätze und breite Prospekte den Anblick aus geeigneter Entfernung gestatten, und keine nebenangedrängte sechsstöckige schmale Wohnhäuser den breitbasigen Monumentalbau in den Boden drücken.

Ebensowenig lässt sich vom praktischen Standpunkte aus die Anwendung von Säulenstellungen an der Fassade — als mit dem Klima des Nordens unvereinbar, weil vom Süden entlehnt, — verwerfen. Eine Verordnung, welche dem sechzigsten Grade der nördlichen Breite das pompejanische Haus mit seinen gegen das Atrium offenen Wohnräumen und das Impluvium aufzwingen wollte, würde unausführbar in einem Klima, wo im Winter auf den öffentlichen Plätzen und vor den Theatern eiserne Öfen geheizt werden, damit die wartenden Kutscher nicht erfrieren. Aber die Ausschmückung öffentlicher Bauten mittelst mächtiger Monolithe an der Fassade, wodurch die lange Reihe der bürgerlichen Wohnhäuser wohltuend unterbrochen wird, verleiht im Vereine mit den zahlreichen Kirchen des griechischen Kultus und ihrem symmetrischen Kuppelreichtum, dem Ganzen einen gewissen idealen Charakter, welcher über die nüchterne Alltäglichkeit, mit welcher anderwärts jeder Raum ausgenützt wird, oder aller Schmuck sich auf kleinliche Terrakotten-Ornamentik beschränkt, weit erhaben erscheint.

Der äußeren Ausstattung des Petersburger Wohnhauses entspricht auch das Innere. Diese Überzeugung wird sich Jedem aufdrängen, welcher Treppenhaus und Zimmer betritt. Vor der häufigen Enttäuschung, wie sie vielseitig mit dem ersten Schritte in prächtig aussehende Häuser älterer Großstädte uns begegnet, ist man hier bewahrt, da kein altes Gewinkel durch den trügerischen Aufputz einer neuen Fassade im Äußeren den Nachbarn ebenbürtig gemacht, dahinter seine verschobenen Ecken und trapezoidförmigen Räume verbirgt.

Durch die gefälligen Höhenverhältnisse eignen sich die Petersburger Wohnhäuser eine weitere Schönheit an. Da sie aus dem Boden herausgehoben, neben dem Erdgeschosse in der Regel nur noch zwei Stockwerke haben, so ist es ermöglicht, den Zimmern eine angemessene Höhe zu geben.

Wahrlich ein wohltuender Anblick im Vergleiche der modernen Zinshäuser im Kasernenstyle , mit fünf oder sechs sich nach oben stets verjüngenden Stockwerken, und den schmalen, dicht an einander gestellten Fenstern, um möglichst viele kleine Räume zu erzielen und bei der in den deutschen Residenzstädten allseitig herrschenden Wohnungsnot — mittelst progressiver halbjähriger Steigerung den möglichst großen Mietertrag auspressen zu können! Allerdings ist auch in Petersburg das Zinshaus zu finden, und zwar im größten Maßstab, z. B. die Demidow'schen Häuser am Newsky-Prospekte beherbergen über 1.200 Personen — Familien aller Stände, — nur mit dem Unterschiede, dass in ihnen durch Weitläufigkeit erreicht wird, was anderwärts mittelst Anwendung des Zellensystems erstrebt werden will.

Mehr noch als in andern Staaten zentralisiert sich in Russland Alles in den Hauptstädten, zunächst in Petersburg. Der reiche Adel mag aus seinen prächtigen Palästen allerdings ruhig auf das Treiben herabschauen, wie die Residenzstadt, trotz ihrer weiten Ausdehnung, der Unzahl hoher und höchster Beamten, welche die komplizierte Staatsmaschine leiten, bis herunter zum Letzten, welcher sich noch dazu rechnen darf, Obdach zu bieten, fertig wird. Es ist erklärlich, dass die Mieten hoch sind, umso mehr als auch das Bauen aus verschiedenen Gründen, z. B. besonders durch die oft notwendig werdende Fundamentierung auf Rostwerk, sehr teuer kommen soll.

Aus Reichstags- und Kammerverhandlungen ersieht man, dass die Mitglieder der diplomatischen Corps in Petersburg die höchsten Besoldungen beziehen, welche auch in allen Fällen, wo kein dem fremden Staate eigentümliches Gesandtschafts-Palais existiert, schon aus Wohnungsrücksichten wohl motiviert sind.

Eines der ausgedehntesten Wohngebäude ist die „Generalität" dem Winterpalast und der Alexandersäule gegenüber, welche ausschließlich für kaiserliche Generale bestimmt ist. Das Haupttor ziert eine Quadriga des Mars (mit fünf! ehernen Rossen).

Bei dem Quai vor dem Sommergarten, der Hauptstation der kleinen, nach den Inseln fahrenden Dampfer, wollen wir nun aussteigen, und diese beliebte Promenade betreten. Der kaiserliche Sommergarten ist ein langes Rechteck, mit schattigen Alleen, einer großen Menge mythologischer Bildwerke, und dem Denkmale des Fabeldichters Krylow, des russischen Geliert. Die in das Piedestal eingelassenen vier Relieftafeln in Erzguss bieten in buntem Gemische charakteristische Figuren aus seinen Tiergeschichten, so vorzüglich gezeichnet, als ob Kaulbachs Meisterhand in des Humors glücklichster Stunde den Entwurf dazu geliefert hätte. Wenn wir recht berichtet sind, so wurde die schon oben erwähnte Kapelle am Eingange des Gartens, ein in grauem Marmor und reichem Goldschmucke ausgeführtes wahres Bijou, zum Andenken der Errettung des jetzigen Kaisers aus Mörderhand errichtet.

Wie schon Eingangs erwähnt, wollen wir keinen Fremdenführer schreiben, und uns ebenso wenig mit Aufzählung aller Paläste und Kirchen abmühen. Greifen wir mithin aus dem Vielen, was sich bietet, etwas Weniges heraus, z. B. aus den Profanbauten den Winterpalast und die Eremitage, aus den kirchlichen die Festungskirche, die Kasan'sche und die Perle von allen, die Isaakskirche.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland