Dritte Fortsetzung

Viele der hier nebeneinander gereihten Geschützrohre sind zu Krüppeln geschossen. Einzelne haben Stücke an der Mündung verloren, eines hat beide Delphinen, ein anderes beide Schildzapfen eingebüßt. Die lange Flucht der hier ruhenden ehernen Kampfgenossen hat noch etwas Erhebenderes, als alle in den Kirchen aufgehangenen Fahnen, deren Gruppierungen um Säulen weniger ansprechend erscheint, als die stumme Reihe der hier liegenden ehrwürdigen Toten, welche einst so laut und hartnäckig gekämpft haben und nun, in Friedhofsstille vereinigt, auf fremder Erde liegen.

In der Nähe des heiligen Tores auf dem großen „roten Platze", außerhalb des Kremls, fällt ein absonderlicher, unregelmäßiger, in allen Farben spielender, Kirchenbau uns sofort in die Augen, welcher nach den existierenden Abbildungen und Beschreibungen kein anderer als die Kathedralkirche Wassili-Blagennoi sein kann. Keine ihrer Kuppeln, keiner ihrer Türme, ist dem andern gleich, die Dächer sind bald glatt, bald schuppig, dann wieder gewunden. Auf einem verhältnismäßig nur niedrigen Rumpfe bauen sich in grotesker Weise die hochragenden Häupter auf. Der Dom Wassili-Blagennoi gilt als eine Haupt-Wallfahrtskirche der russisch-griechischen Konfession, aus allen Teilen des Reiches strömen das ganze Jahr Pilgerschaar en dahin, um an den Schreinen der Heiligen ihre Andacht zu verrichten, Busse zu tun und ihre Opfergaben niederzulegen.


Sei es uns, ehe wir diese merkwürdige Kirche näher anschauen, gestattet, Lübkes Urteil, wie er es in seinem „Grundrisse der Kunstgeschichte" ausspricht, vorauszuschicken, in gleichem Grade bündig, wie erschöpfend.

„Die russische Architektur hat einen Geist abenteuerlicher Phantastik, der nicht allein jeder Regel spottet, sondern auch dem einfach Schönen, übersichtlich Klaren nach Kräften aus dem Wege geht. Der Grundplan der Gotteshäuser befolgt auch hier die byzantinische Form; Kuppeln und Tonnengewölbe bedecken die Räume, deren Ausstattung prunkvolle Überladung mit Gemälden und kostbaren Steinen zeigt. Ist bei alledem der Eindruck des Innern düster und lastend, so erhebt sich das Äußere zu einer so ausschweifenden, phantastischen Überfülle, wird so gänzlich von Kuppeln, Türmen und Kuppeltürmen erdrückt, die in grellen Farben und reicher Vergoldung blitzen, dass das Auge in dem märchenhaften Wirrwarr sich verirrt. Barbarisch verwilderte Ornamente gesellen sich zu dieser an sich schon überaus bunten Massenentwicklung, und vermischen sich im Laufe der Zeit mit den Bauformen des abendländischen Mittelalters und später mit den Details der italienischen Renaissance zu einem tollen architektonischen Quodlibet. Das gepriesene Hauptwerk ist die 1554 erbaute Kirche „Wassili-Blagennoi zu Moskau, aus deren niedrigem Körper eine Unzahl von Kuppeln und Türmen, wie ein Knäuel glitzernder Riesenpilze aufragt."

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland