Zweite Fortsetzung

Gegen Mittag glänzen die weißen Mauern und Zinnen, die Kuppeln und Türme der ansehnlich befestigten Stadt Smolensk, links auf der Höhe hingestreckt, herüber, des ersten bedeutenden Punktes auf dieser 56 Meilen langen Strecke, welche wir seit Moskau zurückgelegt. Smolensk (über 22.000 E.) breitet sich auf beiden Seiten des Dnjepr aus, dessen auf dem rechten Ufer niedrig gelegener Teil die Petersburger Vorstadt heißt, und in welcher jetzt der ausgedehnte Bahnhof Platz gefunden hat.

In dem dreitägigen Kampfe um den Besitz von Smolensk, am 17., 18. und 19. August 1812 (nach russischem Kalender am 5., 6. und 7.), war der größte Teil der Stadt in Flammen aufgegangen und zwanzig Tausend Tote und Verwundete deckten die Wahlstatt. Obgleich beide Heere, wie drei Wochen später bei Mosaisk, so auch hier mit der äußersten Tapferkeit sich geschlagen hatten, blieb nach Einnahme des Platzes unter allen Gesichtspunkten der Vorteil auf Seite der Franzosen. Trotz der erlittenen Verluste und der teuer erkauften günstigeren Lage hatte Napoleon wenigstens insoweit Luft bekommen, dass er die Nachhut der gegen Moskau abziehenden Armee drängen konnte, und Barklay dadurch noch einmal zwischen Walutina Gora und Lubino zu einem blutigen Treffen zwang.


Westlich von Smolensk beginnt das eigentliche Waldland, welches nunmehr die Hälfte allen Areals des großen, an Flächeninhalt dem Königreiche Böhmen gleichkommenden Gouvernements dieses Namens bedeckt. Nur selten von einer kleinen Bahnstation, wo stets unabsehbare Massen zu Scheitern verarbeiteten Brennholzes aufgeschichtet sind, aufgehalten, schnaubt die Lokomotive unermüdet durch schnurgerade ausgehauene Föhrenschläge; welche dem Auge nicht die mindeste Abwechslung bieten, dem Westen zu.

Häutig unterbrechen schwärzliche Sandmeere, Hunderte von Tagwerken groß, aus welchen nur einzelne, dürre, kronenlose Stangen hervorragen, den dichten Baumwuchs. Es sind die Stellen, wo langwährende Waldbrände ungehindert ihr Spiel getrieben haben. So sehr sie auch im Anfange durch die großen Dimensionen der zerstörten Flächen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen müssen, so wenig vermögen sie, bei so häufiger Wiederholung, mit ihrem unendlich traurigen Anblicke das Auge zu fesseln Man wird sich aus den Zeitungen erinnern, dass das Brennen großer Waldkomplexe im westlichen Russland vor etwa zwei Jahren zu einer Bedenken erregenden Höhe stieg.

Angesichts dieser sterilen Länderstriche wird es einem erst recht einleuchtend, welches Wagestück von nicht zu berechnender Tragweite Napoleon I. , übermütig im Taumel kriegerischer Erfolge, mit seiner Kriegserklärung an Russland eigentlich unternommen hatte.

Auch ohne die Mitwirkung der 1812 außerordentlichen, seine Truppen dezimierenden Kälte, auf deren vorzeitigen Eintritt er allerdings nicht zählen konnte, da sie nach der von ihm angeordneten Zusammenstellung der mittleren Temperatur in den verschiedenen Monaten der zwanzig vorausgegangenen Jahre nicht anzunehmen war, musste schon die Verpflegung solch' riesiger Massen, trotz der in Litauen, namentlich um Wilna, aufgehäuften Vorräte, als eine fast unlösliche Aufgabe erscheinen.

Selbst dem heutigen, der Vollkommenheit ziemlich nahegerückten, preußischen Etappenwesen (wenn die damaligen Armeen sich eines solchen nur in seiner primitivsten Organisation hätten erfreuen dürfen!) würden diese menschenleeren, außer Holz fast nichts produzierenden weiten Einöden große Schwierigkeiten bereitet haben. Der Kurierzug fährt stundenlang, bis eine kleine Ortschaft, aus schwärzlich verwitterten Balken und Brettern gezimmert, uns begegnet, Hütten, welche keinen Zweifel aufkommen lassen, dass sie nicht viel mehr als das nackte Leben der Inwohner bergen können, und wo schon der Begriff einer Requisition als Hohn erscheint!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland