Erste Fortsetzung

Schon im Jahre 1871 war Moskau der bedeutendste Knotenpunkt der Eisenbahnen Russlands. Sechs vollständig im Betrieb stehende Bahnen treffen dort zusammen, und alle von hervorragender Wichtigkeit. Vom Nordwesten her die Nikolai-Bahn; vom Nordosten jene von Jaroslaw, in der Richtung gegen Archangelsk; von Osten jene vom bekannten Handelsplatze Nischnei-Nowgorod; von Südosten jene von Saratow, von dem südlichen Wolgagebiete und Nowo-Tscherkask am Asowschen Meere; von Süden jene von Odessa; endlich vom Westen jene von Warschau und Riga, welche sich in Smolensk vereinigen.

Der Personenverkehr aus dem Innern des russischen Reiches nach der Westgrenze, nach Deutschland und den österreichischen Staaten, beschränkt sich zur Zeit noch auf vier durchgehende Bahnen und ebensoviele Grenzübergangspunkte „Wirballen, Alexandrowsk, — Granicza (Szczakowa) — und endlich Podwolzk". Mithin fällt jeder dieser Bahnen eine bedeutende Aufgabe zu, und die einzelnen Züge sind um so stärker besetzt, als höchstens drei in vierundzwanzig Stunden nach beiden Richtungen abgehen.


Der Lokalverkehr ist, mit Ausnahme der Moskau zunächst gelegenen Stationen, jedoch unbedeutend; und wird mit der Abfertigung an einzelnen Haltstellen wenig Zeit verloren. Auf jeder, auch der unbedeutendsten Eisenbahnstation wird der Reisende mindestens zwei Bewaffnete auf dem Perron gewahr werden. Es sind diese jedoch nicht immer Leute der Gensdarmerie, (welche zwar in allen Gouvernements in kleinen Abtheilungen verschiedener Größe, vorzugsweise im Nordwesten des Reiches und Polen disloziert sind, wenn auch im Ganzen für die Ausdehnung der russischen Ländermasse nach Verhältnis wenig zahlreich), — sie gehören vielmehr häufig den Distrikts- und Etappen-Kommandos an. Letztere sind keine ephemeren Stellen für Kriegsdauer, wie im deutschen Heere, sondern ständige militärische Behörden, welchen die Aufrechthaltung der inneren Ordnung und Sicherheit, der Transport und die Bewachung Gefangener u. s. w. übertragen ist, und zu diesem Zwecke Abteilungen von 40 bis 400 Mann zur Disposition haben, die Gensdarmerie in ihrem Dienste zu unterstützen.

So lange wir uns noch innerhalb des Gouvernements Moskau befinden, welches unter die stärker bevölkerten , reich bebauten und an Wald ärmeren zählt verursachen blühende Dörfer bisweilen einen kurzen Aufenthalt, zu welchem jedoch nach einigen Stunden immer seltener Anlass gegeben ist.

Etwa fünf Zeitstunden, nachdem unser Zug Moskau verlassen hat, bemerkt man ungefähr tausend Schritte von der Eisenbahnstation, rechts auf der Höhe eine große, weiße Kirche. Es ist Mosaisk, in dessen Nähe am 7. September 1812 der Riesenkampf gekämpft wurde, welchen die Russen die „Schlacht von Borodino" die Franzosen dagegen, die „Schlacht an der Moskwa“ nennen.

Nach dem Rückzüge von Smolensk hatte Kutusow die vorzügliche Position, welche hier das waldige Hügelland am rechten Ufer der Kolozka vor ihrem Einflüsse in die Moskwa bietet, mit fünf mächtigen Verschanzungen verstärkt und verlegte mit 140,000 Mann der heranziehenden französischen Hauptarmee die große Heerstraße von Smolensk nach Moskau.

Die mit Gebüsche besetzten Ufer des kleinen Flusses maskierten die aufgepflanzten Batterien, hinter welchen Kutusow sein Feldlager aufgeschlagen hatte, und das feindliche Heer erwartete.

Es ist bekannt; dass nach blutigem Ringen, und nachdem die Verschanzungen genommen, teilweise verloren und wieder genommen waren, nachdem mit der zähesten Ausdauer auf beiden Seiten gefochten worden, am Abende die Franzosen den größten Teil des Schlachtfeldes inne hatten, welches über fünfzig Tausend Tote und Verwundete aus beiden Heeren bedeckten. Der geordnete Rückzug der Russen am 8. früh über Mosaik wurde von Napoleon nicht mehr behindert.

Das eigentliche zentrale Schlachtfeld, wie auch das Dorf Borodino selbst lässt sich von der Eisenbahnstation Mosaisk nicht wahrnehmen. Letzteres mag etwa eine Meile entfernt sein, und wird durch die größtenteils waldigen niedrigen Hügel auf dem rechten Ufer von Kolozka und Moskwa verdeckt. Wo jetzt die Moskau-Smolensker Bahn läuft, durchschneidet sie nur im rechten Winkel den linken Flügel der russischen Aufstellung, nämlich des dritten Infanterie-Corps unter General Tutschkow I. und der Kosaken unter Karpow.

Gegen 3 Uhr Morgens hält unser Zug in Gjatsk, wo Napoleon (auf dem Vormarsche) am 1. September eingetroffen war, und in der verbrannten Stadt seinen Truppen am 2. und 3. Rasttag gegönnt hatte. Um halb sechs Uhr früh gelangt man nach Wjäsma, wo Napoleon mit dem großen französischen Hauptquartier am 30. August übernachtet hatte. Ungleich wichtiger als dieser an sich unbedeutende Vorgang ist es, dass der Kaiser Frankreichs hier erfuhr, der bisher von Barklay de Tolly innegehabte Oberbefehl sei inzwischen an Kutusow, unter gleichzeitiger Erhebung desselben in den Fürstenstand, übertragen worden. Bei dem hohen Vertrauen, welches sich an Kutusows Namen knüpfte, dessen Ernennung von der russischen Armee mit Begeisterung aufgenommen wurde, konnte sich Napoleon bald klar werden, welch ungleich gefährlicherer Gegner mit diesem Wechsel der obersten Leitung für ihn erwachsen sei.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland