Vierte Fortsetzung

Am Ende des Parks schließt sich das auf einer Anhöhe im reinsten griechischen Style, mit vom Erechtheum entlehnten Vorhallen, erbaute Schloss „Babygon" an. — allerdings nur vom Quadratinhalte eines mehr als massigen Wohnhauses, aber in einer Reinheit, wie sie die Blütezeit der griechischen Architektur (die zweite Epoche, das Zeitalter des Perikles) nur in einzelnen Denkmälern auf unsere Tage herübergetragen hat. Ganz frei von allen Seiten stehend, mit sehr großen Fenstern, sind die Wohnräume besonders hell und luftig. Kaiser Nikolaus hat Babygon für seine Gemahlin erbaut, und nach unserer unmaßgeblichen Ansicht hat der Baumeister seine Aufgabe glänzend, gelöst. Bei edler Einfachheit in der Anlage hat er jede andere Ornamentik, als die erhabenen, ihm sichtlich vorschwebenden Originale, — Propyläen, Theseus-Tempel und Erechtheion — gestatteten, verschmäht, und damit wirklich etwas Vollendetes geschaffen.

Das Bestreben, Neues noch nie Dagewesenes zu bringen, schafft, wie man sich täglich überzeugen kann, mitunter Missgeburten, welche selbst das Auge des Nichtfachmannes beleidigen müssen. Die Vermischung aller Baustile, die versuchte Schöpfung neuer Säulenordnungen, Rokokofestons an griechischen Metopen aufgesetzt, die Krönung rundbogiger Fenster mit der griechischen Marmorpalmette des antiken Giebelfeldes, und andere derartige Verirrungen können uns heutzutage anderwärts häufig begegnen.


Um so wohltuender für das Auge ist der Anblick eines solch harmonischen Gebäudes, welches uns das Beste, was in architektonischer Beziehung das Zeitalter der klassischen Kunst , die Zeit eines Phidias, Polykletos und Myron hervorgebracht, in gelungener Nachbildung vorführt. Wer sich für Werke der Architektur nur einigermaßen zu interessieren vermag, muss mit dieser Überzeugung und wahrhaft befriedigt, das reizende Gartenschloss Babygon verlassen!

Das Schloss in Peterhof haben wir im Innern zu besichtigen, keine Zeit gefunden, da Wasserkünste und Rundfahrt uns schon hinreichend in Anspruch nahmen. Es soll unter vielen andern Sehenswürdigkeiten in einem einzigen großen Saale die Portraits von 368 Mädchen aus allen Gouvernements Russlands gesammelt, und zur Zeit Katharina II. alle von einem gewissen Grafen Rotali gemalt, enthalten, sicherlich die an Nummern bedeutendste Schönheits-Galerie, welche überhaupt existiert. Neben gelungener technischer Ausführung, soll die stets wechselnde Auffassung, welche in keinem Bilde sich jemals wiederholt, und immer wieder in neuer Haltung des Kopfes, wie des Ausdruckes sich erschöpft, Staunen erregen.

Peterhof ist von Petersburg aus auf dem Land- wie Seewege zu erreichen, und zwar mit Benutzung der Oranienbaumer Eisenbahn in ein und einer halben Stunde, mittelst des Dampfbootes in fünf Viertelstunden. Der Tag, welchen wir dort zubrachten, war vom herrlichsten Wetter begünstigt, und deshalb auch der Zudrang des Publikums so bedeutend, dass zu den regelmäßigen Booten je ein zweites gegeben werden musste, welches ebenfalls zum Erdrücken voll war.

Bei heiterem Himmel und ruhiger See verdient der Seeweg den Vorzug, umso mehr darf ihn der Ausländer wählen, welcher von Petersburg aus noch Moskau besuchen will, und die Freuden des Eisenbahnfahrens reichlich in Aussicht hat.

Wenn auch Peterhof die Situation am finnischen Meerbusen und die reiche Zierde springender Wasser für sich hat, so ist nicht minder reizend das einzige „Zarskoje-Sselo".

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland