Drittes Kapitel

Ausflüge in die Umgebung von Petersburg. — Die Festung Kronstadt. — Peterhof. — Zarskoje-Sselo. — Babygon. Paulowsk.

Wer, von einer Reise aus Russland zurückkehrend, dem Publikum erzählen wollte, er habe die Befestigungen Kronstadts, des ersten Kriegshafens des russischen Reiches, in Augenschein genommen, darf unbedingt als ein sich selbst belügender und seine Leser betrügender Referent erklärt werden. Keine Regierung gestattet einem reisenden Ausländer, sei er nun Fachmann oder Laie, den Eintritt in gewisse Fortifikationen. Sie sichert sich mit vollem Recht gegen die Möglichkeit, dass die Früchte der Anstrengungen ihrer talentvollsten Männer auf dem einschlägigen Gebiete, wie nicht minder Arbeiten, welche mit dem Aufwände vieler Millionen geschaffen worden, der Indiskretion eines Unbekannten preisgegeben werden.


Von diesem Standpunkte ausgehend, wird auch kein vernünftiger Tourist für sich eine Ausnahmestellung beanspruchen wollen, und dürfte das Vorzimmer des kommandierenden Vize-Admirals im Platze Kronstadt für derlei Supplikanten nicht minder den Namen: „salle des pas perdus" verdienen, als jenes im Pariser palais de justice. Trotz der anerkannten Höflichkeit und Liebenswürdigkeit hochgestellter russischer Persönlichkeiten gegenüber dem Ausländer, möchte es im concreten Falle weniger Schwierigkeiten finden, die romantischen Ufer des Baikalsees an Ort und Stelle zu bewundern, oder an dem Gestade von Lena und Amur Veilchen zu pflücken, als den Eintritt in die Zitadelle, die Feste Kronslot, mit Erfolg zu versuchen.

Auch ist ja der Touristenehre durchaus nicht zu nahe getreten mit dem Zugeständnisse, dass man unter vielem Anderen einmal etwas nicht gesehen habe, — wenn gleich Mancher glaubt, er müsse, um von Rom zu sprechen, auch täglich beim Papst zum Tee gewesen sein, und seinetwegen habe der Vesuv eine Extra-Gala-Eruption, zur Feier der hohen Anwesenheit im durch ihn beglückten Neapel, zum Besten gegeben.

Ein Besuch von Kronstadt muss im Gesamteindruck uns abermals Bewunderung abzwingen vor dem schöpferischen Geiste Peter des Großen, welcher in Mitte einer Meeresfläche, auf einem öden Flecke Land stehend, das Wort sprach: „Es werde!" und es ward.

Vor anderthalb Jahrhunderten lag noch eine wüste, niedrige Insel, etwa gleich weit von der karelischen (finnischen) wie ingrischen Küste entfernt, bedeutungslos im finnischen Meerbusen, wo jetzt einer der wichtigsten Kriegshäfen Europas, eine blühende Handelsstadt von achtundvierzigtausend Einwohnern (mit Einschluss der Garnison), mit langen graden Straßenzeilen, durchschnitten von mächtigen Kanälen, eingeschlossen von Granitquais und schönen Alleen, dann zahlreichen, riesigen Etablissements für alle Zweige der Marine, sich erhebt.

Wie sich im Kriegshafen die Mäste und Dampfkamine der Kriegsflotte des Baltischen Meeres zu einer bedeutenden Zahl vereinigen , so ragt noch mehr als verzehnfacht ein solcher Mastenwald der Handelsflotte andererseits im Kauffahrteihafen empor. Der ganze, sehr bedeutende Seehandel Petersburgs hat hier seine Zwischenstation, wo die Handelsseefahrer des ersten Hanges umladen, während die kleineren in Petersburg selbst löschen. Eine Rundfahrt durch die freundliche Stadt, welche leider im letzten halben Jahre eine fürchterliche Feuersbrunst heimsuchte, die einen beträchtlichen Teil zerstörte, — ist äußerst lohnend. Auch hier gewahrt man, dass bei Anlage Kronstadts mit der Horizontalfläche nirgends sparsam umgegangen worden, alle Plätze sind räumlich und teilweise von grünen Squares unterbrochen. Obgleich man allenthalben Schiffsoffizieren, Marinesoldaten, Matrosen und Hafenarbeitern begegnet, so wird der Stadt doch nicht der ausschließend militärische Charakter aufgeprägt. Ein zahlreicher Kaufmannsstand hat sich hier niedergelassen, und nach dem Äußeren der Wohnhäuser zu urteilen, nicht zu seinem Nachtheile. Elegante Damen rollen in Equipagen vorüber und die zahlreichen Iswoschtschiks finden, wenn auch auf die Insel beschränkt, gute Ernte.

Durch die Gefälligkeit eines höheren Seeoffiziers wurden wir in den Marineklub eingeführt, ein hübsches Casino, von dem zahlreichen Offizierskorps der russischen Marine gegründet, welches sich in allen seinen Mitgliedern zur Teilnahme verpflichtet. Es hat nur ein Erdgeschoss, mit schönen eleganten Räumlichkeiten, Lesezimmer, Billard, Garten und Restauration. Die Bedienung in letzterer besorgen militärische Aufwärter mit der an solchen gewohnten Pünktlichkeit und Unverdrossenheit.

Die Schöpfung Kronstadts ist ein gleich genialer, wie praktischer Gedanke. Wie einerseits durch sie Russland im Baltischen Meere festen Fuß fasste; und, wenn auch Anfangs in kleinerem Maße, in die Reihe der europäischen Seemächte trat, so ist andrerseits das prächtige Petersburg dadurch vor jeder feindlichen Beschießung von der Seeseite geschützt, und vor der Gefahr, dass auf seine vergoldeten Kuppeln und Marmorpaläste Bomben geworfen werden, sicher gestellt.

Dass das heutige Kronstadt diesen doppelten Zweck zu erfüllen, richtig gelegen ist, wird Jedermann sofort einleuchten; aber die sterile Kesselinsel als die geeignete Stelle zu erkennen und in wenigen Jahren in diesen wichtigen Kriegshafen umzuwandeln, das war das Ei des Columbus, zu dem es eines Peters des Großen bedurfte.

Dreißig Werste, oder etwas über vier deutsche Meilen, westlich vom Ausflusse der Newa, verengt sich der Finnische Meerbusen bis auf etwa drei Meilen, und bildet hier die Kronstädter Bucht. Fast in Mitte der Stelle, wo die beiderseitigen Ufer, die finnische Küste und jene Ingermanlands, sich näher rücken, liegt Kronstadt und beherrscht mittelst seiner auf Rosten vorgeschobenen Batterien, welche anscheinend schwimmend, gleich Inseln, aus dem Wasser ragen, nördlich die ganze Fläche, welche ohnedies wegen ihrer geringen Tiefe für große Schiffe unpraktikabel sein soll.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland