Abschnitt 1

Rheinsberg


Zwischen Boberow-Wald und Huwenow-See
oder
Der Rheinsberger Hof von 1786 bis 1802


Major von Kaphengst


Die Rheinsberger Kirchenglocke trägt auch den Namen »Major von Kaphengst« als Inschrift. Von ihm und dem Schauplatz seines späteren Lebens werden wir ausführlicher zu sprechen haben.

Christian Ludwig von Kaphengst ward ohngefähr im Jahre 1740 auf seinem väterlichen Gute Gühlitz in der Prignitz geboren. Wann er an den Rheinsberger Hof kam, ist nicht genau festzustellen gewesen; sehr wahrscheinlich lernte der Prinz ihn während des Siebenjährigen Krieges kennen (vielleicht als Offizier im Regimente Prinz Heinrich), fand Gefallen an seiner Jugend und Schönheit und nahm ihn nach erfolgtem Friedensschlusse mit nach Rheinsberg. Als Adjutant des Prinzen, eine Stellung, zu der ihn seine geistigen Gaben keineswegs befähigten, stieg er zum Capitain und bald danach zum Major auf und beherrschte nun den Hof und den Prinzen selbst, dessen Gunstbezeugungen ihn übermütig machten. Der König, der in seiner Sanssouci-Einsamkeit von allem unterrichtet war, mißbilligte, was in Rheinsberg vorging, und wollte dem »Verhältnis« à tout prix ein Ende machen. 1774 überbrachte deshalb ein Page des Königs (von Wülknitz) dem Prinzen Heinrich ein königliches Geschenk von 10 000 Stück Friedrichsdor, freilich zugleich mit der Ordre, »daß er den Major von Kaphengst entlassen möge«, eine Ordre, deren Wortlaut sich hier der Möglichkeit der Mitteilung entzieht. Der Prinz, aller Zuneigung zu seinem Günstling unerachtet, unter dessen Ungebildetheit und Eitelkeit er gelitten haben mochte, gehorchte dem Befehle sofort und tat es um so lieber, als die Entfernung Kaphengsts dem bestehenden Verhältnis nur die Last und Peinlichkeit eines unausgesetzten Verkehrs nahm, ohne das Verhältnis selbst absolut zu lösen. In der Tat, seitens des Prinzen wurde den 10 000 Stück Friedrichsdors seines Bruders aus eignen Mitteln noch ungefähr dieselbe Summe hinzugefügt und nunmehr unter Anzahlung von zirka 100 000 Talern ein drei Meilen von Rheinsberg gelegener Graf Wartenslebenscher Güterkomplex, der die Rittergüter Meseberg, Baumgarten, Schönermark und Rauschendorf umfaßte, gekauft und deren Kaufkontrakt einige Zeit darauf dem Major von Kaphengst als Geschenk überreicht.

Kaphengst übersiedelte nunmehr nach dem am Huwenow-See gelegenen Schloß Meseberg; aber diese Übersiedelung, wie schon angedeutet, war so wenig gleichbedeutend mit Entfremdung, daß vielmehr umgekehrt das gute Einvernehmen zwischen Prinz und Günstling aus diesen zeitweiligen Trennungen nur neue Nahrung zog. Überhaupt, aller klar zutage liegenden Schwächen und Schattenseiten Kaphengsts zum Trotz, muß dem Wesen desselben ein Etwas eigen gewesen sein, das den alternden Prinzen in erklärlicher und dadurch annähernd gerechtfertigter Weise höchst sympathisch berührte. Vielleicht war es nichts weiter als Zynismus, der so leicht einen Reiz auf diejenigen ausübt, deren Beruf und Neigung im allgemeinen auf das geistig Verfeinerte geht. Es ist der Zauber des Kontrastes, ein Sichschadloshalten für anderweit empfundenen Zwang.

Nur so vermögen wir uns die Fortdauer des Verhältnisses zwischen Prinz und Günstling zu erklären. Denn wenn von K.s Habsucht, Wüstheit und Eitelkeit schon in Rheinsberg ihre Proben abgelegt hatten, so verschwanden diese neben dem, was er jetzt in Schloß Meseberg in Szene setzte. Debauchen aller Art lösten sich untereinander ab, und die wahnsinnigste Verschwendungssucht griff Platz.

Schloß Meseberg war ein kostbarer Besitz, aber in den Augen des verblendeten Günstlings lange nicht kostbar genug.

Graf Wartensleben, der durch seine Frau (eine Erbtochter der dort früher angemessenen Gröbens) in Besitz Mesebergs und der andern obengenannten Güter gekommen war, hatte 1739 an der Südspitze des Huwenow-Sees ein Schloß aufgeführt. Wie ein Zauberschloß liegt es auch heute noch da. Der Reisende, der hier über das benachbarte Plateau hinfährt, dessen öde Fläche nur dann und wann ein Kirchturm oder ein Birkengehölz unterbricht, ahnt nichts von der verschwiegenen Talschlucht an seiner Seite, von der steil abfallenden Tiefe mit Wald und Schloß und See. Dieser letztere, der Huwenow-See geheißen, ist eines jener vielen Wasserbecken, die sich zwischen dem Ruppinschen und dem Mecklenburgischen hinziehen und diesem Landstriche seine Schönheit und seinen Charakter geben. Unbedingte Stille herrscht, die Bäume stehen windgeschützt und rauschen leiser als anderswo, das Geläute der oben weidenden Herde dringt nirgends bis in die Tiefe hinab, und nichts vernehmen wir als den Schnitt der Sense, die neben uns das Gras mäht, oder den Ruck, womit der Angler die Schnur aus dem Wasser zieht. An so romantischer Stelle war es, daß Graf Wartensleben sein Schloß aufführen ließ. Er tat es, wie die Sage geht, um in der Wilhelmsstraße zu Berlin nicht ein Gleiches tun zu müssen, denn ein königlicher Befehl war eben damals erschienen, der jedem Edelmanne von Hang und Vermögen vorschrieb, in der Wilhelmsstraße ein Palais zu hauen, falls er nicht nachweisen könne, auf seinen eigenen ländlichen Besitzungen mit Aufführung eines gleich stattlichen Baues beschäftigt zu sein. So entstand denn das »Schloß am Huwenow-See«, und die Pracht, mit der es emporwuchs, übertraf noch die des gleichzeitig im Umbau begriffenen Rheinsberger Schlosses. Die die Façade bildenden Sandsteinsäulen wurden aus den sächsischen Steinbrüchen, die Marmorkamine von Schlesien her herbeigeschafft; breite, mächtige Steintreppen stiegen bis in das obere Stockwerk, eichene Paneele umliefen die Zimmer, während andere bis an den Plafond hinauf boisiert waren. Kostbare Blumenstücke, wahrscheinlich von der Hand Dubuissons und bis diesen Augenblick in voller Schönheit erhalten, füllten den Raum über den Türen, und eine lateinische, in einem der Kellergewölbe angebrachte Inschrift erzählte von Müntherus, dem Baumeister, »auf dessen Anordnung hier Eichen und Buchen in zahlloser Menge gefällt und die terrassenförmig zum See hinabsteigenden Parkanlagen ins Leben gerufen worden sein«. Der Bau überstieg den Reichtum des reichen Grafen, und er verbaute sich; Park und Schloß hatten ihm eine Tonne Goldes gekostet. 2)




2) Die alte, äußerlich sehr unscheinbare Kirche zu Meseberg ist in ihrer Art nicht minder interessant als das Schloß. Grabsteine der Gröbens liegen im Kirchenschiff, und Denkmäler der verschiedensten Art, aber alle der eben genannten Familie zugehörig, zieren die Wände hinter und neben dem Altar. Rechts hängt ein großes, auch um seines künstlerischen Gehaltes willen sehr bemerkenswertes Familienbild aus dem Jahre 1588, von dem ich vermuten möchte, daß es von einem Schüler des Lucas Cranach herrühre, wenigstens erinnert vieles an diesen Meister. Das Bild ist sehr groß, etwa zwölf bis vierzehn Fuß lang und zehn Fuß hoch, und stellt Ludwig von der Gröben und seine Gemahlin (eine geborne Anna von Oppen) samt ihren siebzehn Kindern dar, dreizehn Knaben links und vier Mädchen rechts. Einige Köpfe sind höchst ansprechend. Eltern und Kinder knien in einer Art Kirchenhalle, und über ihnen, wie Schildereien, die in dieser Halle aufgehängt wurden, befinden sich die Darstellungen des Sündenfalls und der Auferstehung. Ein Anbau der Kirche zu Meseberg enthält das Grabgewölbe des obengenannten Grafen Hermann von Wartensleben. Er, seine Frau und zwei Kinder sind darin beigesetzt. Graf von W. war Oberst über ein Regiment zu Pferde und starb 1764 oder 1765. Seine Erben besaßen das Gut bis 1774.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil